Anlage 2

 

Senatsverwaltung für Wirtschaft,

Arbeit und Frauen

- IV D 11 –

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der FDP über

 

                        Gesetz zur Aufhebung des Berliner Bildungsurlaubsgesetzes (BiUrlG)
                        (Mehr Berlin, weniger Staat (45))

 

- Drucksache Nr. 15 / 2240 -

 

 

 

Das Berliner Bildungsurlaubsgesetz (BiUrlG) in der heute gültigen Fassung löste am 24. Oktober 1990 das seit 1970 geltende "Gesetz zur Förderung der Teilnahme an Bildungsveranstaltungen" ab. Damit haben alle Berliner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Auszubildende einen Rechtsanspruch auf bezahlte Freistellung von der Arbeit in Höhe von 10 Tagen innerhalb eines Zeitraumes von zwei aufeinander folgenden Kalenderjahren für die Teilnahme an Veranstaltungen zur politischen Bildung und/oder beruflichen Weiterbildung. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres beträgt der Bildungsurlaub 10 Arbeitstage im Kalenderjahr. Die Veranstaltungen müssen in der Regel von der zuständigen Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen anerkannt sein.

 

Der Senat hält das BiUrlG im jetzt 33. Jahr seiner Anwendung weiterhin für einen unverzichtbaren Bestandteil der Bildungs- und Weiterbildungspolitik des Landes Berlin. Es trägt zur nachhaltigen Erhöhung der Bildungsbereitschaft und zur Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung sowie zu einem besseren Verständnis und erweiterten Engagement der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für betriebliche, wirtschaftliche und politische Zusammenhänge bei.

 

In 12 von 16 Bundesländern existieren Bildungsurlaubs- bzw. Freistellungsgesetze (auch in Brandenburg).Damit wurde in diesen Ländern das "Gesetz zu dem Übereinkommen Nr. 140 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 24. Juni 1974 über den bezahlten Bildungsurlaub" vom 7. September 1976 (BGBl. II S. 1526) zumindest teilweise umgesetzt. Das Übereinkommen Nr. 140 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verweist auf Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in dem festgestellt wird, dass jeder Mensch das Recht auf Bildung hat und empfiehlt in Artikel 2 nicht nur für berufliche und politische Bildung, sondern auch für allgemeine und gewerkschaftliche Bildung bezahlten Bildungsurlaub.
In einem Beschluss vom 15.12.1987 hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die den Arbeitgebern im Rahmen von Bildungsurlaubsgesetzen auferlegten Freistellungs- und Entgeltfortzahlungspflichten durch Gründe des Gemeinwohls und die besondere Verantwortungsbeziehung der Arbeitgeber gerechtfertigt seien.


 

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Der Antrag der Fraktion der FDP zielt auf die vollständige Abschaffung der seit über 30 Jahren den Berliner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch das Bildungsurlaubsgesetz gewährten Freistellungsrechte für Bildungszwecke. Diese Absicht steht im offensichtlichen Gegensatz zu allen aktuellen Bemühungen auf regionaler, bundes- und europaweiter Ebene zur generellen Verbesserung der Weiterbildungschancen und zur Entwicklung von Beiträgen zur Verwirklichung eines europäischen Berufsbildungsraumes bis zum Jahr 2010.

 

Der Antrag der FDP führt im Wesentlichen drei Argumente für die Abschaffung des BiUrlG an, die jedoch nach Ansicht des Senats nicht stichhaltig sind.

 

1. Die Behauptung, der Bildungsurlaub sei zu einem „Luxusrecht“ des öffentlichen Dienstes geworden, ist unzutreffend. Im Jahr 2002 waren lediglich 33 % der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an anerkannten Bildungsveranstaltungen im öffentlichen Dienst beschäftigt, während 67 % private Arbeitgeber hatten.

 

2. Für die Möglichkeiten der Ablehnung von Bildungsurlaub hat der Gesetzgeber enge Grenzen gezogen und in § 4 Abs. 2 S. 1 BiUrlG dafür lediglich spezifische Urlaubsgründe sowie „zwingende betriebliche Belange“ zugelassen. Einfache „betriebliche Belange“ wie z.B. „schlechte Ertragslage“ (FDP-Antrag), stellen nach Auffassung des Senats keinen zwingenden Ablehnungsgrund im Sinne des BiUrlG dar. Die in jedem Fall eng auszulegenden Ausnahmevorschriften in § 4 Abs. 2 BiUrlG können jedoch in keinem Fall die Freistellungsrechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zunichte machen. Denn das BiUrlG eröffnet dem Arbeitgeber lediglich die Möglichkeit, die von seiner Mitarbeiterin bzw. seinem Mitarbeiter für die Teilnahme an einer spezifischen Bildungsveranstaltung „vorgesehene Zeit“ gem. § 4 Abs. 2 Satz 1 BiUrlG auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.

Darüber hinaus enthält das Berliner Bildungsurlaubsgesetz weitere rechtliche Einschränkungen, die in ihrer Gesamtheit  die Interessen der Arbeitgeber und ihrer Unternehmen angemessen berücksichtigen. Dazu zählen

 

- die sechsmonatige Wartezeit nach Beginn eines Arbeits- bzw. Ausbildungsverhältnisses für die Realisierung des Anspruchs auf Bildungsurlaub (§ 3 BiUrlG),

 

- die so frühzeitig wie möglich, grundsätzlich sechs Wochen vor Beginn der Freistellung zu machende Mitteilung an den Arbeitgeber über Inanspruchnahme und Zeitpunkt des Bildungsurlaubs (§ 4 Abs. 1 BiUrlG),

 

- die besondere Schutzvorschrift bezüglich der Ablehnung von Bildungsurlaub für Kleinbetriebe mit in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. In den Fällen des § 4 Abs. 3 BiUrlG kann der Arbeitgeber die Freistellung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern über 25 Jahren auch ablehnen, sobald die Gesamtzahl der Arbeitstage, die im laufenden Kalenderjahr von seinen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern für Zwecke der Freistellung nach diesem Gesetz in Anspruch genommen worden sind, das 2,5-fache der Zahl seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erreicht hat.

 

- die erstmals mit der Novelle von 1990 geschaffene Möglichkeit, die Zeiten betrieblicher Bildungsveranstaltungen auf den Freistellungsanspruch nach dem Berliner Bildungsurlaubsgesetz anzurechnen. Damit wurde dem Ziel einer Verstärkung der beruflichen Bildungsarbeit Rechnung getragen.


 

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3. Der Antrag unterstellt eine Gefährdung von Arbeitsplätzen durch das Vorhandensein einer gesetzlichen Bildungsurlaubsregelung. Dafür gibt es nach Ansicht des Senats keine Anhaltspunkte. Entsprechende Erhebungen über diesbezügliche einzelbetriebliche Auswirkungen sind nicht bekannt. Bei einer aufgrund rückläufiger Teilnehmerzahlen durchschnittlichen Teilnahmequote von rd. 1,1 % (1991 bis 2002) aller Anspruchsberechtigten in Berlin ist die Befürchtung der FDP als unbegründet anzusehen. Ein deutlicher Anstieg ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten.

 

Das BiUrlG stellt daher nach Auffassung des Senats keine unvertretbare Belastung der Berliner Wirtschaft dar. Die Interessen der Berliner Arbeitgeber sind durch die im Gesetz enthaltenen Einschränkungen bei der Inanspruchnahme angemessen und ausreichend berücksichtigt. Die auf Seiten der freistellenden Betriebe anfallenden Kosten sind aus Sicht des Senats vielmehr als Zukunftsinvestitionen anzusehen, die sich zumindest mittelfristig positiv für die Berliner Wirtschaft auswirken. Dafür spricht, dass die Berliner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer den Bildungsurlaub immer stärker mit dem Ziel der Erhaltung, Verbesserung oder Erweiterung ihrer beruflichen Qualifikationen nutzen. Das zeigt der kontinuierlich gestiegene Anteil der beruflichen Weiterbildung von 38 % (1991) auf 68 % (2002), während der Anteil der politischen Bildung von 61 % (1991) auf 30 % (2002) zurückgegangen ist.
Deshalb ergänzt das BiUrlG mit seiner spezifischen Ausrichtung einer arbeitnehmerinnen- und arbeitnehmergerechten Form der beruflichen Weiterbildung sinnvoll die Erfordernisse der hauptsächlich in den Unternehmen und in den Bildungswerken der Wirtschaft stattfindenden Fortbildung. Es verfolgt nicht die Absicht, diese Bemühungen zu ersetzen. Vielmehr will der Bildungsurlaub Impulse geben zur Förderung der Lernmotivation und zu systematischer Fortbildung als „lebenslanges Lernen“.

Demzufolge wäre es nach Ansicht des Senats geradezu kontraproduktiv, in einer Zeit, in der der soziale Rechtsstaat und die moderne Industrie- und Informationsgesellschaft auf politisch mündige und beruflich qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angewiesen sind, ein in Berlin seit über 30 Jahren gut eingeführtes Instrumentarium aus der Hand zu geben.

 

Der Senat ist deshalb der festen Überzeugung, dass es darauf ankommt, die bewährten Freistellungsmöglichkeiten, die das BiUrlG bietet, nicht abzubauen, sondern vor dem Hintergrund EU-weiter Anstrengungen zur Verbesserung des Zugangs zu lebensbegleitenden Bildungsmaßnahmen und als wichtigen Beitrag einer arbeitnehmerinnen- und arbeitnehmerorientierten Politik des Senats zu erhalten und zu stärken.

 

Ausschuss-Kennung : ArbBFraugcxzqsq