Vorlage – zur Kenntnisnahme –
Gemeinsame Kommission von Bundestag und Bundesrat zur
Modernisierung
der bundesstaatlichen Ordnung – 2. Bericht –
Der Senat legt
nachstehende Vorlage dem Abgeordnetenhaus zur Unterrichtung gemäß Art. 50 Abs.
1 Satz 1 VvB und zur Besprechung vor:
1.
Der
Senat hatte dem Abgeordnetenhaus zuletzt mit Vorlage vom 20. Oktober 2003 (Drs
15/2107) über Einrichtung, Zusammensetzung und Auftrag der Bundesstaatskommission
sowie über den damaligen Sach- und Verhandlungsstand bei dem Vorhaben der
Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung berichtet und dem Abgeordnetenhaus
die diesbezüglichen Materialien zugänglich gemacht. Nachdem die Bundesstaatskommission
ihre Arbeit aufgenommen hat, sind ihre Dokumente auch über die Internet-Seite
des Bundesrates jeweils aktuell zugänglich; wegen des Umfanges dieser
Materialien (z.B. Sachverständigen-Stellungnahmen, Protokolle) muss auch hier -
über den nachfolgenden Bericht hinaus - auf diese Zugriffsmöglichkeit verwiesen
werden.
Das Abgeordnetenhaus ist durch den Abgeordneten Volker Ratzmann (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) in der Kommission vertreten; mit MdA Ratzmann ist vereinbart, dass er dem Abgeordnetenhaus ggf. ergänzend berichtet, insbesondere über die Erörterungen und Abstimmungen der ‚Landtagsbank‘ der Bundesstaatskommission.
2.
Sach-
und Verhandlungsstand
Die Kommission arbeitet in Plenar- und Arbeitsgruppen-Sitzungen. Es sind zwei Arbeitsgruppen eingerichtet:
·
Gesetzgebungskompetenzen
und Mitwirkungsrechte, einschließlich Europa (Federführung/Vorsitz: MdB‘s
Hermann Bachmaier - SPD -, Dr. Norbert Röttgen - CDU/CSU -, MP Erwin Teufel,
RBm Klaus Wowereit)
·
Finanzbeziehungen
(Federführung/Vorsitz: MdB’s Volker Kröning - SPD -, Antje Tillmann - CDU/CSU
-, MP Roland Koch und MP Matthias Platzeck)
Die Kommission hat sich
zunächst auf den Bereich der Gesetzgebungskompetenzen und die Mitwirkungsrechte
der Länder konzentriert.
3.
Gesetzgebungskompetenzen
und Mitwirkungsrechte
Eine möglichst
durchgreifende und wirksame Modernisierung der bundesstaatlichen Ordnung
erfordert einen allseitigen Konsens auf möglichst großem gemeinsamen Nenner.
Voraussetzung dafür ist, dass es gelingt, substanziell überzeugende,
Zweidrittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat ermöglichende Vorschläge zu
erarbeiten. Die Chance dazu besteht, wenn die Hauptziele der Beteiligten in angemessener
Weise realisiert werden. Hauptziel der
Länder sind mehr regionale Gestaltungsmöglichkeiten, mehr regionale Politikfähigkeit
und damit zugleich eine Stärkung der Landesparlamente. Hauptziel des Bundes, der Bundesregierung ganz unabhängig von ihrer
parteipolitischen Zusammensetzung, ist mehr Handlungsfähigkeit durch Deblockade
bei den Zustimmungsrechten des Bundesrates bei der Rechtsetzung.
Einen
Machtverlust insoweit würde die Länderseite allerdings nur akzeptieren können,
wenn es einen substanziellen Zuwachs bei den ländereigenen
Gesetzgebungskompetenzen gibt. Deshalb analysiert die Bundesstaats-Kommission
sehr intensiv die einzelnen Kompetenzmaterien auf Möglichkeiten der Trennung
von Bundes- und Landeskompetenzen, auf Möglichkeiten der Verlagerung von Kompetenzen
vom Bund auf die Länder und im Hinblick auf neue Verfahrensgestaltungen. Dabei
wird es auch Verlagerungen und Kompetenzklärungen zugunsten des Bundes im Hinblick auf nur national sinnvolle
Regelungen geben. Denn insgesamt
geht es bei der Neuordnung der Kompetenzen um die Stärkung der politischen
Handlungsfähigkeit und um klarere Verantwortungszuordnung für beide staatlichen Ebenen, für die
Länder und den Bund. Die skizzierte
politische Grundfragestellung zur Neuordnung von Gesetzgebungskompetenzen und
Mitwirkungsrechten der Länder bei der Rechtsetzung lässt sich wie folgt zusammenfassen:
1.
Gibt
es bei den Gesetzgebungskompetenzen ein Maß an Entflechtung zwischen Bund und
Ländern
1.1
durch
Kompetenztrennung bzw. -verlager-ungen
1.2 durch
gegenständliche und/oder ausübungsbezogene Begrenzung(en) von Bundeskompetenzen
1.3 durch
Öffnung des Bundesrechts auf Verfassungsebene (insbesondere Zugriffsrechte der
Länder)
aufgrund dessen ohne Aufgabe der horizontal-gewaltenteilenden
politischen Funktion des Bundesrates als Gegengewicht von Bundestag/Bundesregierung
- Bund und Länder im Ergebnis
in ihrer jeweiligen Handlungsfähigkeit gestärkt und klarere Verantwortungszuordnungen
auf den Bund und die Länder/Landespar-lamente erreicht werden können?
- die Länder zu einer
Einschränkung der bisherigen Zustimmungsrechte des Bundesrates bereit sein können?
2.
Wenn
ja, wie können bzw. sollten dann die Zustimmungsrechte des Bundesrates bei der
Rechtsetzung definiert werden:
2.1
Inhaltliche
Begrenzung(en)?
2.2 Voller oder teilweiser
Wegfall?
3.1 Baden-Württemberg und Berlin
haben für die Kompetenzabschichtung zwischen Bund und Ländern folgende
Kriterien zusammengefasst:
1.
So viel Vielfalt wie
möglich, so viel Einheit wie nötig
* Beweislast
beim Bund, ob und wo einheitliche Regelung nötig.
* Alles
was nicht ausdrücklich dem Bund zugewiesen ist, ist Ländersache.
Die weitere
Prüfung soll anhand nachfolgender Kriterien erfolgen, die allerdings nicht als
Pauschalargumente für die Zentralebene, sondern jeweils differenziert zu
beachten sein werden:
* Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse oder: Wie viel regionale
Unter-
schiedlichkeit
verträgt der Bundesstaat, wenn die besondere Innovationskraft der föderalen
Staatsform genutzt werden soll?
* Rechts- und Wirtschaftseinheit (Führen unterschiedliche Regelungen
in den Ländern zur Auflösung einer funktionsfähigen Rechtsgemeinschaft und zu
einer unzuträglichen Behinderung des nationalen/internationalen Rechtsverkehrs?
Werden durch unterschiedliche Regelungen - ungeachtet evtl. erfolgter
Harmonisierung durch EU-Recht - Schranken oder Hindernisse für den
nationalen/internationalen wirtschaftlichen Verkehr im Bundesgebiet errichtet,
die nicht hingenommen werden können?)
* Gibt es allgemeine (z.B.
Effizienz, Wirtschaftlichkeit, Bürgerfreundlichkeit, Freizügigkeit) und/oder
konkrete (z.B. internationale Konkurrenzfähigkeit, Sicherheit) gesamtstaatliche Interessen, die eine
nationale Regelung zwingend erfordern?
2. Eigenstaatlichkeit der
Länder
3. Regionalität und Ortsnähe
4. Europatauglichkeit der jeweiligen Kompetenzzuordnung
(auch das Kriterium Europatauglichkeit ist kein Pauschalargument für die Zentralebene,
sondern es wird differenziert zu fragen sein: Regionale Umsetzbarkeit oder
nationaler Harmonisierungs- und ggf. Umsetzungsbedarf hinsichtlich von
EU-Recht?)
Als Grundlage einer funktionalen Systematisierung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern soll folgende (Grob-)Gliederung zugrunde gelegt werden:
I. Zuständigkeiten des Bundes
1. Organisationshoheit
des Bundes
2. Sicherung
der Handlungsfähigkeit des Gesamtstaates nach außen und nach innen
3. Sicherung
grundlegender rechtlicher Voraussetzungen des Zusammenlebens
4. Grundlegende
Rahmenbedingungen wirtschaftlicher Betätigung
5. Sicherung
einer grundlegenden überregionalen Infrastruktur der Bundesrepublik Deutschland
II. Zuständigkeiten der Länder
1. Organisationshoheit der
Länder
2. Regelung von Sachverhalten
mit überwiegend regionalen oder örtlichen Bezügen
3. Kulturhoheit
4. Allgemeine Gefahrenabwehr
Zwei Beispiele aus den Erörterungen der Kommission zur Kompetenzzuordnung anhand dieser Kriterien
Erstes Beispiel: Personalhoheit der Länder
Die Länder
sind Staaten, wie von Sachverständigenseite betont wurde. Teil der Staatlichkeit
ist die Hoheit über das eigene Personal. Deshalb gehöre das öffentliche Dienst-
und Besoldungsrecht für die Landes- und Kommunalbeamten zu den Ländern. Im
Hinblick auf das Bundesverfassungsrecht und die notwendige Freizügigkeit im
Bundesgebiet sollten lediglich Kernbereiche des Statusrechts bundesrechtlich
geregelt bleiben.
Die
Ministerpräsidentenkonferenz hatte empfohlen, auch den Art. 33 Abs. 5 GG in die
Arbeit der Bundesstaats-Modernisierung einzubeziehen. Eine Länderarbeitsgruppe
hatte dazu z.B. auf den 1996 von Schleswig-Holstein in den Bundesrat eingebrachten
Vorschlag verwiesen, der auf die weitere Perpetuierung der hergebrachten
Grundsätze des Berufsbeamtentums mit folgender Neuformulierung des Art. 33 Abs.
5 GG verzichtet:
„Die Angehörigen des öffentlichen Dienstes,
die dem Funktionsvorbehalt des Absatz 4 unterfallen, sind nach Erfüllung der
erforderlichen Voraussetzungen in ein Beamtenverhältnis auf Zeit oder auf Lebenszeit
zu berufen. Rechte und Pflichten der Beamten, ihre Besoldung und ihre
Versorgung sind gesetzlich zu regeln.“
Ein anderer,
auf Länderseite in der Diskussion befindlicher Vorschlag will aus den
hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums jedenfalls das Laufbahnprinzip
herausnehmen, um den Dienstherren zu ermöglichen, dieses durch ein anderes,
z.B. mehr funktions- und leistungsbezogenes System zu ersetzen. Die Beratung
ist in der Bundesstaatskommission noch nicht abgeschlossen.
Zweites Beispiel: Kulturhoheit/Hochschulrecht
Die Prüfung
dieses Bereichs anhand der vorgenannten Kriterien führt zu einer Vielzahl von
Fragen. So wurde z.B. von der Seite der Sachverständigen in Anlehnung an
Ergebnisse früherer Verfassungskommissionen vorgeschlagen, das gesamte
Hochschulrecht mit Ausnahme der Zulassung zum Studium, der Hochschulabschlüsse
und Hochschulgrade und Angelegenheiten des wissenschaftlichen und künstlerischen
Personals den Ländern zu übertragen. Die Konferenz der Landtage hatte völlige
Streichung empfohlen, da das deutsche Hochschulwesen nur durch stärker
konkurrierende Systeme an Qualität gewinnen könne. Das hieße: Streichung der
gegenwärtigen
Rahmenkompetenz des Bundes für allgemeine Grundsätze des Hochschulwesens und
ggf. Verlagerung der vorgenannten Teilmaterien in die konkurrierende Gesetzgebung
des Bundes. Auch hier ist die Diskussion in der Bundesstaatskommission nicht
abgeschlossen.
Bei anderen Kompetenzen wird eine Abschichtung hin zum Bund nötig sein. Z.B. gehört das Melde- und Ausweiswesen, derzeit eine Rahmenkompetenz, auch nach der Ansicht der Länder in die ausschließliche Bundeszuständigkeit. Darüber hinaus dürfte es eine Reihe von Abrundungsmaterien im Sicherheitsbereich geben, wo ebenfalls ohne Verlust föderalen Hausguts der Länder der Bund gestärkt werden könnte und sollte - eine Stärkung der Gestaltungsmöglichkeiten der Länder könnte im Gegenzug auf anderen Feldern erfolgen.
3.2 Neben
derartigen, hier nur beispielhaft genannten gegenständlichen Kompetenzabgrenzungen
werden ausübungsbezogene Kompetenzbegrenzungen
erörtert. Eine ausübungsbezogene Begrenzung ist bislang die sog.
Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG. Der Wechsel der früheren Bedürfnisse-
zur jetzigen Erforderlichkeitsklausel hat allerdings faktisch kaum steuernde
Wirkung auf die Dichte des Gebrauchmachens von Bundeskompetenzen gehabt. Auch
die 1994 eingefügte Möglichkeit der Erforderlichkeitskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht
hat, wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Altenpflegegesetz gezeigt
hat, keine praktische Wirkung gehabt, wenn auch die Anforderungen an das
Kriterium Erforderlichkeit und seine Darlegung deutlich erhöht worden sind. In
der Diskussion wurde u.a. darauf hingewiesen, dass diese Darlegungspflicht in
der Praxis eher formelhaft erfolge.
Weitere
Konkretisierungen der Erforderlichkeitsklausel erscheinen nach der bisherigen
Debatte als eher zweifelhaftes Instrument, was die Wirksamkeit einer Ausübungsbegrenzung
bei Kompetenzen des Bundesgesetzgebers angeht. Der Schwerpunkt dürfte deshalb
bei einer Neuzuordnung der Kompetenzmaterien und bei neuen Verfahrenslösungen
liegen.
3.3 Intensiv erörtert werden Öffnungen des Bundesrechts auf
Verfassungsebene. Auch dort, wo der Bundesgesetzgeber von seinen
Kompetenzen Gebrauch macht, kann und lässt er auch bisher vielfach schon einfachgesetzlich Raum für ergänzende
Regelungen der Länder. Die auf Berliner Initiative jüngst eingefügten Öffnungen
im Be
soldungsrecht
sind ein Beispiel. Den Ländern geht es aber um auf Verfassungsebene abgesicherte Öffnungsmöglichkeiten und nicht um
Öffnungen, die einseitig von der Bundesseite bestimmt werden können. Dazu wird
insbesondere ein Zugriffsrecht der Länder auf bestimmte dafür geeignete
Kompetenzmaterien streitig diskutiert.
3.4 Wenn sich eine substanzielle Stärkung der Gestaltungs- und Politikfähigkeit
der Länder auf den hier nur skizzierten Wegen erreichen lässt, dann könnten die
Zustimmungsrechte des Bundesrates bei der Rechtsetzung eingeschränkt werden.
Ein erstes mögliches Zwischenergebnis lässt sich festhalten: Wenn und soweit
den Ländern auf Verfassungsebene Zugriffsrechte eingeräumt werden, entfällt
insoweit das Zustimmungsrecht der Länder im Bundesrat.
Inhaltliche
Begrenzungen des bisherigen Zustimmungsrechts, z.B. eine Beschränkung auf
wesentliche oder Kosten verursachende Organisations- und/oder Verfahrensregelungen
sowie auf infrastrukturelle Maßnahmen, erscheinen nach den bisherigen Erfahrungen
als nicht hinreichend steuerungsfähig. In der Debatte wurde darauf hingewiesen,
dass inhaltliche Begrenzungen kaum hinreichend präzise zu fassen und
dementsprechend streitanfällig seien (was ist wesentlich und was ist es
nicht?).
Deshalb ist
der vollständige Wegfall von Zustimmungsrechten bei ihrem Hauptanwendungsfall,
nämlich dem Art. 84 Abs. 1 GG vorgeschlagen worden. Das würde bedeuten: Nach
Art. 84 Abs. 1 regeln die Länder die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren.
Der folgende Satzteil, der lautet "soweit nicht Bundesgesetze mit
Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen" würde gestrichen.
Diese
Radikallösung würde aber voraussetzen die Klärung folgender Fragen: Gibt es
Sachgebiete bzw. bundesgesetzliche Regelungen, deren materielles Konzept zwingend
auf Verfahrens- und Organisationsre-gelungen angewiesen ist? Kann das Regelungsziel
nicht oder nicht zureichend ohne gleichzeitige Verfahrens- und Organisationsregelungen
erreicht werden oder wäre das Ziel ohne solche Regelungen gefährdet? Die
Gegenfrage: Können Verfahrens- und Organisationsregelungen generell den
Ländern, die die Gesetze nach Art. 83 GG ausführen, überlassen bleiben? Ist es
nicht
oftmals
vielmehr ein Kodifikationstreben der Administration als die tatsächliche
zwingende Notwendigkeit zu bundesgesetzlicher Festlegung von Verfahrens- und Organisationsregelungen?
Ein anderes
Argument in diesem Zusammenhang: Erfordert nicht der Rechtszusammenhang von
Grundrechtsschutz und Verfahren, dass dem Bund Verfahrens- und
Organisationsregelungen generell offen stehen müssen? Wiederum ein Gegenargument:
Grundrechtsschutz durch Verwaltungsverfahren könne gleichermaßen durch
landesrechtliche Regelungen realisiert werden.
In dieser
Diskussion zeichnet sich möglicherweise
folgende Verfahrenslösung ab: Wenn es dem Bund generell ermöglicht wird,
Verfahrens- und Organisationsbestimmungen im Bundesrecht mit zu regeln, dann
könnte ein Ausgleich dadurch erfolgen, dass die Länder auf den Organisations-
und Verfahrensbereich ein Zugriffsrecht für landesrechtliche Regelung erhalten.
3.5 Ein weiteres mögliches Zwischenergebnis könnte angesichts schon
weitgehender Übereinstimmung darin bestehen, den Typus der Rahmengesetzgebung aufzugeben. Die
Grundgesetzformulierung sowohl des "Rahmens", als auch der
"Grundsätze" oder der "Allgemeinen Grundsätze" habe sich in
der Gesetzgebung als nicht limitierend, als nicht steuerungsfähig erwiesen (für
einen in der Diskussion genannten neuen Typus einer „Richtlinien-Gesetzgebung“
wäre wohl nichts anderes zu erwarten). Zugleich bedeute die Zwischenebene der
Rahmengesetzgebung bei der Umsetzung von EU-Recht einen zusätzlichen und
entbehrlichen Aufwand. Die Umsetzung von EU-Recht solle künftig entweder auf Bundes- oder auf Landesebene nach der noch zu
findenden Kompetenzzuordnung erfolgen.
3.6 Über die bei der jeweiligen
Kompetenz-zuordnung zu prüfende Europataug-lichkeit
hinaus werden die Mitwirkungs-rechte der
Länder in Europaangelegenheiten (Art. 23 Abs. 2 - 7 GG) intensiv beraten.
Vonseiten der Kommissions-Sachverständigen werden die Länder-Mitwirkungsrechte
im Hinblick auf eine Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit Deutschlands in
der EU sehr kritisch bewertet (dazu ist auf die Beiträge der diesbezügliche
Kommissions-Anhörung vom 12. Dezember 2003 zu ver-
weisen - zugänglich
via Bundesrat-Internetseite).
Aus
Ländersicht hat die Staatspraxis die Tragfähigkeit der vorgenannten Bestimmungen
des GG in Verbindung mit dem Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und
Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union und ergänzenden
Bund-Länder-Vereinbarungen grundsätzlich bestätigt. In den meisten Fällen
hätten Meinungsverschiedenheiten bei der Anwendung dieser Bestimmungen im Einzelfall
oder durch ergänzende Abmachung gelöst werden können.
Aus Sicht des
Bundes ist das gegenwärtige System der Ländermitwirkung in EU-Angelegenheiten
im Ergebnis zwar tragbar, die Mitwirkungsrechte der Länder gingen aber bereits
jetzt schon an die Grenze des verfassungsrechtlich Zulässigen, sodass schon aus
diesem Grund eine Ausweitung nicht in Betracht komme. Bereits jetzt kompliziere
das Verfahren des Art. 23 GG den Aufbau wirkungsvoller deutscher Positionen im
Vorfeld von Brüsseler Entscheidungen. Aus Sicht der Länder sollten dagegen ihre
Mitwirkungsrechte wie folgt gestärkt werden:
·
Beseitigung
der Befugnis der Bundesregierung, auch in Angelegenheiten der ausschließlichen
Länderkompetenz vom Bundesrats-Votum abweichen zu können;
·
Ausweitung
der Verpflichtung des Bundesregierung, das Bundesrats-Votum maßgeblich zu berücksichtigen
auf Angelegenheiten, in denen Rechtsetzungsakte der EU die bei den Ländern
durch den Vollzug verursachten Aufwendungen wesentlich verändern.
Von
Länderseite wurde die Befürchtung, die Verhandlungsposition Deutschlands werde
gefährdet bzw. in Frage gestellt, als nicht zwingend bezeichnet: Bereits die jetzige
Regelung habe in der Praxis gezeigt, dass es kaum zu echten Konfliktfeldern
zwischen Bundesregierung und Bundesrat kommt und der Bundesrat bereits bei der
Formulierung seiner Stellungnahmen die in Art. 23 Abs. 1 Satz 1 GG zum Ausdruck
kommenden Verpflichtungen ernst nimmt, zur Verwirklichung eines vereinten Europas
beizutragen.
Der Regierende
Bürgermeister hatte bereits in der ersten Kommissions-Arbeitssitzung am 28.
November 2003 auf das Thema Bundeshauptstadt hingewiesen. Zwischenzeitlich
haben - auch auf Initiative des Bundespräsidenten - die
Kommissionsvorsitzenden, Fraktionsvorsitzender der SPD, MdB Franz Müntefering
und Ministerpräsident Dr. Edmund Stoiber, die Behandlung auch dieses Themas in
der Kommission bestätigt.
Zum Inhalt der
Initiative des Regierenden Bürgermeisters sei auf Anhang 1, das dort wiedergegebene
Anschreiben an die Kommission, den Vorschlag für einen neu formulierten Art. 22
GG und die Begründung zu dieser Neufassung verwiesen. Ausgangspunkte dieses
Vorschlages sind:
·
Mit
der Aufnahme einer Hauptstadtklausel in das Grundgesetz soll eine wesentliche
Grundlage für ein neues gemeinsames Selbstverständnis aller Deutschen für den
Umgang mit ihrer Hauptstadt geschaffen werden. Gleichwohl bleibt die konkrete
Ausgestaltung in erster Linie Aufgabe des Bundes und Berlins. Eine Einbeziehung
aller anderen Länder mit der Folge auch finanzieller Mitverantwortung würde das
Vorhaben von vornherein zum Scheitern bringen. Die deutschen Länder erbringen
im bundesstaatlichen Finanzausgleich erhebliche Leistungen, gerade auch für den
Stadtstaat Berlin. Die vorgeschlagene Hauptstadtklausel bewirkt auch deshalb
bewusst keine weitergehende materielle Inpflichtnahme der Länder. Ein über das,
was die Länder mit ihren Landesvertretungen, einer Vielzahl von Veranstaltungen
oder z.B. in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz für die Bundeshauptstadt
beitragen, hinausgehendes Engagement kann realistischer Weise nicht erwartet
werden.
nicht Gegenstand
der Hauptstadtklausel (dies ist finanzverfassungsrechtlich zu klären und
Gegenstand eines gegen das Finanzausgleichsgesetz gerichteten Normenkontrollantrags
des Landes beim Bundesverfassungsgericht - siehe AH-Drs 15/2017 vom 2. September
2003).
·
Die
die Bundesstadt Bonn betreffenden Regelungen bleiben unberührt.
·
Die
nach Art. 79 Abs. 3 GG („Ewigkeitsklausel“) auch durch Verfassungsänderung
unzulässige Änderung der Gliederung des Bundes in Länder und der
grundsätzlichen Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung bleibt ebenso
unberührt wie die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG).
Im Hinblick auf gelegentlich wiederkehrende Vorschläge eines
Washington-DC-Modells für Berlin sei angemerkt: Die Verfassungsvorgabe der
Gliederung des Bundes in Länder legt zwar nicht fest, wie viel Länder es geben muss; sie schließt aber nach wohl
einhelliger Einschätzung aus, dass es ein irgendwie bundesunmittelbares Gebiet
geben kann, also ein Bundesgebiet, das nicht zugleich auch Landesgebiet ist.
Solange Berlin ein eigenständiges Land ist, kommt auch eine Aufgabe der
Mitwirkung bei der Bundesgesetzgebung nicht in Betracht.
·
Die
angestrebte Zusammenführung der Länder Berlin und Brandenburg bleibt unberührt
weiter möglich. Auch für eine (Bundeshaupt-)Stadt Berlin in einem gemeinsamen
Land bleibt es selbstverständlich bei der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung
(Art. 28 Abs. 2 GG).
·
Die
vorgeschlagene Hauptstadtklausel ist der Gegenwart und der Geschichte der
deutschen Bundesstaatlichkeit angemessen und bedeutet keinerlei Zentralisierung
(„Berlin ist nicht Paris“).„
Der Regierende
Bürgermeister hat mit seinem anliegenden Schreiben und Vorschlag für einen
neuen Art. 22 GG "an den vereinten Sachverstand“ der gemeinsamen
Kommission von Bundestag und Bundesrat zunächst die Frage gerichtet, "ob
es sich empfiehlt, in das Grundgesetz eine Bestimmung über die Bundeshauptstadt
aufzunehmen, und wenn ja, mit welchem Inhalt und in welcher Ausformung“.
5. Der Senat wird dem Abgeordnetenhaus über
die Ergebnisse der Erörterungen in der Bundesstaatskommission weiter berichten.
Berlin, den 3. Februar 2004
Der Senat von Berlin
Klaus Wowereit
Regierender Bürgermeister
Ausschuss-Kennung
: EuroBundMediengcxzqsq