Der Senat wird aufgefordert, mit der Bundesregierung über die Nord-Süd-Anbindung des Lehrter Bahnhofs neu zu ver­handeln. Um die Anbindung in Nord-Süd-Richtung zeitnah mit der Inbe­triebnahme vom Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof zu realisieren, soll der bis mindestens nach 2010 verschobene Bau der U 5 kurzfristig durch eine Bahnverbindung mit Zweisystemfahrzeugen unter Nutzung des bestehenden Fernbahntunnels ersetzt werden.

 

 

Begründung:

 

Zu Beginn der 90er Jahre, im Zusammenhang mit der Entscheidung für den Nord-Süd-Eisenbahntunnel und dem neuen Lehrter Bahnhof, haben sich die Bundesregierung und der Senat von Berlin darauf verständigt, den Lehrter Bahnhof, dessen Anbindung nur mit der Stadtbahn als unzureichend angesehen wurde, durch folgende Projekte zu erschließen:

 

·         Verlängerung der U-Bahnlinie 5 vom Alexanderplatz zum Lehrter Bahnhof (mit der Option auf Verlängerung bis Jungfernheide)

·         S-Bahnlinie 21, mit der 60 S-Bahnhöfe vom Haupt­bahnhof/Lehrter Bahnhof direkt erreichbar sind

·         Wiederinbetriebnahme der Stammbahn für den Re­gionalverkehr.

Für all diese Projekte sind seitdem umfangreiche Vorleistungen in Höhe von 355 Mio. Euro finanziert worden:

·         200 Millionen Euro für die zwei Kilometer der U 5, die weiteren zwei Kilometer zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor kosten etwa 400 Millionen Euro


 


·         130 Millionen Euro für die S 21, die zwi­schen Nordring und Potsdamer Platz etwa 370 Millionen Euro kostet (170 Millionen für den zwei Kilometer langen Abschnitt Lehrter Bahnhof-Nordring, 200 Millionen für den 1,2 Kilometer langen Abschnitt Lehrter Bahnhof-Potsdamer Platz). Darin eingerechnet ist auch der fertige Tunnel­stutzen zwischen Potsdamer Platz und Bran­denburger Tor aus den dreißiger Jahren im heutigen Wert von etwa 60 Millionen Euro

·         25 Millionen Euro für die Einfädelung der Stammbahn in den Nord-Süd-Tunnel. Die Stammbahn ist die erste Eisenbahnverbindung in Preußen zwischen Potsdam und Berlin. Sie führt von Griebnitzsee über Dreilinden, Zehlendorf, Steglitz und Schöneberg in den Nord-Süd-Tunnel und von dort weiter über Gesundbrunnen nach Nord-Ost-Deutschland. Die Wiederin­be­triebnahme der Stammbahn kostet in der einfa­chen Version inklusive der Bahnhöfe etwa 100 Millionen Euro.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hielt diese Pla­nung von Anbeginn für überdimensioniert und unbe­zahlbar. Dass wir uns heute in unserer Kritik bestätigt sehen, ändert an den verschleuderten Euro-Millionen ohne verkehrspolitische Effizienz nur wenig.

 

Folgende Kompromisse wären denkbar gewesen:

·         Konzentration auf die S 21 statt auf die U 5 von Anfang an. Die S 21 hätte nicht aus der Ver­kehrsplanung für den Zentralen Bereich heraus­genommen werden dürfen, weil der gleichzeitige Bau beider Tunnel („Doppelstock-Lösung“ im Bereich Reichstag) für die S 21 die Hälfte günstiger geworden wäre.

·         Der bestehende U-Bahntunnel hätte den Durch­messer auch für die S-Bahn haben müssen. Die fehlenden 40 Zentimeter machen eine Kombina­tion des U 5- Tunnelstutzens mit dem der S 21 aus den 30er Jahren unmöglich.

 

Die Zustimmung Berlins zum Verzicht auf die S 21 war ein schwerer Fehler. Als die große Koalition entschieden hatte, die S 21 doch für notwendig zu erklären und die Vorleistungen – z.B. die Tunnel am Nordring – geplant und gebaut hatte, hätte mit der Bundesregierung über eine Alternativ-Konzeption verhandelt werden müssen.

Jahrelang stritten sich SPD und CDU über die U 5 und glaubten „pacta non sunt servanda“. Erst mit der Regie­rungserklärung von Klaus Wowereit für den rot-grünen Übergangssenat – S 21 statt U 5 – wurde die Sprachlosig­keit des Senats beendet und eine verkehrspolitische Alter­native zur nicht bezahlbaren U 5 formuliert.

Die Planungen für die S 21 bekamen aber einen derben Rückschlag durch Bahnchef Mehdorn und Bausenator Strieder. Am Lehrter Bahnhof wurde nämlich nicht nur das Dach verkürzt, sondern auch auf den gleichzeitigen Bau des S 21-Bahnhofs verzichtet. Das bedeutet eine Realisierungsverzögerung um mehrere Jahre.

Zudem wurde das Planfeststellungsverfahren für die S 21 (Nord) ohne die Bahnhöfe Perleberger Brücke eingeleitet.

Auch die Verträge bezüglich der Stammbahn wurden durch den Senat verletzt. Zu Beginn der 90er Jahre hatten Berlin und Brandenburg nämlich dem Bund versprochen, die Stammbahn bei der DB AG zu bestellen. Der Bund baute darauf hin deren Ein­fädelung am Gleisdreieck. Dabei wurde vertraglich vereinbart, dass der Bund diese Kosten von der DB AG zurückerstattet bekommt, wenn die Stammbahn nicht fährt.

Angesichts der dramatischen Hauhaltslage im Bund und in Berlin ist an eine Erfüllung all dieser Verträge nicht zu denken. Deshalb wird zwischen dem Senat und der Bundesregierung über eine Regelung verhandelt, um den Rechnungshof zufrieden zu stellen.

 

In gegenseitigem Einvernehmen müsste der Haupt­stadtvertrag verändert werden. Das Interesse des Bundes – gute nahverkehrliche Anbindung von Lehrter Bahnhof und Regierungsviertel - muss dabei ebenso gewahrt wer­den wie das Interesse Berlins an einer kostengünstigen Lösung.

 

Der Vorschlag von Senator Strieder, mit knapp 30 Millionen Euro die U 5 zur Stummelstrecke zu de­gradieren, ist allenfalls ein Placebo für den Bundes­rechnungshof und geht an den verkehrspolitischen Not­wendigkeiten vorbei. Die kürzeste U-Bahnlinie der Welt ist bestenfalls für Touristen attraktiv. Die Betriebskosten in Höhe von 750.000 Euro pro Jahr (super-teurer Inselbetrieb!) sollen durch 6.400 tägliche Fahrgäste, die 32 Cent bezahlen müssen, aufgebracht werden. Eine typi­sche Berliner Rechnung, die – wie so viele – nicht aufge­hen wird. Damit Berlin nicht regresspflichtig wird, sollen die Investitionskosten vom Bund übernommen werden. Eine Rechnung Berlins zu Lasten eines Dritten.

 

Angesichts der finanziellen und zeitlichen Rahmenbe­dingungen schlägt die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen folgende Lösung vor:

Der Hauptbahnhof - Lehrter Bahnhof ist in Ost-West-Richtung mit sechs S-Bahnlinien und zahlrei­chen Regionalbahnlinien gut angebunden. Auch im Nord-Süd-Regionalverkehr, der aber nur an den Bahnhöfen Pots­damer Platz, Gesundbrunnen, Papestraße und Lichterfelde Ost hält, wird mit der Inbetriebnahme des Eisenbahn­tunnels die (Fern-)Anbindung gewährleistet sein. Größtes Defizit bleibt die nahverkehrliche Anbindung in Nord-Süd-Richtung.

Aus Kosten- und Zeitgründen bietet sich daher eine Kom­bination von Stammbahn und S 21 mit Zwei-System-Zügen an. Diese technologische Innovation wird heute schon von der Industrie auf dem Markt angeboten und verkehrt – z.B. in Karlsruhe und Saarbrücken – bereits seit Jahren zuverlässig mit enormen Verkehrserfolgen. Das AH hat schon am  5. April 2001auf Grund des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Senat aufgefordert, „die vorhandenen Gleisanlagen in der Region Berlin-Brandenburg durch die Einführung von Zwei-System-S-Bahnzügen effizienter zu nutzen“.

 

Diese Fahrzeuge haben sowohl eine Oberleitung (mit 15.000 Volt Wechselstrom) als auch eine seit­liche Stromschiene (mit 800 Volt Gleichstrom). Diese Duo-Fahrzeuge können von Potsdam über Wannsee und Steglitz nach Schöneberg fahren, wobei sie –wie heute die S 1 - an jedem S-Bahnhof halten. Am S-Bahnhof Yorckstraße zweigen sie von der S-Bahn­trasse ab und fahren danach weiter durch den Nord-Süd-Tunnel mit Stopps in Potsdamer Platz und Lehrter Bahnhof bis zum Nordring. Dort biegen sie wieder ab auf die S-Bahntrasse und halten an den S-Bahnhöfen Westhafen bzw. Wedding.


Die Mehrkosten für den auf dem Markt befindlichen S-Bahnzug 423 belaufen sich für den Halbzug mit vier Wagen als Zweirichtungsfahrzeug auf circa 300.000 Euro.

Gegenüber der „halben“ S 21 (Nord), die ohne Halt vom Lehrter Bahnhof zum Nordring fahren soll, hätte diese Variante keine Nachteile – im Gegenteil: sie wäre billiger und verkehrlich um ein Vielfaches effizienter. Finanziert werden müsste neben den Betriebskosten nur der Einbau zweier Weichenpaare und die Anbindung zur bereits fertiggestellten Einfädelung in den Nord-Süd-Tunnel. Die Gesamt-Kosten dieser Investition belaufen sich auf etwa 5 Millionen Euro.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fordert den Senat und die Bundesregierung auf, nicht nur den Rechnungshof zufrieden zu stellen, sondern auch die nahverkehrliche Anbindung zu realisieren. Die vor­geschlagene Variante ist nicht nur erheblich effi­zienter sondern auch kostengünstiger. Intelligenz statt Beton ist das Gebot der Stunde überall – warum eigentlich nicht in Berlin.

 

Berlin, den 19. Januar 2004

 

Dr. Klotz     Ratzmann       Cramer

und die übrigen Mitglieder

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

 

 

 


 

 

Ausschuss-Kennung : BauWohnVgcxzqsq