Punkt 1 der Tagesordnung

Aktuelle Viertelstunde

 

 

Siehe Inhaltsprotokoll.

 

Vors. Gram: Wir kommen zu

 

Punkt 2 der Tagesordnung

Besprechung gem. § 21 Abs. 3 GO Abghs

"Situation in den Haftanstalten Berlins"

(auf Antrag aller Fraktionen)

0221

Recht

 

 

Ich habe vorhin schon Herrn Dr. Heischel und Herrn Lange-Lehngut begrüßt. Ich begrüße jetzt noch Herrn Geppert von der Freien Hilfe Berlin e. V. – Wird ein Wortprotokoll gewünscht? – Das ist der Fall. – Ich bitte dann die Anzuhörenden um ihre Stellungnahmen. Wir haben einen Zeitrahmen von fünf Minuten, den wir auch relativ streng einhalten, damit noch genug Zeit für Nachfragen ist. – Herr Dr. Heischel, bitte!

 

Herr Dr. Heischel (Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats): Zunächst danke für die Einladung! Ich bin Ihrer Diskussion in der Aktuellen Viertelstunde, die etwas länger dauerte, sehr aufmerksam gefolgt – auch aus dem Grund, weil ich in den letzten Tagen doch etwas schockiert war über die Zeitungsberichte, die es erneut zu Themen des Strafvollzugs gegeben hat und die nach meiner Auffassung zu emotionalisiert und zu wenig von Sachargumenten geprägt waren. Ich werde das nachher noch begründen. Das ist kein Vorwurf an Sie, sondern etwas, was im politischen Spannungsfeld immer passieren wird, wenn Politikerinnen und Politiker auf die Bedürfnisse oder Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern reagieren.

 

Ich habe mir erlaubt, dies meinen mit Sicherheit auch etwas knappen Ausführungen voranzusetzen, weil Sie mich relativ lange haben warten lassen. Ich bitte, das quasi als Gegenmünze zu nehmen. Ich möchte auch – bevor ich zum eigentlichen Thema komme – den Appell an Sie richten, dass Sie sich vielleicht im Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern von bekannten Sachargumenten leiten lassen. Ich vermisse das manchmal. Das ist keine Respektlosigkeit Ihnen gegenüber, sondern es tut mir manchmal richtig weh, wenn ich etwas in der Zeitung lese, was Politikerinnen und Politiker sagen – oder angeblich sagen –, wo ich dann keinen Bezug zur Realität oder zur Sache mehr erkennen kann.

 

Zu meinem persönlichen Hintergrund und zur Ermöglichung Ihrer Einschätzung, wie weit Sie meinen Angaben, die jetzt kommen, folgen können: Ich habe ein halbes Jahr meines Referendariats als Rechtsreferendar in der JVA Tegel und in der Justizverwaltung verbracht, weil mich Strafvollzug schon immer interessiert hat. Ich bin als Rechtsanwalt seit 1984 mit den Schwerpunkten Strafrecht, Strafvollzug und Strafvollstreckung befasst, seit 1989 Mitglied im Berliner Vollzugsbeirat und seit 1999 dessen Vorsitzender.

 

Die Situation im Berliner Strafvollzug ist seit vielen Jahren – seit Mitte der 90er mindestens – sehr von Überbelegungsproblematik und daraus folgenden Zusatzproblemen geprägt. Ich wundere mich manchmal, wie wenig man dagegen tun kann. Manchmal liegt es an den Finanzen, manchmal liegt es aber vielleicht auch daran, dass man nicht beherzt genug vorgeht – so meine Einschätzung. Ich möchte mich angesichts des knappen Zeitrahmens – sicherlich werden Sie vieles auch schon wissen, und Herr Lange-Lehngut und Herr Geppert werden noch einiges ergänzen – auf ganz wenige Punkte begrenzen, die ich auf Grund meiner Tätigkeit – sowohl beruflich als auch im Berliner Vollzugsbeirat – als Dauerbrenner, Dauerschwerpunkte und Dauerproblematiken ansehe.


Und zwar ist dies einerseits die persönliche Situation von Gefangenen, die gerade in den letzten Monaten auch in der Öffentlichkeit – zu Recht – hochgekocht wurde und bekannt gegeben wurde, nämlich die Problematik der Mehrfachbelegung unter – wie das Bundesverfassungs- und das Kammergericht gesagt haben – „menschenunwürdigen Verhältnissen“, nämlich Doppel- oder gar noch mehr Belegung in einem Haftraum mit einer Toilette ohne wirksame Sicht- oder Geruchsabtrennung. Übrigens werfe ich das nicht nur anderen vor, sondern es kommt mir mittlerweile auch für mich etwas komisch vor, dass ich nicht seit Jahren auf die Straße gehe und mit einem Plakat dagegen protestiere, dass es so etwas überhaupt gibt.

 

Man kann sich die Situation, die Entwürdigung, die darin liegt, einfach vorstellen, indem man sich vor Augen führt, wie man es selbst zu Hause hält. Lässt man die Toilettentür bei seinem Geschäft offen und sich da von den engsten Verwandten zugucken? – Im Knast sind nicht nur die engsten Verwandten in der gleichen Zelle, sondern ganz fremde Leute und Leute, mit denen man gar nicht klar kommt – eine eigentlich unfassbare Situation, von der nach meiner Kenntnis, nach den Informationen der Senatsverwaltung für Justiz, immerhin 400 Gefangene – das sind ungefähr 10 % der männlichen Berliner Gefangenen – betroffen gewesen sind und teilweise noch betroffen sind.

 

Die Hauptproblematiken nach den Erkenntnissen des Berliner Vollzugsbeirates, die ich vorhin schon angesprochen habe, sind: Mehr als 50 % der Gefangenen sind nach wie vor arbeitslos, obwohl es eine Arbeitspflicht nach dem Strafvollzugsgesetz gibt. Man könnte sagen: Na gut, draußen sind auch viele Leute arbeitslos. – Es gibt aber diese gesetzliche Arbeitspflicht, und es gibt die Folgen dieser Arbeitslosigkeit. Sie haben sehr viel mit der Überbelegung und deren Folgen zu tun. Wer den ganzen Tag lang nichts zu tun hat, hat Langeweile. Wer Langeweile und die Möglichkeit hat, der beschäftigt sich dann mit den Mitgefangenen mehr als mit sonst irgendwas, evtl. auch mit dem Zugang zu Drogen und Ähnlichem. D. h., die Langeweile, die Nichtbeschäftigung, führt zu ganz viel Unsinn und zu Subkultur. Das wiederum führt zu einer erheblichen Belastung des Personals in den Haftanstalten, das dann nämlich damit befasst wird, was die Gefangenen ihm schreiben – was manchmal auch Unsinn sein kann. Es gibt – vielleicht kennen Sie es noch nicht, deswegen sage ich es noch einmal – unter den Gefangenen auch den Spruch, eine Kurzfassung dieser Problematik: Wenn die uns nicht beschäftigen, dann beschäftigen wir sie. – Eigentlich ist der Strafvollzug aber nicht dazu da, dass so etwas passiert, sondern dass die Gefangenen Anregungen bekommen, wie sie ihren – nach meiner Erfahrung durchweg vorhandenen – Willen und Wunsch verwirklichen können, in Zukunft nicht mehr straffällig zu werden. An dem Willen der Gefangenen liegt es durchweg nicht, sondern es liegt durchweg daran, dass die Anregungen und die Möglichkeiten, es auszuprobieren, fehlen. – Das erste Problem ist also die hohe Arbeitslosigkeit in den Haftanstalten und die Befassung des Personals mit den Folgeproblematiken.

 

Die zweite Problematik ist, dass es nach wie vor extrem lange Wartezeiten für Gefangene gibt, die sich
überwiegend in der JVA Moabit aufhalten, bis sie überhaupt in den regulären Strafvollzug kommen. Ich habe mich ganz aktuell dazu erkundigt: Die durchschnittliche Wartezeit für durchschnittlich etwa 300 bis 500 Gefangene in der JVA Moabit bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie überhaupt in die JVA Tegel kommen, beträgt drei bis neun Monate, in extremen Ausnahmefällen bis zu eineinhalb Jahren. Das Folgeproblem – auch das ist ein Grund für die Überbelegung – ist: Diese Wartezeiten führen zu einer verzögerten Vollzugsplanung und zu verschobener Vollzugsgestaltung. D. h., die Leute können nicht rechtzeitig analysiert werden und in die Einweisungsabteilung kommen. Es kann nicht analysiert werden: Welche Hilfestellungen brauchen die? Wie können wir sie unterstützen? –, sondern das ist um drei bis neun Monate verzögert. Das wiederum führt dazu, dass Berlin nach wie vor das absolute Schlusslicht in der Reihe der vorzeitigen Entlassungen ist. Sie kennen das Instrument der vorzeitigen Entlassung, volkstümlich „Zwei-Drittel-Entlassung“ genannt, nach § 57 Strafgesetzbuch. In Berlin liegt die Quote der vorzeitigen Entlassungen – übrigens seit Jahren – bei ungefähr 8 bis 9 %, im Bundesdurchschnitt liegt sie bei 21 bis 22 %. Man kann dieses auch nicht damit abtun, dass man sagt: Berlin hat eine Sonderposition und besondere Straftäter. –, sondern dieses gilt im Grundzug auch im Vergleich zu den Stadtstaaten. – Wir haben als Vollzugsbeirat auch im Jahr 2000 hier vor dem Rechtsausschuss gesagt: Es gibt einen sehr großen Teil hausgemachter Überbelegung. – Das beruht auf diesen Gründen, die ich gerade genannt habe.

 

Ich komme zum Schluss meines Statements, nämlich einer Empfehlung, wie aus Sicht des Berliner Vollzugsbeirats und auf Grund unserer Erfahrungen Abhilfe geschaffen werden könnte: erstens durch eine konzertierte Initiative der Justizverwaltung – mit Deckung möglichst aller Parteien, damit es wenig Reibungsverluste gibt – zur Schaffung einer ausreichenden Anzahl von Arbeitsplätzen in den Haftanstalten. Das ist nach meiner Ansicht das A und O, nicht nur zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrags, sondern auch zum Abbau der Überbelegung, weil die Leute vernünftiger sind, wenn sie arbeiten, und nicht Vollzugsbedienstete mit unnötigem Kram beschäftigen.

 

Zweitens – das werden Sie sicher zumindest teilweise anders sehen – empfehlen wir eine konzertierte Aktion zur Steigerung der vorzeitigen Entlassungen, so dass man wenigstens auf den Bundesdurchschnitt oder auf den der vergleichbaren Stadtstaaten kommt. Ich habe die Zahlen genannt. Es besteht ein eklatanter Unterschied. Wenn es nur 2 oder 3 % Unterschied wären, dann könnte man sagen: Na ja, da gibt es vielleicht doch Besonderheiten oder sonst irgendwas. – Aber es ist Wahnsinn.

 

Drittens: Um diese ersten beiden Punkte erreichen und Personal für diese konzertierten Aktionen freisetzen zu können, muss man die derzeit laufenden Initiativen gemäß § 455 a StPO zur Beseitigung der gröbsten Überbelegung noch etwas ausweiten. Es entsteht nach meiner Überzeugung – Sie können einfach einmal die Delikthintergründe und die Haftzeiten der möglicherweise dann mit erfassten Gefangenen betrachten – null Gefährdung oder mehr Sicherheitsverlust, sondern es bestehen erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass durch die Ausweitung dieser Methoden und Möglichkeiten, die es momentan in einem sehr engen Bereich gibt, weniger Sicherheitsverlust entsteht und man auf Grund dessen, dass man dann die Kapazitäten beim Personal frei hat, neue und bessere Initiativen und Vollzugsplanung und vielleicht mehr vorzeitige Entlassungen erreicht und dadurch auf Dauer wesentlich bessere Bedingungen auch für die künftige Generation von Strafgefangenen schafft.

 

Am Rande möchte ich noch dazu sagen, dass nach meinen Eindrücken auch von den Möglichkeiten, die im Rahmen des § 456 a geboten werden, nämlich dass Gefangene, die hier keine familiären Zusammenhänge und eine bestehende Abschiebung haben, dann auch vorzeitig zum Zwecke der Durchführung der Abschiebung entlassen oder in ihr Heimatland geführt werden, zu wenig Gebrauch gemacht wird. Das betrifft zahlenmäßig nicht ganz so viele wie die, die nach § 455 a betroffen sein könnten, aber es wäre etwas, was zusätzlich – vielleicht im Größenbereich von 40, 50 Haftplätzen – für Erleichterung sorgen könnte. – Danke!

 

Vors. Gram: Vielen Dank, Herr Heischel! Ich habe Ihnen etwas mehr Zeit gelassen, weil Sie sich ja beschwerten, wir hätten Sie hier warten lassen. Nein! Der Ausschuss hat ausgiebig diskutiert, wie Sie gesehen haben. Dennoch wollte ich Ihnen die Möglichkeit nicht abschneiden, sich umfassend zu äußern. Ich bedanke mich herzlich. – Herr Geppert, bitte!

 

Herr Geppert (Freie Hilfe Berlin e. V.): Sehr geehrte Damen und Herren! Ich versuche jetzt – ohne alles zu wiederholen, was Herr Heischel gesagt hat, weil sich die Auffassungen da decken –, vielleicht ein paar einzelne Punkte konkret aus der Sicht eines freien Trägers darzustellen, der bei einem Durchlauf von ca. 15 000 Inhaftierten im Land Berlin immerhin ein Sechstel, also 2 500 Inhaftierte und Haftentlassene im Jahr in Berlin betreut. Im Hinblick auf die Überbelegung tut sich bei uns auch schon seit Jahren der Gesamteindruck auf, dass oftmals hausgemachte Probleme die Ursache dafür sind. Man kann das konkret an einigen Einzelbeispielen klar machen, indem man z. B. feststellt, dass die Verweildauer der Inhaftierten sowohl in der JVA Moabit als auch danach in der Einweisungsabteilung der JVA Tegel teilweise bis zu neun Monaten beträgt. In den letzten Wochen ist sie leicht rückgängig, da ist der Durchschnitt nach unserer Kenntnis sechs Monate. D. h., das ist eine Zeit, in der erst einmal nichts passiert, die von der ganzen Haftzeit abgeht, ohne dass inhaltlich etwas passiert. Allerdings sollte man, wenn man eine Verkürzung der Durchlaufzeiten sowohl in Moabit als auch gerade in der Einweisungsabteilung erreichen will, z. B. durch eine Personalverstärkung, immer darauf achten, dass man den derzeitigen guten Qualitätsstandard dort nicht zunichte macht – wenn man nur sagen würde: Okay, die müssen schneller durchgeschleust werden. –, weil auch aus unserer Sicht als freier Träger in der JVA Tegel, in der Einweisungsabteilung, eine sehr gute fachliche Arbeit geleistet wird.

 

In der Praxis ist auch festzustellen, dass sich die EWA z. B. bei einer Einweisungsempfehlung noch an der Vollverbüßung orientiert – was bei der überwiegenden Zahl der Gefangenen der Fall ist –, im Vollzugsverlauf dann aber nicht mehr darauf geachtet wird, ob eine Veränderung in der Persönlichkeit stattfindet oder ob eine Motivation möglich ist, sondern inhaltlich von der festgeschriebenen Einschätzung ausgegangen wird. Es wird nicht weiter daran gearbeitet, dass derjenige doch vielleicht seine Persönlichkeit ändert und in der Folge auch eher entlassen werden oder Freigänger werden könnte, um seine finanziellen Sachen zu regeln, seine Familie zu unterstützen, ihn von der Sozialhilfe oder ALG II unabhängig zu machen.

 

Ein gravierendes Problem stellen wir auch seit Jahren immer wieder fest, nämlich dass beim Wechsel eines Gefangenen in eine andere Teilanstalt, in eine andere Anstalt oder vom geschlossenen in den offenen Vollzug, der auch den Sozialarbeiter wechselt, in der Regel pauschal erst eine sechsmonatige Kennenlernphase erfolgt. Es wird nicht inhaltlich an dem weitergearbeitet, was war, sondern ich muss denjenigen erst mal kennen lernen. Da vergehen wieder sechs Monate, wo nichts passiert, bzw. wird der Gefangene gelockert und in Tegel entschieden, dass er z. B. in den offenen Vollzug und Freigänger werden soll, dann wird dort wieder von vorne angefangen, und all die qualitativ gute Arbeit wird von Tegel erst einmal negiert. Man fragt sich, was das soll. Das ist sinnlos vertane Zeit und auch Arbeit und Qualität, die da verloren gehen. Man fragt sich, warum solche Vollzugspläne aus dem geschlossenen Vollzug – die sind ja vorhanden und werden mitgenommen – dann z. B. im offenen Vollzug oftmals nicht voll anerkannt, umgesetzt und weitergeführt werden.

 

Das Mittel der Vollzugslockerung, um Leute auf den offenen Vollzug und eine vorzeitige Entlassung vorzubereiten, sollte nach unserem Eindruck stärker als sozialpädagogisches Mittel eingesetzt werden. Voraussetzung dafür ist natürlich eine regelmäßige, kontinuierliche und konsequente Überprüfung der Vollzugspläne und auch deren Fortschreibung. Die Gefangenen haben oft das Gefühl – das ist zumindest das, was sie uns von ihren Erfahrungen und Empfindungen widerspiegeln –, dass das gar nicht so sehr als sozialpädagogische Maßnahme zur Behandlung eingesetzt wird, sondern eher als Maßnahme der Belohnung dient, um vollzugskonformes Verhalten zu erreichen, das damit dann honoriert wird.

 

Daneben gibt es auch im geschlossenen Vollzug eine Vielzahl Inhaftierter, die im Anschluss an eine zeitige Freiheitsstrafe noch eine Geldstrafe als Anschlussmaßnahme zu verbüßen haben. Die verbüßen sie in der Regel in der JVA Tegel, wo man sich fragt: Was hat ein „Geldstrafer“ im geschlossenen Vollzug der JVA Tegel zu tun? – Auf der anderen Seite könnte man durch eine systematische Überprüfung dieser Einzelfälle auch erreichen, dass diese Leute ihre Zeit nicht mehr in der JVA absitzen müssen und dort die Haftplätze blockieren, sondern diese Geldstrafe durch gemeinnützige Arbeit ableisten können. Im Moment erfolgt das nur punktuell in den Fällen, wo wir auch im Einzelfall mit der JVA Tegel und diesen Klienten zusammenarbeiten. Aber es ist nicht der Regelfall, dass man sagt, man checkt jetzt mal die ganze Liste durch und arbeitet sie ab.

 

Ein weiteres Problem, das aus meiner Sicht auch in Zukunft ein dringendes Problem darstellt, ist die Frage des Umgangs mit Sicherheitsverwahrten. Es ist ja so, dass der Gesetzgeber – zumindest nach meinem Rechtsverständnis – mit der Androhung der Sicherheitsverwahrung wollte, dass der Inhaftierte durch indirekten Zwang oder Motivation bewegt wird, sich einer Behandlung zu unterziehen, um diese Sicherheitsverwahrung nicht antreten zu müssen, und man nur, wenn er sich einer Behandlung entzieht, sagen muss: Okay, wenn du dich einer Behandlung verweigerst, dann musst du eben drin bleiben. – In der Praxis ist es aber leider nicht so, dass man von vornherein diese Leute zwingt und auch darauf hinweist, welche Folgen die SV-Androhung hat, sondern dass auch in den Köpfen vieler Bediensteter der JVAs leider der Eindruck vorhanden ist: Mit den Leuten muss man nichts machen, weil der Gesetzgeber gewollt hat, dass die Leute nie wieder im Leben ’rauskommen. – Da muss eine Einstellungsänderung erfolgen, damit man auch diese Leute zwingt und sie dann letztlich aus dem Vollzug entlassen kann.

 

Im Allgemeinen entsteht der Gesamteindruck, dass in den JVAs keine oder nur ungenügende Voraussetzungen geschaffen werden, um die Gefangenen zum Zwei-Drittel-Zeitpunkt vorzeitig zur Entlassung geeignet zu machen. Es gibt auch genügend Beispiele durch die Strafvollstreckungskammer, die dann immer sagt: Ja, wir könnten ja entlassen, aber es fehlt noch die und die behandlerische Maßnahme. Weil die leider nicht erfolgt ist, kann das nicht passieren. – Ich denke, wir sollten uns gemeinsam nicht dahinter verstecken, was die Vollstreckungskammer sagt, sondern die Bedingungen dafür schaffen, dass sie die Leute entlassen kann. Aus unserer Sicht wäre es auch wichtig, dass man diese Probleme, die wir gemeinsam mit der JVA Tegel und anderen Einrichtungen seit Jahren konstruktiv diskutieren, unabhängig evaluieren lässt, um zu erfahren, wo diese Problemlagen in den Vollzugsverläufen sind, weshalb das so stagniert und immer wieder so eine Aufstauung von Gefangenen, die nicht weiterverlegt werden können, passiert. Als zweiten Punkt könnte man vielleicht auch die Entlassungsvorbereitungen durch eine noch stärkere Einbeziehung aller freien Träger in Berlin konsequenter durchziehen und damit auch das Personal entlasten, nicht nur – wie bis jetzt – eine punktuelle Zusammenarbeit möglich machen, sondern uns stärker in die Entlassungsvorbereitungen einbeziehen.

 

Vors. Gram: Herzlichen Dank, Herr Geppert! – Herr Lange-Lehngut, bitte! Für Sie gilt natürlich der gleiche Zeitrahmen, den ich Ihren Vorrednern auch erlaubt habe.

 

Herr Lange-Lehngut (Leiter der JVA Tegel): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Meine Damen und Herren! Auch ich möchte mich für die Einladung bedanken, die Sie mir haben zukommen lassen. Natürlich ist das Problem Arbeitsplätze auch in der JVA Tegel ein Problem – wie in allen Vollzugsanstalten des Landes Berlin –, wenngleich der Anteil der arbeitenden Gefangenen bei uns höher ist als der Durchschnitt, den Herr Heischel genannt hat. Ich möchte mein Statement aber auf das Problem der Doppel- und Mehrfachbelegung fokussieren, weil es uns im Augenblick am meisten beschäftigt. Bei einer Belegungsfähigkeit von 1 571 Gefangenen sind heute, also am 10. März, 1 693 Gefangene untergebracht. Das bedeutet, dass insgesamt 180 Gefangene von Doppel- und Mehrfachbelegung betroffen sind. Bei 73 Gefangenen ist die Form der Unterbringung als rechtswidrig und bei 45 Gefangenen als verfassungswidrig anzusehen. Doppel- und Mehrfachbelegung stellt eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung der Anstalt und damit auch der Allgemeinheit dar, und sie behindert unsere vollzugliche Arbeit drastisch. Ich will versuchen, dies plausibel zu machen.

 

Die Probleme und Risiken, die gerade in einer sehr großen Anstalt durch Überbelegung erzeugt werden, nehmen nach meiner Erfahrung nicht linear mit der Anzahl der Gefangenen, sondern deutlich überproportional zu, und zwar deshalb, weil die Spannungen zwischen den Gefangenen, aber auch zwischen den Gefangenen und den Bediensteten, auf engem Raum größer, bedrohlicher und explosiver werden. Permanente Enge schürt Konflikte. Werden zwei oder mehr Gefangene gemeinsam in einem Haftraum untergebracht, so gewährleistet auch das erklärte Einverständnis kein reibungsloses Zusammenleben. Zwei Insassen eines Haftraums können unterschiedliche Lebensgewohnheiten haben, weil der eine – etwa der arbeitslose Gefangene – bis in die tiefe Nacht fernsehen will, während sein Zellengenosse, der morgens zur Arbeit frisch sein möchte, lieber in Ruhe schlafen möchte. In einem anderen Fall, der mir geschildert worden ist, hat ein arbeitender Gefangener seine Arbeit aufgegeben, weil er meinte, nur auf diese Weise die Diebstähle seiner Zellengenossen von Kaffee, Zucker, Lebens- und Genussmitteln verhindern zu können. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

 

Treten derartige Konflikte in einer Anstalt häufiger zu Tage, dann kann es zu gewalttätigen Eruptionen kommen. Ich will die Anstaltsverhältnisse in Drittwelt- oder Schwellenländern gewiss nicht auf den Berliner Vollzug transponieren, richtig ist aber, dass Häftlingsrevolten und Geiselnahmen dort ihre Ursache stets auch in der Überbelegung hatten. Ich bin in mehr als dreißig Jahren Tätigkeit im Vollzug bestimmt nicht zu einem Menschen geworden, der immer alles schwarz sieht oder den Teufel an die Wand malt, Tatsache ist aber, dass in den letzten anderthalb Jahrzehnten gravierende Vorfälle im Berliner Vollzug nicht vorgekommen sind. Dies ist leider kein Beweis dafür, dass es zu solchen Vorkommnissen überhaupt nicht kommen kann. Nach meiner festen Überzeugung ist es insbesondere dem klugen Agieren der Bediensteten – insbesondere des allgemeinen Vollzugsdienstes – zu verdanken, dass Krisensituationen deeskalierend gelöst worden sind. Wann genau bei gleichzeitiger Abnahme von Personal und Zunahme von Gefangenen der kritische Punkt erreicht ist, kann ich Ihnen nicht sagen. Ich bin aber – bei allem Optimismus – sehr sicher, dass der kritische Punkt sehr bald erreicht sein wird, wenn die Tendenz anhalten sollte, also Ansteigen der Gefangenenzahlen und Abnahme des Personals.

 

Die Überbelegung führt weiterhin zu einer Minderung der Qualität unserer Arbeit, und zwar aus vier verschiedenen Gründen. Erstens: Arbeit im Vollzug bedeutet Einflussnahme auf die Gefangenen durch die Bediensteten. Wenn nun eine Station beispielsweise zu 10 % überbelegt ist, dann kann die Einflussnahme des Bediensteten auf jeden Gefangenen seiner Station – es findet ja keine Personalverstärkung um 10 % statt – nur deutlich geringer sein als im Falle der Normalbelegung.

 

Zweiter Punkt: Der Wirkungsgrad der Einflussnahme unserer Bediensteten auf den Gefangenen wird zudem noch dadurch gemindert, dass der Bedienstete mehrfachbelegungsbedingte Probleme im Vollzugsalltag lösen und zusätzliche Spannungen zwischen Gefangenen abbauen muss. Da verlangt ein Gefangener völlig zu Recht eine Einzelzelle, und dies muss durch umfangreiche Umverlegungsmaßnahmen realisiert werden.
Oder der Gefangene bittet seinen Stationsbediensteten nachzufragen, wann er endlich mit einem Einzelhaftraum rechnen könne. Das alles kostet wahnsinnig viel Zeit und Kraft, die vernünftigerweise anderen Themenfeldern zugute kommen sollten.

 

Dritter Punkt: Wenn in § 18 Abs. 1 klar und eindeutig bestimmt ist, dass ein Gefangener im geschlossenen Vollzug während der Ruhezeit einzeln untergebracht wird, dann hat diese Regelung ihren guten Grund. Strafgefangene benötigen einen Rückzugsraum – im wahrsten Sinne des Wortes –, in dem sie vor subkulturellen Einflussnahmen durch ihre Mitgefangenen geschützt sind. Ist aber ein solcher Raum nicht vorhanden, so wird sich der Gefangene intensiv mit Fragen und Problemen, die sich für ihn aus seiner Doppelbelegungssituation ergeben, beschäftigen und für die eigentliche vollzugliche Arbeit wenig freien Kopf haben. Schließlich ist anzumerken, dass die Doppelbelegungsproblematik die bestehenden Belegungskonzepte, die wir ja haben, konterkariert, denn selbstverständlich müssen alle in einer Anstalt vorgehaltenen Haftplätze zunächst belegt werden, obwohl der Gefangene nun ganz und gar nicht in das Belegungskonzept eines Bereiches, in dem zufällig noch ein freier Platz vorhanden ist, passt.

 

Bitte gestatten Sie mir abschließend eine kurze persönliche Bemerkung: Wie wollen wir die uns anvertrauten Gefangenen befähigen, nach der Entlassung die Gesetze einzuhalten und unsere Rechtsordnung zu achten, wenn wir selbst gegen Gesetze und die Verfassung verstoßen? – Es ist mir in diesem Zusammenhang unerträglich, dass wir eine Einbuße an Glaubwürdigkeit in Kauf nehmen müssen und den Gefangenen, die sich mit den Ursachen ihrer Straftat nicht auseinander setzen wollen, einen Vorwand dafür liefern, die Schuld für eigenes Fehlverhalten stets bei anderen oder der Gesellschaft allgemein zu suchen. Insofern bin ich als Leiter der Anstalt für alle Maßnahmen, die zur Absenkung der Mehrfachbelegung führen, außerordentlich dankbar. Immerhin ist die Zahl der in Tegel in verfassungswidriger Unterbringung befindlichen Gefangenen in den letzten sechs Wochen von 92 auf 45 gesunken. Die Belegung ist von 1 750 Gefangenen am 8. Februar auf heute 1 693 zurückgegangen. – Danke schön!

 

Vors. Gram: Vielen Dank, Herr Lange-Lehngut! – Ich bedanke mich noch einmal herzlich bei Ihnen dreien, dass Sie Ihre Stellungnahmen abgegeben haben. Gleich werden die Kollegen Nachfragen stellen oder einen Debattenbeitrag dazu leisten. Aber Frau Senatorin hatte gebeten, im Anschluss noch ganz kurz ergänzend dazu Stellung zu nehmen. – Bitte schön!

 

Frau Bm Schubert (Just): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Meine Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte mich erst einmal bedanken, dass dieses Thema quasi in einer „Sondersitzung“ des Rechtsausschusses behandelt werden kann. Es bedrückt mich schon seit langem, und seit langem gehe ich auch schwanger mit dem Gedanken, die Koalitionsvereinbarung, die vor meiner Zeit getroffen worden ist, zumindest in Bitten an Sie alle dahin gehend zu verändern, dass wir jetzt endlich anfangen können, die Heidering-Anstalt in Großbeeren zu bauen. Wir machen schon eine ganze Menge. Aber das, was Herr Lange-Lehngut, der immerhin die größte Haftanstalt Europas führt – [Zuruf] – Deutschlands? – Reicht auch! –, geschildert hat, bedrückt mich schon seit langem. Ich kann es auch nicht mit ansehen, dass hier eine verfassungs- oder auch nur rechtswidrige Unterbringung von Gefangenen vorgenommen wird und wir andererseits – wie Herr Lange-Lehngut schon sehr richtig sagte – von ihnen verlangen, sich mit ihrer Tat auseinander zu setzen, um wenigstens behandlungsfähig zu werden.

 

Wir haben Etliches an mittelfristigen und kurzfristigen Dingen gemacht. Wir haben Etliches an kurzfristigen Dingen vor. Manche dieser Maßnahmen werden von manchen – wie heute in der „BZ“ – als eine rechtswidrige Maßnahme begriffen, obwohl sie in der StPO steht – § 455 a –, nämlich die Entlassung nach der Halbverbüßung auf Grund einer Anweisung, die mein Haus getroffen hat. Dazu kann man stehen, wie man will. Glücklich bin ich darüber auch nicht, denn wenn ein Urteil verhängt worden ist, dann sind wir auch gehalten, dieses umzusetzen. Wenn aber die Not so groß wird, dass wir uns kurzfristig nicht anderweitig behelfen können, dann müssen wir selbst zu solchen Mitteln greifen. Aber das kann doch nicht das sein, was wir langfristig vorhaben.

 

Ich möchte jetzt gar nicht aufführen, was wir noch alles an mittelfristigen Dingen in diesem Jahr machen wollen, aber wir kommen insgesamt mit allen Maßnahmen – Containerbauten, Einbau von Toilettenabtrennungen und Umwidmung des offenen Vollzugs in den geschlossenen Vollzug – auf nicht mehr als 200 Plätze. 200 Plätze sind aber weniger, als wir brauchen, um keine rechtswidrige und schon gar keine verfassungswidrige Unterbringung vorzunehmen. Der Rückgang – Herr Lange-Lehngut, da stimmen Sie sicher mit mir überein –, der jetzt kurzfristig eingetreten ist, ist die Folge der Maßnahme nach § 455 StPO, nämlich: Wir lassen die Leute früher frei, als das richterliche Urteil es gebietet. Das kann keine Maßnahme sein, die uns langfristig irgendwo zu einer Erleichterung verhilft.

 

Ich muss aber auch etwas Erfreuliches sagen: Es ist mir gelungen, von SenFin und SenStadt die Mittel freizubekommen, um jetzt – im Jahr 2005 – eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung zu beginnen, welche Art des Neubaus die wirtschaftlichste für Berlin ist, sprich: Investorenbau, Leasingmodell, Kaufleasingmodell, Mietmodell, Mietkaufmodell oder aber doch der Eigenbau. Wir werden diese Mittel jetzt noch ganz kurzfristig bekommen. Wir haben auch in die Senatsvorlage die Mittel für die Bauplanung in Großbeeren in 2006/2007 eingestellt. Mein intensiver Appell an Sie alle ist: Bitte sehen Sie von Ihren politischen Vorhaben ab! Wir brauchen dringend Räume. Unsere Bediensteten sind in den letzten Jahren in hohem Maße reduziert worden. Wir haben fast eine Verdoppelung der Gefangenenanzahl seit 1990, wir haben aber 400 Leute weniger an Personal. Das geht nicht auf. Das ist eine Schere, die ein Gefährdungspotential ist, das irgendwann mal kocht, und dann kriegen wir diesen Kochtopf nicht mehr gedeckelt. Deswegen appelliere ich noch einmal an Sie: Bitte sehen Sie zu, dass das, was jetzt der Senat eingesehen hat, dann auch von den Abgeordneten mitgetragen wird!

 

Vors. Gram: Danke schön! – Kollege Braun, bitte!

 

Abg. Braun (CDU): Ich danke zunächst einmal den drei Vortragenden für ihre Stellungnahme und möchte auf Folgendes ergänzend hinweisen: Wir reden tatsächlich seit Jahren über die gleichen Probleme. Darauf hat Herr Heischel zu Recht hingewiesen. Wir haben die diversen JVAs im Lauf der Zeit immer mal wieder besucht. Wir haben uns über die Arbeitsmöglichkeiten informiert. Wir sind darüber informiert worden, dass es zu wenig Arbeitsmöglichkeiten gibt. Wir haben uns über die Unterkünfte informiert. Wir haben festgestellt, dass die Unterkünfte z. T. rechtswidrig, z. T. verfassungswidrig sind usw. Alles, was Sie vortragen, ist schlimm, und noch schlimmer ist: Alles ist nicht neu. Wir wissen das alles seit vielen Jahren. Und ich sage jetzt auch mal an die Verantwortung der Seite da drüben: Angefangen mit Rot-Grün, im Übergangssenat fortgesetzt durch Rot-Rot ist eben die Haftanstalt Heidering vertagt, aufgeschoben, nicht gebaut worden etc.


Über all das, was Frau Schubert jetzt zu Recht vorträgt – und ihr Klagelied eben war sehr eindrucksvoll – reden wir seit 1999 und davor. Wir haben damals dringend davor gewarnt. Frau Schubert, Sie waren ja nicht an der Koalitionsvereinbarung beteiligt, sondern haben sie später vorgefunden, aber Ihr Herr Staatssekretär kennt die Geschichte, und die Koalitionsfraktionen und die Grünen kennen die ganzen Probleme auch. Sie haben jahrelang – nicht Sie persönlich, aber Ihr Staatssekretär und die Fraktionen auf der linken Seite – die Augen vor den Problemen verschlossen. Ich erinnere mich noch daran, wie Herr Wieland hier im Hause gesagt hat: Wichtig ist, dass wir zunächst einmal Tegel aus- und umbauen. – Sie haben jahrelang vor diesen Problemen die Augen verschlossen. Wir wollen jetzt nicht rechthaberisch sein und sagen, dass wir das jahrelang gefordert haben, aber Sie stehen jetzt genau vor der Situation, wie Sie sie vorgefunden haben, und ich rate Ihnen dringend, dass Sie zu einer Umkehr kommen. Ich sage es deshalb, weil es so besonders gravierend ist.

 

Wir reden immer darüber, wie wir mit Strafgefangenen umgehen. Ich möchte noch einen zusätzlichen Aspekt nennen. Wie wollen Sie eigentlich von einem Strafgefangenen – der gegen Gesetze verstoßen hat, sonst säße er nicht dort –, verlangen, dass er im Rahmen seiner Resozialisierung einsieht, dass er nicht mehr straffällig wird, wenn er auf der anderen Seite feststellt, dass der Staat, der in eingelocht und verurteilt hat, sich selbst verfassungs- und rechtswidrig verhält. Das ist eine geeignete Resozialisierungsmaßnahme, die hier kommt. Und Sie alle da drüben, alle drei Fraktionen, die dort sitzen: Sie sind in der Verantwortung. Sie haben das jahrelang verschlampt. Jahrelang haben Sie uns hier Placebos verteilt, und nun stehen Sie vor den Trümmern Ihrer gescheiterten Politik, jedenfalls, was diesen Bereich angeht. Deswegen ist eine Umkehr dringend notwendig, und deswegen gehe ich auch davon aus, dass der Appell von Frau Schubert eben an Ihre Seite ging, denn für uns ist das nichts Neues. Wir haben so viele Anträge eingebracht – ich könnte das nachweisen –, wo wir gesagt haben: Heidering muss gebaut werden. Dort muss dringend etwas gemacht werden. – Frau Schubert konnte sich entweder nicht durchsetzen, und Sie – die Parlamentarier auf dieser Seite – haben die Augen davor verschlossen.

 

Vors. Gram: Ich gestatte einen Zwischenruf der Kollegin Dott.

 

Frau Abg. Dott (PDS): Ein Zwischenruf! – Die Versenkung dieser Bauplanunterlagen geschah im Jahr 2000 unter Justizsenator Diepgen, Herr Braun. Jawohl!

 

Vors. Gram: Das ist nicht korrekt, aber darüber wollen wir der Reihe nach diskutieren. – Die Senatorin hat übrigens nicht aus Protest den Saal verlassen, sondern aus rein menschlichen Gründen. – Bitte schön, Kollege Ratzmann!

 

Abg. Ratzmann (Grüne): Das hätten wir auch nie angenommen. – Ich begrüße es auch sehr, dass wir endlich dazu gekommen sind, dieses Thema zu einem wirklich herausragenden Thema einer Rechtsausschusssitzung zu machen. Wenn wir uns das Thema, das wir gerade zuvor diskutiert hatte, noch einmal vor Augen führen, kann man wirklich sagen, dass der Skandalisierungsfaktor in diesem Bereich umgekehrt reziprok zum Problembewusstseinsfaktor in diesem Thema ist. Wir alle – und gerade Sie, der den flammenden Appell eben gehalten hat, Herr Braun – regen sich gern darüber auf, wenn es darum geht, neue Maßnahmen, Hilfestellungen, Geld für Hilfestellungen, für Personal auszugeben. Berlin baut ein schickes neues Gefängnis für 650 Knackis. Das ist original Ihr Jargon, den Sie immer im Munde führen. Sich jetzt so hinzustellen und so zu tun, als wären wir diejenigen, die verhindern würden, dass es problemorientierte Maßnahmen im Berliner Vollzug gibt, um die Probleme zu lösen, ist ein Skandal, Herr Braun, weil Sie derjenige sind, der es als Erstes skandalisiert, wenn dieser Staat Geld in die Hand nimmt, um eine Vollzugspolitik, die dazu führt, Überbelegungen abzubauen, die wirklich auf Resozialisierung und Behandlung ausgerichtet ist, voranzubringen. Dann sind Sie und Ihre Partei die Ersten, die die „BZ“-Schlagzeilen liefern, die genau zu diesem Klima in der Öffentlichkeit führen, das verhindert, dass problemorientiert mit den Phänomenen, die wir zu verzeichnen haben, umgegangen werden kann.

 

Herr Lange-Lehngut ist einer derjenigen, der hier wahrscheinlich am längsten in diesem Metier tätig ist und der – so wie ich ihn jedenfalls kenne – schon seit Jahren immer wieder darauf hinweist, dass es so nicht weitergehen kann. Ich finde es sehr eindrucksvoll, wenn er hier sagt: Wir werden demnächst den Break-even-Point erreichen, wo sich das Verhältnis von steigenden Gefangenenzahlen und der Personalreduzierung so umkehrt, dass uns der Deckel vom Topf fliegen wird, dass wir es mit massiven Problemen zu tun kriegen. Das haben wir jahrelang gesagt, aber es ist in Bezug auf die Maßnahmen und Möglichkeiten, die wir im Vollzug haben, einfach nicht umgesetzt worden. Herr Heischel hat es uns eben ziemlich deutlich gesagt: 8 % in der Zwei-Drittel-Entlassungsstatistik im Bund gegenüber 21 % im Durchschnitt. Und da sind noch nicht einmal die guten Länder als Maßstab herangeführt, sondern nur der Bundesdurchschnitt. Das zeigt, dass generell in der Vollzugspolitik, in einer Politik von Haftvermeidung und -verkürzung in diesem Land noch nicht alles ausgeschöpft ist, was wir machen können.

 

Herr Braun, bevor Sie 80 Millionen € für die reinen Baumaßnahmen für 650 Haftplätze in Großbeeren in die Hand nehmen – und ich sage Ihnen, dass es nicht bei den 80 Millionen € bleiben wird, es werden 160 Millionen € werden, so gut kennen wir die Berliner Baupraxis allemal – und bevor Sie eine rein bauliche Maßnahme in dieser Größenordnung angehen, ohne auch die Personalfolgekosten, die noch danach kommen, mitberücksichtigt zu haben – – Wir haben noch keinen einzigen Menschen in dieser JVA beschäftigt, und Sie werden nicht ernsthaft annehmen, dass wir von dem wenigen Personal, das wir in Berlin beschäftigt haben, dann noch alles nach Großbeeren hinüberkarren können, sondern es werden Personalfolgekosten kommen. Sich in der Haushaltssituation so auf dieses eine Projekt zu kaprizieren, ohne vorher einmal darüber nachzudenken, was sich sonst noch im Vollzug machen lässt, um Lockerungen zu kriegen, ohne das, was mir augenfällig ist – – [Zuruf des Abg. Braun (CDU)] – Herr Braun, wir haben in den Haushaltsberatungen einen Antrag eingebracht und wollten evaluiert haben, was es heißen würde, wenn wir uns nur dem Durchschnitt der Bundesländer, was die Zwei-Drittel-Entlassungen angeht, nähern würden. Das hat dieser Ausschuss mit Mehrheit beschlossen. Im Haushaltsausschuss ist es mit Mehrheit der Regierungsfraktionen wieder von der Tagesordnung genommen worden. Es ist zugesagt worden, dass wir dieses Papier bis Mitte letzten Jahres kriegen. Bis heute ist nichts da. Wir haben überhaupt keine Instrumente in der Hand, um einmal vernünftig zu gucken, was wir sonst noch machen können.

 

Ich glaube, was Herr Heischel gesagt hat, ist genau das Richtige. Jetzt steht es an, und wir können auch nicht so lange warten, Herr Braun, bis Großbeeren fertig ist. Wir müssen jetzt schnell etwas in der Geschichte tun. Wir müssen jetzt anfangen, konstatierte Aktionen zu überlegen – [Zuruf des Abg. Braun (CDU)] –, um tatsächlich eine Umkehr in dieser Vollzugspolitik in Berlin hinzukriegen, die solche Maßnahmen – von denen wir, glaube ich, alle nicht begeistert sind, die Notmaßnahmen sind –, einschließt, um Personalreserven frei zu kriegen, um tatsächlich auf die einzelnen Gefangenen, die einen Behandlungsanspruch haben – sie haben nicht nur den Anspruch, weggeschlossen zu werden, sondern auch darauf, dass etwas mit ihnen passiert in den Anstalten – und auch zu verwirklichen.

 

Das, was Herr Lange-Lehngut eben gesagt hat: Wie sollen wir den Leuten beibringen, sich rechtmäßig in der Gesellschaft zu bewegen, wenn wir selbst vom Verfassungsgericht oder vom Kammergericht bescheinigt kriegen: Wir sind es nicht? – Das hört man Tag für Tag. Wenn Sie mit Gefangenen reden und sagen: Ihr müsst arbeiten, ihr müsst euch motivieren, ihr müsst euch mit eurer Straftat auseinander setzen, damit ihr euch straffrei bewegen könnt –, dann ist das Erste, was wir hören. Ja, und was macht ihr? Ihr habt nach dem Strafvollzugsgesetz die Aufgabe, uns auf die Entlassung vorzubereiten und uns nicht am letzten Tag einfach mit unseren Koffern auf die Straße zusetzen, sondern vorher mit uns zu arbeiten und uns eine Behandlung angedeihen zu lassen. Das erfüllt ihr nicht, aber ihr erwartet von uns, dass wir in diesem Bereich alles tun. – So werden Sie die Kuh nicht vom Eis kriegen, in diesem Bereich. Wir brauchen Personal, wir brauchen Personalfreisetzung. Deswegen war es richtig die § 455a-Maßnahme jetzt zu machen, auch wenn Herr Faust vielleicht Zustände kriegt, wie er sich ausgedrückt hat. Aber das sind die Maßnahmen, die wir jetzt brauchen, um kurzfristig den Schwenk hinzukriegen.

 

Ich halte es auch für sinnvoller, noch einmal zu gucken, ob man mit dem Geld, das man jetzt in die Hand nehmen kann, in Tegel tatsächlich Entlastungen schaffen kann. Mir ist es lieber, noch einmal darüber nachzudenken, kurzfristig Maßnahmen zu machen, die in Haftverkürzung und -vermeidung liegen, um Plätze frei zu machen, die kurzfristig einen Ausbau ermöglichen, um eine veränderte Vollzugspolitik in der Stadt zu etablieren. Das brauchen wir. Das muss man angehen, und das heißt, dass wir uns hier als Parlamentarier auch mit der Sache so auseinander setzen müssen, dass sie im politischen Geschäft tatsächlich einmal Bedeutung kriegt und nicht weiter in der Versenkung verschwindet, wie wir das in den letzten 10 Jahren leider mit ansehen mussten.

 

Vors. Gram: Danke schön! – Ich lasse jetzt den Zwischenruf von Herrn Braun zu. – Er hat sich erledigt. – Ich bitte darum, in den weiteren Debattenvorträgen unsere Anzuhörenden mit einzuschließen, falls noch Nachfragen bestehen, damit wir die Herrschaften hier nicht über Gebühr festhalten. – Herr Kollege Meyer!

 

Abg. Meyer (FDP): Ich will versuchen, die Anregung des Vorsitzenden aufzunehmen. Inhaltlich hat Herr Ratzmann sehr viel gesagt, dem ich zustimmen kann. Wir haben sowohl bei Herrn Heischel als auch bei Herrn Geppert mehrere Male das Stichwort „hausgemachte Probleme“ in Bezug auf die Überbelegung gehört, und ich würde deswegen zunächst einmal von der Senatsverwaltung hören wollen, wie den in den letzten Jahren mit genau diesen Fragestellungen, die hier noch einmal thematisiert wurden, umgegangen wurde. Wurden diese aufgegriffen? Welche Lösungsansätze zu den Problemen, mit denen sich die Experten täglich vor Ort auseinander setzen, hat die Senatsverwaltung in den letzten Jahren erarbeitetet, bevor wir über einen Neubau einer Justizvollzugsanstalt sprechen? – Ich muss Herrn Ratzmann Recht geben, denn ich glaube auch, dass wir dort bei einem deutlich dreistelligen Millionenbetrag landen werden, was allein die Baukosten angeht, von den Personalkosten ganz zu schweigen.

 

Umgekehrt frage ich die geladenen Sachverständigen, wie sie zu der Frage Neubau einer Justizvollzugsanstalt stehen, denn das wäre die Gegenrechnung. Vor allem Herr Heischel, Herr Geppert: Glauben Sie, dass Sie mit den Maßnahmen, mit den Vorschlägen, die Sie jetzt in Ihren Statements kurz angerissen haben, innerhalb eines vertretbaren Zeitraums die Überbelegung in den Berliner Justizvollzugsanstalten nahe null reduzieren können? Ist das darstellbar?

 

Den Hinweis von Herrn Ratzmann darauf, dass wir in den Haushaltsberatungen 04/05 schon einmal weiter waren, was die Alternativszenarien zum Thema Neubau einer Justizvollzugsanstalt angeht, sollten wir noch einmal aufgreifen. Wir sollten es hier im Rechtsausschuss noch einmal aufgreifen und natürlich auch in den Haushaltsberatungen 06/07. Dort werden wir dann die konkreten Zahlen von Ihnen hören. Dann müssten wir uns im Sommer Gedanken darüber machen, ob es mit Maßnahmen wie der Bekämpfung von hausgemachten Problemen geht, ob es ausreicht oder ob wir in irgendeiner Form einen Neubau brauchen, wobei ich aber immer noch das Fragezeichen hinter „Heidering“ setzen möchte, weil die Frage ist: Wenn es noch weitere Maßnahmen gibt, die diese Überbelegung bzw. die Kapazitätszahl, wie Sie sie in Ihre Vorlage geschrieben haben von 600 Haftplätzen bis 2010, wenn es durch Maßnahmen in den bestehenden Justizvollzugsanstalten eine Reduzierung auf weniger Haftplätze gibt, muss man sich vielleicht auch Gedanken darüber machen, ob man über andere Modelle z. B. in Kooperation mit dem Land Brandenburg eine neue Zahl von Haftplätzen schafft, die deutlich unter der Zahl von 650 Haftplätzen liegen würde. Ich erwarte mir dazu im Lauf der Beratung Antworten. Voraussetzung dafür, dass wir sachgerecht diskutieren können und nicht auf der einen Seite seit mehreren Jahren immer wieder von der CDU hören – jetzt offensichtlich auch aus dem Haus der Senatsverwaltung –: Das einzig selig machende Lösungskonzept ist eine neue Justizvollzugsanstalt in Großbeeren. – Und auf der anderen Seite die Punkte, die immer wieder gerade vom Justizvollzugsbeirat aufgeworfen wurden, dass wir hier eine Versachlichung der Debatte hinbekommen. Es bringt nichts, bei diesen beiden Extrempositionen zu bleiben, sondern wir müssen uns annähern und zum einen die Lösungsansätze, die hier erarbeitet werden können, aktiv aufgreifen, da vielleicht auch ein bisschen Geld in die Hand nehmen und danach gucken, was zusätzlich möglich ist. Aber wie sollen nicht von vornherein sagen: Wir haben nur eine Lösung, und das ist der schöne neue Knast in Brandenburg.

 

Vors. Gram: Danke schön! – Ich möchte dazu kurz sagen: Die allein selig machende Geschichte ist das nicht. Das ist auch nie behauptet worden. Aber zu dem, wer das verhindert hat, kommen wir später. – Herr Flügge hat um das Wort gebeten, um Ihre Frage direkt zu beantworten.

 

StS Flügge (SenJust): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Nur zu diesem einen Punkt, der in mehreren Stellungnahmen und jetzt auch von Ihnen, Herr Meyer, angesprochen worden ist. Haftvermeidung ist eine Maßnahme, die in der Tat möglich ist. Es wird durchaus eine ganze Menge getan. Ich weise daraufhin, dass wir das Programm „Schwitzen statt Sitzen“, also gemeinnützige Arbeit an Stelle der Verbüßung von ersatzfreier Strafe seit Jahren fahren und ausgeweitet haben, mit der Folge, dass wir Spitzenreiter aller 16 Bundesländer sind. Das ist nicht mehr weiter ausbaubar. Wir haben mit die niedrigste Quote von Ersatzfreiheitsstrafen in den Vollzugsanstalten. Da wird sehr viel getan.

 

Bei dem zweiten Bereich kenne ich die Debatte mit Herrn Dr. Heischel seit vielen Jahren über die Frage, ob der Vollzug mehr tun kann, um Gefangene besser vorzubereiten für den Moment der Entscheidung des Gerichts – das ist ja eine gerichtliche Entscheidung – vorzeitig nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe aus der Haft zu entlassen. Das ist eine sehr abstrakte Debatte, und man kann sie eigentlich nur führen, wenn man es konkret an Einzelfällen tut, um festzustellen, ob der Vollzug wirklich das Nötige getan hat oder nicht. Ich kann mich sehr gut daran erinnern, dass ich mit gerade Vertretern der Freien Hilfe, mit Frau Dr. Barth und anderen, eine Diskussion dazu hatte und gebeten habe, einmal Fälle zu schildern, wo nicht genug getan worden ist. Da sind mir 39 Fälle geschildert worden, die umfassend überprüft wurden. Ein Mitarbeiter unseres Hauses ist zusammen mit der Anstalt alles durchgegangen und anschließend habe ich mir das vortragen lassen. Von den 39 Fällen 38 so, dass ich froh war, dass da keine Vollzugslockerungen gewährt worden sind, weil das aus einer Sichtweise und einer Kenntnis heraus durch Vertreter der Freien Hilfe vorgetragen worden ist, die aber nicht alle Bestandteile der Biografie und der Gefährdungspunkte bei diesen Gefangenen kannten. Von 39 waren es 38 Fälle, wo es in der Tat richtig gemacht worden ist, dass hier keine Lockerung zur Vorbereitung auf einen Zwei-Drittel-Zeitpunkt einer möglichen Entlassung getätigt worden sind, weil das Gefährdungspotential zu hoch war.

 

In einem Fall waren wir auch der Auffassung, dass es wohl nicht ganz gut gelaufen ist und haben Tegel zur Nachbesserung aufgefordert. Das ist erfolgt. Ich hatte erst vor wenigen Wochen ein Gespräch mit Herrn Dr. Heischel und anderen Mitgliedern des Berliner Vollzugsbereichs. Da haben wir überlegt, ob wir nicht einmal eine gemeinsame Fallbesprechung mit Vertretern der JVA Tegel und Vertretern des offenen Vollzugs machen können, um zu sehen, ob Mechanismen noch verbessert werden können. Ich kenne bisher keine Fakten, die nachvollziehbar zu Änderungen führen könnten, aus denen sich ergibt, dass der Vollzug nicht das Genügende tut. Aber es gibt eine ganz massive Erschwerung. Das ist nämlich die Überbelegung selbst, die dazu führt, dass nicht genügend intensiv mit Gefangenen gesprochen, gearbeitet, therapiert werden kann, weil es einfach zu viele sind. Herr Lange-Lehngut hat sehr eindrucksvoll gesagt: Wenn es zu viele sind, kann man nicht mit dem Einzelnen so arbeiten, wie es eigentlich von der Konzeption des Strafvollzugsgesetzes her nötig wäre, und zum anderen gibt es die Wartefrist. Die Leute müssen nicht aus Daffke in Moabit warten bis in Tegel genug Platz wird, um durch die Einweisungsabteilung eingewiesen zu werden. Das liegt wiederum an der Überbelegung. Es sind zu viele. Aber der Vollzug hat dem auch Rechnung getragen, indem die Einweisungsabteilung der JVA Tegel nicht nur dort vor Ort die Überprüfung vornimmt, sondern auch nach Moabit geht, um dort vor Ort mit den Gefangenen, die noch nicht verlegt werden können, eine solche Überprüfung, ob eine Einweisung in den offenen Vollzug direkt von Moabit aus erfolgen kann, vornimmt. Diese Maßnahmen sind getroffen worden. Viel mehr Handlungsspielraum gibt es derzeit nicht.

 

Zur Frage, ob Berlin Schlusslicht bei den Zwei-Drittel-Entlassungen ist. Ich höre das immer wieder. Die letzte wissenschaftliche Untersuchung ist Anfang der 80er Jahre dazu von Prof. Eisenberg von der Freien Universität gemacht worden. Seither gibt es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, und es gibt auch keine bundeseinheitlich gleiche Statistik. Es gibt bestimmte Zahlen, die sich aber nicht richtig an den Bezugsgrößen messen lassen. Wir versuchen gerade mit der Vollzugs- und Vollstreckungsabteilung unseres Hauses eine Länderumfrage durchzuführen, die aber eine Einzelerhebung in allen 16 Bundesländern erforderlich machen würde, um einmal zu sehen, ob man da wirklich vergleichbare Zahlen herausbekommt. Ich weise aber noch einmal darauf hin, dass es politischer Wille aller Fraktionen im Deutschen Bundestag war, die vorzeitige Entlassung zu erschweren. Da ist viel gemacht worden, und das hat zu einem augenscheinlich – – Auch dazu gibt es gerade eine Untersuchung von Prof. Cornel von der Fachhochschule für Sozialarbeit, der an Hand einer wissenschaftlichen Untersuchung feststellen will, ob das wirklich diese Folge gehabt hat. Es war der Wille des Deutschen Bundestages durch alle Fraktionen bei der Entlassung die Qualität und die Hürden – die Kriterien –, deutlich zu erschweren, dass möglichst wenige Gefangene vorzeitig entlassen werden. Das war im Zusammenhang mit der Sexualtäternovelle 1998. Wir haben jetzt bestimmte Auswirkungen. Wir haben übrigens auch die Auswirkung, dass die Strafen länger werden. Wenn die Strafen länger werden – und wir haben in einem Bereich von zwei bis fünf Jahren nicht mehr 500, sondern 1 100 Gefangene in einem bestimmten Zeitraum, die diese Strafen zu verbüßen haben – führt das automatisch zu einer höheren Belegung. Es geht gar nicht so sehr um die Zahl der neu Verurteilten, sondern um die Länge der Strafen. Das ist politisch gewollt, und wir müssen uns mit diesem Phänomen auseinander setzen. Es wird nicht allein selig machen, eine neue Anstalt zu bauen, aber wenn man rechtmäßige Zustände herbeiführen will, muss man eine neue Anstalt bauen.

 

Ganz kurz zur Standortfrage. Wenn man sich überlegt, dass man eine Anstalt braucht, die das entsprechende Personal und Arbeitsplätze hat, braucht man dafür ein gewisses Areal. Die Vorstellung, irgendetwas in Tegel zu machen, wie Sie es, Herr Ratzmann, gerade erwähnt haben, reicht dafür nicht aus. Sie brauchen komplett eine neue Anstalt, und zwar mit der gesamten Infrastruktur einschließlich der Arbeitsplätze, sonst können Sie diese Gefangenen nicht unterbringen. Sie können nicht einfach ein Haus hinstellen, wo zusätzlich untergebracht werden kann, und das wird dann mitbetreut durch die Pforte und durch die Arbeitsbetriebe. Das funktioniert nicht. Die Anstalt ist sowieso ein großer Moloch, wo wir uns alle freuen, aber eigentlich auch ein bisschen wundern, wie ruhig sie noch läuft. Wir brauchen einen neuen Standort. Wir haben einen Standort, wo eine Gemeinde es möchte. Eine Diskussion erneut über alternative Standorte in Berlin angesichts des Themas, das wir vorhin erörtert haben, sollten wir uns eigentlich nicht zumuten. Hier gibt es eine Gemeinde, einen Landkreis, es gibt einen genehmigten Bebauungsplan. Die Voraussetzungen sind da, und wir sollten diese Voraussetzungen dann auch nutzen. – [Frau Bm Schubert (Just): Und das Gelände gehört uns!] – Das Gelände gehört dem Land Berlin.

 

Vors. Gram: Und es gibt die Unterstützung zumindest einer maßgeblichen Oppositionspartei in Berlin. – [Abg. Ratzmann (Grüne): Welche ist es?] – Gute Frage! – Es ist sinnvoll, noch die restlichen Debattenbeiträge zu sammeln, damit unsere Anzuhörenden noch dazu Stellung nehmen können. – Dr. Felgentreu!

 

Abg. Dr. Felgentreu (SPD): Bei dem Debattenbeitrag war ich eigentlich noch nicht angekommen. Ich dachte, wir sind noch in der Fragephase. Aber da Herr Flügge meine erste Frage bereits beantwortet hat, kann ich gleich mit der zweiten einsetzen. Ich wüsste gern – das Stichwort ist heute noch gar nicht gefallen, das hat mich ein bisschen gewundert – wie die Experten die Äußerung einschätzen, dass man die Überbelegung auch über Privatisierungen von Haftplätzen bekämpfen könnte. Das Modell ist, dass man Kurzstrafer nimmt, für sie eine mit vergleichsweise milden Sicherheitsbedingungen ausgestattete Haftanstalt baut, Arbeitsplätze im Umfang von 100 % sichert, und diese Haftanstalt trägt sich dann selbst durch einen privaten Betreiber. Ist so ein Modell realistisch? – Wenn man das so hinbekommen würde, würde es tatsächlich eine massive Entlastung bewerkstelligen können. Das war die erste Frage.

 

Die zweite Frage: Was Herr Staatssekretär Flügge eben dargelegt hat, dass Verschärfungen im Strafrecht automatisch zu volleren Gefängnissen führen, verlangt gewissermaßen nach einem rechtspolitischen Korrektiv. Im Bundestag steht zurzeit eine Vorlage auf der Unerledigtenliste des Rechtsausschusses. Sie kommt – wenn ich das richtig sehe – aus dem Bundesministerium für Justiz. Es geht darum, Haftvermeidungsmöglichkeiten in größerem Umfang als bisher vorzusehen. Der Bund der Justizvollzugsbediensteten hat sich positiv zu dieser Vorlage eingelassen. Auch hier ist meine Frage an die Expertenrunde: Teilen Sie diese positive Einschätzung? Würden Sie es begrüßen, wenn der Bundestag jetzt auch einmal in die Beschlussphase eintreten würde?

 

Vors. Gram: Danke schön! – Kollege Dr. Lederer!

 

Abg. Dr. Lederer (PDS): Das ist richtig. Man kann nicht permanent höhere Strafen fordern und längere Vollzugsdauern, um sich dann am Ende im Konkreten den Konsequenzen zu verweigern, die unter Umständen daran hängen. Aber ich fand es überraschend, dass wir nach drei Beiträgen, die durchaus bunter und breiter waren als sich nur auf beiden Zahlen – 73 rechtswidrige und 45 verfassungswidrige Unterbringungen – zu beschränken, dass plötzlich nur noch ein Thema im Raum stand. Ich war über den Appell von Frau Schubert überrascht. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass einmal jenseits der Tatsache, dass wir uns vor zwei oder drei Jahren an einer konkreten Situation in der Koalitionsvereinbarung geeinigt haben, während dieser Legislaturperiode den Bau jedenfalls nicht zu machen und gute Gründe dafür hatten – darauf gehe ich gleich ein –, hier irgendjemand gesagt hätte: Er ist dafür, dass wir Gefangene in Größenordnungen verfassungswidrig unterbringen, vielleicht noch mit dem Seitenschlag: Dann überlegen sie sich vielleicht, ob sie Straftaten begehen. – Das ist nicht unser Herangehen und auch nicht unsere Politik in dem Kontext, aber – und das ist die andere Seite der Medaille – ich habe mehrfach das Wort „hausgemacht“ gehört. Herr Staatssekretär Flügge ist darauf eingegangen und hat gesagt: Na ja, so schlimm ist das alles nicht. Da und da sind wir schon überall an den Spitzenplätzen. – Wenn es eine Diskussion ist, die ich seit meiner Zeit im Vollzugsbeirat kenne, wo immer die eine Seite behauptet, da gebe es total viele Möglichkeiten, etwas zu machen und die andere Seite: Stimmt gar nicht – und der Diskurs dreht sich im Kreis, dann genügt mir das ab einem bestimmten Punkt nicht mehr, und dann genügt mir auch nicht – Hand aufs Herz – das Wort des Staatssekretärs allein, sondern dann will ich Gewissheit darüber, dass wir tatsächlich anfangen, über den Neubau von Haftanstalten zu reden, wenn ich definitiv sicher bin, dass vorher alles unternommen wurde, denn das alles spielt sich nicht im luftleeren Raum ab. Wir werden mit dem Finanzsenator eine Auseinandersetzung über diese Frage haben. Wir werden mit anderen Ressorts und vor dem Hintergrund von Rahmenbedingungen in einer Haushaltsnotlage darüber eine Debatte führen müssen. Da genau – da hat der Kollege Ratzmann Recht – möchte ich eine Aufgeklärtheit, eine von Sachkenntnis geprägte Debatte und keine von selektiver Wahrnehmung. Es besteht die Gefahr – und davor warne ich Sie –, dass wir diese Situation auch wieder in einer bestimmten Art und Weise darstellen, um den Druck auf diejenigen, die vielleicht andere Positionen vertreten oder sagen: Da könnte man da und da noch etwas machen –, aus dem Ruder zu manövrieren und diejenigen, die sagen: Wir haben aber kein Geld für solche Zwecke – in die Ecke zu drücken und im Grunde mit der normativen Kraft des Faktischen zu erdolchen.

 

Es steht eine genauere Analyse über all die Fragen, die hier genannt worden sind, an, wo ich tatsächlich mehr Klarheit haben will als: Wir haben das an 39 Fällen geprüft. – Wie ist es mit den Zukunftskonzepten bezogen auf Arbeitslosigkeit? Wie ist es bezogen auf die tatsächlichen Zustände in der Einweisungsabteilung? Wie ist es mit der verschobenen und hängenden Vollzugsplanung? – Und dann stellt sich, Frau Senatorin, für mich auch die Frage: Müssten wir dann nicht einmal unmittelbar anfangen, mit dem Finanzsenator und SenStadt nicht so sehr über Planungsmittel, sondern über Personalmittel zu reden? – Die Zustände, die Herr Lange-Lehngut eben geschildert hat, bewegen mich erheblicher, und das sind Handlungsnotwendigkeiten, über die man reden muss. Ich fand nichts so überzeugend wie die übereinstimmende Äußerung aller drei Anzuhörenden, dass ein Auseinanderklaffen von Belegungszahlen auf der einen Seite und Betreuungsmöglichkeiten auf der anderen Seite irgendwann zu einer unlösbaren Situation führt, und zwar unabhängig von der Tatsache, ob wir 620 Haftplätze mehr haben oder nicht. Mit welchem Personal sollen den die 620 Haftplätze dann betreut werden? – Es ist ja nicht nur mit 60, 80 oder 160 Millionen € getan, sondern es wird irgendeine Form konzeptioneller Überlegungen geben müssen, wie es mit dem Vollzug in Berlin weitergehen soll. An welchen Prinzipien orientieren wir uns da, und welche Möglichkeiten schöpfen wir allumfassend aus? – Der Sinn der Übung kann nicht sein zu sagen: Dann haben wir unsere 620 Haftplätze und dann können wir wieder eine Weile normale Verschickung machen, und zwei, drei, vier, fünf Jahre später sind wir am selben Stand, und dann reden wir über die nächste Haftanstalt. Insofern besteht für uns die Notwendigkeit darin, über „hausgemacht“ zu diskutieren. Herr Lange-Lehngut hat auf der Ebene der Bestandsaufnahme die Äußerungen der beiden Kollegen unterstützt, um dann auf die unmittelbaren Probleme aus seiner Vollzugssicht zu kommen. Ich würde Ihnen sehr verbunden sein, wenn Sie noch einmal auf die drei Punkte, die genannt wurden, eingehen könnten, insbesondere auf Herrn Dr. Heischel. Also: konstatierte Initiative der Justizverwaltung, dann die Frage der vorzeitigen Entlassungen und dann die Überlegung: Was bringt eine § 456a-Maßnahme unter Umständen? Was bringen die § 455a-Maßnahmen? Sind wir da weit genug gegangen? Gibt es da noch Spielräume und dergleichen, damit es einmal praktisch wird? – Der Staatssekretär hat gesagt, dass es die letzte Untersuchung 1981 gab. Böse Zungen haben mir einmal geflüstert, es sei Anfang der 70er Jahre gewesen. Ihre Zahlen werden sicher eher stimmen. Ist es nicht sinnvoll, sich Partner zu suchen, mit denen wir eine bestimmte Form der Begleitung der Berliner Vollzugspolitik über den Vollzugsbeirat hinaus oder über beispielsweise die Kolleginnen und Kollegen von den Freien Trägern hinaus dann tatsächlich einmal in Angriff nehmen, wo man dann vielleicht ein bisschen mehr Gewissheit darüber bekommt, ob nun die eine Seite, nämlich diejenigen, die immer am Ende Adressat solcher Anwürfe ist oder die andere Seite, der man dann vorhält, sie sehe nur einen Ausschnitt des Ganzen und könne gar nicht genau einschätzen, wie es in der Praxis im Einzelnen sei? Sind unsere Gefangenen wirklich so anders? Ist unsere Praxis wirklich so anders? – Das sind alles Fragen, auf die ich Antworten möchte. Und wenn die Notwendigkeit besteht, für rechtmäßige und verfassungsgemäße Unterbringung von Strafgefangenen, für die Erfüllung des Justizvollzugsgesetzes Geld in die Hand zu nehmen, dann werden wir das machen müssen. Da ist von allen übereinstimmend völlig zu Recht gesagt worden: Du kannst nicht selbst dein Recht brechen und von dem anderen verlangen, dass er es einhält.

 

Stellv. Vors. Schimmler: Frau Dott!

 

Frau Abg. Dott (PDS): Nur noch einen kleinen Zusatz, denn es wurde schon fast alles gefragt. Seit Jahren drehen wir uns bei diesen Behauptungen – und zwar von beiden Seiten her – im Kreis. Deswegen bitte ich dringend, dass diese Erhebung zu den Zahlen der verschiedenen Bundesländer zu Potte gebracht wird, damit wir endlich wieder genauere Zahlen haben. Viele Dinge sind – und ich behaupte, auf beiden Seiten – gefühlte Behauptungen. Sie haben keine Zahlen, und wir haben auch keine. Wir haben die Erfahrungen mit den Fällen im Vollzug, aber es ist doch relativ begrenzt, was wir behaupten. Also, ich richte an Sie die herzliche Bitte, ganz schnell zu einem Material zu kommen, damit wir ordentlich arbeiten können.

 

Zweitens: Wir haben das Thema schon öfter diskutiert. Von der Justizverwaltung und auch von anderen wird gesagt, dass wir so eine besonders schwierige Klientel in unseren Haftanstalten haben. Die eignen sich nicht beispielsweise für einen offenen Vollzug. Ich habe noch einmal nachgeguckt. Wenn überhaupt Plätze frei sind, dann sind sie im offenen Vollzug frei. Das hätte ich gern auch ein bisschen genauer gewusst. Warum können diese Plätze im offenen Vollzug nicht belegt werden. Welche Art von Fällen können dort nicht hin? – Da kann vielleicht auch die Freie Hilfe oder Herr Dr. Heischel oder Herr Lange-Lehngut noch einmal etwas dazu sagen.

 


Das Dritte ist: Ich wiederhole noch einmal, dass die Baupläne aus Kostengründen schon zu Zeiten der großen Koalition in der Schublade liegen geblieben sind. Ich war damals bereits im Rechtsausschuss. Es ist tatsächlich so, dass das in der Schublade vorgefunden wurde, als Rot-Rot anfing. – Ich habe das irgendwo schriftlich; wenn Sie wollen, dann kann ich Ihnen das gern noch zuleiten. – – [Abg. Ratzmann (Grüne): Ein Schreiben von Herrn Diepgen!] – Genau, ein Schreiben von Herrn Diepgen. Das machte damals die Runde. Es ist kein Geheimschreiben, das bei mir liegt, sondern Herr Ratzmann erinnert sich auch daran. Aber das spielt keine Rolle, weil damals auch die finanziellen Gründe eine Sachgrundlage hatten. Das war nicht, weil Herr Diepgen nicht für einen Neubau war, sondern es war auch schon damals kein Geld da. Als die Koalitionsverhandlungen über dieses Thema gesprochen haben, spielte das eine große Rolle, zumal nicht klar war, aus welchen Gründen ansonsten eine Überbelegung in Berlin stattfindet. – Ich wiederhole das jetzt nicht, denn es wurde heute schon vielfach diskutiert. – Diese Koalitionsvereinbarung schreibt nur vor, dass in dieser Legislaturperiode kein Neubau erfolgen soll. Das steht nie und nimmer drin. Ehe man jedoch so viel Geld in die Hand nimmt – – Ein Neubau kann eigentlich nur die allerletzte Lösung sein. Ich möchte wissen, wie die CDU-Fraktion diese Debatte führen wird. Im Land Berlin gibt es keine Sozialkarte mehr, die Kitakosten sind in die Höhe gegangen, und es wird über Studiengebühren gesprochen. Ich möchte einmal wissen – wir hatten vorhin gerade ein anderes sensibles Thema –, wie wir diese Debatte führen wollen, wenn es nicht auf jede, auch hier und heute gestellte Frage eine vernünftige und mit Zahlen belegte Antwort gibt. Anderenfalls brauchen wir dieses Thema gar nicht erst anzustrengen – so vernünftig muss es dann zu untermauern sein. Auf der anderen Seite sehen wir auch, dass dieses Problem gelöst werden muss und dass wir diese Überbelegung nicht ewig vor uns herschieben können.

 

Eine Frage zum Schluss: Das Thema Personal ist bereits angesprochen worden. Ich möchte gern wissen, ob – wenn überhaupt Investitionskosten angemeldet werden – gleichzeitig auch Personalkosten angemeldet werden. Wenn ja: In welcher Höhe? Denn ohne Personalkosten wäre das Ganze völlig illusionär. Es geht nicht, das vorhandene Personal dann vielleicht noch auf eine zusätzliche Anstalt zu verteilen. Außerdem möchte ich wissen: Was passiert mit der Sanierung der vorhandenen baufälligen Substanz? Inwieweit wird das einen Neubau stören? Wenn alles Geld auf einen Ort konzentriert wird, dann muss man fast damit rechnen, dass an den anderen Orten nicht mehr repariert wird. Das würde auf keinen Fall gehen. – Danke!

 

Vors. Gram: Danke, Frau Kollegin! – Bitte, Herr Ratzmann!

 

Abg. Ratzmann (Grüne): Herr Flügge! Wenn Sie darlegen, dass es im Berliner Vollzug keine anderen Entlastungsmöglichkeiten mehr gibt und wir uns an einer Haftvermeidungs- und Justizvollzugspolitik orientieren wie Herr Cornel sie beispielsweise als „best practice“ in Schleswig-Holstein beschrieben hat – MPI hat gerade eine Untersuchung gemacht und gesagt: Seht ihr, das sind die Einzigen – die sind auch von den Auswirkungen auf Bundesebene betroffen, die Sie eben beschrieben haben –, die es geschafft haben, sich von der Geißel Überbelegung nicht unter Druck setzen zu lassen, sondern die 40 % hinter dem herlaufen, was ansonsten an Überbelegungszahlen in allen Ländern innerhalb des Bundesgebiets vorhanden ist. Wenn wir es schaffen, uns in eine solche Richtung zu begeben, Sie mir dann noch ein Konzept zeigen, das deutlich macht (?), dass die Personalausstattung in einer neuen Haftanstalt den Erfordernissen entspricht, um das alles machen zu können und Sie mir dann sagen, dass das alles nicht anders als mit neuen Haftplätzen geht – meinetwegen dann auch in Großbeeren, weil Tegel unregierbar wird, die Speerplatte nicht zu bebauen ist und wir in Berlin keinen anderen Standort finden –, dann können Sie auch mit mir darüber sprechen, dass wir Großbeeren bauen – aber erst dann. Ich glaube, wir würden uns einen Bärendienst erweisen, wenn wir jetzt das Geld für Großbeeren in die Hand nähmen und dann kein vernünftiges Konzept haben, um personell ausgestattet die Fehler, die sich hier eingeschlichen habe und die Missstände, die wir in den Vollzugsanstalten haben, nicht wieder aufkommen zu lassen. Es nützt uns doch nichts, wenn wir den Überhang, von dem zumindest zwei gesagt haben, dass er hausgemacht sei, dadurch abfangen, dass wir ihn abschöpfen, woanders hintun, dann unter den gleichen Bedingungen weitermachen und wieder einen Überhang produzieren. Das wird nicht funktionieren. Ich glaube, diese Art von sauberer Konzeptionierung brauchen wir schon bei dem Betrag, den wir allein investiv baulich – ich gehe davon aus, dass das 160 Millionen € werden – in die Hand nehmen müssen, um diese Justizvollzugsanstalt zu bauen. Wie gesagt: Noch kein einziger Euro für irgendeinen Menschen, der dort arbeiten soll, ist jemals in der Planung benannt worden. Ich halte das für die wesentliche Voraussetzung dafür, um ein geschlossenes Konzept für die Justizvollzugsanstalt und die Justizpolitik in der Stadt zu haben.

 

Abschließend hätte ich gern von Herrn von Herrn Lange-Lehngut ein Statement, wie er die personellen Möglichkeiten in der JVA Tegel einschätzt, um überhaupt den Anforderungen, die an vorzeitige Entlassungen gestellt werden, gerecht zu werden. Herr Flügge nannte vorhin das Beispiel von den 39 überprüften Fällen. Ich kann mich aus meiner Praxis sehr wohl daran erinnern, mit einem Mandanten vor der Strafvollstreckungskammergestanden zu haben, wo dann gesagt wurde: Tja, ohne eine vernünftige Prognoseentscheidung, ohne eine vernünftige vorlaufende Behandlung, ohne Ausgänge, ohne Urlaub und ohne die Erprobung können wir heute nicht entscheiden. Herr Flügge, Sie wissen doch auch, dass es in einer solchen Situation keine Entscheidung der Kammer geben wird, sondern dieser Antrag wird zurückgenommen. Das einmal sauber aufzulisten – auch mit Hilfe der Justizvollzugsanstalten und nicht als Vorwurf, Herr Lange-Lehngut, sondern aus der Problemsituation heraus –, um diese Anforderungen mit einer reduzierten Personaldecke decken zu können, das geht, glaube ich, gar nicht mehr. Herr Geppert hat auch noch einmal gesagt: Wenn wir nicht anfangen, darüber nachzudenken, vielleicht sogar auch im Bereich der freien Hilfe Aufgabenverlagerungen vorzunehmen, um derartige Erprobungen im Vorfeld, in Vorbereitung auf die vorzeitige Entlassung durchzuführen, dann werden wir diese Standards nie erreichen können.

 

Vors. Gram: Danke schön, Kollege Ratzmann! – Ich stehe jetzt selbst auf der Redeliste und sage in aller Kürze – erstens, um einer Legendenbildung vorzubeugen, Frau Dott: Es war nicht Herr Diepgen, der Großbeeren versenkt hat, sondern das war Herr Wieland, und zwar hier in einer Ausschusssitzung. – [Abg. Ratzmann (Grüne): Großbeeren ist eine lebende Gemeinde!] – Okay! Ich konzentriere mich auf den Plan des Baus einer Haftanstalt. Ich habe dort als Sprecher der Union gesessen und erinnere mich noch sehr genau an diese denkwürdige Sitzung. Ich suche gern auch noch die Unterlagen heraus, wo sich Herr Wieland hier vorne wie ein Aal gewunden hatte, weil er nichts wusste und dann sagte – –  – – [Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)] – Es war so, verehrter Kollege Ratzmann. Das war eine Sternstunde, und das möchte ich festhalten, damit keine Legenden gebildet werden.

 

Eines muss auch gesagt werden: Herr Flügge war – zumindest nach meiner Kenntnis – immer für den Bau. Deshalb, Herr Flügge, gehen wir noch ein bisschen weiter als Kollege Ratzmann: Mit uns können Sie jetzt schon wegen des Baus einer neuen Haftanstalt sprechen; wir müssen nicht noch 30 Kautelen vorher erledigen. Wir sind dafür, dass diese Haftanstalt gebaut wird, weil wir sie zwar nicht als einzige, aber als eine entscheidende Lösung sehen. – Bitte, Frau Senatorin!

 

Frau Bm Schubert (Just): Nur, damit nicht noch irgendwo eine andere Antwort erwartet wird: Selbstverständlich ist Großbeeren von uns mit dem dafür notwendigen Personal angemeldet worden. Dass eine Anstalt nicht ohne zusätzliches Personal betrieben werden kann, ist uns klar. Das war auch Herrn Sarrazin klar, und selbst er hat daran nicht gerüttelt.

 

Vors. Gram: Das will etwas heißen. – Die Anzuhörenden haben sich die Fragen notiert. Frau Dott, wenn die eine oder andere Frage nicht beantwortet wird, bitte ich Sie, ein kurzes Stichwort zu geben. – Das Wort hat Herr Dr. Heischel. – Bitte sehr!

 

Herr Dr. Heischel (Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats): Zur ersten Frage von Herrn Meyer, ob ich glaube, dass diese Maßnahmen tatsächlich wirksame Mittel zur Überbelegung darstellen könnten. – Was den Glauben angeht: 100-prozentig, ja! Darüber hinaus halte ich es sogar für sehr wahrscheinlich, nur nicht für sicher. Ob es sicher ist, lässt sich herausbekommen, indem man die Situation analysiert. Dazu ist – nach meiner absoluten Überzeugung – nicht die Analyse von 39 Einzelfällen das geeignete Mittel, sondern die Analyse, wen und auf welche Art und Weise das betreffen würde.

 

Wir haben eine feststehende Anzahl von Vollstreckungen in den Berliner Haftanstalten und eine feststellbare Anzahl von Jahren, hinsichtlich derer die Freiheit entzogen wird. Ferner haben wir eine feststellbare Anzahl von mehr oder weniger sicherheitsrelevanten Gefangenen. Nach einer Information, die ich gerade in den letzten Tagen bekommen habe, die mich selbst erstaunte, sind Haftanstalten, wie die JVA Tegel, zu mindestens 60 % mit Gefangenen belegt, die Freiheitsstrafen von bis zu zwei bzw. vier Jahren absitzen. – Herr Lange-Lehngut weiß das vielleicht besser. – Bei Gefangenen, die Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren absitzen, kann man davon ausgehen, dass sie im Allgemeinen nur relativ wenig sicherheitsrelevante Straftaten begangen haben. Das heißt, diese Gruppierung kommt in besonderem Maß für zwei Drittel der Entlassungen in Frage. – 60 % von 1 600 sind relativ viel. Das bedeutet: Wenn Sie davon ausgehen, dass bei diesen Gefangenen vorzeitige Entlassungen möglich sind, wenn man sie vorher ordentlich vorbereitet, dann kommen Sie auf einen enormen Entlastungsfaktor. Davon bin ich überzeugt.

 

Was die Wartezeiten in Moabit angeht, die ich auch erwähnt habe: Ziehen Sie die sechs Monate von den Haftzeiten ab und rechnen Sie das um auf die Gesamthaftzeiten, wie ich sie ungefähr skizziert habe. Man muss da mit einem etwas statistischen und mathematischen Sachverstand herangehen; dann bekommt man heraus, womit man umgehen muss. – Das geht, da muss man nicht spekulieren.

 

Zu den Zweidrittelzahlen kann ich nur Folgendes sagen: Diese Zahlen, die ich genannt habe – ich sagte 8 % bis 9 % auf der einen Seite, nämlich in Berlin und 21 %bis 22 % im Bundesdurchschnitt –, sind absolut aktuelle Zahlen, die ich aus dem Bereich der Landesjustizverwaltung bekommen habe. Ob diese Zahlen statistisch valide zu betrachten sind, das heißt, ob sie vergleichbare Größen betrachten oder nicht, das weiß ich nicht hundertprozentig, denn ich habe nur diese Zahlen, über die die Landesjustizverwaltung selbst berichtet hat. Diese Zahlen sind aktuell, das heißt, sie bezeichnen auf jeden Fall die Größenordnung. Ob das nun 1 %, 2 % auf der einen Seite und auf der anderen Seite mehr oder weniger sind, darauf kommt es nicht an. – So viel zu diesen Zahlen. – Im Übrigen halte ich Zweidrittelentlassungen für ein geeignetes Mittel, die Sicherheit zu fördern und nicht zu minimieren. Jemand, der vorzeitig aus der Haft entlassen wird, hat wesentlich mehr Druck im Nacken, sich ordentlich zu verhalten als jemand, der sich in der Haftanstalt befindet, den Trott über sich ergehen lässt und nichts weiter zu befürchten hat, als dass er am letzten Tag entlassen wird.

 

Ich möchte noch anfügen: Die Praxis der Berliner Strafvollstreckungskammern ist relativ punktgenau und meiner Überzeugung nach gut. Sie wollen nämlich – entsprechend der Vorgaben des Kammergerichts –, dass man sieht, dass sich jemand geändert hat und nicht, dass jemand jeden Tag sein Betttuch gefaltet in die Ecke gelegt hat, was zum Beispiel in den südlichen Bundesländern oftmals das Kriterium für eine vorzeitige Entlassung ist. Sie wollen, dass jemand zeigt, dass sich irgendetwas, das vielleicht für sein künftiges Leben und seine Straffreiheit maßgeblich sein könnte, geändert hat. Was im Übrigen manchmal auch noch aufgefallen ist, das ist, dass die Strafvollstreckungskammern das sogar etwas weniger streng beurteilen als diejenigen Haftanstalten, in denen sich dann überhaupt zwei Drittel der Gefangenen „bewerben“. Sprich: Manchmal gibt es Negativbeurteilungen aus den Haftanstalten und positive Entscheidungen der Strafvollstreckungskammern, aber – wie Herr Ratzmann auch gesagt hat – immer abhängig davon, dass die Anstalt davor dafür gesorgt hat, dass es einen Vorlauf gibt, an dem man etwas erkennen kann – sprich: Eine Vorbereitung auf Arbeits-, Familien- und Sozialleben und möglichst Freigang mit offenem Vollzug. – Das ist im Wesentlichen das, was ich dazu sagen kann. Jedenfalls ließen sich sicherlich Zahlen darüber herausbekommen, welche Entlastungen das bringen würde.

 

Zur zweiten Frage, die von Herrn Dr. Felgentreu gestellt wurde, ob Privatisierung eventuell auch wirksam wäre, kann ich wenig sagen. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit den Realitäten des Vollzugs und nicht so sehr mit außerhalb liegender Vollzugspolitik. Ich habe mich mit dieser Frage natürlich auch schon beschäftigt und mir als ersten Eindruck die Frage gestellt: Was soll Privatisierung bringen? Wenn das eine Erleichterung für die unter staatlicher Regie stehenden Haftanstalten sein soll, dann ist es egal, wie billig eine zusätzliche Ausgabe ist. – Dass zusätzliche Ausgaben bewilligt werden, halte ich für relativ unwahrscheinlich.

 

Ihre dritte Frage, nach den Haftvermeidungsmöglichkeiten, bringe ich hauptsächlich in Zusammenhang mit der Erweiterung des Sanktionenkatalogs. Das ist eine Diskussion, die uns oder die Politik und die Gesellschaft weiterbringen kann. Ich höre übrigens manchmal auch von den Richterinnen und Richtern in Strafverfahren, wie sehr sie es bedauern, dass sie für Erwachsene nur zwei Instrumente zur Verfügung haben. – Danke!

 

Vors. Gram: Vielen Dank, Herr Dr. Heischel! – Bitte, Herr Lange-Lehngut!

 

Herr Lange-Lehngut (Leiter der JVA Tegel): Sie haben mir einen Strauß von Fragen vorgelegt – ich beginne mit dem Thema „hausgemacht“: Ist es hausgemacht, dass wir so wenige Leute in den offenen Vollzug verlegen konnten, obwohl doch noch Plätze vorhanden waren? – Meiner Meinung nach tun wir alles, was wir mit unserem Personal tun können, um das gewährleisten zu können. Es steht sogar in unserer Leitidee in Tegel: Wir wollen unsere Gefangenen möglichst früh in besondere Behandlungsbereiche – das ist im Allgemeinen der offene Vollzug – verlegen, weil sie dort die besseren Möglichkeiten haben, auch der Strafvollstreckungskammer vorgestellt zu werden. Aber diese Vorbereitungsmaßnahmen – Gewährung von Urlaub und Vollzugslockerung – setzen immer voraus, dass die Leute so vereinbarungsfähig sind, dass wir das riskieren können. Die Zahlen über die Missbrauchsfälle bei Urlaub und Vollzugslockerung sind im Promillebereich erfreulich: Trotz der ansteigenden Fallzahlen gibt es einen geringeren Missbrauch. Das beruht jedoch immer darauf, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gründlich und genau gucken und sich viele Gedanken darüber machen, ob es bei diesem oder jenem Gefangenen zu vertreten ist, ihn auf die Straße vor der Anstalt zu lassen. So kommt es in einzelnen Fällen auch immer wieder vor, dass wir die Leute aus dem geschlossenen Vollzug entlassen wollen, obwohl wir alle das nicht als die ideale Möglichkeit ansehen. – Nur, wenn man das nicht vertreten kann, kann man es nicht anders machen.

 

Die Einweisungsarbeit in der Anstalt ist in den letzten Jahren deutlich besser geworden. Die Einweisungsabteilung hat den Stau, der durch Krankheitsfälle und sonstige Ereignisse entstanden war, in der Zwischenzeit ordentlich abgebaut. Jedoch könnten die Einweisungsfälle durch mehr Personaleinsatz verkürzt werden, das heißt, die Leute könnten schneller in die Bereiche, in die sie gehören, gebracht werden, wenn dort Platz ist. Das nächste Problem ist, dass die Einweisungsabteilung eine Empfehlung abgibt, aber die Leute dort trotzdem nicht ankommen, weil in diesem Bereich gerade kein Platz frei ist. Diese Leute bleiben dann in der Warteschleife, ohne dass wir daran etwas ändern können.

 

Es ist nach den Vollzugsplänen gefragt worden, und ob diese denn richtig erstellt werden. – Ich gucke sehr darauf, dass die Vollzugspläne erstellt werden. Bei den Zielvereinbarungen, die ich mit meinen Mitarbeitern treffe, kann ich sagen: Wir befinden uns anstaltsweit immer jenseits der 90 % dessen, dass aktuelle Vollzugspläne geschrieben worden sind. Das ist à jour gehalten, und jeder weiß, dass das etwas ist, was uns ausgesprochen wichtig ist.

 

Wenn es mehr Arbeit in der Anstalt gäbe – ich habe schon vorhin gesagt, dass ungefähr 62 % der Gefangenen in Arbeit sind –, dann wäre das ein großer Vorteil, denn zu arbeiten bedeutet für die Zeit nach der In-haftierung zu lernen. – Ich muss das nicht näher erklären, denn es bedeutet immer etwas Gutes, wenn jemand arbeiten kann. – Aus meiner Sicht wäre es von da her positiv, wenn die Anzahl der Arbeitsplätze in der Anstalt erhöht werden würde. Wenn gesagt wird, dass noch mehr Leute in den offenen Vollzug verlegt werden sollten, dann muss ich dem eine Zahl entgegenhalten, die ich interessant finde, aber zeigt, dass der Berliner Vollzug zum Teil ein geschlossenes System ist, in dem sich jede Entscheidung auswirken kann. Die JVA Tegel – ich kann das nur für diese Haftanstalt sagen – speist sich, was die Gefangenen anbelangt, zu 45 % aus dem offenen Vollzug. 45 % der Gefangenen, die bei uns in Tegel anlanden, kommen nicht aus Moabit, sondern aus den offenen Anstalten. Dort werden sie abgelöst, und zwar nicht etwa, weil sie einmal ein bisschen zu spät gekommen sind, sondern weil dort wieder gravierende Vorkommnisse stattfanden. Ich will sagen: Jeder, der nur eine kurze Freiheitsstrafe zu verbüßen hat – – Ob bei uns 60 % aller inhaftierten Leute nur zwei bis vier Jahre Strafe zu verbüßen haben, weiß ich aus dem Stand nicht, aber dort unvorsichtig zu sein und zu sagen, wir verlegen einfach mit leichter Hand in den offenen Vollzug, das führt nicht dazu, dass diese Leute dann im offenen Vollzug bleiben, sondern die werden dann über kurz oder lang wieder abgelöst und zu uns in die Anstalt zurückgebracht.

 

Herr Dr. Heischel (Vorsitzender des Berliner Vollzugsbeirats): Zu der Zahl, die Sie in Ihrem Papier genannt haben: Sie sagten, 45 % kommen aus dem offenen Vollzug – [Herr Lange-Lehngut: Genau!] –, dann denkt man, 45 % der 1 600 kommen aus dem offenen Vollzug.

 

Herr Lange-Lehngut (Leiter der JVA Tegel): Ja, natürlich, das ist so! 45 % der Leute kommen aus dem offenen Vollzug. – In manchen Monaten sind es deutlich mehr, und in manchen Monaten sind es weniger, aber im Durchschnitt sind 45 % aus dem offenen Vollzug.

 

Vors. Gram: Herr Lange-Lehngut! Diese Zahl löst Verwunderung in den Reihen aus. Vielleicht können Sie das noch verifizieren. Wir alle haben das nicht gewusst. Auch mich überrascht es sehr, aber ich möchte nicht an ihren Worten zweifeln.

 

Herr Lange-Lehngut (Leiter der JVA Tegel): Das dürfen Sie gern, aber ich möchte Ihnen noch einmal die Zahlen vorstellen. Ich habe mir eine Aufstellung machen lassen, für die Zeit von November 2003 bis Februar 2005. Nach dieser Aufstellung sind insgesamt 1 873 in der JVA Tegel aufgenommen worden, von denen 842 Personen – das entspricht 45 % – aus dem offenen Vollzug gekommen sind, weil sie dort entweder als ungeeignet galten oder Vorkommnisse verursachten. – [Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)] – Ja! Ich sage nur, dass wir eine Vielzahl von Gefangenen haben, die aus dem offenen Vollzug kommen. Wenn man dann großzügiger ist, was man nicht sein darf, weil die Vorschriften nach § 10 und § 11 Abs. 2 sehr deutlich sind, unter welchen Voraussetzungen man Risiken eingehen darf, dann würde man die Anzahl derer, die aus dem offenen Vollzug zu uns kommen, vergrößern. Ich habe vorhin gesagt, dass die Anzahl der Inhaftierten in unserer Anstalt in den letzten sechs Wochen von 1 750 auf 1 693 zurückgegangen ist. Das ist eine erhebliche Anzahl, die zum einen auf den Maßnahmen nach § 455a beruht, aber auch darauf, dass ein Haus der JVA Plötzensee nunmehr als geschlossener Vollzug ausgewiesen ist und wir Leute nach Plötzensee verlegt haben. Ich will sagen: Diese Tendenz wird nicht auf Dauer so anhalten, dass man sagt: Na ja, wenn diese Tendenz so anhält und weitergeht, dann werden wir in einigen Jahren nur noch wenige Gefangene in Tegel haben. Irgendwo wird das dann ein Ende haben, so dass ich, wenn ich mir die Entwicklung der Gefangenenzahlen in den letzten eineinhalb Jahrzehnten und der gesetzgeberischen Maßnahmen vor Augen halte, zu dem Ergebnis komme, dass wir mittel- und langfristig an dem Neubau einer Vollzugsanstalt nicht herumkommen werden.

 

Vors. Gram: Danke, Herr Lange-Lehngut! – Waren Sie mit Ihren Ausführungen fertig? Ich möchte Ihnen nicht das Wort abschneiden.

 

Herr Lange-Lehngut (JVA Tegel): Ich würde gern noch schnell einige Punkte erwähnen. – Herr Heischel sprach von der Ausweitung der § 45a-Maßnahmen. Von den § 456-Maßnahmen kann ich nur sagen: Aus Sicht des Anstaltsleiters bin ich immer einverstanden, wenn die Belegung der Anstalten zurückgeht. – Was die Haftvermeidung betrifft, so bin ich der Ansicht, dass Herr Flügge das Wesentliche gesagt hat. Jedenfalls würde mir auf der Ebene des Berliner Vollzugs nichts einfallen, was da noch gemacht werden könnte.

 

Herr Ratzmann sagte zum Schluss, ich solle sagen, ob die personellen Möglichkeiten ausreichend seien und fragte, ob es möglich wäre, wenn man das ausreichende Personal hätte – so habe ich Sie verstanden –, die Leute noch besser auf eine vorzeitige Entlassung vorzubereiten. – Ich möchte das gesetzlich nicht ausschließen, aber halte es auf Grund der Erfahrungen – auch bei der Überprüfung dieser 39 Fälle, von denen 10 aus Tegel waren – nicht für sehr wahrscheinlich, dass man dort noch mehr bewirken könnte – ich weiß es nicht genau.

 

Vors. Gram: Danke sehr! – Herr Geppert, bitte!

 

Herr Geppert (Freie Hilfe Berlin e. V. Tegel): Diese Unklarheiten bestätigen zumindest, dass wir erst einmal überlegen sollten, die Situation hinsichtlich der Frage, ob man nun ein neues Gefängnis baut oder nicht, analysieren und untersuchen zu lassen, ob überhaupt eine Notwendigkeit dafür besteht. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass ich mit meinen Behandlungsmaßnahmen über Nacht 500 Gefangene weniger zaubern kann, aber Tatsache ist, dass in der Vergangenheit immer eine Zusammenarbeit stattgefunden hat – vor allem mit der JVA Tegel. Dabei ist festzustellen, dass die Justizvollzugseinrichtungen mit ihrem in den letzten Jahren sinkenden Personal einer steigenden Anzahl von Gefangenen gegenüberstanden und dass auch Personal für andere Teilbereiche von Anstalten, die eröffnet wurden – ich denke nur an die Umwidmung der JVA Charlottenburg von der Frauen- in eine Männerhaftanstalt –, aus Tegel wegging. – Ich bin auf dieses Thema angesprochen worden, ansonsten hätte ich dazu nichts gesagt. – Ich glaube nicht, dass das Personal für Großbeeren von der grünen Wiese kommen wird. Eher wird es so sein, dass das Personal – wie es auch in der Vergangenheit gehandhabt wurde – aus der JVA Tegel abgezogen wird. Sämtliche Bemühungen der Kollegen in Tegel, den dortigen Standard noch aufrechtzuerhalten, werden dann gegen Null fahren. – [Zuruf] – Ja, das ist eine Mutmaßung, aber das legt auch nahe, dass vielleicht einmal geguckt wird, woran das liegt. Es ist so, dass die JVA Tegel – auch darüber sind wir uns einig – die Leute nicht einfach so, auf blauen Dunst, in den offenen Vollzug schickt, sondern – im Gegenteil –, dass sie sich das sehr schwer macht. In Tegel gibt es eine monatelange Warteliste von Gefangenen, die darauf warten, in den offenen Vollzug abfließen zu können. – Die Zahlen liegen mir nicht vor; das ist die persönliche Ebene mit den 39 Fällen, über die wir in unserem Vollzugsbeirat auch mit Herrn Lange-Lehngut gesprochen haben. – Man sollte es doch einmal darauf ankommen lassen, das unabhängig zu untersuchen und nicht, dass wir so sagen oder die JVA Plötzensee sagt so, und die Senatsverwaltung sagt so, sondern dass einmal eine unabhängige Person kommt und guckt, was denn dort überhaupt läuft und was nicht läuft. Wenn man das gemacht hat – selbst wenn dabei das Gegenteil herauskommt –, könnte man eine 100-prozentige Zustimmung für Großbeeren bekommen.

 

Vors. Gram: Vielen Dank, Herr Geppert, für Ihr kurzes Statement! – Wenn ich in die Gesichter der Kollegen schaue, dann sehe ich, dass der Aufmerksamkeitspegel jetzt ausgereizt ist. – Ich danke Ihnen Dreien sehr herzlich! Es kann durchaus sein, dass wir noch einmal auf Sie zurückkommen werden, wenn das Wortprotokoll vorliegt. Ich gehe davon aus, dass Sie dem Ausschuss dann noch einmal Rede und Antwort stehen werden. – Sie sind hiermit mit Dank entlassen. Ich wünsche Ihnen einen guten Heimweg. Wenn Sie möchten, dann sind Sie aber auch herzlich eingeladen, sich noch den Rest dieser Sitzung anzuhören. – Ich erkläre diesen Tagesordnungspunkt für heute für erledigt.

 

Punkt 3 der Tagesordnung

Besprechung gem. § 21 Abs. 5

(neu § 21 Abs. 3) GO Abghs

"Neubau Justizvollzugskrankenhaus in Plötzensee –

Stand der Planungen"

(auf Antrag der Fraktion der CDU)

 

0190

 

 

Wird vertagt.

 

Punkt 4 der Tagesordnung

Antrag der Fraktion der SPD und

der Fraktion der PDS

Veränderung der Einsetzung von Ausschüssen

Drs 15/3702

– Vorabüberweisung –

0226

 

 

 

 

Siehe Inhaltsprotokoll.

 

Punkt 5 der Tagesordnung

Verschiedenes

 

 

Siehe Beschlussprotokoll.

 

 

 

Ausschuss-Kennung : Rechtgcxzqsq