An die
Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit,
Soziales, Migration und Verbraucherschutz
über
den
Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin
über
Senatskanzlei - G Sen -
Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs
Sachstand und Perspektiven der Ethik-Kommission
(auf Antrag aller Fraktionen)
57. Sitzung des Ausschusses für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz am 21. April 2005
Der Ausschusses für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz wird sich in seiner o.g. Sitzung mit dem Thema „Sachstand und Perspektiven der Ethik-Kommission“ befassen.
Hierzu übermittle ich gemäß § 23 Abs. 3 GGO II erläuternde Auskünfte:
1. Änderung der gesetzlichen Bestimmungen über klinische
Prüfungen von Arzneimitteln bei Menschen
Mit der 12. Änderung des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (Arzneimittelgesetz - AMG) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 2031) wurde mit Wirkung zum 6. August 2004 die Richtlinie 2001/20/EG zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln in nationales Recht umgesetzt. Dabei wurde an der Konzeption der bereits in der alten Fassung des Arzneimittelgesetzes (vgl. § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 AMG) vorgeschriebenen Befassung einer nach Landesrecht zuständigen Ethik-Kommission grundsätzlich festgehalten. Jedoch erhielt diese Ethik-Kommission neue hoheitliche Aufgaben, und ihre Entscheidungen haben nunmehr den Charakter eines Verwaltungsaktes. Denn klinische Prüfungen dürfen nur noch begonnen werden, wenn die für den Prüfer zuständige Ethik-Kommission diese nach Maßgabe des § 42 Abs. 1 AMG zustimmend bewertet hat (§ 40 Abs. 1 Satz 2 AMG). Die Rolle der Ethik-Kommission hat sich dadurch vom berufsrechtlichen Beratungsgremium zu einer Patientenschutzinstitution mit Behördencharakter gewandelt. Es ist den Ländern überlassen, das Nähere zur Bildung, Zusammensetzung und Finanzierung der Ethik-Kommission durch Landesrecht zu bestimmen.
Nach § 3 Abs. 2 c der Verordnung über die Anwendung der Guten Klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Arzneimitteln zur Anwendung am Menschen (GCP-Verordnung – GCP-V) vom 9. August 2004 (BGBl. I S. 2081) ist eine Ethik-Kommission ein unabhängiges Gremium, das sich interdisziplinär aus im Gesundheitswesen und in nichtmedizinischen Bereichen tätigen Personen zusammensetzt. Ihre Aufgabe ist es, den Schutz der Rechte, die Sicherheit und das Wohlergehen von an einer klinischen Prüfung teilnehmenden Personen zu sichern und diesbezüglich Vertrauen der Öffentlichkeit zu schaffen. Sie nimmt dazu u.a. Stellung zu dem Prüfplan, der Eignung der Prüfer und der Angemessenheit der Einrichtungen sowie zu den Methoden, die zur Unterrichtung der Prüfungsteilnehmer und zur Erlangung ihrer Einwilligung nach Aufklärung benutzt werden, und zu dem dabei verwendeten Informationsmaterial.
Die Ethik-Kommission kann zur Bewertung der Unterlagen eigene wissenschaftliche Erkenntnisse verwerten, Sachverständige beiziehen oder Gutachten anfordern (§ 42 Abs. 1 AMG). Sie hat Sachverständige beizuziehen oder Gutachten anzufordern, wenn es sich um eine klinische Prüfung bei Minderjährigen handelt und sie nicht über eigene Fachkenntnisse auf dem Gebiet der Kinderheilkunde, einschließlich ethischer und psychosozialer Fragen der Kinderheilkunde, verfügt oder wenn es sich um eine klinische Prüfung von xenogenen Zelltherapeutika oder Gentransfer-Arzneimitteln handelt.
Antragsteller bei der Ethik-Kommission sind nun nicht mehr ausschließlich Ärztinnen und Ärzte, sondern Sponsoren. Sponsor ist eine natürliche oder juristische Person, die die Verantwortung für die Veranlassung, Organisation und Finanzierung einer klinischen Prüfung beim Menschen übernimmt (§ 4 Abs. 24 AMG). In der Regel handelt es sich hier um pharmazeutische Unternehmer oder Auftragsforschungsinstitute.
2. Situation in Berlin; gerichtliche Auseinandersetzung
mit Ärztekammer Berlin; Stellung der Ethik-Kommission der Medizinischen
Fakultät der Charité - Universitätsmedizin Berlin
In Berlin war die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz zunächst davon ausgegangen, dass die beiden bestehenden und bisher nach Arzneimittelgesetz tätigen Ethik-Kommissionen bei der Ärztekammer Berlin und der Medizinischen Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin die neuen und erweiterten Aufgaben nach den §§ 40-42 AMG übernehmen können. Lediglich eine entsprechende Änderung des § 4 c Berliner Kammergesetzes erschien notwendig, um u.a. den veränderten Antragstellerqualitäten Rechnung zu tragen. Daher wurden zunächst der Ethik-Kommission der Ärztekammer Berlin die neuen Aufgaben durch einen Verwaltungsakt auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Nr. 8 Berliner Kammergesetz übertragen.
Die Ärztekammer Berlin klagte gegen diesen Verwaltungsakt. Ihre Klage begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie als Berufsorganisation nicht die mit der Bewertung klinischer Prüfungen verbundenen Eingriffe in die Grundrechte insbesondere der Probanden, Pharmaunternehmen und Forscher vornehmen dürfe; denn die übertragene Aufgabe gehe weit über den eigentlichen Bereich einer ärztlichen Berufsvertretung hinaus; außerdem könne ihr das erhöhte Haftungsrisiko, das die Altersversorgung der Kammermitglieder gefährde, nicht auferlegt werden.
Der Rechtsstreit endete vor dem Berliner Verwaltungsgericht in einem Vergleich. Danach wird der angefochtene Verwaltungsakt mit Ablauf des 30. September 2005 unwirksam. Die Ethik-Kommission der Ärztekammer Berlin führt bis dahin die Aufgaben der Bewertung klinischer Prüfungen nach den §§ 40-42 AMG fort. Das entsprechende Haftungsrisiko übernimmt das Land Berlin.
Da das Berliner Kammergesetz nicht geändert worden ist, entbehrt die Tätigkeit der Ethik-Kommission bei der Medizinischen Fakultät der Charité - Universitätsmedizin Berlin einer rechtlichen Grundlage.
Aufgrund
des Vergleiches hat das Land Berlin spätestens zum 1. Oktober 2005 landesrechtliche
Regelungen unter Einbeziehung der Ethik-Kommission bei der Medizinischen Fakultät der
Charité - Universitätsmedizin Berlin zu schaffen, die entsprechend § 42
Abs. 1 Satz 3 AMG das Nähere zur Bildung, Zusammensetzung und Finanzierung der
Ethik-Kommission bestimmen.
3. Gründung einer
staatlichen Ethik-Kommission des Landes Berlin durch Gesetz sowie Anbindung der
Ethik-Kommission und ihrer Geschäftsstelle an das Landesamt für Gesundheit und
Soziales Berlin (LAGeSo)
Im Land Berlin gibt es derzeit keine landesrechtlichen Regelungen, die sowohl die Zuständigkeit einer Ethik-Kommission für die erforderliche zustimmende Bewertung nach den §§ 40-42 AMG festlegen als auch Bildung, Zusammensetzung und Finanzierung bestimmen. Die Vorschrift des § 4 c des Berliner Kammergesetzes, die u.a. sowohl der Ärztekammer als auch den medizinischen Fachbereichen oder Fakultäten der Universitäten das Recht zur Bildung von Ethik-Kommissionen einräumt, genügt für die Übernahme der in den §§ 40 bis 42 AMG neu geregelten Aufgaben einer Ethik-Kommission nicht.
Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und
Verbraucherschutz beabsichtigt daher,
über ein entsprechendes Errichtungsgesetz die Forderungen des
Arzneimittelgesetzes so umzusetzen, dass - in Anlehnung an das im Land Bremen
praktizierte Modell - eine staatliche Ethik-Kommission des Landes Berlin
errichtet wird. Für evtl. Haftungsansprüche wäre die Selbstversicherung des
Landes Berlin heranzuziehen (Staatshaftung). Die organisatorische Anbindung der
Ethik-Kommission einschließlich Geschäftsstelle soll an das Landesamt für Gesundheit
und Soziales Berlin erfolgen.
Die Bündelung aller Bewertungen klinischer Prüfungen nach dem Arzneimittelgesetz im Land Berlin bei einer staatlichen Ethik-Kommission soll deren Arbeit und die ihrer Geschäftsstelle effizient ermöglichen, eine einheitliche Votierungspraxis sichern, die Unabhängigkeit der Kommissionsmitglieder garantieren und den Wissenschaftsstandort Berlin stärken.
Aufgrund der geringen Zeitspanne bis zum 1. Oktober 2005 ist vorgesehen, den Gesetzentwurf dem Abgeordnetenhaus zur 1. Lesung am 2. Juni 2005 zuzuleiten.
Damit die Ethik-Kommission ihre Tätigkeit zum 1. Oktober 2005 beginnen
kann und Fristversäumnisse vermieden werden, muss die Geschäftsstelle bereits
zum 1. September 2005 ihre Arbeit aufzunehmen.
Dr. Heidi K n a k e – W e r n e r
Senatorin für Gesundheit,
Soziales und Verbraucherschutz
Ausschuss-Kennung : GesSozMiVergcxzqsq