Frau Vors. Weißbecker: Wir kommen zum vorgezogenen

 

Punkt 2 der Tagesordnung

 

a)

Antrag der Fraktion der FDP

Gesetzentwurf zur „Bekämpfung der Zwangsheirat"

im Bundesrat unterstützen

Drs 15/3274

0252

ArbBFrau

+Recht(f)

 

 

   b)

Besprechung gemäß § 21 Abs. 5 GO Abghs

Zwangsverheiratungen in Berlin

(auf Antrag der Fraktion der Grünen)

0147

ArbBFrau

 

 

Ich nehme an, dass ein Wortprotokoll gefertigt werden soll? – Das ist der Fall.

 

Ich begrüße die dazu eingeladenen Mitglieder des Ausschusses für Gesundheit, Soziales, Migration und Verbraucherschutz und des Ausschusses für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Immunität und Geschäftsordnung. Dann begrüße ich sehr Frau Senatorin Schubert. Wenn Frau Senatorin uns um 10.45 Uhr verlässt, stehen uns noch Herr Abteilungsleiter Kliem und Herr Referent Gaßler zur Verfügung. – Wir beginnen mit der Begründung zu TOP 2 a) durch die Fraktion der FDP. – Frau Senftleben, bitte!

 

Frau Abg. Senftleben (FDP): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Meine Herren! Meine Damen! Ich freue mich sehr, dass dieser Ausschuss der Anregung der FDP-Fraktion gefolgt ist und das Thema Zwangsheirat schnell auf die Tagesordnung gesetzt hat – verbunden mit einer Anhörung am heutigen Tag. Das Thema ist hochaktuell und brisant. Zwangsverheiratung ist eine Menschenrechtsverletzung und kommt täglich vor – das wissen wir. Allerdings wird dieses Thema verschwiegen, im Grunde sogar verharmlost. Zum Ausmaß: Das können wir schwer beziffern. In Berlin hat man Erhebungen gemacht – im Jahr 2003, glaube ich, da spricht man von 230 Fällen. In Stuttgart hat man Beobachtungen durchgeführt, dass in einem Wohnprojekt sich pro Monat ungefähr zehn junge Frauen oder Mädchen dort einfinden, um Schutz zu suchen. Experten sprechen allerdings von einer wesentlich höheren Dunkelziffer und vor allem auch von einer Zunahme von Zwangsheirat.

 

Zwangsheirat selbst ist das Ergebnis alter Traditionen, und gerade in der heutigen Zeit ist mir wichtig, zu betonen, dass sich die Zwangsehen nicht ausschließlich auf den islamischen Kulturkreis beschränken. Es sind auch Fälle aus Sri Lanka, aus Griechenland sowie aus Süditalien bekannt. In Deutschland allerdings betrifft das viele türkische Frauen. Das erscheint mir auch logisch: Sie stellen die größte Gruppe der Migrantinnen dar. Die Folgen von Zwangsverheiratungen sind dramatisch: Die Schulausbildung der Mädchen wird oft abgebrochen, sie werden häufig sexuell ausgebeutet, sind finanziell abhängig von ihrem Ehemann – kurz: Sie können über ihr eigenes Leben nicht eigenverantwortlich entscheiden. – Dieses spricht eindeutig gegen unsere Verfassung, und es spricht auch gegen das Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen, in dem eine freie Partnerwahl und ein selbstbestimmtes Leben garantiert wird.

 

Wie gehen wir also mit der Tatsache um, dass diese moderne Form der Sklaverei, wie sie in den Vereinten Nationen einmal definiert wurde, in einer aufgeklärten freien Gesellschaft immer noch auf der Tagesordnung steht? Wie gehen wir damit um, dass sich junge Frauen aus Angst vor Racheakten sowie psychischer und physischer Gewalt durch ihre Familie gar nicht oder wenn erst nach Jahren wehren? – Wir haben heutzutage ein Nötigungsdelikt – das kann auch bestraft werden. Allerdings passiert das so gut wie nie. Die Praxis zeigt also, dass die rechtlichen Instrumente nicht ausreichen.

 

Zu unserem Antrag: In unserem Antrag fordern wir den rot-roten Senat auf, sich der Gesetzesinitiative aus Baden-Württemberg anzuschließen. FDP-Justizminister Goll aus Baden-Württemberg hat im September/Oktober einen Gesetzentwurf mit dem schönen Titel: „Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat“ vorgelegt – das so genannte Zwangsheiratsbekämpfungsgesetz. Ziel ist, die Zwangsheirat wirksamer zu bekämpfen sowie die Rechtsstellung der Opfer zu stärken. Zwangsheirat wird hier unmissverständlich unter Strafe gestellt, um so die betroffenen Frauen und Mädchen besser zu schützen. Der Entwurf sieht die Einführung eines eigenen Straftatbestandes „Zwangsheirat“ vor. Auf diese Weise wird der Unrechtscharakter eindeutig herausgestellt. Künftig soll also derjenige mit einer Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden, der einen anderen mit Gewalt oder durch Drohung zur Ehe zwingt oder nötigt. Mit einem Straftatbestand wird der Öffentlichkeit deutlich signalisiert: Die Zwangsheirat wird in Deutschland entschieden missbilligt. – Zusätzlich werden zivilrechtliche Änderungen vorgenommen. Dazu werden wir sicherlich gleich noch weitere Informationen erhalten.

 

In unseren Köpfen muss ein Umdenken stattfinden! Dazu werden gesetzliche Änderungen nicht ausreichen, das ist uns durchaus bewusst. Maßnahmen zur Betreuung, Maßnahmen zur Sensibilisierung und Information sind wichtig – Stichwort: Prävention. Aber auch die islamischen Organisationen in unserer Stadt sollten sich dieser Thematik annehmen, sollten es öffentlich machen, sollten es diskutieren. Eine gesetzliche Regelung ist jedoch Voraussetzung für ein Umdenken in den Köpfen der Menschen. Und wie es in der Stellungnahme von Papatya heißt: Das Gesetz soll ein Signal sein, um Betroffene zu stärken, sich gegen Zwangsverheiratung zu wehren. Der Staat muss deutlich herausstellen, dass wir die Zwangsheirat als Straftat und schweres Unrecht ansehen. Eine Zwangsheirat lässt sich eben nicht rechtfertigen – weder aus religiösen noch aus patriarchalisch-traditionellen Gründen. Die Praxis zeigt: Die bisherigen Instrumente reichen nicht aus. Daher begrüßen wir ausdrücklich die Gesetzesinitiative des Landes Baden-Württemberg und würden uns sehr freuen, wenn sich dieser Senat ihr anschließen würde. – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Senftleben! – Wir kommen zur Begründung des TOP 2 b) durch die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Frau Dr. Klotz, bitte!

 

Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): Schönen Dank, Frau Vorsitzende! – Ich verzichte jetzt darauf, zu sagen, wer als allererstes sich dem Thema gewidmet hat. Denn ich gehe davon aus, Frau Senftleben, dass alle hier im Ausschuss die Zwangsheirat als ein abscheuliches Verbrechen und eine abscheuliche Form von Gewalt gegen Frauen empfinden und dass wir hier alle zusammengekommen sind, um sowohl danach zu suchen, was die besten juristischen Maßnahmen sind als auch die Maßnahmen, die außerhalb des juristischen Bereichs geeignet sind, um vor allem die Opfer zu schützen.

 

Ich möchte einige Bemerkungen anfügen: Als allererstes will ich sagen, dass bei mir persönlich der Meinungsbildungsprozess noch nicht endgültig abgeschlossen ist, ob ein eigenständiger Straftatbestand sinnvoller ist als das, was jetzt Rot-Grün in den Bundesrat eingebracht hat, das als einen schweren Fall der Nötigung einzustufen. Ich erhoffe mir von den Expertinnen und Experten heute, dass sie dazu etwas sagen und auch, dass sie mir helfen, in diesem Meinungsbildungsprozess einen Schritt weiter voranzukommen. Weil ich nicht glaube, dass das alles so einfach ist und dass mit der Initiierung eines eigenen Straftatbestandes die Probleme gelöst sind, will ich noch ein paar Themen hinzufügen, wo ich mir auch erhoffe, dass diese Anhörung Aufschluss bietet.

 

Egal, wofür man sich entscheidet, ob Baden-Württemberger Lösung oder die Änderung, die Rot-Grün im Bund eingebracht hat und die jetzt im Bundesrat liegt, glaube ich, dass wir uns ganz dezidiert mit dem Thema Aufenthaltsrecht befassen müssen, wenn wir wirklich etwas gegen Zwangsverheiratungen tun wollen. Denn das ist, finde ich, eines der größten Probleme, selbst wenn diese Zwangsverheiratungen nicht stattfinden – und das tun sie zu großen Teilen ja nicht –, dass die Frage ist, ob die Personen, die betroffen sind, dann auch ein Rückkehrrecht in die Bundesrepublik Deutschland haben. Ob sie einen Aufenthaltsstatus bekommen, ist eine Frage, die geklärt werden muss. Also: Aufenthaltsrecht, Ausländergesetz § 19, im Zusammenhang damit eigenständiges Aufenthaltsrecht der Ehefrau, ist für mich ein ganz zentrales Thema.

 

Und ein zweites zentrales Thema, zu dem ich mir auch Aufschluss erhoffe, ist, wie mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz auch Personen erreicht werden können, die möglicherweise das 18. Lebensjahr schon vollendet haben und dann eigentlich nicht mehr Hilfen und Unterstützung bekommen würden. Das ist ein zweiter Themenbereich, wo ich mir Aufschluss erhoffe.

 

Ein dritter Themenbereich  – Schutzräume: Ich glaube, das geht in letzter Zeit ein bisschen unter, dass wir für betroffene Personen insbesondere dafür sorgen müssen, dass Schutzräume angeboten werden, und zwar – das sage ich dezidiert – nicht nach Tagessätzen – die im Übrigen auch nicht Halt machen an den Berliner Grenzen, und auch dazu erhoffe ich mir Aufschluss.

 

Insofern freue ich mich, dass die Debatte über die juristische Seite, die wir heute führen, mit der Anhörung zusammentrifft. Es ist zwar nicht die erste Anhörung, die zu dem Themenfeld stattfindet, ich glaube aber, dass es insbesondere Berlin gut ansteht, dass wir hier ein Signal aussenden, dass wir hier Problemlösungen finden, und denke, dass wir da noch gezielt Fragen nachfragen können.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Dr. Klotz! – Dann möchte ich unsere Anzuhörenden begrüßen: Das ist der Senatsbeauftragte für Integration und Migration, Herr Piening, Frau Plathe vom Landeskriminalamt, Frau Alpbek vom Migrationsbeirat, Frau Rechtsanwältin Ateş, Frau Kultus von Papatya und Herrn Dr. Brand, Referent für Rechtspolitik in der Landesvertretung Baden-Württemberg. Ich schlage vor, dass wir mit Frau Senatorin Schubert beginne, und gebe ihr das Wort. – Bitte!

 

Frau Bm Schubert (Just): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! – Meine Damen und Herren Abgeordneten! Sehr geehrte Gäste! Wir freuen uns sehr, dass es einen Vorstoß gibt, die Zwangsheirat mit einem eigenen Straftatbestand zu versehen. Uns liegen zwei verschiedene Gesetzentwürfe vor: einmal die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg und dann der Gesetzentwurf zum Menschenhandel – Strafrechtsänderungsgesetz genannt –, den die Bundestagsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen eingebracht haben.

 

Berlin hat sich bereits selbst in das Geschehen eingeschaltet, indem es zu dem baden-württembergischen Antrag eine Verschärfung eingebracht hat – einen Antrag, den ich gleich noch näher erläutern werde, wenn ich mich mit den beiden vorliegenden Gesetzesanträgen auseinander gesetzt habe, der aber leider im Bundesrat keine Mehrheit gefunden hat.

 

Wir ziehen dem Gesetzentwurf der Bundestagsfraktionen denjenigen von Baden-Württemberg vor, und zwar aus folgenden Gründen: Der von Rot-Grün eingebrachte Antrag ist nur ein Anhängsel zum Strafrechtsänderungsgesetz, ist also nur ein Teil des so genannten Menschenhandelvorwurfs. Wir sind der Auffassung, dass die Zwangsheirat weitergehende Folgen hat – nicht nur auf strafrechtlicher Seite, sondern auch zivilrechtliche Folgen, die ebenfalls geregelt werden müssen, wenn man der Zwangsheirat mit besseren Mitteln beikommen möchte als bisher. Zwar ist Zwangsheirat auch heute strafrechtlich relevant und ist ein Straftatbestand, aber es ist ein „zahnloser Tiger“, wie man weiß. Ob die vorliegenden Gesetzesanträge und der Gesetzentwurf dem besser beikommen können, das muss erst die Praxis erweisen. Ich finde es aber auf jeden Fall richtig, dass wir ein Zeichen setzen auch an diejenigen, die sich bisher nicht trauen, aus ihrem Kultuskreis herauszukommen und Anzeige zu erstatten, wenn sie Opfer von Drohungen, von Nötigungen, von Zwangsheirat geworden sind. Insofern stimme ich Baden-Württemberg bei, die dies ja auch als ein Zeichen an die entsprechenden Kreise verstanden wissen wollen.

 

Der Gesetzesentwurf der beiden Bundestagsfraktionen hat einen höheren Strafrahmen als der baden-württembergische Antrag. Bei dem Gesetzentwurf der Fraktionen ist eine Strafe von sechs Monaten bis fünf Jahre vorgesehen, und Baden-Württemberg sieht drei Monate bis fünf Jahre vor. Wir haben als Berlin als Änderungsantrag zu dem baden-württembergischen Antrag vorgeschlagen, dass man einen Strafrahmen von einem Jahr bis zu fünf Jahren vorsieht, weil wir sagen, der Unrechtsgehalt, der mit der Zwangsheirat verbunden ist – sprich: ständig wiederkehrende Vergewaltigung, ständige Ausbeutung als Folge der Zwangsheirat – ist von seinem Schuldgehalt so groß, dass man ihm dem Schuldgehalt des Menschenhandeltatbestandes gleichstellen müsste, der in dem Strafrechtsänderungsgesetz der Fraktionen ja ebenfalls mit einem Jahr bis zu fünf Jahren bedacht ist. Wir glauben, dass Zwangsheirat ein besonderer Tatbestand des Menschenhandels ist, mit weitreichenderen Folgen als der Menschenhandel als solcher, und sehen diesen deswegen nur als Grundtatbestand an.

 

Wir haben als Land Berlin den Baden-Württemberger Antrag bereits unterstützt im Rechtsausschuss des Bundesrats. Und am Freitag dieser Woche sollte ursprünglich ja dieser Entwurf im Plenum verabschiedet werden – das hat der Rechtsausschuss mit Mehrheit hauptsächlich der B-Länder verhindert. Bayern hatte einen Antrag auf Vertagung gestellt; diesem Antrag ist mit Mehrheit zugestimmt worden. Die einzigen Länder, die dagegen gestimmt haben, dass diese Zwangsheirat jetzt im Umfang des Baden-Württemberger Antrags nicht zur Sprache kommt, waren Baden-Württemberg, Berlin und Schleswig-Holstein. Das war die drei einzigen Länder, die gesagt haben: Wir haben jetzt einen Handlungsbedarf, wir müssen jetzt an die Geschichte ran, und es ist Zeit, dass hier ein Zeichen gesetzt wird. – Auch das muss man einmal sehen. Deswegen ist im Grunde genommen der uns hier vorliegende Antrag der FDP-Fraktion des Abgeordnetenhauses, Berlin solle sich hier beteiligen, insofern erledigt, weil wir uns längst beteiligt haben, schon bevor es diesen Antrag gegeben hat. Wir waren selbst einsichtig.

 

Bei der zivilrechtlichen Seite – ich weiß nicht, ob sie hier heute auch zur Debatte steht – sind wir mit einigen Regelungen einverstanden. Bei anderen Regelungen haben wir noch Bedenken, beispielsweise soll es auch im Fall der durch Drohung bewirkten Zwangsheirat keine Antragsfrist mehr geben – das ist ja das Anliegen von Baden-Württemberg. Da sind wir der Meinung, dass die Antragsfrist sehr wohl Sinn macht, weil es auch Verlaufe einer Ehe, die durch Zwang, Nötigung, Drohung zu Stande gekommen ist, den Fall geben kann, wo nach einer gewissen Zeit eine Beruhigung eintritt. Und dann gibt es die normalen Möglichkeiten der Scheidung, wobei mir durchaus bewusst ist, dass die mit der Scheidung verbundene Jahresfrist, innerhalb derer man getrennt leben muss, in bestimmten Kulturkreisen schon deswegen gar nicht einzuhalten ist, weil es hier eben immer wieder zu ernötigtem Beischlaf kommt und dann die Beweislast, man lebe ein Jahr getrennt, doch sehr, sehr schwierig ist. Also, wir sind da noch ambivalent, muss ich sagen.

 

Der Unterhaltsanspruch zu Gunsten des bedrohten Ehegatten soll nach den Baden-Württemberger Vorstellungen ja auch dann bestehen, wenn der andere Ehegatte nichts von der Drohung wusste. Das halte ich für vernünftig, denn in dem Fall, wo eine Ehe aufgehoben wird, sind ja auch Abhängigkeitsverhältnisse eingetreten, die durchaus dazu führen können, dass derjenige, der sich aus der Ehe per Aufhebung löst, weiterhin einen Unterhaltsanspruch hat.

 

Dann gibt es den dritten Vorstoß von Baden-Württemberg – das Ehegattenerbrecht soll auch im Fall der durch Drohung bewirkten Zwangsheirat immer ausgeschlossen sein, das heißt, unabhängig davon, ob zu Lebzeiten des Erblassers ein Aufhebungsantrag gestellt wird: Da ist Berlin der Auffassung, hier noch aufzusatteln, weil wir glauben, dass dann, wenn der Erbrechtsanspruch des Ehegatten ausgeschlossen ist, in der Regel diejenigen erben, nämlich die Eltern des verstorbenen Ehegatten, die möglicherweise die Drohung, die Nötigung zur Zwangsheirat selbst vorgenommen haben. In diesen Fällen, wo feststeht, dass der nötigende, nicht der begünstigte, Ehepartner in der Regel ja der Mann ist, sondern die Eltern, kann es nicht angehen, dass denjenigen, die die eigentliche Straftat begangen haben, dann der Erbrechtsanspruch zufällt, nur weil die erbrechtliche Regelung das so vorsieht. Also, da sind wir der Meinung, dass da noch aufgesattelt werden müsste.

 

Ansonsten, denke ich, ist dem Baden-Württemberger Antrag nichts hinzuzufügen. Wir haben die beiden Verschärfungen von Berlin versucht durchzubekommen – wir haben keinen Erfolg gehabt. Vielleicht kann man das noch einmal wiederholen, wenn der Strafrechtsänderungsgesetzentwurf zu § 180 StGB – sprich: Menschenhandel – mit der Zwangsheirat in die Ausschüsse kommt, dass wir dann mit unserem Begehren dort noch einmal Gehör finden. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Senatorin! – Herr Senator Wolf, bitte!

 

Bm Wolf (WiArbFrau): Besten Dank! – Ich möchte neben der juristischen Würdigung, die Frau Schubert vorgenommen hat, noch einige Aspekte ergänzen: Wenn wir gemeinsam zu der Auffassung kommen, dass Zwangsheirat ein besonderer Straftatbestand ist und damit auch noch mal in besonderer Art geächtet werden soll, müssen wir uns natürlich auch um die Rahmenbedingungen kümmern, damit dieser Straftatbestand nicht ins Leere geht. Hier müssen wirklich die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass diese strafrechtliche Bestimmung den betroffenen Frauen auch wirklich nutzt, von ihnen auch genutzt werden kann.

 

Frau Klotz hat schon einige Themen angesprochen. Ein ganz wesentliches Thema sind die aufenthaltsrechtlichen Fragen. Da müssen die Rahmenbedingungen geändert werden, dass bei Frauen, die von Zwangsheirat betroffen sind und sich zum Beispiel in der Türkei zwangsweise aufhalten, in diesem Zeitraum der Aufenthaltstitel, den sie mal in der Bundesrepublik Deutschland erworben haben, nicht verwirkt wird, oder im umgekehrten Fall, dass, wenn sie sich in der Bundesrepublik aufhalten, dann, wenn die Zwangsheirat aufgelöst wird, es ein eigenständiges Aufenthaltsrecht gibt und damit der aufenthaltsrechtliche Status hier gesichert wird und die Frauen dann auch an dieser Stelle einen etwas gesicherten Hintergrund haben, wenn sie den Sachverhalt öffentlich machen, sich an Beratungsstellen wenden oder Ähnliches. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir noch Handlungs- und Klarstellungsbedarf. Wir haben für die Sitzung, die im Dezember stattfindet, für den runden Tisch zum „Aktionsplan gegen häusliche Gewalt“ eine Handlungsempfehlung an die Innenverwaltung formuliert, damit Ermessensspielräume im Interesse der Betroffenen besser genutzt werden können.

 

Weitere Themen: Im Zusammenhang mit Schutzräumen und der Sicherung von Frauen, die das Thema öffentlich gemacht haben, vor Verfolgung von Ehepartnern, von Verwandten o. Ä., ergibt sich natürlich auch die Frage: Wie kann gesichert werden, dass ihre Daten nicht bekannt werden? – Das fängt häufig damit an, dass zum Beispiel ihre Ausweispapiere von Eltern oder Verwandten aufbewahrt werden und deshalb bestimmte Ansprüche gar nicht geltend gemacht werden können. Dann müssen Meldesperren entsprechend sicher geregelt werden muss. Wir haben auch häufig noch die Situation, dass bei jungen Volljährigen der besondere pädagogische Betreuungsbedarf nach dem KJHG nicht anerkannt wird und sie damit in den Bereich des Sozialhilferechts fallen, nicht mehr vom Mädchennotdienst betreut werden können und gleichzeitig sie für die Beantragung von Sozialhilfe Einkommensnachweise der Eltern etc. bedürfen. Ich glaube, an dieser Stelle gibt es eine ganze Menge flankierenden Handlungsbedarf, damit eine solche begrüßenswerte strafrechtliche Änderung oder Klarstellung nicht ins Leere geht. Insofern erhoffe ich mir aus der Anhörung und aus dem, was hier von den Beratungsstellen und von Seiten des Integrationsbeauftragten formuliert wird, auch noch mal eine Reihe von Anregungen, und wir sollten sehen, dass wir das in vernünftige flankierende Maßnahmen umsetzen, soweit wir das im Landesrahmen regeln können bzw. dann ggf. sehen können, inwieweit wir auch bundesrechtlich Rahmenbedingungen ändern können und ändern müssen.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Senator! – Dann beginnen wir jetzt mit den Stellungnahmen der Anzuhörenden. – Herr Piening, bitte!

 

Herr Piening (Senatsbeauftragter für Integration und Migration): Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Zu der rechtlichen Frage, wie die beiden Gesetzentwürfe zu bewerten sind, ist schon viel gesagt worden. Ich glaube, beide Entwürfe haben ihre Stärken, sie haben ihre Schwächen. Eine zentrale Schwäche hat Senator Wolf gerade gesagt. Die Position der Opfer wird meines Erachtens in beiden Entwürfen zu wenig berücksichtigt, vor allen Dingen die aufenthaltsrechtliche Position. Deswegen wäre es aus unserer Sicht, auch aus unserer Beratungserfahrung, sehr wichtig, dass hier darüber nachgedacht wird, dass in das Gesetzesverfahren ein Aspekt eingebracht wird, dass Frauen, die in das Ausland verbracht worden sind, ihren Aufenthaltstitel nicht verlieren, sondern ihn wiedergewinnen.


Bei der Rechtsposition der Opfer bezieht ein zweiter Aspekt auf die Opfer von Zwangsverheiratungen, die hier sind, deren Aufenthaltsrecht noch am Aufenthaltstitel des Ehepartners oder der Ehepartnerin hängt. Sie wissen, das eigenständige Aufenthaltsrecht erhält man erst nach einer gewissen Übergangszeit. Wir haben in der Praxis in Berlin häufig Konflikte, wo die Betroffenen gegenüber der Ausländerbehörde ihre familiäre Situation sehr stark nachweisen müssen, um ein eigenständiges Aufenthaltsrecht im Rahmen einer Härtefallregelung, die das Gesetz vorsieht, zu bekommen. Ich begrüße darum sehr, dass der runde Tisch in kommenden Woche auf seiner Sitzung eine Beschlussvorlage vorliegen hat, in der die Innenverwaltung gebeten wird, dass im Rahmen der Anwendungshinweise zum Zuwanderungsgesetz, insbesondere zu § 31, der das eigenständige Aufenthaltsrecht regelt, dass hier klare Weisungen von Seiten der Innenverwaltung kommen, wie diese Härtefallregelung zu interpretieren ist, damit die Frauen, die ein eigenständiges Aufenthaltsrecht brauchen, dieses auch sehr unkompliziert bekommen können. Das sind zwei sehr wichtige Aspekte, die in der aktuellen Rechtsdebatte stärker berücksichtigt werden müssen, wenn wir wollen, dass die aufenthaltsrechtliche Position von Frauen gestärkt wird.

 

Neben dem strafrechtlichen Schutz scheint mir ein Aspekt sehr wichtig zu sein, der häufig in der aktuellen Debatte übersehen wird. Wir machen bei uns in der Beratung – an uns wenden sich Mädchen und Frauen – die Erfahrung, dass die Zahlen höher werden. Es wurde zu Recht gesagt, dass es zu wenig belastbare Zahlen gibt. Wir merken, dass die Zahl der Beratung Suchenden höher wird, aber – und das ist sehr interessant –, dass sich das vor allen Dingen auf junge Mädchen und Frauen bezieht, die eine von den Eltern geplante Ehe nicht eingehen wollen, die praktisch vor einer Zwangsverheiratung stehen und jetzt eine Beratung und einen Ansprechpartner suchen: Wie kann ich dieses bewältigen? Welche Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten habe ich, ohne unbedingt zu 100 % mit meinen Eltern zu brechen? – Das ist eine positive Entwicklung. Insofern ist in diesen Zahlen eine positive Entwicklung festzustellen. Mehr junge Frauen und mehr junge Mädchen machen es nicht mehr mit, dass sie in eine arrangierte Ehe mit Zwang hineingesteckt werden. Die Grenzen sind da fließend. Deswegen muss meines Erachtens stark darüber nachgedacht werden, wie wir auch unterhalb der Ebene Zwangsverheiratungen die Stärkung und die Ansprache von Mädchen verbessern.

 

Ich möchte Ihnen drei Dinge nennen, die wir als sehr wichtig erachten. Zum einen haben wir im Bereich des – im Abgeordnetenhaus wird das zurzeit beraten – Begleitprogramms zum so genannten Gesetz zum Tragen von religiösen Symbolen ein kleines Maßnahmepaket geschnürt, und darin ist vorgesehen, dass der Senat ein Aktionsprogramm zur Verbesserung der Lebensperspektiven von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund auflegt. Teil dieses Programms – das scheint mir sehr wichtig zu sein – ist auch, darüber nachzudenken, Ideen zu entwickeln und umzusetzen, wie in Schulen, in der Erziehungshilfe, wie auch in den Bezirken und der Jugendhilfe die Strukturen dafür sensibilisiert werden, dass diese Frauen dort wirklich Ansprechpartnerinnen finden, denn wir stellen häufig fest, dass diese Mädchen und Frauen häufig keine Ansprechpartnerinnen in den Regeldiensten finden. Deswegen scheint es mir im Rahmen dieses Programms sehr wichtig zu sein, darüber nachzudenken, wie wir dort spezifische Angebote für Mädchen machen, dass sie sich dort vertrauensvoll hinwenden können. Ziel ist, zu verhindern, dass es überhaupt zu Zwangsverheiratungen kommt, in denen die Mädchen Perspektiven bekommen und in diesem Sinne beraten werden.

 

Der zweite mir sehr wichtige Aspekt ist: Eine Gruppe der Frauen sind jene, die im Rahmen des Familiennachzuges nach Berlin kommen, die in der Türkei zwangsverheiratet werden. Wir haben mit dem Zuwanderungsgesetz eine neue Situation, um diese Frauen frühzeitig zu erreichen. Das Zuwanderungsgesetz sieht künftig Integrationskurse für alle vor, die nach Berlin kommen. Das heißt, diese Frauen, die jetzt im Familiennachzug kommen, verschwinden nicht in die Familien und tauchen dann einige Jahre später in den Frauenhäusern wieder auf, sondern wir erreichen sie in den Integrationskursen. Wir sind in Berlin zurzeit dabei, im Rahmen einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe zur Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes zu überprüfen, wie wir die vorhandenen Beratungs- und Unterstützungsangebote und die Integrationskurse miteinander verzahnen, um diese Frauen frühzeitig zu beraten, ihre Rechte an sie heranzutragen und zu erkennen, wo die Gewaltpotentiale in der Familie sind. Da sehe ich eine große Chance, die bisher noch nicht so in den Fokus genommen worden ist, dass wir diese Frauen, die aus dem Ausland im Familiennachzug kommen, sehr frühzeitig erreichen.

 

Den dritten Aspekt, der mir sehr wichtig ist, hat Senator Wolf erwähnt. Ein großer Konfliktfall, den wir in der Beratung haben, ist, wenn Mädchen und jungen Frauen der Altersgruppe 18 bis 21 Schutzräume suchen, wo sich die Frage stellt: Wer finanziert das? Wird hier der Geltungsbereich des KJHG angewandt oder nicht? – Das ist eine Gruppe, in der viele Mädchen und Frauen von Zwangsverheiratung betroffen sind. Wir machen auch die Erfahrung, dass die Behörden dreimal nachdenken, wenn da eine junge Frau 17 ½ oder 17 ¾ ist. Nimmt man sie noch in Schutz oder nicht? – Da gibt es Übergangszonen. Es wäre wichtig, auch für die Leistungsbehörden klare Regelungen zu treffen, wie in der Beratung mit der Gruppe der 18- bis 21-Jährigen umzugehen ist.

 

Zusammenfassend glaube ich, dass die beiden Gesetzesentwürfe wichtige Anstöße geben, wenn sie um das Thema „nicht verfallendes Aufenthaltsrecht“ erweitert werden. Wir sollten uns aber in Berlin neben der Sicherung von Schutzräumen und der Unterstützung von Frauen, die von Zwangsverheiratungen betroffen sind, verstärkt darüber Gedanken machen, wie wir die Mädchen und Frauen, die Alternativen zur arrangierten Ehe suchen, aber nicht den Bruch mit der Familie wollen, unterstützen und frühzeitig erreichen.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Piening! – Frau Plathe, bitte!

 

Frau Plathe (Landeskriminalamt – LKA –): Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! – Ich bedanke mich zunächst einmal für die Einladung. – Das Thema Zwangsheirat ist natürlich auch ein Thema für die Polizei, obwohl es bislang kein polizeiliches Hellfeld gibt. Das heißt, wir haben keine Zahlen und Fakten, wie häufig tatsächlich Opfer von Zwangsverheiratungen in Berlin leben oder gelebt haben. Das liegt daran, dass es bislang keinen Tatbestand gibt und damit auch keine Erfassung in der polizeilichen Kriminalstatistik. Dazu ist weiter auszuführen, dass Opfer von Zwangsheirat oder von Zwangsheirat bedrohte Mädchen und Frauen bei der Polizei so gut wie nie ankommen. Die Scheu und Angst der Opfer oder potentiellen Opfer, das öffentlich werden zu lassen, ist sehr groß, und sich mit dieser Problematik an die Polizei zu wenden, ist offensichtlich – zumindest zurzeit – kein Thema für die Betroffenen. Das heißt, dass unsere Handlungsmöglichkeiten bisher durchaus begrenzt sind.

 

Wir wissen aus der Kooperation mit den verschiedensten NGOs, wie Papatya aber auch der BIG-Hotline für Opfer häuslicher Gewalt, dass es Zwangsverheiratungen in Berlin gibt. Wir haben uns auch im Rahmen unserer präventiven Arbeit dieses Themas angenommen. Wir haben im Landeskriminalamt eine Abteilung, die sich insbesondere mit verhaltensorientierter Prävention, gerade auch im Zusammenhang mit sexueller Gewalt, beschäftigt. Die Beamtin, die das hauptamtlich macht, weist bei allen Veranstaltungen, die sie besucht, die sie selber initiiert und durchführt, darauf hin, dass das Thema Zwangsheirat durchaus eine vorhandene Form einer Straftat ist, wo man im Bereich der präventiven Arbeit gerade bei Beratungsstellen Augen und Ohren offen haben muss, um diese Opfer beraten zu können. Wir haben in diesem Jahr unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Rahmen der Bearbeitung des Themas häusliche Gewalt für dieses Thema sensibilisiert. Wir haben das diesjährige Treffen aller Multiplikatoren, das heißt, aller Polizeibeamtinnen und
-beamten unserer Polizeidienststellen und Abschnitte, zum Thema Zwangsheirat informiert und sensibilisiert. Darüber hinaus begrüßen wir, dass die Zwangsheirat tatsächlich mit einem eigenen Tatbestand strafbar gemacht werden soll.

 

Wir favorisieren in diesem Zusammenhang den Gesetzesentwurf aus Baden-Württemberg aus mehreren Gründen: Zum einen greift er die verschiedenen Erscheinungsformen der Zwangsheirat – die sind schon mehrfach genannt worden – auf und stellt sie dezidiert unter Strafe. Das halte ich für den besseren Weg, als lediglich die Einfügung des Tatbestandes in den § 240 StGB, Nötigung, weil sich die einzelnen Erscheinungsformen im Gesetz deutlich wiederfinden sollten. Der Gesetzesentwurf ist daher aus unserer Sicht der bessere. Ich gebe allen meinen Vorrednern uneingeschränkt Recht, dass das Ausländergesetz entsprechende Veränderungen erfahren muss, wenn wir wollen, dass sich Opfer von Zwangsheirat zum einen äußern, zum anderen aber auch den Versuch unternehmen oder ein Strafverfahren tatsächlich durchstehen. Das wird immer davon abhängig sein, ob sie einen gesicherten Aufenthaltsstatus in Berlin erhalten oder nicht, denn diese Erfahrung machen wir auch im Zusammenhang mit der Bekämpfung anderer Straftaten, zum Beispiel dem schon angesprochenen Menschenhandel. Es ist für die Opfer ein wesentlicher Punkt, wie mit ihrem Aufenthaltsstatus verfahren wird. Das heißt, nur mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus gehen wir davon aus, dass sie ein Strafverfahren betreiben können und wollen.

 

Damit sind wir bei dem weiteren Punkt: Schutz und Hilfe für die Opfer. Auch da reicht es nicht aus, einen Straftatbestand zu schaffen, sondern man muss den Betroffenen adäquate Hilfe zuteil werden lassen, gerade, wenn sie ein Strafverfahren betreiben wollen und sollen. Das heißt, hier ist Unterstützung, Rat und Hilfe angesagt. – In diesem Zusammenhang fehlt mir in dem Gesetzesentwurf der Landesregierung Baden-Württemberg die Erweiterung der Nebenklage. Sie finden in dem Gesetzesentwurf den Hinweis auf den § 395 Abs. 1 Nr. 1 d, und das ist richtig. Das heißt, wenn wie im Gesetzesentwurf vorgesehen, die Zwangsheirat in den 18. Abschnitt des StGB eingeführt wird, besteht automatisch auch das Recht auf Nebenklage. Was aber in dem Gesetzesentwurf nicht berücksichtigt ist, ist die Möglichkeit der Gestellung eines Rechtsbeistandes. Das heißt, es ist bisher nicht geplant, auch den § 397 a zu verändern. Das halte ich aber in diesem Zusammenhang für überaus wichtig und nötig, denn im Rahmen des Opferrechtsrahmengesetzes, das wir erst seit wenigen Monaten haben, haben wir die Rechte der Opfer noch einmal deutlich gestärkt. Wir haben gerade im Bereich der Nebenklage für Opfer von Sexualstraftaten und Menschenhandel ganz besondere Möglichkeiten, nämlich insbesondere das Recht auf die Gestellung eines Rechtsbeistandes. Aufgrund der besonderen Situation sollten die Opfer von Zwangsverheiratungen aus diesen Gründen die gleichen Möglichkeiten eines Rechtsbeistandes auf Kosten des Staates erhalten.

 

Das heißt abschließend: Wir befürworten diesen Gesetzesentwurf und eine Regelung im StGB. Wir befürworten sie deshalb auch als eigenständige Paragraphen, um die schon angesprochene Signalwirkung zu entfachen. Die Signalwirkung sollte aus meiner Sicht nicht nur an die potentiellen Opfer gerichtet sein, sondern auch an die potentiellen Täterinnen und Täter, damit deutlich wird, dass wir in Deutschland Zwangsheirat nicht hinnehmen und verharmlosen, sondern dass wir sie deutlich unter Strafe stellen. – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Plathe! – Frau Alpbek, bitte!

 

Frau Alpbek (Migrationsrat): Guten Morgen, meine Damen und Herren! – Ich vertrete heute den Migrationsrat, also nicht den Migrationsbeirat. Da gibt es einen kleinen Unterschied. Herr Piening wird das nach vielleicht erklären. Der Migrationsbeirat wurde auf Initiative von Herrn Piening gegründet, und der Migrationsrat ist eine Dachorganisation von verschiedenen NGOs, die einen Migrantenhintergrund haben. Darüber hinaus arbeite ich im Vorstand vom Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg. Unsere Stellungnahme haben wir zusammen mit dem Migrationsrat in Berlin-Brandenburg  ausgearbeitet.

 

Papier ist geduldig. Vor 56 Jahren wurde im Menschenrechtsabkommen der Vereinten Nationen die freie Wahl des Ehepartners festgeschrieben. Trotzdem müssen wir uns leider heute noch mit diesem Problem auseinander setzen. Das seit langem in der Öffentlichkeit diskutierte Problem „Gewalt in der Familie“, schließt als einen Aspekt von vielen auch die Zwangsverheiratung ein. Für den Migrationsrat ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Zwangsverheiratung in Deutschland immer noch ein Tabuthema ist, sowohl in der Mehrheitsgesellschaft als auch in den jeweiligen Communities. Wir fragen uns natürlich warum. – Wir meinen, weil kulturelle und religiöse Identität und der Schutz des privaten Raums in Deutschland einen hohen Stellenwert haben, unter dessen Schutz faktisch auch die Zwangsverheiratungen stehen.

 

Unter den Betroffenen überwiegen zahlenmäßig die Türkinnen und Kurdinnen, weil sie die größte Migrationsgruppe in Deutschland bilden. Betroffen sind aber auch viele Libanesinnen, Marokkanerinnen, Tunesierinnen, Albanerinnen, Iranerinnen oder auch Inderinnen. Diese Liste erhebt allerdings keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dies bedeutet weder, dass Zwangsverheiratung nur in diesen Ländern zu finden ist, noch, dass sie in diesen Ländern besonders häufig ist. Zwar steht Zwangsverheiratung mit kulturellen Traditionen in Zusammenhang, kommt aber in unterschiedlichen religiösen und ethnischen Gruppen vor.

 

Zu erwähnen ist, dass auch männliche Jugendliche von Zwangsverheiratungen betroffen sein können. Die Folgen einer solchen Heirat sind für sie allerdings in der Regel weniger gravierend als für Frauen.

 

Zwangsverheiratung ist eine Menschenrechtsverletzung und trotzdem die Realität für viele Mädchen und Frauen in Berlin. Häufig sind Menschen, die mit Betroffenen Kontakt haben, ratlos und wissen nicht, wie sie helfen können. Daher ist es dringend notwendig, dass Mädchen und Frauen, die von Zwangsverheiratung bedroht werden oder betroffen sind, so wie Menschen, die unmittelbar mit dem Problem konfrontiert werden, über präventive Möglichkeit informiert und unterstützt werden. Darüber hinaus sollten in den Berliner Schulen und öffentlichen Stellen künftig kompetente Ansprechpartner zur Verfügung stehen. – Bei den Familien, bei den Eltern, handelt es sich in den seltensten Fällen um schlechte Eltern. Sie bemühen sich im Gegenteil, im Rahmen ihrer Tradition und Ehrbegriffe um das Beste für ihre Kinder, und es fehlt ihnen meistens das Unrechtsbewusstsein. Wir stellen fest, dass für diese Menschenrechtsverletzungen nicht nur religiöse Motive maßgebend sind, sondern in Länder- und Familientradition begründete Ehrbegriffe.

 

Trotzdem ist die Zwangsverheiratung eine Menschenrechtsverletzung. Sie ist entschieden zu verurteilen. Es ist nicht akzeptabel, dass Zwangsverheiratungen in Deutschland oder anderswo stattfinden. Es muss in der Öffentlichkeit klargestellt werden, dass die Zwangsheirat verboten ist. Wir begrüßen und unterstützen daher die Bundesratsinitiative des Landes Baden-Württemberg zur Bekämpfung der Zwangsheirat in Deutschland. Um deutlich zu machen, dass es sich bei Zwangsverheiratungen um Unrecht und Menschenrechtsverletzungen handelt, ist ein eigener Straftatbestand zwingend geboten. Bei dem Entwurf sollte es sich nicht nur um eine reine Symbolgesetzgebung handeln. Juristisch ist das Problem nur mit dem Straftatbestand der Nötigung zu lösen. Das vorgesehene Strafmaß in dem Entwurf ist völlig unzureichend. Ein Mindeststrafmaß, das deutlich über den Strafrahmen des baden-württembergischen Entwurfs hinausgeht, wäre erforderlich. Eine Mindeststrafe von einem Jahr würde die Einstufung als Verbrechen gewährleisten.

 

Ausdrücklich begrüßen wir die vorgesehenen Änderungen im Zivilrecht. Die heutige Rechtslage lässt die Frauen häufig in der Zwangsehe verharren, da ein Aufenthaltsrecht einen zweijährigen gemeinsamen Aufenthalt in der Bundesrepublik voraussetzt. Dann ist die einjährige Antragsfrist für die Aufhebung der Ehe aber schon abgelaufen. Wird die Ehe früher aufgehoben, droht die Abschiebung ins Heimatland, wo die Frauen ob des Ehrverlustes den Sanktionen der Familie ausgesetzt sind, die bis zum Tod führen können. Dieser Gesetzesentwurf könnte nur dazu beitragen, ein Unrechtsbewusstsein zu wecken. Dem Problem der Zwangsverheiratung kann mittel- und langfristig nur durch Überzeugungs- und Aufklärungsarbeit der Eltern, vor allem aber bei Kindern und Jugendlichen entgegengewirkt werden. Kulturelle und religiöse Identität und Schutz des privaten Raums haben in Deutschland einen hohen Stellenwert, unter dessen Schutz faktisch auch die Zwangsverheiratungen stehen. Aber dort, wo mit Toleranz und Ignoranz und unter dem Deckmantel der Privatsphäre Menschenrechtsverletzungen begangen werden, muss die Gesellschaft eingreifen. Wir hoffen, dass diese bundesweite Diskussion zu einer gesellschaftlichen Verurteilung der Zwangsverheiratung führen wird. Wir müssen aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass dieses Thema von den Medien nicht skandalisiert und gegen die Migranten in unserem Land angewendet wird. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Alpbek! – Frau Ateş, bitte!

 

Frau Ateş (Rechtsanwältin): Vielen Dank für die Einladung! – Es ist sehr Vieles schon gesagt worden, und ich möchte versuchen, nicht zu wiederholen, was Zwangsverheiratung ist und welche Folgen es hat etc. Das erübrigt sich inzwischen. Daher möchte ich versuchen, mich darauf zu begrenzen, Dinge zu nennen, die vielleicht noch nicht zur Sprache gekommen sind. Vor einer Verharmlosung möchte ich auch auf jeden Fall warnen, auch wenn das Thema, wenn es in der Öffentlichkeit diskutiert wird, einseitig genutzt werden könnte, darf es nicht dazu führen, uns zurückzuhalten und es nicht deutlich zu ächten.

 

Ich möchte auf das Zivilrecht eingehen. Als praktizierende Anwältin habe ich viel mit Frauen zu tun, die von Zwangsverheiratungen in der Form der Scheidung betroffen sind. Es ist seltener, kommt aber auch vor, dass die Frauen im Vorfeld zu mir kommen. Es kommen auch Frauen und jungen Frauen zu mir, die sich im Vorfeld beraten lassen wollen. Die verweise ich dann an die entsprechenden Einrichtungen bzw. ich mache auch die Beratung, indem ich ihnen sage, wie sie es schaffen können, sich von ihrer Familie zu trennen und welche Wege und Möglichkeiten es gibt. Ich berate sie auch sozialarbeiterisch und psychologisch dahingehend, dass es nicht bedeuten muss, dass sie ihre Familie nie mehr wiedersehen, wenn sie sich dagegen wehren zu heiraten und zeige einzelne Wege auf.

 

Wenn dann die Frauen aber schon verheiratet sind, und das ist mehrheitlich der Fall – das sind auch die Frauen, mit denen ich mehrheitlich zu tun habe – können sie zurzeit aktuell nur noch mit einer Scheidung dagegen angehen, weil sie meistens zu mir kommen, nachdem die Jahresfrist abgelaufen ist. Deshalb ist das eines der wichtigsten Punkte im Zivilgesetzbuch, der geändert werden muss. Diese Frauen und die wenigen Männer schaffen es erst nach vielen Jahren, überhaupt gegen die Zwangsverheiratung aufzubegehren und dagegen anzugehen. Demzufolge müsste diese Jahresfrist aufgehoben werden. Als ich meine Stellungnahme für Baden-Württemberg abgegeben habe, war ich selber noch sehr zaghaft und habe gesagt: Diese Jahresfrist müsste auf mindestens drei Jahre erweitert werden. – Aber inzwischen bin ich der Ansicht, dass der Entwurf aus Baden-Württemberg wirklich besser ist, dass diese Jahresfrist ganz aufgehoben wird, denn eine Menschenrechtsverletzung sollte zu jedem Zeitpunkt geahndet und geächtet werden und aufhebbar sein. Es kann nicht sein, dass drei, vier Jahre, bis die Antragsfrist abgelaufen ist, diese Menschenrechtsverletzung geduldet wird. Baden-Württemberg hat wirklich ein sehr gutes Argument geliefert, indem es gesagt hat: Es ist eine Menschenrechtsverletzung auf ewig, und deshalb ist die Ehe auch auf ewig aufhebbar. Das ist eines der wichtigsten Punkte im Zivilrecht.

 

Ein wichtiger Punkt ist, dass die Eheaufhebbarkeit, die zurzeit als Rechtsfigur existiert, wieder in die „Ehevernichtbarkeit“ geändert wird, die wir vor der Eherechtsreform hatten, dass die Ehe von Anfang an als nicht geschlossen gilt, also nichtig von Anfang an und nicht erst ab dem Zeitpunkt, ab dem die Ehe aufgehoben wird. Es ist im europäischen Vergleich, wenn Sie sich andere Länder ansehen werden, durch die Eherechtsform ein Unikum in Deutschland entstanden, wo dem Parlament offensichtlich ein Fehler unterlaufen ist. Man hat nicht genau hingeschaut. Wenn wir die Eheaufhebung nur für die Zukunft haben, dann existiert in der Vergangenheit eine Ehe, die eigentlich nicht rechtmäßig war, als rechtmäßig. Wenn in einem Schuldverhältnis die Ehe für nichtig erklärt wird, ist ein Schuldverhältnis juristisch gesehen von Anfang an als nichtig anzusehen. Das ist einer der wichtigen Punkte.

 

Dann würde ich vorschlagen, dass den Standesbeamten bei der Schließung einer Ehe mehr Autorität und Rechte zugewiesen werden, wenn ihnen auffällt, dass es sich um eine Zwangsverheiratung handelt, dass sie ähnlich wie bei der Scheinehe – das ist nach der Eherechtsreform geregelt worden – die Befugnis haben, diese Eheschließung zu verweigern. Darauf soll explizit im Gesetz hingewiesen werden. Ich weiß aus Erfahrung vom türkischen Konsulat, dass die Beamten dort sehr sensibilisiert für dieses Thema sind, weil sie den kulturellen Hintergrund haben, und oft feststellen, dass vor ihnen Menschen sitzen, die eigentlich die Ehe nicht schließen wollen, sie selbst nicht die rechtlichen Instrumentarien dafür in der Hand haben und schließlich dann teilweise mit Tricks versuchen, das zu verhindern, indem der Konsularbeamte sagt: „Ich möchte hier kurz unterbrechen und bitte die Braut oder den Bräutigam ins Nebenzimmer.“ Er führt dann ein Gespräch. Es ist oft so, dass sich die Frauen sehr selten oder fast nie trauen zu sagen: „Nein, ich will wirklich nicht heiraten.“ – Ich erfahre das dann meist mit dem Blick nach unten, dass höchsten genickt wird oder gar nichts gesagt wird. Daraus kann man schließen, dass es eine Zwangsehe ist. Diese Situation muss gesetzlich vor Augen geführt werden, was in dieser Situation passiert, wenn es im Vorfeld die Prävention gibt. Was ist, wenn die Eheleute vor dem Standesbeamten sitzen? Kann man da nicht auch noch einmal eingreifen und den Standesbeamten etwas mehr Instrumentarien in die Hand geben?

 

Wir haben Mädchen, die vor Volljährigkeit verheiratet werden. Diese Situation gibt es auch hier, wobei mir kein aktueller Fall bekannt ist, dass die Ehefähigkeit insbesondere durch das Gericht befürwortet wird. Wenn die Personen unter 18 sind, muss ein Gericht der Ehe zustimmen. Es sollte wenigstens auf dem Papier schon einmal geklärt werden, dass entsprechende Stellen eingerichtet werden, die das überprüfen, also Gespräche mit den Beteiligten darüber führen, ob es tatsächlich der Wille des Minderjährigen ist, diese Ehe einzugehen. Da ist noch eine Lücke, die gesetzlich nicht geklärt wurde. Auch wenn wir jetzt aktuell an diesem Punkt noch nicht sind, dass wir mit solchen Situationen zu tun haben, ist das ein Punkt, der unbedingt geregelt werden müsste.

 

Ein weiterer Punkt, der für mich aus meiner Praxis ein sehr wichtiger Punkt ist, ist das Sorgerecht für die Kinder. Wir haben das gemeinsame Sorgerecht für beide Elternteile im Gesetz festgelegt. Wenn die Personen miteinander verheiratet waren oder sind, dann haben beide das gemeinsame Sorgerecht.

 


Wenn eine Scheidung stattfindet, haben beide Elternteile das Sorgerecht, nur in Ausnahmefällen kann das Sorgerecht auf den Vater oder die Mutter übertragen werden. Aktuell ist es so. Auch die zwangsverheirateten Frauen haben dann weiterhin mit den Männern zu tun, müssen das auch haben, und das Sorgerecht ist auf beide übertragen. An dieser Stelle ist zu überlegen, ob da nicht Regelungen getroffen werden sollten. Wenn die Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt wird, ist das Sorgerecht immer noch nicht geklärt, dann haben immer noch beide das Sorgerecht. An diesem Punkt bedarf es der Benennung, dass das Sorgerecht in diesem Falle meiner Ansicht nach der Mutter zu übertragen ist. Mehrheitlich sind es die Mütter, die dann die Kinder auch weiterhin bei sich haben.

 

Zum Strafrecht war es schon immer meine Forderung, für die Zwangsheirat einen eigenständigen Tatbestand zu haben. Ihn unter einen anderen Tatbestand zu setzen, ist für mich absolut indiskutabel, weil es dem nicht gerecht wird, was die Zwangsverheiratung darstellt. Und auch die Mindeststrafe von einem Jahr ist eine der wichtigsten Notwendigkeiten, denn es ist ein Verbrechen, das an den Frauen begangen wird. Es kann nicht mit etwas anderem gesühnt werden als damit, dass es als Verbrechen geahndet wird, denn das Unrecht, das den Frauen widerfährt, ist nun einmal mit dem Maß eines Verbrechens zu bewerten.

 

Zu den aufenthaltsrechtlichen Lösungen kamen wir außerhalb dieser Diskussion noch nicht, weil immer wieder gesagt wurde: Das lassen wir jetzt einmal außen vor, das ist nicht unser Bereich. – Gerade die Familienpolitikerinnen oder -politiker und Strafrechtler haben gesagt: Wir beschäftigen uns jetzt mit diesem Bereich. Das Aufenthaltsrecht muss anderswo geregelt werden. Das hat noch viel mehr Folgen. Da schiebt man die Verantwortung von sich bzw. schiebt man das gerne auf ein anderes Gleis. Aber Sie haben vollkommen Recht. Das Aufenthaltsrecht ist das Allerwichtigste für die Frauen. Sie müssen hier bleiben können, wenn ein Strafverfahren läuft. Sie müssen ein Instrument in die Hand bekommen, dass, wenn sie die Zwangsehe auflösen oder für nichtig erklären lassen, hier bleiben können und nicht in die Situation wie viele Frauen kommen, eine Gewaltsituation auf Grund aufenthaltsrechtlicher Bestimmungen aushalten zu müssen.

 

Meine Ansätze gehen sogar radikal weiter als das bisher Gehörte. Ich fordere und schlage aufenthaltsrechtliche Lösungen vor, unabhängig davon, dass die Frauen hier bleiben müssen. Ihr Aufenthalt muss auf jeden Fall gesichert sein, egal, ob sie ein halbes Jahr, einen oder drei Monate hier sind. Wenn es zu einer Zwangsverheiratung gekommen ist und die Frau deshalb hierher gebracht wurde, hat diese Frau große Probleme, wieder in ihre Familie zurückzukehren, die sie hierher geschickt und zwangsweise verheiratet hat. – Oft hat die Verheiratung nach Deutschland finanzielle Gründe und die Familie hat auch noch Geld dafür bekommen, dass sie die Frau hierher geschickt hat. Da ist es wirklich egal, ob es ein Monat oder zwei Jahre sind, diese Frauen dürfen wir nicht zurückschicken. Das ist ein Verbrechen. Im Gegenteil, diese Frauen werden mit ihrem unsicheren Aufenthaltsstatus erpresst und unter Druck gesetzt, diese Situation auszuhalten. Ihnen wird gesagt: Wenn du nicht hörst, dann wirst du zurückgeschickt. Dein Aufenthalt ist gefährdet.

 

Ich würde hier ansetzen und sagen: Der Aufenthaltsstatus der Menschen, die die Personen in die Ehe zwingen, sollte angerührt werden. Das ist eine vielleicht provokative Forderung, aber nur mit provokativen Forderungen haben wir es geschafft, dass wir jetzt hier sitzen und dass sie uns zum Thema Zwangsverheiratung zuhören. Ich denke, es ist kein so schlechter Ansatzpunkt zu sagen: Der Aufenthalt der Personen, die das missbrauchen und dieses Instrument nutzen, um andere Menschen in einer Gewaltsituation zu halten, sollte angerührt werden. Denen sollte gesagt werden: Dein Aufenthalt ist gefährdet, wenn du diese Gewaltsituation aufrecht erhalten willst.

 

Jetzt wird wahrscheinlich gesagt: Es gibt auch welche mit deutschem Pass. Was machen wir mit denen? – Das ist kein Argument zu sagen, nur weil wir die mit deutschen Pass auch haben, dürfen wir die anderen nicht anrühren. Das ist die ausländerrechtliche Regelung. Wir müssen in allen möglichen Gesetzen Regelungen treffen, um das zu ahnden. Das ist auch ein Ansatzpunkt, über den nachgedacht werden sollte, ob nicht der Aufenthalt der Person und nicht nur des Ehemannes, denn es ist nicht nur der Ehemann, der dazu zwingt, in Frage gestellt wird. Deshalb gab es auch die Forderung nach dem Straftatbestand. Es sind nicht nur die Männer die prügeln und vergewaltigen. Da haben wir mitunter hin und wieder doch Anzeigen. Es passiert schon. Ich selbst habe auch schon Frauen, die in einer Zwangsehe waren, vertreten, die dann die Körperverletzung oder eine Vergewaltigung anzeigen.

 

Der Mut ist teilweise schon da. Der Mut, die Zwangsehe zu thematisieren und anzuzeigen, wird – dessen bin ich mir sicher – mit dem Straftatbestand kommen, denn der Unrechtsgehalt wird dann deutlich gemacht. Den Frauen wird gesagt, dass das keine Tradition ist, die gebilligt wird, weil viele Frauen auch heute noch zu mir sagen: Ich will im Scheidungsverfahren das Thema Zwangsheirat nicht thematisieren, weil ich nicht noch mehr Stress mit der Gegenseite haben möchte. – Aber das ist ein wichtiger Punkt. Wir müssen es thematisieren. Es dauert dann eine Weile, bis ich mit einigen Frauen so klar bin. Ich sage nicht, dass ich die Frauen nach vielen Gesprächen dahin bringe, entgegen ihrem Willen das zu thematisieren. Aber das ist das Spezielle an solchen Scheidungen, dass ich dann viel mehr mit den Frauen über den Hintergrund usw. reden muss als bei ganz normalen Scheidungen. Für die Frauen ist das ganz wichtig für ihre Zukunft, dass sie es thematisiert haben, dass sie einmal auch vor Gericht gesagt haben: Ja, ich bin gezwungen worden zu heiraten, und dass ich jetzt nach zehn Jahren in dieser Situation bin und dass es mir so schlecht geht und dass die Ehe so schlimm verlaufen ist, liegt daran, dass es ursprünglich eine Zwangsverheiratung war. – Das Kind beim Namen zu nennen ist ganz wichtig für die Frauen. Deshalb ist der eigene Straftatbestand ganz wichtig.

 

Frau Klotz hat am Anfang gesagt, wir sollten uns nicht darüber streiten, wer das zuerst benannt hat. Natürlich sollten Sie das nicht machen, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass seit mehr als 20 Jahren Frauenprojekte wie Papatya auf dieses Thema aufmerksam machen. Daran kann man sehen, wie spät es ankommt. – [Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): Ich habe eher die FDP als Papatya gemeint!] – Das ist mir selbstverständlich klar, ich möchte es trotzdem thematisieren. – Ich greife das jetzt auf im Hinblick auf vielleicht provokante Forderungen auf, dass Sie das nicht unter den Tisch fallen lassen und erst in 20 Jahren wieder anfangen, darüber zu diskutieren. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Ateş! – Wir wissen, dass Frau Senatorin Schubert weg muss. – [Frau Ateş: Ich habe auch um 11 Uhr einen Gerichtstermin!] – Falls Sie Fragen an Frau Senatorin Schubert haben, bitte ich, sie jetzt zu stellen, später stehen ihre Mitarbeiter zur Verfügung. – Frau Senatorin!

 

Frau Bm Schubert (Just): Ich habe eine Frage an Sie, Frau Ateş. Sie haben gesagt, Sie würden gerne sehen, dass die Aufhebung der Ehe die Wirkung ex tunc bekommt. Danach haben Sie das Sorgerecht angesprochen. Ich bin der Auffassung, dass die Veränderung der Aufhebung der Ehe mit der Wirkung ex tunc mit dem Sorgerecht zusammenhängt, dass die Kinder, die aus dieser Ehe hervorgegangen sind, zwangsweise durch die Ex-tunc-Wirkung als nichteheliche Kinder bezeichnet werden und dadurch eine ganze Menge an Rechten verlieren. Man sollte sich noch einmal überlegen, ob man diese Forderung ex tunc stellt.

 

Frau Ateş (Rechtsanwältin): Jetzt ist ex nunc, das heißt, die Aufhebung ist für die Zukunft. Meine Forderung ist ex tunc, von Anfang an.

 

Frau Bm Schubert (Just): Mit der Folge, dass alle Kinder, die aus dieser hervorgegangen sind, zwangsläufig als nicht ehelich gelten. Das muss geregelt werden.

 

Frau Vors. Weißbecker: Dann haben wir das geklärt. – Wir bedanken uns bei Frau Ateş und Frau Senatorin Schubert, dass Sie uns heute zur Verfügung gestanden haben. Wir fahren in der Anhörung fort. – Frau Kultus, bitte!

 

Frau Kultus (Papatya, Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen): Schönen Dank für die Einladung. Wir sind froh, dass heute diese Diskussion stattfindet. Ich bin meiner Vorrednerin für den Bericht über ihre Erfahrungen aus der juristischen Praxis dankbar. Ich möchte eher über Erfahrungen aus der präventiven Arbeit sprechen. – Ich bin Leiterin der Kriseneinrichtung Papatya, und wir machen seit 20 Jahren eine Schutzstelle für überwiegend für türkische und arabische Mädchen und junge Frauen. Ich schicke dem erst einmal ein paar Prämissen vorweg, die in der Diskussion unbedingt berücksichtigt werden müssen:

 

Zwangsverheiratung verhindern und Schutz von Betroffenen hat Vorrang vor Bestrafung von Tätern. Zwangsverheiratung ist eine Menschenrechtsverletzung, aber der Schutz vor Zwangsverheiratung ist ein Gebot des Kinderschutzes. Dazu und über die Altersstufe, die davon betroffen ist, werde ich nachher noch mehr ausführen. Jede gesetzliche Maßnahme muss darauf geprüft werden, ob sie dem Betroffenen eher schadet oder nützt. Es ist eine Erfahrung aus der Vergangenheit, dass manche gute Absichten eher nach hinten losgehen. Auch wenn die Diskussion in einer aufgeheizten Stimmung um den Islam stattfindet, hat Zwangsverheiratung keine religiösen, sondern patriarchalische Wurzeln und kommt in unterschiedlichen, aber immer streng patriarchalischen Kulturen vor. Der Islam wird dann oft als Rechtfertigung herangezogen.

 

Zur Gesetzesvorlage möchte ich im Einzelnen keine Stellung beziehen. Ich bin keine Juristin und kann nicht überschauen, welche Auswirkungen möglicherweise daraus folgen. Ein Gesetz wird mit Sicherheit Zwangsverheiratungen nicht verhindern, kann aber Signale setzen, damit Betroffene gestärkt werden, sich dagegen zu wehren und Helfer dazu veranlassen, mögliche Hilfestellung zu leisten. Es wird daraus ein Hilfebedarf begründet, vor dem sich auch die Ämter nicht verschließen können – auch dazu sage ich nachher noch mehr –, jedoch muss jedes Gesetz darauf überprüft werden, ob es nicht auch zum Schaden der Betroffenen angewandt werden kann. – Unsere Erfahrungen aus der Praxis möchte ich ein bisschen ausführen: Wir können nicht bestätigen, dass Zwangsheirat zunimmt. Das wurde irgendwo als Einführung genannt. Das ist auch kein neues Problem, aber der Blick darauf wurde sensibilisiert. Wir haben mehr Aufmerksamkeit. Sie haben mehr Aufmerksamkeit. Es wissen inzwischen auch mehr Mädchen, dass sie sich dagegen wehren können und dass es einen Schutz gibt. Aber nicht die Zwangsverheiratung selber hat zugenommen. Das können wir nicht bestätigen, wobei es dazu keine genauen Zahlen gibt.

 

Ich möchte Ihnen Zahlen aus unserer zwanzigjährigen Erfahrung von Papatya nennen, wobei ich mich auf die letzten beiden Jahre beziehe: Im Jahre 2002 waren 40 %, 25 von 61 Mädchen und jungen Frauen, bei Papatya von Zwangsheirat bedroht oder betroffen. Ich nenne immer beides, weil die meisten bei uns tatsächlich vor der Heirat kommen und nicht danach, was gut ist. Es ist immer besser, die Heirat verhindern zu können, als danach etwas zu löten. Von diesen 40 % waren 60 % minderjährig. Die Jüngsten davon 14 Jahre alt. 56 % von ihnen sollten einen Cousin heiraten. In 44 % der Fälle kam der potentielle Partner aus dem Herkunftsland der Eltern. Etwa die Hälfte sollte einen auswärtigen Partner heiraten. Ich erwähne das deswegen, weil es die Diskussion gibt: Soll man das Heiratsalter hoch setzen? Darf jemand erst einreisen, wenn er ein bestimmtes Alter erreicht hat usw.? – Tatsächlich finden dieser Heiraten auch mit Partnern von hier statt. 2003 waren 38 % von Zwangsheirat betroffen. 50 % waren minderjährig, 50 % sollten den Cousin heiraten. Das ist etwa gleich geblieben. In 65 % der Fälle kam der Heiratspartner aus dem Herkunftsland der Eltern. Das verschiebt sich von Jahr zu Jahr, aber die Tendenz ist immer ähnlich. Im Jahr 2004 sind es bisher 52 % aller Mädchen bei uns, die von Zwangsverheiratung bedroht oder betroffen sind. Davon sind 44 % unter 18 Jahre. Der geringste Teil der Mädchen und jungen Frauen war zum Zeitpunkt der Flucht aus der Familie bereits verheiratet. Ich finde es wichtig, dass man das in der Diskussion weiß. Eine Schutzstelle wie Papatya trägt entscheidend dazu bei, Zwangsverheiratungen zu verhindern.

 

Dann möchte ich etwas zur Herkunft der von Zwangsverheiratung betroffenen Mädchen bei Papatya sagen, um das Spektrum einmal deutlich zu machen. Dabei macht es keinen Unterschied, ob sie einen deutschen Pass haben oder nicht. Sie kommen aus der Türkei, sowohl christliche als auch islamischen Familien, aus den arabischen Ländern, bei uns vor allem Libanon, Syrien, Palästina, Jordanien, Irak, Marokko, Tunesien, Ägypten, Iran, Somalia, Aserbaidschan, Pakistan, Sri Lanka, sowohl christliche als islamische Familien, verschiedenen afrikanische Länder, auch da sowohl christliche als auch islamische Familien, und Roma, die streng katholisch sind. Bei den Roma werden die Mädchen besonders jung, bereits im Alter ab 12 Jahre, manchmal sogar noch jünger, verheiratet. Dann gibt es eine relativ große Gruppe, die aus Albanien oder Serbien kommt.

 

Die meisten von Zwangsverheiratung bedrohten oder betroffenen jungen Frauen, mit denen wir zu tun haben, kommen nicht aus dem Ausland, sondern leben schon lange hier. Nicht jeder Ehegatte einer Zwangsheirat kommt aus dem Herkunftsland. Auch in Deutschland finden Zwangsverheiratungen innerhalb der jeweiligen Community statt. Vor allem in ihrem Herkunftsland unterdrückte Minderheiten – Yesiden, christlich orthodoxe Minderheiten und Roma – bestehen auf Heiraten innerhalb der Gemeinde. Oft sollen Mädchen einen Verwandten heiraten, vorzugsweise den Cousin. Das hat den Vorteil, dass man sich kennt und weiß, woran man ist, und alles bleibt in der Familie. Dabei kann durchaus Fürsorge als Gedanke eine Rolle spielen. Deswegen denke ich, dass die Täterbestrafung eine zweischneidige Sache ist. Sehr viele Mädchen werden ihre Eltern nicht anzeigen wollen, weil sie auch die Hintergründe der Eltern kennen. Dabei kann Fürsorge als Gedanke durchaus eine Rolle spielen, aber auch Gründe der Familienzusammenführung und Abgabe der Kontrolle und Verantwortung an einen Ehemann. – Jungen sollen eher ein Mädchen aus dem Herkunftsdorf der Eltern heiraten, bevorzugt sind auch hier die Cousinen. Die Mädchen aus Deutschland werden eher als schlechte Wahl betrachtet, weil sie einen schlechten Ruf haben. Auswärtige Bräute sind extrem rechtlos und abhängig. Sie finden auch nur selten den Weg zu Papatya oder anderen Beratungsstellen. Das ist eine Gruppe von Mädchen und jungen Frauen, zu denen kaum jemand Zugang hat, die mitten in Berlin eingesperrt leben, die die Sprache nicht kennen und die sich nicht zu helfen wissen. Da gibt es noch eine große Dunkelziffer.

 

In den Augen der Betroffenen ist eine Zwangsverheiratung mit Hoca-Segen genauso gültig wie eine beim Standesamt geschlossene. Oft wird sogar die Hoca-Ehe höher bewertet, und die amtliche Eheschließung ist nur eine formale Sache. Auch das finde ich wichtig, wenn man über ein Gesetz redet, denn da geht es immer um die standesamtliche Eheschließung, was aber nichts für das Gefühl, verheiratet zu sein, für die junge Frau und den Mann bedeutet. Nicht jede arrangierte Heirat ist eine Zwangsheirat.

 

Die für uns daraus notwendig folgenden Konsequenzen sind: Prävention hat Vorrang vor Strafe. Es muss der Schutz von Betroffenen gewährleistet sein, wenn sie aus einer Zwangsheirat oder einer drohenden Zwangsverheiratung fliehen wollen. Dieser Schutz muss nachhaltig gewährleistet sein, das heißt, es reicht nicht, dass sie bei uns vier Wochen unterkommen und geschützt sind, wenn sie danach völlig hilflos mit 18 Jahren mit Sozialhilfe in irgendeiner Wohnung alleine sitzen und es keinerlei begleitende Beratung und Betreuung usw. gibt. Was sie brauchen, ist eine unbürokratische Hilfe. Wer wegläuft, ist extrem gefährdet, mit Gewalt zurückgeholt, verheiratet, außer Landes gebracht oder gar ermordet zu werden. Das heißt, es muss eine schnelle und unbürokratische Hilfe sein. Wir in Berlin – das ist einzigartig für ganz Deutschland – können sie sofort aufnehmen. Wir brauchen keine Zustimmung vom Jugendamt. Wir brauchen keine Kostenübernahme eines Sozialamtes. Das muss erhalten bleiben. Es ist nie ganz sicher, wie lange dieses System so bleibt. Es ist aber zwingend notwendig, um eine schnelle und unbürokratische Hilfe in einer Gefährdungssituation anbieten zu können. Gerade ohne Tagessatzfinanzierung Hilfe anzubieten, ist in solchen Fällen zwingend notwendig.

 

Bei Bedarf Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus anzubieten ist uns seit langem ein großes Anliegen. Es wird immer wichtiger, weil es immer seltener wird, dass Jugendhilfe für um 18-Jährige. Jahren tatsächlich noch greift. Ich halte es für ein Unding, dass ein 18-jähriges Mädchen, dass ein Leben lang eingesperrt war und vor einer Zwangsehe flüchtet, allein mit Sozialhilfe irgendwo in einer Stadtwohnung vegetiert. Das ist das, was wir im Moment zum Teil anbieten müssen, weil Jugendämter sich versagen, über das 18. Lebensjahr hinaus Hilfe anzubieten. Das ist ein kompletter Missbrauch des KJHG, der im Moment unter der großen Überschrift Kosten zu sparen stattfindet.

 

Weiterhin sind die Sensibilisierung und Fortbildung von Mitarbeitern der Jugend- und Sozialämter notwendig. Das folgt daraus. Dabei müssen auch die Leiter von Jugend- und Sozialämter und die Mitarbeiter, die die Beratung machen, geschult werden. Es ist ein Gebot des Kinderschutzes. Betroffen sind in der Regel Mädchen ab 12 Jahren, meist sind sie 15 bis 18 Jahre. Das macht deutlich, wo man diese Mädchen erreichen kann, nämlich in den Schulen. Die Schulen sind die erste Anlaufstelle, wo diese Mädchen hindürfen und wo die Eltern sie auch hinlassen müssen. Dort ist es notwendig, dass es kompetente Ansprechpartner gibt, wo sich diese Mädchen Rat holen und sich anvertrauen können und Hilfe finden. Auch Schulsozialarbeiter und Lehrer müssen in diesem Thema sensibilisiert und fortgebildet werden.

 

Anonyme Zufluchtsstellen wie Papatya sind auch in anderen Großstädten Westdeutschlands zwingend notwendig. Wir haben zurzeit eine relativ große Zahl von jungen Frauen, die aus Westdeutschland kommen, weil es nirgendwo sonst einen sicheren Ort gibt, wo sie das Gefühl haben, neu anfangen zu können. Dazu gehört aber auch die Hilfe auf dem Weg in die Anonymität. Es gibt zum Teil ganz verheerende Situationen, dass ein Mädchen mit sehr viel Mühe und großem bürokratischen Aufwand eine Namensänderung erreicht. Der Vor- und Zuname wird verändert, um jede Spur zu vernichten. Es gibt eine Auskunftssperre bei allen Meldestellen. Die Eltern im Herkunftsort fragen nach einer Geburtsurkunde ihrer Tochter und erhalten eine Geburtsurkunde mit dem alten und neuen Namen. Es war alles umsonst, obwohl mit allen Stellen die Gefährdung, Auskunftssperre usw. abgesprochen war. Die Ämter müssen da zusammenarbeiten und ein dauerhafter Schutz muss gewährleistet werden.

 

Zu den juristischen Gesichtspunkten habe ich noch ein paar Hinweise: Uns ist wichtig, dass Hilfe nicht an eine Anzeige gekoppelt wird, dass man nicht sagen kann: Du erhältst erst Jugendhilfe über das 18. Lebensjahr hinaus, wenn du deine Eltern anzeigst und deutlich wird, dass das alles stimmt.

 

Rückkehroption auch nach mehr als sechs Monaten bei Verschleppung und Zwangsheirat im Ausland: Viele werden verheiratet und versäumen dann die Sechsmonatsfrist zur Rückkehr und können dann nie wieder nach Deutschland zurück. – Zum Abschiebeschutz wurde schon einiges gesagt. Die Zwangsheirat als Härtefallgrund wurde auch schon benannt. – Was uns noch wichtig ist, ist, dass Recherche über den Umfang von Zwangsverheiratungen betrieben wird, weil es auch da sehr wenig Zahlenmaterial gibt. Das muss weiter untersucht werden. – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank! – Herr Dr. Brand, bitte!

 

Dr. Brand (Landesvertretung Baden-Württemberg): Vielen Dank! – Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrte Damen und Herren! – Ich bedanke mich im Namen des Landes Baden-Württemberg, dass wir die Möglichkeit erhalten, unseren Gesetzesentwurf kurz zu präsentieren und dafür auch ein Stück weit zu werben. Wir haben versucht, mit dem Gesetzesentwurf nicht von vornherein alle Probleme zu „erschlagen“, die man auf diesem Feld findet. Es ist vieles angesprochen worden, was sich in dem Gesetzesentwurf nicht wiederfindet. Wir haben deswegen in Baden-Württemberg zeitgleich zu dem Beschluss dieses Gesetzesantrags im Bundesrat eine Fachkommission eingesetzt, die sich mit diesen Problemen in der Tiefe beschäftigt, um dann gegebenenfalls in einem zweiten Schritt Maßnahmen zu treffen. Wir waren der Meinung, dass das, was wir jetzt vorschlagen, so wichtig ist, dass es nicht aufgeschoben werden darf, bis man einen großen Rahmen gesetzt hat, in dem man alle Fragen und Probleme beantworten kann.

 

Ich orientiere mich bei meinem Statement an den sechs Seiten, die ich dem Ausschuss gestern Abend zur Verfügung gestellt habe. Ich hoffe, dass sie den Mitgliedern auch vorliegen. – Ich möchte zunächst die rechtliche Ausgangslage kurz skizzieren, dann über den Bundstagsbeschluss zum Bundesratsvorstoß Baden-Württembergs überleiten, einen kurzen Vergleich anschließen und dann – wenn noch Zeit ist – auf einen „praktischen“ Fall, der fiktiv, ersonnen, ist, hinweisen, aber er zeigt vielleicht ganz gut, wo die Unterschiede nach geltender Rechtslage, Rechtslage nach Bundestagsbeschluss und Rechtslage nach dem Entwurf Baden-Württembergs liegen.

 

Derzeit ist die Zwangsheirat als eigenes Delikt nicht strafbar. Strafbar sind die begleitenden Delikte wie Nötigung, Körperverletzung und sexuelle Delikte. Der Bundestag hat am 28. 10. einstimmig eine gewisse Änderung beschlossen, indem vier Wörter in den Nötigungsparagraphen eingefügt werden. Ein besonders schwerer Fall der Nötigung soll demnach auch vorliegen, wenn zur Eingehung der Ehe genötigt wird. Dieser Gesetzesbeschluss des Bundestages ist übermorgen im Bundesratsplenum Thema. Er wird dort höchstwahrscheinlich in den Vermittlungsausschuss geschickt. Letztlich wird sich der Bundestag aber aller Voraussicht nach durchsetzen, weil es ein Einspruchsgesetz ist und die rot-grüne Bundestagsmehrheit das Gesetz auch ohne Billigung der Länderkammer letztlich ins Gesetzblatt hieven kann.

 

Was will nun Baden-Württemberg? – Wir schlagen eine eigene Vorschrift, den § 234 b StGB, Zwangsheirat, und zivilrechtliche Regelungen vor. Der § 234 b StGB gliedert sich in drei Fälle. Er erfasst in seinem ersten Absatz die Nötigung zur Zwangsheirat als qualifizierte Nötigung und ist insofern dem Bundestagsbeschluss ähnlich. Zu den Unterschieden komme ich gleich im Vergleich.

 

Absatz 2 regelt den so genannten Heiratshandel, bestraft also jemanden, der eine andere Person wegen seines Vorteils, das kann ein finanzieller oder ideeller Vorteil sein, zur Eingehung der Ehe bringt, indem er die Zwangslage oder die Hilflosigkeit ausnutzt, die sich daraus ergibt, dass das Opfer in einem fremden Land ist. Fremdes Land kann Deutschland sein, wenn es eine so genannte „Import-Braut“ ist, die auch eben von Frau Kultus angesprochen wurde. Das ist der Fachterminus und nicht abwertend gemeint. Fremd kann aber auch eine Deutsche oder eine nicht Deutsche, die lange in Deutschland gelebt hat, im Ausland sein. Das heißt, dieser Straftatbestand greift sowohl bei Fällen in Deutschland als auch außerhalb.

 

Der Absatz 3 erfasst die Heiratsverschleppung, nämlich dass jemand durch Hinterlist, durch Drohung dazu gebracht wird, sich dem Schutz des deutschen Rechts zu entziehen, indem er ins Ausland geht, wiederum, um das Opfer zur Eingehung der Ehe zu bewegen.

 

In einem vierten Absatz wird festgestellt, dass der Versuch strafbar ist. Auch das halten wir für wichtig, damit den Behörden ermöglicht wird, möglichst frühzeitig Ermittlungen anstellen zu können und nicht erst warten zu müssen, bis die Handlungen selbst Erfolg gehabt haben.

 

Im Zivilrecht haben wir drei Änderungen vorgeschlagen, zum einen den Wegfall der Aufhebungsfrist für die Ehe, die Frau Senatorin Schubert bereits angesprochen hat. Wir sehen das Problem nicht so sehr, dass man bei einer Streichung der Frist Probleme mit langjährigen Ehen hat. Es ist schon nach geltendem Recht so, dass eine Aufhebung ausgeschlossen ist, wenn die Ehe bestätigt worden ist. Wenn aus der ursprünglich zwangsweisen Verbindung dann doch eine harmonische geworden ist – das ist ja nicht auszuschließen –, dann besteht dieses Aufhebungsrecht natürlich nicht, weil es dann keinen Grund für die Rechtsordnung gibt, diese Ehe aufzuheben.

 

Die Verbesserungen im Unterhalts- und Erbrecht wurden auch schon kurz angesprochen. Wir sind für Anregungen im Laufe des Gesetzgebungsverfahren sehr dankbar und insofern auch für die Anregung, die von Frau Plathe kam, im Bereich der Nebenklage Verbesserungen für Opfer vorzusehen, bzw. die Anregungen, die von Frau Ateş im Familienrecht angesetzt wurden. Das ist sicherlich alles im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses diskussionswürdig, und wir würden uns freuen, wenn das Verfahren genutzt wird, um dem baden-württembergischen Vorschlag noch effektiver und noch besser zu gestalten.

 


Ich komme nun zu einem kurzen Vergleich der beiden Gesetzesvorschriften. Frau Senatorin Schubert hat schon gesagt, dass die Zwangsheiratsnötigung nach dem Beschluss des Bundestags mit einem höheren Strafrahmen versehen ist als das, was Baden-Württemberg plant. Das ist insofern nicht ganz richtig, weil der Bundestag in seiner Gesetzesänderung nur festgestellt hat, dass die Zwangsheirat ein besonders schwerer Fall der Nötigung sein kann. Das ist ein so genanntes Regelbeispiel, das heißt, der Richter muss im Einzelfall prüfen: Ist es tatsächlich ein besonders schwerer Fall der Nötigung? Ist es gerechtfertigt, deswegen den höheren Strafrahmen von sechs Monaten bis fünf Jahren zu belassen, oder ist es – trotz der Zwangsheirat – nur eine normale Nötigung? Dann würde der einfache Nötigungsstrafrahmen, also Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren, greifen. Insofern ist es dem Richter im Einzelfall überlassen, zu welchem Strafmaß er auf Grund des Sachverhalts kommt. Der baden-württembergische Gesetzentwurf sieht hingegen klar vor, dass bei jeder Zwangsheiratsnötigung das Strafmaß drei Monaten bis fünf Jahre beträgt.

 

Es wurde schon gesagt, dass der baden-württembergische Gesetzentwurf mit einer Überschrift in einem eigenständigen Paragraphen die Zwangsheirat als eigene Tat ernst nimmt. Dieses Ernstnehmen ist im Übrigen nicht nur symbolisch, sondern es hat auch im Verfahren Bedeutung. Ein eigener Straftatbestand wird im Urteil und bei den Verfahrenshandlungen der Strafverfolgungsbehörden ganz anders benannt als nur ein „bloßer“ Fall der schweren Nötigung. Hier macht Baden-Württemberg mit seinem Vorschlag deutlich: Diese Zwangsheirat wird gesellschaftlich missbilligt. Das ist ein Phänomen, das unsere Rechtsordnung nicht akzeptiert. Wenn man das in den Nötigungsparagraphen hineinpackt, dann kann es sein, dass – trotz guter Absichten – diese Änderung ein wenig untergeht, insbesondere, wenn man sich vor Augen hält, dass es ein Regelbeispiel neben anderen ist, etwa auch neben der Nötigung in der Eigenschaft als Amtsträger.

 

Dann erfasst Baden-Württemberg den Heiratshandel und die Heiratsverschleppung. Diese Straftatbestände sind sowohl nach dem geltenden Recht als auch nach dem Beschluss des Bundestages als solche straflos. – Die begleitende Kriminalität ist natürlich strafbar. – Dass das aber ein Problem aufwerfen kann, zeigt sich, wenn die Fälle im Ausland spielen. Im Ausland sind der Heiratshandel und die Heiratsverschleppung nach baden-württembergischer Gesetzesinitiative auch strafbar, wenn sowohl Täter als auch Opfer nicht Deutsche sind. Sowohl das geltende Recht als auch das Recht nach Änderung durch den Bundestag hat da seine Schwierigkeiten, denn wenn der Täter nicht Deutscher ist, wenn das Opfer nicht Deutscher ist und wenn die Tat nicht im Inland geschieht, dann kann die Tat nicht von deutschen Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden, weil sie nicht dem deutschen Strafrecht unterliegt. Natürlich ist die Tat nicht straflos, aber dann sind die türkischen, libanesischen oder auch sonstigen Strafverfolgungsbehörden – dort, wo die Tat geschieht – zur Strafverfolgung aufgerufen. Das kann durchaus effektiv sein, und gerade in der Türkei geschehen gerade Wandlungen hin zu einem echten Rechtsstaat, aber es mag Länder geben, bei denen man froh ist, wenn sich auch deutsche Staatsanwälte des Falles annehmen können.

 

Schließlich sind die Regelungen, die wir im Zivilrecht vorsehen, vom Bundesratsbeschluss in keiner Weise abgedeckt, weil das ein rein strafrechtliches Gesetz ist. – Mit Billigung der Frau Vorsitzenden würde ich jetzt gern noch in zwei Minuten den fiktiven Fall schildern. – Danke schön! – Ich habe mir einen Fall ersonnen, den Sie auf Seite 5 der Stellungnahme in verschiedenen Varianten finden. – Ich lese kurz die sechs Zeilen des Grundfalles vor: Da ist die 16-jährige T., sie ist türkische Staatsbürgerin, wohnt seit langem in Deutschland und bekommt von ihrem Onkel, dem O. „zur Belohnung für gute schulische Leistungen“ – wie er sagt – einen sechswöchigen Urlaub in der Türkei, ihrem Heimatland, geschenkt. Der O. beabsichtigt damit allerdings nur, die T. in der Türkei mit dem 25-jährigen F. – ebenfalls Türke – zu verheiraten. Das ist – sowohl nach jetziger Gesetzeslage als auch nach der Gesetzeslage durch Änderung durch den Bundestag – straflos, was vom baden-württembergischen Straftatbestand erfasst ist, und zwar selbst dann – der Straftatbestand ist hier relativ weitgehend –, wenn das gesamte Vorhaben keinen Erfolg zeitigt, weil sich beispielsweise während des Urlaubs die Heiratsverhandlungen zerschlagen. Wir meinen, dass hier eine möglichst weitreichende Strafbarkeit geboten ist. Schon, dass jemand dem Schutz des deutschen Strafrechts und der deutschen Behörden durch Arglist entzogen wird, ist etwas, was die Rechtsordnung nicht billigen, nicht tolerieren darf. Wenn man dann diesen Fall im weiteren Verlauf fortspinnt, wenn es also tatsächlich zur Zwangsverheiratung kommt, die mit Drohungen oder sogar Gewaltanwendung verbunden sein kann, zeigt sich, wie zahnlos das derzeitige das derzeitige Strafrecht auch nach Änderung durch den Bundestag ist. Da sowohl die T., also die zu verheiratende minderjährige 16-Jährige, als auch der F., der zukünftige Bräutigam, nicht Deutsche sind und die Tat in der Türkei geschieht, gibt es für die deutschen Strafverfolgungsbehörden keine Möglichkeiten, hier eine Strafverfolgung einzuleiten, es sei denn, man kommt in den Bereich des Menschenhandels. Diese Fälle sind jedoch für die Zwangsverheiratung häufig nicht passend, denn man kann nicht von vornherein davon ausgehen, dass jemand, der zwangsverheiratet wird, sexuell ausgebeutet werden soll – im Sinne des Gesetzes – oder aber, dass seine Arbeitskraft ausgebeutet werden soll. Das wird häufig damit einhergehen, aber das muss nicht das Motiv sein, sondern das kann auch dieses Traditionsmotiv sein, das auch Frau Kultus dargestellt hat, dass jemand – wie in diesem Fall – , der als Türke ein türkisches Mädchen, das in Deutschland wohnt, in der Türkei heiraten möchte, ehrenwert handelt, unter Beachtung seiner Traditionen, aber dass ihm trotzdem nach der deutschen Strafrechtslage und nach deutschen Verständnis des Strafrechts signalisiert werden muss, dass das eine Handlung ist, die wir missbilligen.

 

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich, dass durch die Sachverständigen und verschiedenen Bemerkungen im Laufe der Diskussion klar geworden ist, wie viel Rückhalt wir haben. Wir würden uns freuen, wenn wir im Laufe des weiteren Verfahrens diesen Rückhalt von Berlin auch im Bundesrat bekämen. Dieses Thema wird wahrscheinlich Februar/März erneut im Bundesrat aufgerufen werden. Wir können dort Rückenwind aus Berlin gut gebrauchen. – Danke schön!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Dr. Brand! Sie haben gehört, dass Berlin dem schon zugestimmt hat. Von da her sind Sie hier gut aufgehoben. – Ich eröffne die Aussprache. – Bitte, Herr Lorenz, Sie haben das Wort!

 

Abg. Lorenz (SPD): Zunächst einmal möchte ich eine Diskussion möglichst bald beenden, nämlich die, wer hier zuerst irgendetwas gesagt hat. Es ist keine besondere Ehre, dass wir wieder einmal über dieses Thema diskutieren. Ich kann mich an Diskussionen vor 15, 20 Jahren erinnern. Inzwischen gab es einige Regierungsparteien, die sich um dieses Thema überhaupt nicht gekümmert haben, aber dieses Thema hat es immer gegeben. Ich bin seit 25 Jahren Anwalt im Ausländerbereich und kenne seit dieser Zeit Schein- und Zwangsehen. Wer hier behauptet, „ich war der Erste, der darauf hingewiesen hat“, der sagt gleichzeitig auch „hallo“.

 

Zweitens: Ich finde, dass dieser Gesetzentwurf Unterstützung verdient, aber man sollte sich, bitte schön, nicht davon erwarten, dass er sehr viel bewirkt. Das liegt an einem Umstand, den wir hier immer sehr negativ betrachten und negativ schildern, ohne dass er es ist. In der Türkei beispielsweise ist die Zustimmung der Eltern zu einer Heirat eine unabdingbare Voraussetzung. Ich habe jedenfalls keinen Fall erlebt – im Rahmen meiner über 25-jährigen Tätigkeit habe ich ca. 5 000 bis 10 000 solcher Fälle erlebt –, an dem die Eltern, wenn eine normale Ehe gestiftet wurde, nicht entscheidend beteiligt waren. Die Eltern machen das in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle auch in Übereinstimmung mit den Wünschen derjenigen, die heiraten. Sie sind nicht diejenigen, die einen unmittelbaren Zwang ausüben, aber ihre Zustimmung ist erforderlich. Das ist eine Schere im Kopf derjenigen, die heiraten, und diese wird man nicht herausbekommen.

 

Diese Sitte hat – Entschuldigung, wenn ich das sage – in bestimmten Ländern einen realen und vernünftigen Hintergrund, denn man prüft natürlich auch, wie die materiellen Voraussetzungen sind. Das sind Praktiken, die in Deutschland vor 50, 100 Jahren und in manchen elitären Familien noch heute praktiziert werden. Der Geldadel heiratet nicht nur aus Liebe, sondern auch dort wird sehr viel von den Eltern gemacht. – [Abg. Kurth (CDU): Schön, dass Sie das Problem erweitern!] – Sie sagen, das ist nicht das Problem? – Das ist das Problem. Sie werden nämlich in der Anwendung Ihres Gesetzes erleben, dass diese Praktik hier diffamiert und auch benutzt wird. Dieser Straftatbestand wird – ebenso wie der § 92 Ausländergesetz – ein Arbeitsbeschaffungsprogramm für Rechtsanwälte werden. Das wird in vielen Fällen dazu führen, dass man irrig auf Sitten und Gebräuche und auch auf gesellschaftliche Vereinbarungen zurückgreift, die ihren Sinn haben und in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle sehr vernünftige Ergebnisse zeitigen. – Es tut mir Leid, wenn Sie jetzt der Meinung sind, dass die Zustimmung der Eltern und bestimmte Sitten und Gebräuche, die aus anderen Länder kommen – – Dann hätten Sie diese Leute nicht einladen dürfen, hierher zu kommen und ihnen ein Angebot machen dürfen. Wer das nicht akzeptiert und meint, dass er das alles abschaffen, der wird – –  – [Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): Sie reden sich um Kopf und Kragen!] – Ich rede mich nicht um Kopf und Kragen. Ehrlich gesagt, Frau Klotz, ist es mir auch relativ gleichgültig, ob das immer gut ankommt, denn wenn man die Wahrheit sagt, dann muss man nicht unbedingt darauf achten, dass die Grünen oder andere dem zustimmen. Ich sage Ihnen nur: Dieses Gesetz hat seine Probleme und wird nach meinen Einschätzungen, wenn wir es nicht subtil anwenden, dazu führen, dass es die Ablehnung bestimmter Bevölkerungsgruppen in der deutschen Gesellschaft vertieft. – Ich werte Ihre Reaktion als ein häufiges Anzeichen dafür, dass das tatsächlich geschehen wird.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank! – Bitte, Herr Ratzmann!

 

Abg. Ratzmann (Grüne): Ich bedanke mich erst einmal für die Einladung. Wir werden die Diskussion – ohne die Anhörung – über die juristischen Probleme, die die beiden Gesetzentwürfe mit sich bringen, dann sicherlich auch noch im Rechtsausschuss führen. Ich möchte nur bezüglich des Redebeitrags von Herrn Lorenz vorausschicken, dass wir auf der anderen Seite aber auch beachten müssen, dass – erstens – in dieser Republik normabweichendes Verhalten immer noch über Strafrechtstatbestände sanktioniert wird und dass es ein gutes Prinzip ist, das in ein Gesetz zu gießen, was die Voraussetzungen für die staatlichen Sanktionen sind. Und zum Zweiten müssen wir beachten, dass kulturelle Differenzen nicht dazu führen dürfen, dass sie unter diesem Deckmäntelchen Menschenrechtsverletzungen einfach geduldet werden. In diesem Sinne ist es richtig und notwendig, diese Diskussion zu führen. Ich gebe Ihnen insoweit Recht, zu sagen, dass auch ich davon ausgehe, dass sich die Mehrheit der hier mit anderem kulturellen Hintergrund Lebenden – auch ohne eine spezielle Normierung – sehr wohl an das hält, was Recht und Gesetz ist und nicht zum Mittel der Zwangsverheiratung greift. Dennoch ist das ein gravierendes Problem, das wir angehen müssen. Deshalb ist es richtig, wichtig und notwendig, dass diese Diskussion endlich geführt wird und dass dieses Thema auch die notwendige öffentliche Beachtung findet. Das passiert wieder einmal über eine Strafrechtsreform. Das ist oft so, aber in diesem Fall halte ich es für zweitrangig, denn wichtig ist, dass wir es diskutieren.

 

Ich finde es weiterhin zweitrangig – um auf die beiden Gesetzesentwürfe zu kommen –, ob das Ganze in einem eigenen Straftatbestand zusammengefasst wird oder ob wir es an einen anderen Straftatbestand anhängen, weil ich glaube, das sich der Normbefehl nicht darüber in der Gesellschaft durchsetzt, wo es im Einzelnen im Strafgesetzbuch steht, sondern er setzt sich darüber durch, dass die Diskussion geführt wird. Wer von denjenigen, die das betrifft, wird sich denn tatsächlich mit dem Strafgesetzbuch auseinander setzen? Wichtig ist, dass wir die Diskussion darum führen und in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass das zukünftig sanktioniert wird. Es kommt nicht darauf an, wie es dann systematisch im Strafgesetzbuch aufgeführt wird.

 

Viel wichtiger finde ich allerdings die inhaltlichen Differenzen, die sich dann zwischen den beiden Normen auftun. Die erste Frage, die von Ihnen, Herr Brand, aufgeworfen wurde, betrifft das Regelbeispiel. Da unterscheiden sich die beiden Entwürfe massiv. Ich glaube, dass Sie das ein bisschen falsch dargestellt haben, weil der Richter natürlich nicht einfach vom Regelbeispiel abweichen kann, sondern es müssen gravierende Umstände vorliegen, dass die Zwangsheirat in diesem einen Fall dann nicht den Qualifizierungstatbestand erfüllen soll.

 

Wichtiger finde ich aber die Diskussion um den Strafrahmen. Da hängt in der Differenz zu dem baden-württembergischen – drei Monate oder sechs Monate – ein bisschen dran. Sie wissen selbst, dass es bei der Strafaussetzung zur Bewährung sehr wohl darauf ankommt, ob eine Strafe mit einem Strafrahmen von unter sechs Monaten oder ab sechs Monaten bedroht ist. Da wird sich das Gericht anders positionieren müssen, ob eine Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann oder nicht. Die Forderung nach einem Verbrechenstatbestand hat natürlich sofort zur Folge, dass ich – erstens – vor die Strafkammer, also vor das Landgericht, muss – wir alle wissen, wie im Moment beispielsweise bei den Berliner Gerichten die Terminstände aussehen –, und es hat – zweitens – zur Folge, dass ich sofort in den Bereich einer notwendigen Verteidigung komme. Das heißt, auch hier muss der Staat – entsprechend Ihrer Forderung, Frau Plathe – auf der anderen Seite eine Pflichtverteidigung zur Verfügung stellen und bezahlen. – Wir alle wissen, was das für die Verfahren bedeutet. – Ich halte das für eine wichtige Diskussion, die wir führen müssen. Wir müssen gucken, ob wir durch einen erhöhten Strafrahmen letztendlich eine andere Verfahrensart auslösen, aber das ist eine Diskussion, die wir eher noch einmal im Rechtsausschuss führen müssen.

 

Viel wichtiger finde ich – bei allen Diskussionen um den Straftatbestand – das, was zum Umfeld gesagt worden ist. Frau Plathe wird nicht im LKA arbeiten können, wenn es niemanden gibt, der zu ihr kommt und erst einmal einen Anfangsverdacht begründet. Da fand ich das, was Frau Ateş gesagt hat, sehr hilfreich, weil es dabei nicht nur auf die einzelnen Betroffenen, die sich selbst offenbaren, ankommt, sondern es können in diesem Fall auch Standesbeamte sein, die das LKA und die Polizei in die Lage versetzen, hier Ermittlungen aufzunehmen, wenn die entsprechenden Anfangsverdachte da sind. Wir müssen es schaffen, im Umfeld die Möglichkeit der Aufklärung zu verbessern, zu erhöhen, was maßgeblich damit zusammenhängt, auch die aufenthaltsrechtliche Situation der Opfer zu verbessern. Wir haben das vor kurzem versucht, und es gab eine heftige Diskussion im Innenausschuss. Wir hatten beantragt, dass es in der Ausländerbehörde Broschüren gibt, die explizit darauf hinweisen, dass nach dem neuen Zuwanderungsgesetz § 19 Abs. 1 die Frauen, die sich aus solchen Zwangslagen innerhalb der Ehen befreien, die Möglichkeit haben, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht zu erwirken, unabhängig von den sonstigen zeitlichen Voraussetzungen, die im Aufenthaltsgesetz festgeschrieben sind und demnächst gelten werden. Das wollte die Regierungsmehrheit nicht mitmachen, weil sie Angst davor hat – –  – [Frau Abg. Baba (PDS): Es ist Ihr Zuwanderungsgesetz!] – Ja, es ist unser Zuwanderungsgesetz, Frau Baba, und in diesem Zuwanderungsgesetz ist – abweichend von der jetzigen Rechtslage – eine Norm aufgenommen worden, die besagt, dass der Staat verpflichtet ist, in Härtefällen den Frauen, die sich aus den Ehen befreien, einen Aufenthaltstitel zu geben. Ich kann nicht verstehen, warum sich ein Innensenator davor fürchtet, das in eine Broschüre zu schreiben, sie in verschiedenen Sprachen in der Ausländerbehörde auszulegen und den Frauen die Möglichkeit zu geben, sich selbstständig zu informieren, und dann notwendigerweise einen Prozess in Gang zu setzen, der dazu führen kann, sich selbst mit einer anderen Lebensplanung auseinander zu setzen. Ich fand es sehr befremdlich, dass Sie sich dazu nicht durchringen konnten, und das zeigt mir ein Stück weit eine Differenz – diese sollten Sie vielleicht mal in Ihren Fraktionen deutlich machen – – [Frau Abg. Baba (PDS): Sie sollten es der Bundesregierung deutlich machen!] – Frau Baba, vielleicht haben Sie das Aufenthaltsgesetz noch nicht gelesen. Ich habe es bereits gesagt: Wir haben mit Ihrem Koalitionspartner auf der Bundesebene dafür gesorgt, dass es genau diese Möglichkeit – abweichend vom jetzigen Gesetz – gibt. Ich weiß, dass Sie das nicht so gern hören, aber es ist nun einmal so. Sie sollten sich aber vielleicht dazu durchringen, zumindest die Möglichkeiten, die das Aufenthaltsgesetz bietet, hier aufzunehmen. Ich danke allen, die hier angehört wurden, für den Hinweis, dass das Aufenthaltsgesetz in diesen Fällen auch zukünftig eine andere Praxis erlaubt, und diese müssen wir klarmachen und durchsetzen. Deshalb sollte vielleicht von denjenigen, die aus fachlicher und beruflicher Sicht mit diesem Problem beschäftigt sind, noch einmal ein entsprechender Druck in Richtung Senatsverwaltung eröffnet werden.

 

Weiterhin halte ich es für absolut wichtig, dass wir das Hilfeangebot für diejenigen, die sich aus dieser Situation lösen, erhöhen. Da ist es nicht hilfreich, wenn Projekten, die genau in diesem Bereich arbeiten, die Mittel gestrichen werden. Wir haben im Bereich der Frauenprojekte das Problem, dass Mittel gestrichen worden sind und dass ihnen der Boden entzogen worden ist, um diese Arbeit zu machen. Ich möchte dazu ein konkretes Beispiel ansprechen – Herr Piening, das betrifft eher Ihren Bereich –, und das ist die Trödel-Teestube, die sich genau mit diesen Dingen auseinander setzt. Die stehen kurz vor dem Aus, weil ihnen die Förderung

gestrichen wird. Ich bin der Ansicht, dass wir in diesem Bereich noch einmal genau gucken müssen, wie wichtig uns das Ganze ist und wie wir mit Geld-, aber auch mit anderen Mitteln die Arbeit effektivieren, um denjenigen, die hier tatsächlich Aufklärung bringen und die Behörden in die Lage versetzen können, diese Taten dann auch zu ahnden, weiterhin die Möglichkeit zu eröffnen, sich zu offenbaren, damit ihnen Hilfestellung gegeben wird. Das ist unsere Aufgabe, denn das schönste Gesetz wird uns nichts nützen, wenn diejenigen, die es offenbaren können, nicht zu denen gehen, die es dann auch anwenden können. Dann bleibt es nur ein Papiertiger, und dann werden wir – jedenfalls mit den Mitteln des Strafrechts und der behördlichen Sanktionen in diesem Bericht nichts verändern können.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Ratzmann! – Ich erinnere daran, dass wir uns heute in einer Anhörung befinden und somit unseren Fokus darauf richten sollten, die Anzuhörenden zu befragen. – Bitte, Frau Baba!

 

Frau Abg. Baba (PDS): Schönen Dank! – Bevor ich unsere Position bezüglich der beiden Gesetze darlege, nehme ich Bezug auf Herrn Ratzmann. Herr Ratzmann, ich weise Sie noch einmal darauf hin, dass ich das Zuwanderungsgesetz gelesen habe. Ich weiß, dass die Zwangsheirat in Bezug auf die aufenthaltsrechtliche Stellung dort überhaupt keine Berücksichtigung gefunden hat. Sie können uns hier nicht zu dem auffordern, was Sie auf der Bundesebene – Sie sitzen auch in der Regierung – an schlechten Gesetzen mitmachen und verabschieden, damit wir das dann hier ausbaden. Also, da fassen Sie sich, bitte, einmal an Ihre eigene Nase. Ich weise ferner darauf hin, dass wir im Innenausschuss einstimmig – bei Enthaltung der CDU – eine Beschlussempfehlung über die Einrichtung einer Stelle zur Beratung von Migrantinnen befürwortet haben, die auf Grund von physischer und psychischer Misshandlung die eheliche Gemeinschaft vor dem Erlangen eines eigenständigen Aufenthalts beendet haben. Über die Beschlussempfehlung wird am Donnerstag im Plenum abgestimmt.

 

Zu Herrn Lorenz: Herr Lorenz! Wer sich rechtzeitig mit diesem Thema beschäftigt und sich als Erster dafür angemeldet hat, dazu möchte ich nur eines sagen: Da ich aus diesem Kulturkreis komme, also dort aufgewachsen bin und unmittelbar auch Bekannte und Verwandte davon betroffen waren, bin ich mit diesem Thema länger als Sie alle beschäftigt und mit Betroffenen in Kontakt. – So viel vorweg! – [Abg. Lorenz (SPD): Kommt auf Ihr Alter an!] – Herr Lorenz, Ihr Redebeitrag hat nicht dazu beigetragen, dass wir in dieser Hinsicht weiterkommen. Das, was Sie sagten, fällt weit hinter das zurück, was uns unsere Expertinnen an Informationen haben zukommen lassen – auch im Hinblick auf den Aspekt der Zwangsheirat.

 

Ich danke den Anzuhörenden herzlich dafür, dass sie uns – trotz Ihrer Arbeit – hinreichend Informationen gegeben, aber vor allem auch die juristischen Aspekte der Zwangsverheiratung sowie das kulturelle und soziale Umfeld, in dem Zwangsheirat vorkommt, beleuchtet haben. Bevor ich auf die Gesetzesinitiative eingehe, sage ich vorweg: Es ist Tatsache, dass in Deutschland leider erst mit dem Kopftuchverbot die Aufmerksamkeit auf die Lebensumstände muslimischer Frauen gelenkt wurde. So konnten sich unter dem Deckmantel eines religiös begründeten Patriarchats in der Bundesrepublik und auch in Berlin seit Jahrzehnten nahezu ungestört Dramen und Verbrechen im Namen der Ehre abspielen. Insofern war Zwangsverheiratung meines Erachtens kein öffentliches Thema, obwohl bereits seit langem bekannt ist, dass diese Menschenrechtsverletzung von Frauen in Deutschland leider alltäglich vorkommt. Deshalb verfügen wir kaum über fundierte Daten und Informationen über das Ausmaß und die Dunkelziffer. Es wird immer gesagt, die Dunkelziffer sei hoch, aber wir haben keine genaueren Angaben, da sich diese schlecht feststellen lassen.

 

Wenn wir den Opfern von Zwangsheirat einen besseren Schutz bieten und diese bekämpfen wollen, benötigen wir zunächst Informationen über die Hintergründe und die Situation der Betroffenen. Ich verstehe die heutige Anhörung so, dass wir dieses Thema zunächst aufgreifen und vor allem auch die Brisanz für die Betroffenen aufzeigen. Insbesondere der Beitrag von Frau Kultus hat die Brisanz der Situation, insbesondere der Betroffenen, dargestellt.

 

Ein Problem, das nicht angeschnitten worden ist, ist insbesondere die Definition Zwangsheirat. Es ist schwierig, den Begriff Zwangsheirat zu definieren, weil es keine formale Definition dafür gibt, denn es wird gesagt, dass eine Eheschließung nur dann gültig ist, wenn beide Ehepartner eingewilligt haben. Eine Zwangsverheiratung liegt dann vor, wenn sich eine Betroffene oder ein Betroffener zur Ehe gezwungen fühlt und entweder ihr Widerwille nicht erhört wird oder Druck vorliegt, der dazu führt, diesen Widerwillen nicht zu äußern, wobei es auch fließende Übergänge gibt. Wenn zunächst einmal einer arrangierten Heirat – das wurde bisher nicht angesprochen – zugestimmt wird und zum Beispiel erst nach der Verlobung Zweifel aufkommen, kann unter dem Druck, die Ehe zu vollziehen, aus einer ursprünglich arrangierten Ehe eine Zwangsheirat werden. Das ist in diesen beiden Gesetzen nicht klar definiert, da gibt es keine Trennschärfe zwischen einer arrangierten Ehe und einer Zwangsheirat, was zu Problemen führt und noch geklärt werden müsste.

 

Für mich war dieses Fachgespräch wichtig, um – neben der Schaffung eines eigenen Straftatbestands – zu sondieren, welcher Handlungsbedarf besteht, um die Präventionsarbeit und andere Aspekte hinsichtlich der ausländerrechtlichen Situation zu verbessern und Frauen, wenn sie im Ausland verheiratet werden, das Recht auf Wiederkehr zu ermöglichen, denn diese Aspekte wurden meiner Ansicht nach nicht in diesen beiden Gesetzen berücksichtigt.

 

Noch einmal zur Problematik der Zwangsheirat: Auf Grund des jahrzehntelangen Wegsehens im Namen der political correctness gibt es viele Opfer. Wir haben zu lange weggeschaut. Durch die beiden Gesetzesinitiativen von Baden-Württemberg und der Bundesregierung ist der Anstoß dazu gemacht worden, so dass wir dieses Thema auf der Agenda haben und uns nun damit beschäftigen. Das ist ein richtiger Schritt, aber beide Gesetzesentwürfe haben noch Mängel, die bereits angesprochen und besprochen wurden. Es ist Zeit, die alten Zöpfe abzuschneiden. Ich halte es für richtig, dass die Bundestagsfraktion der Grünen eine Diskussion und eine Anhörung dazu durchgeführt hat.

 


Nun zum Gesetzentwurf, einen eigenen Straftatbestand zu schaffen. Der Gesetzentwurf der rot-grünen Regierung – Strafrechtänderung bei Menschenhandelsstraftatbeständen – behandelt Zwangsheirat als besonders schweren Fall von Nötigung, der mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren geahndet wird. Das habe ich mir noch einmal sagen lassen. Aber wie Sie wissen, ändert die Verschärfung von Strafgesetzen allein nichts an der gesellschaftlichen Realität, die wir hier haben. Daher ist meine Befürchtung, wenn wir uns jetzt schnell auf einen Gesetzentwurf festlegen und sagen, dies ist richtig, dass das Thema dann abgegessen ist und niemand mehr darüber redet. Diese Anhörung für mich wichtig, damit wir dieses Thema noch einmal auf der Agenda haben, uns damit beschäftigen und es auswerten. Das finde ich richtig.

 

Nichtsdestotrotz habe ich einige Fragen und einen Hinweis. Es gibt in Großbritannien eine Regelung. Dort wurde die Tragweite dieses Problems schon lange erkannt und ein umfassendes Regierungsprogramm, ein Aktionsprogramm, beschlossen. Vielleicht können wir uns das beschaffen und noch einmal gucken, inwieweit wir dies hier übernehmen können. – Das ist nur ein Hinweis.

 

Ich habe eine Frage an Frau Plathe. Inwieweit kann man Schadensersatzansprüche geltend machen? – Ich bin keine Juristin, vielleicht sollte ich diese Frage an eine Juristin stellen. – Frau Ateş, ich sehe, Sie sind wieder da. – Inwieweit kann eine Frau Schadensersatz einklagen?

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank! – Frau Senftleben!

 

Frau Abg. Senftleben (FDP): Frau Vorsitzende! Meine Herren! Meine Damen! – Ich sagte in meinem Eingangsstatement, dass gesetzliche Änderungen allein nicht ausreichen. Das ist völlig klar. Wir brauchen hier Prävention, wir brauchen Schutzmaßnahmen, Informationen, eine Sensibilisierung von Lehrern und Mitarbeitern der Jugendämter. Frau Kultus hat das ja eben auch – wie ich finde – sehr anschaulich dargestellt. Das kann ich auch alles unterschreiben. Aber ich halte es trotzdem für wichtig, dass wir diesen ersten Schritt jetzt gehen, denn das muss ja auch miteinander verzahnt werden. Das, was hier vorgeschlagen wird, ist eine Aufgabe, die wir auf der Landesebene initiieren müssen – und sollten, Frau Baba! Da bin ich völlig bei Ihnen. Der erste Schritt wäre das Gesetz, und der zweite Schritt wäre das andere, denn es nützt uns nichts, „nur“ Präventions- und Schutzmaßnahmen durchzuführen, wenn wir auf der anderen Seite nicht diesen Straftatbestand haben. Es ist auch in der Anhörung der Experten herausgekommen, dass ihre Forderung die Kombination von Straftatbestand und verstärkten Präventions- und Schutzmaßnahmen ist.

 

Jetzt habe ich konkrete Fragen. Frau Baba hat eben den Punkt arrangierte Ehe angesprochen. Was ist, wenn die Weiterführung der Ehe auf Druck der Familie passiert? – Wir haben ja zwei Juristen hier. – Frau Ateş, Herr Dr. Brand, kann man dies nicht relativ einfach regeln, wenn man in diesen Paragraphen „Eingehung oder Weiterführung der Ehe“ einfügt?

 

Dann habe ich eine Frage an Frau Ateş. Ich fand Ihre Anregung richtig – das muss m. E. auch im Rechtsausschuss weiter diskutiert werden –, die Rechte der Standesbeamten auszuweiten, um dann, wenn sie das Gefühl haben, es handele sich um eine Zwangsverheiratung, einfach Nein sagen zu können. Das finde ich eine sehr pragmatische Regelung.

 

Dann zur Aufenthaltsproblematik, die auch Sie angesprochen haben: Dass u. U. auch einmal nach dem Urheber gefragt und gesagt werden muss: Hast du eigentlich dann noch das Recht auf Aufenthalt? –, also umgekehrt vorzugehen, finde ich auch eine sehr überlegenswerte Anregung, die wir aber hier nicht lösen können, glaube ich. Ich muss dazu sagen: Ich bin keine Juristin.

 

Dann zum Punkt Rechtsbeistand. – Herr Brand, ich glaube, das ist auch ein Punkt, den man noch mit in dieses Gesetz einbringen müsste. Und von allen ist noch der Strafrahmen angesprochen worden – auch Herr Ratzmann hat ihn eben noch einmal angesprochen. Es ist hier die Rede von drei Monaten – Baden-Württemberg – und sechs Monaten – Rot-Grün. Die Forderung ist hier aber ziemlich durchgängig ein Jahr, also das auch als Verbrechen zu maßregeln. Wie sehen Sie das? Warum gibt es hier diese verschiedenen Strafrahmen, drei Monate, sechs Monate, ein Jahr? – Ich weiß nicht, ob wir das heute diskutieren müssen. Ich finde nur, das sind Punkte, die wir generell noch einmal im Innen- oder Rechtsausschuss diskutieren müssen. Vielleicht kann man hier kurz noch einmal darauf eingehen. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Senftleben! – Herr Wilke, bitte!

 

Abg. Wilke (CDU): Danke, Frau Vorsitzende! – Interessant wäre, einmal zu erfahren, ob diese patriarchalisch vorgetragene Meinung von Herrn Lorenz die Meinung der SPD ist oder nur seine eigene Meinung. – [Abg. Lorenz (SPD): Sie können Tatsachenschilderungen offensichtlich nicht von Meinungen unterscheiden!] – Sie tun ja so, als ob das schöne Tradition in den Ländern wäre. Was eigentlich hinter den Zwangsverheiratungen steht – das sind ja auch die Punkte, über die wir hier reden –, sind Dinge wie Freiheitsberaubung, Vergewaltigung und andere Verbrechen, das muss Ihnen doch bewusst sein! – und nicht die Tradition, die Sie in den Vordergrund stellen.

 

Die Gesetzesinitiative finden wir schon deshalb unterstützenswert, weil die Debatte das Unrecht der Zwangsverheiratung in das Visier der Öffentlichkeit schiebt und Frauen möglicherweise den Mut finden, eine Zwangsverheiratung zu lösen oder Hilfeangebote anzunehmen. Das Wirkungsfeld ist hier wahrscheinlich ähnlich wie bei der Einführung des Gewaltschutzgesetzes bzw. des Straftatbestands Vergewaltigung in der Ehe. Nicht das Gesetz selbst wirkt dort im Rahmen dessen, dass wir sehr viele Verurteilungen haben, sondern das Bewusstsein der Öffentlichkeit ist ein neues geworden, die Akzeptanz der Öffentlichkeit ist größer geworden, mehr Frauen suchen Schutz. Das ist dann auch ein Erfolg eines solchen Gesetzes, und deswegen ist dies allein schon unterstützenswert. Der formelle Hintergrund, die Schaffung eines eigenen Straftatbestandes leitet sich aus der Empfehlung Nummer 21 des UN-Komitees ab, wo die freie Partnerwahl und die freie Eingehung der Ehe als manifestiertes Recht beschrieben wird.

 

Da die Vorsitzende darauf hingewiesen hat, dass wir uns nicht immer in ausgiebigen Monologen erschöpfen sollten, will ich gleich Herrn Piening fragen, der davon gesprochen hat, dass wir auch präventive Maßnahmen ergreifen müssen. Das haben auch andere Redner hier gesagt. Welche konkreten Ansätze werden wir in den nächsten Monaten aus Ihrem Verwaltungsbereich erwarten können, in Veröffentlichungen der Senatsverwaltungen oder auch in Thematisierungen an den Schulen?

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Wilke! – Frau Neumann, bitte!

 

Frau Abg. Neumann (SPD): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich erst einmal recht herzlich bei den Anzuhörenden bedanken. Sie haben eine Vielzahl von Fragen – auch für uns – aufgeworfen, und ich sehe daran, was wir noch alles in den verschiedensten Bereichen zu tun haben. Das betrifft nicht allein das Strafrechtsänderungsgesetz oder überhaupt den strafrechtlichen Bereich – obwohl ich begrüße, dass dieses Gesetz im Bundestag einstimmig beschlossen worden ist und wir darauf aufbauen können –, sondern auch die Themen, die hier zu Recht angeschnitten worden sind.

 

Inwieweit kann man – das frage ich den Senat –, wenn dieses Gesetz im Bundesrat behandelt wird, doch noch versuchen, einige Punkte, die uns sehr wichtig erscheinen, ins Strafrecht mit einzubringen? – Ich weiß auch nicht so genau – vielleicht bekomme ich da auch Aufschlüsse –, warum die Bundesratsinitiative von Baden-Württemberg erst einmal sehr lange vertagt worden ist, vor allen Dingen mit großer Mehrheit vertagt worden ist. Was steckt dahinter? Müssen wir damit rechnen, dass diese Initiative noch sehr lange braucht? – Insofern stelle ich die Frage in den Raum, ob wir erst einmal auf dem aufbauen, was wir schon haben, und daran weiter arbeiten sollten.

 

Ich teile die Meinung der FDP, dass wir noch mehr am Zivilrecht arbeiten müssen (?). Ich höre hier aber auch KJHG, Aufenthaltsrecht usw. Auch dort sind Initiativen zu leisten. Auch die Rahmenbedingungen müssen stimmen, nicht nur das Strafgesetzbuch. Nordrhein-Westfalen hat versucht, einen entsprechenden Aktionsplan auf den Weg zu bringen. Auch in Berlin sollten wir eine Fachkommission ins Leben rufen, um all diese Punkte einzuschließen, damit wir auch auf Landesebene noch weiterkommen.

 

Ich habe ein paar Fragen, z. B. zum Familienrecht. Kommen die vorgeschlagenen familienrechtlichen Regelungen überhaupt zur Anwendung, wenn beide Verheiratete nichtdeutscher Staatsangehörigkeit sind? – Zum Aufenthaltsrecht: Welche Auswirkungen hat die Aufhebung einer Ehe wegen Zwangsverheiratung auf den aufenthaltsrechtlichen Status der Opfer? Gibt es da eine Regelung? Was passiert, wenn die Ehe aufgehoben wird? – Dann hat mir die provokatorische Forderung von Frau Ateş sehr gut gefallen: Der Täter geht. – Wir haben das ähnlich im Bereich häuslicher Gewalt. Warum sollte es nicht auch in diesem Bereich irgendwann einmal gesetzlich Anwendung finden, dass die, die nötigen, dann auch zu gehen haben? – Aber es ist sehr provokativ. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Neumann! – Frau Pop, bitte!

 

Frau Abg. Pop (Grüne): Wir reden heute nicht nur über die beiden Gesetzesanträge, die vorliegen. Eigentlich ist das Thema mehr oder weniger dreiteilig. Wir reden einerseits über Prävention – Frau Kultus hat das vor allem vertreten –, wir reden über diese Strafgesetzänderung, wir reden aber auch über den Opferschutz, der im Nachgang passieren muss, die ganzen Fragen: Was ist mit dem Aufenthaltsrecht? Was ist mit dem Sorgerecht für Kinder? – etc. Ich möchte mich vor allem auf den Teil Prävention fokussieren, weil er mir in der Diskussion etwas zu kurz gekommen ist. Ich möchte noch einige Fragen stellen.

 

Die erste Frage geht in die Richtung: Wie kann man Eltern oder Mütter einbeziehen? – Ich glaube, dass wir nicht darum herumkommen werden. Einerseits muss man natürlich die Mädchen selbst erreichen, aber andererseits muss man auch, wenn man zu einer anderen Kultur kommen will, vor allem die Mütter einbeziehen. Ich erinnere mich an die Debatte um Beschneidung. Irgendwann müssen die Mütter auch sagen: Das tue ich meinen Töchtern nicht mehr an. Es kann nicht sein, dass ich das, was ich erlitten habe, an meine Kinder weitergebe. – Wie kommt man an diese Mütter heran?

 

Die zweite Frage: Wie erreicht man die Mädchen? – Vor allem, wenn sie in sehr geschlossenen Communities leben, haben sie von Freunden bis hin zu Verwandten kaum Zugang zur Öffentlichkeit und zu anderen Hilfsangeboten. Sie kommen da schlichtweg gar nicht heran. Inwieweit kann die Schule da eine Rolle spielen? – Aber was in Ihren Stellungnahmen fehlte, war: Was ist eigentlich mit Ärzten? Inwieweit können Ärzte, weil Sie ein Stück weit außerhalb dieser Communities sind, darauf hinweisen oder auf Anzeichen achten? Inwieweit kann man sie in solche Netzwerke einbeziehen – wenn man denn versucht, welche aufzubauen?

 

Der dritte Punkt, Standesbeamte. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es ausreicht, ihnen das Recht zuzugestehen, wenn es eine Zwangsehe oder zumindest den Verdacht auf Zwangsehe gibt, zu sagen: Halt! Nicht weiter! – oder ob die Sensibilisierung nicht schon ausreicht. Denn was nützt mir das schönste Recht, wenn der Standesbeamte das nicht merkt? Wie können wir da im Sinne einer Sensibilisierung von Ämtern und Standesbeamten arbeiten und sie in solche Netzwerke mit einbeziehen, die Prävention heißen könnten?

 

Der vierte Punkt, Jugendhilfe. Ich bin auch Jugendpolitikerin und kenne die Probleme und Fallstricke, die es da gibt. Das eine Problem ist sicherlich, dass bei der Jugendhilfe und den Hilfen zur Erziehung vor allem die Eltern die Leistungsberechtigten sind, also nicht die Jugendlichen, sondern im ersten Schritt die Eltern einen Anspruch auf die Leistung haben. Die Eltern haben den Anspruch darauf, in ihrer Erziehungskompetenz gestärkt zu werden. Das sehe ich als Problem an, weil der Jugendhilfe dann nur noch die Möglichkeit der Inobhutnahme, des Herausnehmens der Mädchen aus der Familie, bleibt – was wiederum bei der Jugendhilfe, die in Deutschland doch sehr stark familienzentriert ist, ein Problem ist. Es gibt immer diesen Zielkonflikt zwischen den sehr starken Erziehungsrechten der Eltern und dem Kindeswohl, die immer wieder gegeneinander abgewogen werden. Ich muss auch ehrlich sagen, dass ich das Gefühl habe, dass Beamte in den Jugendämtern sich oftmals scheuen – nicht nur in diesen, sondern auch in vielen anderen Fällen –, früh einzugreifen, sondern das oftmals einfach laufen lassen.

 

Der fünfte Punkt: Die Hilfe für junge Volljährige ist angesprochen worden. Das KJHG gilt ja bis 27. Das Problem ist wieder die Praxis in den Jugendämtern und vor allem die Praxis in Berlin. Einerseits teile ich zwar die Ansicht, dass Kinder und Jugendliche mit 18 Jahren vor ihrer Verselbstständigung stehen, dass sie so weit sein müssen, dass sie vielleicht nicht mehr untergebracht werden müssen. Allerdings muss es in Einzelfällen die Berechtigung geben, Jugendhilfe an jungen Volljährigen zu leisten. Ich sehe da auch in den Jugendämtern null Sensibilisierung dafür, in welchem Einzelfall das angebracht ist und in welchem Einzelfall man über eine andere Möglichkeit nachdenken muss. Wie kann man da einwirken? Reichen Fortbildungen? – Denn ich glaube, die generelle Regelung, für alle jungen Volljährigen gibt es jetzt Jugendhilfe, ist mir an diesem Punkt nicht ausreichend, fürchte ich. Wie weit kann man da noch vorankommen? – Das waren meine Fragen.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Pop! – Es ist auf meiner linken Seite etwas unruhig, und ich möchte doch bitten, mehr zuzuhören. – Herr Kurth, bitte!

 

Abg. Kurth (CDU): Wir stimmen darin überein, dass Rechtsänderungen – so notwendig sie sind – das Problem nicht lösen werden.

 

Ich habe zwei Fragen an Frau Staatssekretärin Ahlers, Bezug nehmend auf ihre Antwort auf die Anfrage von Frau Dr. Klotz aus dem April 2003. Das ist jetzt anderthalb Jahre her. Diese Anfrage bezieht sich auf ergänzende Maßnahmen, die in Baden-Württemberg laufen. Ich finde es bemerkenswert, dass Baden-Württemberg offensichtlich nicht nur im Bereich Gesetzesänderungen arbeitet, sondern im schulischen Bereich weiter ist als andere Bundesländer. In dieser Antwort auf die Kleine Anfrage sagen Sie, Frau Ahlers, dass es in Baden-Württemberg immerhin eine Unterrichtseinheit zum Thema Zwangsverheiratung gibt, dass Sie darüber noch nichts Genaues wissen und sich sachkundig machen würden. – [Frau StS Ahlers (SenWiArbFrau): Steht da nicht!] – Sie sagen: Projekttage sind geplant. – Das war für den Herbst 2003. – Es liegen keine Erfahrungen vor. Die Senatsverwaltung wird Kontakt aufnehmen usw. – Ich möchte fragen, was konkret passiert ist, was Sie im schulischen Bereich jetzt einsetzen und ob es nunmehr Unterrichtsmaterialien gibt – die kann man sich ja aus Baden-Württemberg schicken lassen und ggf. kopieren.

 

Meine zweite Frage bezieht sich auf Ihren Hinweis, die Kampagne von Terre des Femmes gegen Zwangsverheiratung könnten Sie leider in Berlin nicht unterstützen, denn das koste Geld, und Sie hätten kein Geld. Da ist die Frage, ob Sie nicht unabhängig davon, welche Haushaltsmittel zur Verfügung stehen, doch das eine oder andere ergänzend machen können. Der schulische Bereich ist zweifellos besonders wichtig.

 

Ich habe eine Frage an Frau Ateş. Mir hat Ihr Hinweis auch gefallen, dass man nach dem Prinzip: Der Täter geht, das Opfer bleibt. – das Ausländerrecht weiterentwickelt. Das ist ein interessanter Gesichtspunkt vor dem Hintergrund, dass wir uns in der Tat mit der Frage zu befassen haben: Kann es nicht Fälle geben, wo die geradezu unübersehbar dokumentierte Absicht, sich an bestimmte grundgesetzlich und menschenrechtlich verankerte Regelungen nicht zu halten, dazu führt, dass man das Gastrecht hier verwirkt? – Ich möchte trotzdem fragen – weil Sie da ja sehr umfassende Erfahrungen haben –, ob Sie jetzt nur einmal eine provokative Forderung aufstellen wollten oder ob das tatsächlich von Ihnen auch in den Konsequenzen schon etwas weiter gedacht worden ist.

 

Meine dritte Frage – ich weiß nicht, ob noch jemand von der Justizverwaltung da ist, sie hatten das gesagt – bezieht sich genau auf die Arbeit, die das Land Berlin jetzt im Bundesrat zu leisten hat, wenn das Thema im Februar wieder aufgerufen wird, nämlich ob es nicht Sinn macht, das vorliegende Änderungspaket, das sich auf Straf- und Zivilrecht bezieht, um ausländerrechtliche Fragestellungen zum Aufenthaltsrecht zu ergänzen – möglicherweise in die Richtung, wie sie Frau Ateş genannt hat, möglicherweise auch in andere. Ich glaube, es ist eine Schwäche des Antrags aus Baden-Württemberg, dass das gesamte Thema Aufenthaltsrecht noch ausgeklammert wurde. Natürlich brauchen die betroffenen Frauen Schutz und Rechtspositionen, aber der nächste Punkt müsste dann auch sein: Was heißt das eigentlich für die Täter? – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Kurth! – Wenn Herr Kliem oder Herr Gaßler noch da sind, möchte ich sie bitten, diese Fragen zu beantworten. – Frau Dr. Klotz, bitte!

 

Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): Danke schön! – Das mit den Gästen und dem Gastrecht sehen wir „naturgemäß“ anders, Herr Kurth, aber das will ich nicht ausweiten. Das ist ein unterschiedliches Verständnis von Zuwanderungsgesellschaft und Einwanderungsland. Das haben wir aber schon sehr oft an anderer Stelle diskutiert.

 

Ich möchte vier Punkte ansprechen – erstens: Nach der Diskussion, die wir jetzt haben, glaube ich, dass wir die Strafrechtsänderung regelrecht dazu nutzen müssen – auch wegen der hohen Aufmerksamkeit, die dieses Thema dadurch hat –, dass wir auch die anderen Bereiche zu regeln versuchen, insbesondere das, was im Ausländerrecht dazu geregelt werden muss. Das ist mir heute noch einmal absolut klar geworden. Wir werden die Jahresfrist nicht wegbekommen, wenn wir damit anfangen, nachdem die Strafrechtsänderung durch ist. Wir werden nicht noch einmal darüber reden können, ob eine Zwangsverheiratung im Regelfall als besonderer Härtefall definiert wird, so dass auch in jedem Falle ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 19 zu vergeben ist. Dieses muss unserer Auffassung nach parallel besprochen, geregelt und beschlossen werden.

 

Zweiter Punkt: Ich glaube – selbst wenn Herr Lorenz das jetzt sehr zugespitzt hat –, dass es eine Durchlässigkeit oder Übergänge zwischen arrangierten Ehen und Zwangsehen gibt und dass es gar nicht so einfach ist, Frau Baba, das klar abzugrenzen – ich wüsste jedenfalls nicht, wie –, weil es da auch ein unterschiedliches Verständnis gibt. Sie sind Jurist, ich bin keine Juristin, aber ich weiß, dass die Nötigung auch etwas mit Willensbeeinflussung zu tun hat, und ich frage mich: Wann fängt die Willensbeeinflussung zum Eingehen einer Ehe an, und wo hört sie auf? Fängt sie schon da an, wo gesagt wird: Ich erwarte von dir, dass du dich folgendermaßen in eine von mir für dich arrangierte Ehe hineinbegibst. Solltest du das nicht tun, dann bin ich aber schwer enttäuscht, und es kann sein, dass auch der Rest der Familie schwer enttäuscht ist. – Was ist das? Ist das schon eine Zwangsverheiratung, oder ist das eine arrangierte Ehe? – [Abg. Lorenz (SPD): Gute Frage!] – Oder ist eine Zwangsverheiratung zwangsläufig – um den Begriff zu benutzen – immer mit Gewalt verbunden? – Ich finde das von den Übergängen her schwierig. Ich will es ja nicht lösen, ich will nur sagen, dass das nicht ganz einfach ist und dass wir es uns nicht zu einfach machen sollten. – Ich möchte Sie fragen, Frau Kultus und Frau Ateş insbesondere, was Sie zu dieser Thematik arrangierte Ehen sagen, die mir im Übrigen auch sehr fremd sind, wenn ich das Recht der Selbstbestimmung, auch der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen sehe – um das klar und deutlich zu sagen. – [Frau Abg. Baba (PDS): Die jungen Mädchen werden so erzogen, dass sie dann zustimmen!] –Ja! Ich will nur sagen: Das ist mir fremd, fällt aber sicherlich nicht zwangsläufig unter den Begriff Zwangsverheiratung. – Ich wüsste gern, wie Sie das einschätzen.

 

Dritter Punkt – das hat Herr Kurth schon angesprochen –, das möchte ich den Senat fragen, denn das ist mir heute ein bisschen zu kurz gekommen: Was machen Sie eigentlich als rot-roter Senat, außer dass Sie das thematisieren und sich im Bundesrat auch dazu verhalten müssen? Was ist aus den angekündigten Dingen an Berliner Schulen geworden? – Ich halte es für sehr wichtig, dort aufzuklären und mit Lehrerinnen und Lehrern Fortbildungen zu machen, damit die um die Problematik wissen. Was ist mit der Idee – ich glaube, sie kam von Papatya – einer Internetberatung? – Das habe ich, glaube ich, vor einem Jahr gelesen. Vielleicht können Sie zu diesem Angebot noch einmal etwas sagen.

 

Letzter Punkt – das hat mein Kollege Ratzmann schon angesprochen, ich will es aber auch noch einmal
tun – , die Ausländerbehörde. Wie sieht es bezüglich der Ausländerbehörde und des Auslegens von Merkblättern in anderen Sprachen aus? – Ich hatte neulich ein Gespräch mit BIG, da gibt es dieser Tage eine große Plakataktion gegen häusliche Gewalt, die ich auch klasse finde – keine Frage. Aber wenn die mir dann andererseits sagen, dass ihnen das Geld fehlt, um über das Gewaltschutzgesetz in anderen Sprachen als der deutschen aufzuklären, dann finde ich: Das geht nicht. Dazu muss das Geld dann auch da sein. – Deswegen die Frage: Was ist an Aufklärungsmöglichkeiten in der Ausländerbehörde in dem Themenfeld Zwangsverheiratung angedacht?

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Dr. Klotz! – Wir kommen jetzt zur Beantwortung der an die Angehörten gestellten Fragen. – Herr Dr. Brand, bitte!

 

Dr. Brand (Landesvertretung Baden-Württemberg): Herzlichen Dank! – Zum Verfahren: Die Vorschläge Baden-Württembergs können in den Bundestagsbeschluss nicht mehr eingearbeitet werden. Es wird zu diesem Beschluss des Bundestags am Freitag nur der Vermittlungsausschuss angerufen. Man kann den Vermittlungsausschuss nur aus Gründen anrufen, die im Gesetzgebungsverfahren thematisiert worden sind. Das waren sie nicht. Die Initiative Baden-Württembergs ist ein eigenständiges Gesetzgebungsverfahren, d. h. in diesen im Bundesrat übermorgen zur Anrufung vorliegenden Gesetzbeschluss des Bundestags würden Sie dieses Paket nicht mehr hineinbekommen.

 

Warum ist der baden-württembergische Vorstoß vertagt worden? – Als man im Oktober den Entwurf im Bundesratsrechtsausschuss behandelt hat, haben mehrere Länder gesagt, dass das prinzipiell ein ganz gutes Thema sei, sie aber gern ihre Praxis befragen würden – also die Richter und Staatsanwälte, die mit dem Gesetz arbeiten müssen, und im zivilrechtlichen Teil auch diejenigen, die für den Vollzug dieser Norm zuständig sind –, was aus Sicht der Praxis von diesem Gesetzentwurf zu halten ist, wo vielleicht noch Lücken bestehen oder wo vielleicht Dinge noch klarer gefasst werden können. Derartige Praxisbefragungen sind üblich in Bundesratsverfahren. Sie werden in der Regel mit großer Mehrheit beschlossen, und deswegen hat auch Baden-Württemberg diesen Vorstoß Bayerns befürwortet und gesagt: Es ist eine gute Sache, jetzt noch einmal Experten drübergucken zu lassen, damit man aus diesem Gesetzentwurf das Bestmögliche macht. – Es ist also bis zur Wiederaufrufung von Baden-Württemberg vertagt. Wir machen das dann, wenn die anderen Justizverwaltungen uns signalisieren, dass sie mit den Praxisbefragungen fertig sind. Da wäre im Übrigen auch ein Anknüpfungspunkt für den Berliner Senat, etwas zu tun. Er könnte seine Praxis genauso befragen, wie das die bayerischen Kollegen machen, und insofern noch Dinge einarbeiten, die auch in der heutigen Anhörung zur Sprache gekommen sind, indem einfach entsprechende Änderungsanträge im Bundesratsrechtsausschuss gestellt werden. Ob die dann eine Mehrheit finden, ist eine Frage der jeweiligen politischen Konstellation. Aber jedenfalls wären wir für diese Anregungen auch aus Berlin sehr dankbar.

 

Dann wurde von Frau Neumann gefragt, ob die familienrechtlichen Regelungen überhaupt zur Anwendung kommen, wenn beide Personen Nichtdeutsche sind. Es ist in der Tat umstritten im Schrifttum, ob man in diesem Fall zum deutschen Recht oder zum Heimatrecht der Eheschließenden kommt. Auch das war ein Grund, die Praxis anzurufen, um da zu klären: Geht das in der jetzigen Form, wie Baden-Württemberg das vorgeschlagen hat? Oder muss man diese Regelung vielleicht noch etwas nachbessern, damit tatsächlich auch die Fälle erfasst sind?

 

Dann wollte ich gern darauf eingehen, dass das Abschichten zwischen arrangierter Ehe und Zwangsehe sehr schwierig ist. Frau Dr. Klotz und Frau Baba haben es angesprochen. Wir haben die Zwangsheirat im Prinzip durch Absatz 1 des § 234 b definiert, indem wir also sagen: Zwangsheirat ist, wenn eine Person rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zur Eingehung der Ehe genötigt wird. – Das ist wirklich eine schwierige Abgrenzung im Einzelfall und genauso wenig, wie Sie die arrangierte Ehe sprachlich trennscharf von der Zwangsehe scheiden können, ist es möglich, im Strafrecht von vornherein eine absolut jedem Einzelfall gerecht werdende Lösung zu finden, wenn Sie zu sehr in die Strafbarkeit hineingehen. Deswegen haben wir hier in Absatz 1 einfach definiert, was Zwangsheirat als in jedem Fall strafwürdiges Übel ist, und nun liegt es an der Rechtspraxis, also dem Richter, der den Fall auf seinem Schreibtisch hat, im Einzelfall zu entscheiden, ob das Nötigungsmittel, das genutzt wurde, also die Gewalt oder die Drohung, strafwürdig ist oder nicht. Zur Drohung kann ich nur einen Standardsatz vorlesen, der sich in der Literatur immer findet und deutlich macht, wie schwierig es ist, das im Einzelfall zu entscheiden. Man sagt:

 

Eine Drohung liegt dann nicht vor, wenn ein besonnener Mensch der Drohung standgehalten hätte, wenn also der Drohungscharakter nicht ohne Weiteres auf der Hand liegt.

 

Was ist nun ein Umstand, den ein besonnener Mensch – – [Zuruf] – Das ist halt schwierig im Einzelfall! – Was ist von einem 16-jährigen Mädchen zu erwarten, das ohne größeren Kontakt zu Hilfspersonen in eine Situation gebracht wurde, die sehr schwierig ist? Wo ist da die Besonnenheit anzusetzen? – Das sind Fragen des Einzelfalls, die dann auch die Rechtsprechung klären muss. Das können Sie in ein Gesetz so scharf, wie Sie es vielleicht wünschen, Frau Baba, leider nicht hineinschreiben. Da sind dem Recht Grenzen gesetzt. – Vielleicht können Sie das aus Ihrer Praxis ergänzen, ob es da diese Eindeutigkeit gibt, die in juristischer Hinsicht sehr schwer zu schaffen ist.

 


Herr Ratzmann hatte angesprochen, dass schon das Regelbeispiel des Bundestagsbeschlusses, also Zwangsheirat als Beispiel eines besonders schweren Falls der Nötigung, dem Richter nicht so viel Spielraum lässt, davon abzuweichen und diesen schweren Fall nicht zu bejahen. Natürlich sagt ein Regelbeispiel – das impliziert schon das Wort –: Die Regel ist, dass die Strafbarkeit nach diesem schwereren Strafrahmen zu verhängen ist. – Aber es gibt eben im Einzelfall die Möglichkeit für den Richter, von diesem schweren Strafrahmen abzuweichen und in das normale Nötigungsstrafmaß hineinzugehen. Es kommt darauf an, wie der Einzelfall gelagert ist und wie der Richter mit seiner Persönlichkeit den Fall beurteilt. Wenn Sie den Richter stärker in die Richtung leiten wollen: Wir wollen, dass das strafwürdiger wird. –, dann ist die Qualifikation der vorzugswürdige Tatbestand, zumal dieses Regelbeispiel – aber das ist eine ganz andere Diskussion – auch auf große verfassungsrechtliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Bestimmtheit stößt. Das gilt generell für die Regelbeispiele der Schwernötigung. Das ist aber ein anderes Thema. Das möchte ich heute nicht vertiefen.

 

Hinsichtlich des Strafmaßes sind wir offen für Vorschläge. Wir haben das jetzt in unserem Vorschlag von drei Monaten bis zu fünf Jahren vorgesehen. Wir erhoffen uns aus der Praxiserfragung und aus anderen Reaktionen, die auf diesen Gesetzesentwurf erfolgen, dass wir vielleicht auch Hinweise erhalten, ob dieses Strafmaß, das wir gewählt haben, wirklich das richtige ist oder ob man es bei sechs Monaten oder bei einem Verbrechensstrafmaß von einem Jahr ansetzen sollte. Die Probleme, die damit verbunden sind, wurden ja auch von verschiedenen Anwesenden sehr deutlich gemacht. D. h., da müssen wir gucken: Was wird dieser Straftat gerecht? – auch im Vergleich zu anderen Delikten, bei denen sich ein Jahr Mindeststrafe bewährt hat, denn das Strafrecht muss ja in sich konsistent bleiben, sonst sagt man irgendwann: Also die Zwangsheirat habt ihr schon mit einem Jahr Mindeststrafe bedroht, jetzt müsst ihr aber auch bei dem und dem Tatbestand das Strafmaß mal ordentlich nach oben erhöhen! – In diese Diskussion wollen wir damit nicht hinein, sondern wir wollen es da in das Unrechtssystem einpassen, wo es im deutschen Strafrecht anzusiedeln wäre, und da war unsere Lösung bisher drei Monate. Wie gesagt, wir sind da offen für Argumente.

 

Frau Senftleben hat vorgeschlagen, dass man die Zwangsheirat ein bisschen anders definiert und nicht nur sagt „zur Eingehung der Ehe nötigt“, sondern „zur Eingehung und Weiterführung der Ehe nötigt“. Ich finde das einen sehr charmanten Vorschlag. Auch das ist etwas, was in der Befragung unserer Praktiker vielleicht noch parallel dazu aufgeworfen wird. Wenn man das macht – wir werden das prüfen –, dann müsste man aber wahrscheinlich die Überschrift „Zwangsheirat“ in „Zwangsehe“ ändern, denn wenn jemand bereits verheiratet ist und dann genötigt wird, dann ist zumindest der Heiratsmoment nicht zwangsweise gewesen. Da müsste man also einmal genau gucken, dass man innerhalb der juristischen Begrifflichkeit konsistent bleibt.

 

Hinsichtlich des kostenfreien Rechtsbeistandes, der auch gefordert wurde: Das ist auch eine Ergänzung, bei der wir auf die Rückläufe von der Praxis gespannt sind, ob es auch da Bedarf gibt, das Recht des Opfers auf einen kostenfreien Rechtsbeistand auszuweiten – genauso wie die Rechte des Standesbeamten, stärker darauf hinzuweisen oder nachzuforschen, ob eine Zwangsheirat vorliegt. Da muss uns wirklich auch die Praxis Hinweise geben, was im Einzelfall hilft. Klar ist, dass ein Standesbeamter schon jetzt nicht gezwungen ist, rechtswidrige Ehen zu vollziehen. Aber es ist im Einzelfall eine Frage der Ausgestaltung, wie diese Sache dann tatsächlich zur Sprache kommt, ob der Standesbeamte eine solche institutionalisierte Gesprächsmöglichkeit erhält und ob ihm vielleicht durch einen entsprechenden Hinweis im Gesetz die gesetzliche Pflicht noch einmal deutlicher vor Augen gehalten wird. – Ich glaube, ich habe jetzt die Fragen so weit alle abgearbeitet und möchte mich nochmals für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Dr. Brand! – Frau Kultus, bitte!

 

Frau Kultus (Papatya, Kriseneinrichtung für junge Migrantinnen): Ich möchte zuerst auf die Frage von Frau Klotz antworten. Uns ist die Unterscheidung zwischen arrangierter Ehe und Zwangsheirat wichtig. Da sind wir nicht immer im Einklang mit anderen engagierten Frauen, die in dem Bereich arbeiten. Die sagen z. T.: Jede arrangierte Ehe ist eine Zwangsehe. – Wir erfahren das in der Praxis bei den Mädchen anders. Es gibt durchaus Mädchen, die zu uns kommen und sagen, sie akzeptieren, dass die Eltern ihren Ehepartner aussuchen, weil sie sagen: Wo soll ich einen kennen lernen? – Ich darf eh nie ’raus. Die haben ja Erfahrung, sollen sie mir einen präsentieren. Wenn ich damit einverstanden bin, sage ich Ja, und wenn ich Nein sage und sie zwingen mich nicht, ist das so weit in Ordnung. – Das widerspricht meiner eigenen Sozialisation und meinen eigenen Vorstellungen von Ehe zweifellos, aber diese Mädchen fühlen sich dann nicht zwangsverheiratet, wenn sie Ja sagen können und auch ein Nein akzeptiert wird. Für uns ist der gefühlte Zwang die Grenzlinie zwischen Zwangsverheiratung oder nicht. Es ist auch nicht so, dass Mädchen nur zwangsverheiratet sind, wenn sie Nein gesagt haben und die Eltern sagen: Und du heiratest den doch! –, sondern manchmal gibt es auch eine Sprachlosigkeit, wo Widerspruch sinnlos, zwecklos, nie gewesen ist, wo ein Mädchen gar nichts sagt, und es ist eine Zwangsehe, ohne dass sie überhaupt Nein sagen kann, weil es in dieser Familie ein Nein überhaupt nicht gibt. Insofern ist gefühlter Zwang ein wichtiges Kriterium – wobei ich nicht weiß, in welche juristische Form man das fassen kann. Aber die Betroffenen selbst wissen sehr genau, wo die Grenze zwischen Zwangsverheiratung und akzeptierter arrangierter Ehe ist.

 

Dann zur Frage, wie man die Mädchen erreicht, und zur Frage nach der Internetberatung. Tatsächlich ist es uns gelungen – ich habe hier noch zwei Visitenkärtchen –, seit diesem Jahr über die Stiftung „Aktion Mensch“ Internetberatung anzubieten, weil wir auch gesagt haben: In den Schulen gibt es keine geeignete Beratung. Die Lehrer selbst wissen zu wenig. Es gibt auch nicht überall Schulsozialarbeiter, die helfen könnten. Aber es gibt für viele Mädchen, gerade für junge Mädchen, Zugang zu Computern, wo sie viel weniger Scheu haben, als man denkt. Die, die zu uns kommen, haben oft E-Mail-Adressen und chatten im Internet und so etwas. Für sie ist der Computer ein ganz normales Arbeitsinstrument, und wir versuchen nun, diese Internetberatungsadresse auch an den Schulen bekannter zu machen, damit sie auf diesem Weg Zugang zu Beratungsstellen finden. Sie könnten nicht in Kreuzberg zur nächsten Beratungsstelle gehen, weil sofort der Bruder wüsste, dass sie dort war, und wissen wollte, was sie dort gemacht hat. Diese Internetberatung ist ein guter Anfang – es gibt Erfahrungen aus dem Ausland, die ganz erfolgversprechend sind –, wobei das jetzt bis Ende 2006 finanziert ist. „Aktion Mensch“ verlangt, dass es dann aus Haushaltsmitteln fortgesetzt wird. Wir wissen noch nicht, was dann sein wird. Wir fangen auf jeden Fall an.

 

Wir machen auch Plakate. Dieses Plakat von Terre des Femmes „Wer entscheidet, wen du heiratest?“ – ich weiß nicht, ob Sie das alle kennen – soll jetzt mit Berliner Telefonnummern an Schulen aufgehängt werden, also mit der BIG-Hotline, mit der Telefonnummer des Mädchennotdienstes und einer E-Mail-Beratungsadresse von uns. Diese Plakate werden jetzt erst einmal in einer relativ geringen Auflage gedruckt, denn es fehlt uns das Geld, sie in einer ausreichenden Zahl zu machen. Aber es ist ein Anfang.

 

Ansonsten erreicht man die Mädchen nach wie vor am besten über die Schulen. Der Hinweis auf Ärzte ist sehr wichtig. Wir arbeiten daran und versuchen auch, über Brüssel, über das Daphne-Programm, solche Sachen anzuregen, anzustoßen, dass man Netzwerke mit Ärzten zusammen schaffen kann. Ein guter Anfang ist „Signal“. Das ist eine Einrichtung am Benjamin-Franklin-Klinikum, die speziell Frauen aus Gewaltsituationen berät und sehr viel mit Migrantinnen zu tun hat – wobei diese Mädchen bei uns ganz oft noch nie bei einem Frauenarzt waren. Das muss man auch sehen. Diese Personengruppe, die von Zwangsverheiratung bedroht ist, geht nur dann zum Frauenarzt, wenn die Eltern sie hinschicken, um zu testen, ob sie noch Jungfrau ist. Und bis es so weit kommt, ist schon vieles ins Wasser gefallen. – [Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): „Signal“ ist aber nicht nur für Frauen da?] – Nein, das ist richtig. Ansonsten sind die Frauenärzte oft eine Stelle, die viel mitkriegt, aber bei der Personengruppe nicht. Das ist eine Gruppe, die wir bislang wenig erreichen – wir würden sie gern besser erreichen.

 

Zur Frage von Frau Pop: Wie kann man die Mütter einbeziehen? – Das finde ich ein sehr schwieriges Thema. Gewalt im Namen der Ehre wird ja von dem ganzen Familienfeld betrieben. Es ist nicht so, dass der Vater böse ist und die Mutter versucht, ihre Tochter zu schützen, sondern gerade wenn es um Heirat geht, ist das ganze Familiensystem mit sämtlichen Verwandten hinterher, dass das Mädchen denjenigen heiratet, den die Familie beschlossen hat. Da machen die Mütter keine Ausnahme – im Gegenteil. Sie sind z. T. die, die am meisten drücken und sagen: Da musst du durch, und mit der Zeit gewöhnst du dich daran. Dann kommt auch die Liebe. – Das sind Sprüche, die wir immer wieder hören. Insofern ist bei so einem Konfliktfall auch keine Unterstützung durch die Mütter zu erwarten. Sicherlich, je mehr die Mütter integriert wären, desto mehr könnten sie auch ihre Töchter unterstützen. Dieser ursprüngliche Ansatz, nachmittags Sprachunterricht für Mütter an den Schulen anzubieten, wo ihre Kinder vormittags hingehen – den Frau John mit initiiert hat – ist ja nur rudimentär vorhanden, wenn er überhaupt noch finanziert wird. Ich weiß gar nicht, ob er nicht schon ganz eingeschlafen ist. – [Frau Abg. Baba (PDS): Die Mütterkurse werden finanziert!] – Aber nur in geringem Umfang, und es wäre wichtig, dass es immer mehr solche Sachen gäbe. – Jedenfalls können wir uns auf die Mütter in der Arbeit, in dem Konflikt mit den Mädchen nicht wirklich stützen. Das muss man schon sehen. Die stehen selbst zu sehr unter Druck.

 

Die Jugendhilfe ist – leider Gottes, finde ich – ein ganz stark auf das Elternrecht fixiertes Gesetz. Es ist so, damit leben wir, das ist mit der KJHG-Änderung so gewollt worden. Wir haben sehr viel mit Inobhutnahmen zu tun. Das ist ein heftiger Eingriff ins Familienrecht und in die Familien. Wir haben auch viel mit Sorgerechtsentzügen durch die Gerichte zu tun. Auch da gibt es noch sehr viel Aufklärungs- und Sensibilisierungsbedarf bei Richtern, die oft immer noch sagen: Das ist deine Kultur, und deswegen ist es normal, dass du geschlagen wirst. – Auch das sollte nicht sein, dürfte nicht sein, ist aber Realität. Wir arbeiten überwiegend mit Inobhutnahme bei Minderjährigen. Bei jungen Volljährigen ist es nicht möglich. Die Praxis des KJHG ist furchtbar, das habe ich vorhin schon deutlich gesagt. Es gibt kaum noch Möglichkeiten, über 18-Jährige über Jugendhilfe zu unterstützen und für einen gewissen Zeitraum in irgendwelches betreutes Wohnen zu bringen, bis sie ein Maß an Selbstständigkeit erreicht haben, wo sie selbstständig leben könnten. Ich denke, da sind auch die einzelnen Sozialarbeiter beim Jugendamt überfordert. Es gibt manchmal ganz mutige, kämpferische, die dann auch tatsächlich im Einzelfall noch etwas durchsetzen können. Aber es müsste eigentlich über die Senatsverwaltung für Jugend, über den Rat der Bürgermeister, über die Jugendamtsleitung von oben nach unten gehen, dass das KJHG in diesen Fällen, wo keine Selbstständigkeitserziehung stattgefunden hat, auch für die über 18-Jährigen anzuwenden ist. Das ist ja eine völlig andere Sozialisation, als wir sie haben. Diese Mädchen sind nicht auf alleine leben, auf Selbstständigkeit vorbereitet und brauchen von da her Unterstützung. Das KJHG müsste darauf angewendet werden, aber dieser Druck kann nur von oben kommen, denn die einzelnen Sozialarbeiter in den Jugendämtern, die durchaus unterstützen wollen, werden da auch von ihren Vorgesetzten allein gelassen.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Kultus! – Frau Ateş, bitte!

 

Frau Ateş (Rechtsanwältin): Ganz kurz zu dem Familienrecht, das gilt, wenn beide Nichtdeutsche sind. Das hat der Kollege Brand gerade schon gesagt. Nach dem EGBGB haben wir den Zustand, dass danach geschaut wird, welche Staatsangehörigkeit die Personen haben, und wenn beide nichtdeutsche Staatsangehörige sind, dann gilt das Heimatrecht. Es gibt noch verschiedene andere Bereiche, wo es ganz schwierig ist. Das ist ein Punkt, den man sich genauer anschauen und dann evtl. auch überregionale, internationale Regelungen entsprechend einfügen müsste. Da müsste man sich weitere Gedanken machen.

 

Täter geht, Opfer bleibt. Das war die Zuspitzung meiner Provokation, die selbstverständlich nicht nur als Provokation gemeint war. Ich habe ja auch im Nachsatz gesagt, dass Provokationen – einige bezeichnen das so, ich nicht unbedingt immer – dazu dienen, doch etwas zu verändern. Ich habe aber nicht gesagt: „Täter geht“. Von „gehen“ habe ich nicht gesprochen. Ich habe von aufenthalts- bzw. ausländerrechtlichen Konsequenzen gesprochen. Das ist ein großer Unterschied. Ich will, dass die Täter herangezogen und die Opfer dadurch geschützt werden. Damit geht nicht unbedingt immer der Gedanke einher: Jeder nicht ordentliche und uns unangenehme Nichtdeutsche ist des Landes zu verweisen. Also das bitte nicht, nicht immer gleich verweisen! Das sind ja mitunter auch Menschen, die hier geboren und sozialisiert sind, und diese Gesellschaft trägt die Verantwortung für diese Menschen.

 

Nichtsdestotrotz haben diese Täter mit aufenthaltsrechtlichen Konsequenzen für ihre Partnerinnen gedroht oder drohen damit – deshalb die Formulierung. Es ist wichtig, auf Formulierungen zu achten. „Aufenthaltsrechtliche Konsequenzen für den Täter“ bedeutet, dass man ihm oder ihr ein Signal setzt. Es kann ja auch die Mutter sein, um die es hier geht, ich habe da wirklich keinerlei Grenzen, weil die Zwangsverheiratung für mich so ein großes Verbrechen ist. Ich erlebe die Konsequenzen – wie Papatya auch – an den Frauen, wenn sie bei mir zusammenbrechen, wenn sie über ihre jahre- oder jahrzehntelangen Martyrien berichten. Das ist so grausam, dass es für mich ein Verbrechen ist, das entsprechend zu ahnden ist. Und wenn dann diese Frauen ausharren mussten, wenn sie sagen: Aber ich verliere doch meinen Aufenthalt, sonst werde ich doch abgeschoben, deshalb habe ich es ausgehalten. –, wenn das der Grund war, dann müssen wir eben an diesem Punkt ansetzen. Das ist ernst gemeint.

 

Wenn wir ein Instrument haben, müssen wir an allen Ecken und Enden ansetzen und sagen: Der Täter/die Täterin hat einen gewissen Aufenthaltsstatus, und dieser Aufenthaltsstatus ist gefährdet, wenn er oder sie sich an einer Zwangsverheiratung beteiligt. – Das setzt man als Signal in Richtung des Täters. Wie es ausländerrechtlich zu lösen ist, ist eine andere Frage. Ich habe keine Patentlösung, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Das werde ich in Zukunft noch im Detail machen – so, wie es beim Straftatbestand ist, wo ich auch ganz klar gesagt habe: Da habe ich Vorstellungen. Es ist auf jeden Fall ein Verbrechen und kann auch im Ausländerrecht so geregelt werden. Es ist gesetzlich nicht unmöglich, es so zu regeln, dass man sagen könnte: Du hast jetzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis oder eine Aufenthaltsberechtigung und bist im Strafverfahren wegen Zwangsverheiratung verurteilt worden, bzw. es gibt hier eine Anzeige. Deshalb wird dir dieser Aufenthaltsstatus jetzt entzogen und in einen drei- oder sechsmonatigen Aufenthalt umgeändert. – Es geht mir nicht darum, diese Menschen sofort auszuweisen. Es geht doch darum, hier eine gesellschaftliche Veränderung auch im Bewusstsein zu vollziehen und nicht alle sofort des Landes zu verweisen. Es geht einfach darum, ihnen dieses Erpressungsmittel aus der Hand zu nehmen.

 

Zu den arrangierten und den Zwangsehen: Frau Kultus hat ja schon angedeutet, dass es Mitkämpferinnen bei dem Thema gibt, die eine andere Ansicht vertreten, und dazu gehöre ich. Praktischerweise haben Sie gleich die andere Position hier. Für mich sind die allermeisten arrangierten Ehen Zwangsehen. Das behaupte ich ganz selbstbewusst, auch aus dem Kulturkreis kommend und mit ganz vielen Cousinen und Cousins, die zwangsverheiratet wurden, was nach außen so nach arrangierter Ehe aussieht. Wenn wir uns das begrifflich anschauen: Arrangiert ist es dann, wenn überhaupt die Möglichkeit besteht, Ja oder Nein zu sagen. Ja oder Nein kann ein Mensch sagen, wenn er überhaupt dazu erzogen wurde, Ja oder Nein sagen zu lernen. Wenn Frau Kultus sagen würde, es sei eine arrangierte Ehe, weil es um das Gefühlte geht – „Ich fühl’ mich gar nicht gezwungen, denn wie soll ich denn anders jemanden finden?“, – dann ist das für mich immer eine Zwangsverheiratung, und zwar deshalb, weil eben niemals gelernt wurde, sich zur Wehr zu setzen bzw. das gar nicht akzeptiert wird. Es ist mir zu schwach zu sagen: Die Mädels formulieren das als solche.

 

Mit diesen Mädels und Frauen habe ich auch zu tun, und wenn ich mit denen dann länger rede, wenn wir länger ins Gespräch kommen, dann fangen sie an, das differenziert zu betrachten und sich auch selbst Gedanken machen: Was habe ich da eigentlich gemacht? Habe ich da tatsächlich einer arrangierten Ehe zugestimmt? – „Görücü usuli“ – „Man sieht sich“ – und entscheidet. So nennt sich das im Türkischen nach der Tradition. Es werden Fotos gezeigt und gefragt: Gefällt er dir? Du bist im heiratsfähigen Alter. Was sagst du denn zu dem oder zu der? – Inzwischen sind es ganz modern die Videokassetten, die man so hin- und her verschickt. Weil für diese jungen Menschen keine andere Möglichkeit besteht, überhaupt den Partner auszusuchen, ist für mich die Abgrenzung nicht so schwierig. Viele so genannte arrangierte Ehen sind Zwangsehen, und ich möchte vor Verharmlosung auch auf diesem Gebiet warnen. Es kann nicht sein, dass wir dann dadurch verharmlosen, indem wir vieles in die arrangierte Ehe packen. Auch den jungen Menschen wird damit keine Hilfe geleistet, sich selbstbewusst zu entwickeln und zur Wehr zu setzen. Die freie Willensäußerung ist nicht vorhanden.

 

Es stellt sich ja auch die Frage der Konsequenz bei dieser Abgrenzung. Was ist die Konsequenz bei der arrangierten Ehe? Mit welcher Konsequenz wollen Sie diese Abgrenzung vollziehen? – Dann haben wir eine Vielzahl von Ehen, wo das Gefühlte sozusagen nicht Zwang ist. Dann haben wir eine Vielzahl dieser Heiraten – die Dunkelziffer ist sehr hoch –, die nicht geahndet und bestraft werden, und das ist unverhältnismäßig. – [Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): Aber würden Sie wirklich sagen, dass jede arrangierte Ehe eine Zwangsheirat ist?] – Nahezu! Es gibt ganz selten – das erlebe ich natürlich auch – Menschen, die wirklich sagen: Ich habe so viele Jahre Beziehungen gelebt, die nicht okay waren, und ich finde jetzt keinen. – Wir haben ganz viele Singletreffs hier in dieser Stadt. Diese Stadt ist eine Singlehochburg. Wir wissen, dass Menschen versuchen, sich auf Partys oder im Internet oder sonst wie kennen zu lernen. Diese Problematik erleben wir ja weltweit. Es ist kein türkisches oder muslimisches oder anderes Problem, dass Menschen keinen Partner finden. So etwas gibt es selbstverständlich. Auch im türkischen Kulturkreis gibt es das, dass Männer oder Frauen sagen – – [Zuruf] – Ja, natürlich, diese arrangierten Ehen gibt es, aber die sind fernab von dem, worüber wir hier sprechen. Das sind Menschen, die ganz selbstbewusst und frei sagen: Ja, Onkel, Tante! – Und sie schlagen das vor und sagen: Hier, willst du jetzt nicht mal? Sollen wir dir helfen? – Und dann ist die Hilfe ja auch gern gesehen. Das ist aber etwas ganz anderes als das, was wir bei den jungen Menschen mit den so genannten arrangierten Ehen erleben. Zu diesem Thema hat Frau Necla Kelek ein Buch veröffentlicht. – Das ist der größere Punkt gewesen, die anderen gehen viel schneller.

 

Eltern, Mütter, Schule und Ärzte müssen einbezogen werden – auf jeden Fall. Die Arbeit mit den Jungs und Männern ist aber auch wichtig. Wir müssen auch mit den Jungs arbeiten, das fängt schon im Kindergartenalter an. Die Aufklärung der Betroffenen beginnt nicht in der Schule. Die Schule ist ein ganz wichtiger Ort, wo Aufklärung stattfindet, wo sehr viele unserer Leute, unserer Frauen und Mädchen auch Informationen bekommen, aber meiner Ansicht nach muss das schon im Kindergartenalter beginnen. Da setzen sehr viele Probleme an. Da müssen wir schon ansetzen. Die Mütter sind teilweise selbst zwangsverheiratet und zwangsverheiraten ihre Töchter. Es ist die gleiche Problematik wie bei der Genitalverstümmelung: Verstümmelte Frauen halten ihre Töchter fest. – Natürlich muss man mit denen arbeiten, natürlich muss da auch eine große Arbeit geleistet werden. Aber man muss ihnen auch Unterstützung und Hilfsangebote in die Hand geben. Man kann nicht einfach nur sagen: Du, du, das ist böse, was du da machst! –, sondern man muss ihnen auch Hilfsmittel geben, um aus diesen – übrigens nicht religiös begründeten – Traditionen auszubrechen.

 

Schadensersatz, Schmerzensgeld evtl.: Wie gesagt, darüber habe ich mir noch keine ausführlichen Gedanken gemacht. Schmerzensgeld wäre etwas, was in Betracht zu ziehen wäre. Gerichte in Deutschland sind mit Schadensersatz und Schmerzensgeld sehr zurückhaltend. Es könnte bei der Zwangsverheiratung evtl. ein nächster Schritt sein, dass man da etwas installiert.

 

Die „Eingehung und Weiterführung der Ehe“ mit aufzunehmen, sehe ich ein bisschen problematisch. Mir geht es in erster Linie um die Eingehung, denn wir kommen in sehr große Probleme, wenn wir eine schon eingegangene Ehe haben und dann der Ehemann der Scheidung z. B. nicht zustimmt. Dann hätte ich jetzt im Grunde genommen bei fast 100 % meiner türkischen und kurdischen Scheidungsfälle eine Ehe, die nach den Kriterien der Zwangsehe für nichtig zu erklären wäre, weil die Männer meistens der Trennung nicht zustimmen und zwangsweise die Fortführung der Ehe verlangen. Es ist ganz problematisch, das da mit einzubeziehen. – Ich denke, das waren alle Fragen, die ich beantworten konnte. – Danke schön!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Ateş! – Wir hatten uns vorgenommen, uns bei diesem Thema nicht unter Zeitdruck zu setzen, aber um 12.30 Uhr ist unser Ausschuss immer zu Ende. Wir bringen das Thema natürlich zu Ende, ich wollte Sie nur auf unser Zeitbudget hinweisen. – Frau Alpbek, bitte!

 

Frau Alpbek (Migrationsbeirat): Danke schön! – Leider ist Herr Lorenz jetzt nicht mehr hier. Er meinte, er habe noch nie eine Ehe erlebt, wo die Eltern nicht beteiligt gewesen seien. Ich kann ihm mehrere Fälle vorstellen, wenn er möchte. Hier sind ja auch Frauen, die einen Migrationshintergrund haben, und wir wurden sicherlich nicht zur Ehe gezwungen. Wie auch immer – er hat von seinen Erfahrungen erzählt, ich kann auch sehr viel von meinen Erfahrungen erzählen, aber Tatsache ist, dass in Berlin sehr viele junge Frauen und Mädchen zur Ehe gezwungen werden, und deshalb müssen wir endlich etwas tun.

 

Zwangsverheiratung oder arrangierte Heirat: Der Übergang ist fließend. Das festzustellen, ist sehr schwierig – wie auch vorhin gesagt wurde. Wenn aber eine Frau meint: Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe ich eingewilligt, aber dann habe ich gemerkt, dass ich doch unter Willensbeeinflussung stand. – Oder wenn sie hinterher das Gefühl hat, eigentlich wurde sie doch zu dieser Ehe gezwungen, dann müssten rechtliche Schritte auch anerkannt werden – nicht über die Scheidung, sondern über die Aufhebung der Ehe. Ich weiß nicht, wie das praktisch gehandhabt wird.

 

Konkrete Ansätze für Prävention: Ich meine auch – wie Frau Ateş –, dass die Prävention eigentlich schon im Kindergartenalter anfangen sollte. Ich kann aus eigener Erfahrung auch ein Beispiel erzählen. Ich habe eine Tochter, die sechs Jahre alt ist. Vor ein paar Jahren schon kam sie an und fragte mich: Mama, muss man heiraten, um Kinder zu kriegen? – Das ist schon ein Thema unter den Kindern, und da müssen die Erzieherinnen auch schon präventiv arbeiten, denn es gibt natürlich Menschen in unserem Kulturkreis, die diese Frage in der Regel mit Ja beantworten würden. Dann muss die Erzieherin dagegenhalten. Aber die Erzieherinnen müssen natürlich auch in dieser Hinsicht geschult werden. Es gibt noch viele andere Fälle. Aber es ist zu spät, wenn das Mädchen schon in der Schule ist. Da müssen die Prävention und die Aufklärung natürlich weiter betrieben werden, aber nicht nur dort, sondern auch über Moscheegemeinden. Es ist nicht so, dass alle Moscheegemeinden Fundamentalisten oder fundamentalistisch orientiert sind. Da gibt es z. B. DITIB, die sich in dieser Hinsicht sehr kooperationsbereit zeigen. Dieses Angebot muss man sich zunutze machen. Und die Aufklärung könnte z. B. über NGOs erfolgen, über den Türkischen Bund Berlin-Brandenburg oder andere Vereine, über Caféhäuser vielleicht, wo die Männer sich ja sehr gern treffen. Es geht ja hier auch um Aufklärung der Männer, nicht nur der Frauen, denn man muss das Problem an der Wurzel packen.

 


Opfer bleiben, Täter gehen. Ich bin sehr froh, dass Frau Ateş das richtig erklärt und gesagt hat, dass sie damit nicht die Ausweisung meint, weil diese Menschen meistens hier aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Wir wollen doch nicht, dass sie in die Türkei abgeschoben werden, weil die Probleme hier in Deutschland entstanden sind. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Alpbek! – Frau Plathe, bitte!

 

Frau Plathe (LKA): Ich kann mich ganz kurz fassen. Es wurde nur eine Frage von Frau Baba zu dem Thema Schadensersatz oder Wiedergutmachung an mich herangetragen. Dafür bin ich sicherlich nicht die Expertin, aber es gibt die Möglichkeit, im Rahmen des Strafprozesses im so genannten Adhäsionsverfahren auch Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Die Ausführungen dazu würden den Rahmen dieser Sitzung sprengen, weil das ausgesprochen kompliziert, aber auch im Rahmen des Opferrechtsreformgesetzes im September dieses Jahres verbessert worden ist. Nähere Auskünfte können Sie sicherlich von den Vertretern der Justizverwaltung erhalten. – Danke!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Plathe! – Herr Piening, bitte!

 

Herr Piening (Senatsbeauftragter für Integration und Migration): Ich werde versuchen, mich auch kurz zu fassen. – Die Frage war vor allen Dingen: Was machen wir? Was macht der Senat, aber gerade auch der Integrationsbeauftragte in diesem Zusammenhang? – Der Integrationsbeauftragte ist im BIG vertreten, und wir haben in den letzten vergangenen Jahren sehr stark im Kontext mit BIG, gemeinsam mit den NGOs, versucht, dieses Thema aufzuarbeiten. Wir haben an der Broschüre mitgearbeitet, die vor zwei Jahren vorgestellt worden ist, und wir haben im Januar, Februar angeregt, dass sich BIG mit anderen sehr intensiv mit dieser ganzen Thematik beschäftigt. Es hat am 17. August ein Expertentreffen zu diesen Themen stattgefunden. Daraus sind vier Anträge für den runden Tisch gegen Gewalt entstanden – die für mich sehr wichtig sind –, die in der kommenden Woche beraten werden, die sich insbesondere mit den Fragen beschäftigen: Wie kann der ausländerrechtliche Schutz der Frauen verbessert werden? Wie kann die Ausländerbehörde dafür sensibilisiert werden, ihre Spielräume zu nutzen? Was kann Berlin im Zusammenhang mit den jetzt vom Bund erarbeiteten Ausführungsbestimmungen zum Zuwanderungsgesetz tun, Einfluss auf diese Ausführungsbestimmungen zu nehmen, dass im Grunde genommen diese Intentionen verwirklicht werden? – Ich hoffe, dass diese vier Anträge in der nächsten Woche durchkommen. Es geht erstens darum, der runde Tisch bittet die Senatsverwaltung für Inneres, sich im Zuge der Erarbeitung der bundesweiten Anwendungshinweise dafür einzusetzen, dass die spezifische Situation von Migranten berücksichtigt wird, deren Aufenthaltsrecht nur vom Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft abhängig ist und die von häuslicher Gewalt betroffen sind. Ein Antrag beschäftigt sich explizit mit dem Thema Zwangsheirat.

 

Ein anderer Beschlussvorschlag – damit komme ich zur Frage: Was macht eigentlich die Ausländerbehörde? – weist daraufhin, dass im August 2004, auch auf Initiative von BIG und unter Beteiligung des Integrationsbeauftragten, eine Veranstaltung für die Beschäftigen der Ausländerbehörde stattgefunden hat, wo versucht worden ist, das Thema „häusliche Gewalt“ für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ausländerbehörde aufzugreifen, zu thematisieren und sie dafür zu sensibilisieren. Das soll nach unseren Vorstellungen fortgesetzt werden. Was ich sehr wichtig finde, weil BIG für mich ein ganz zentraler Akteur ist, ist, dass der runde Tisch bzw. BIG selbst sagt: Wir wollen künftig bei der Diskussion um häusliche Gewalt viel stärker das Thema „häusliche Gewalt“ vor dem Migrationshintergrund thematisieren. BIG ist ein guter Ort, wo es hingehört. Da erwarte ich nach den Beschlüssen des runden Tisches auch Initiativen des Innensenators.

 

Da komme ich noch einmal zu den mehrsprachigen Informationsblättern und den Informationen. Ich habe den Innensenator nicht so verstanden, dass er sagt: Wir machen das nicht, sondern er hat gesagt: Wir machen einen Schritt vor dem anderen. Wir brauchen erst einmal die Ausführungshinweise, und eventuell müssen wir sehen, wo wir noch ergänzende Weisungen an die Ausländerbehörde brauchen. Dann ist es sinnvoll, Informationsblätter zu machen, und da werden wir sicherlich auch sehen, in welchen Sprachen wir die übersetzen, aber wir sollten doch wirklich einen Schritt vor dem anderen machen. Zunächst brauchen wir erst einmal die Anwendungshinweise zum Zuwanderungsgesetz und eventuell Weisungen. Insofern können Sie gerne in einem halben Jahr nachfragen. – [Frau Abg. Dr. Klotz (Grüne): § 19 Ausländergesetz gibt es schon!] – Nein, wir werden neue Ausführungshinweise bekommen, insbesondere zur Interpretation der Härtefallregelung. Darauf warten wir. Wir wissen nicht, wie der Bund sie ausgestalten wird. Das BMI arbeitet zurzeit an diesen Ausführungshinweisen, die Teile des Zuwanderungsgesetzes sind. Wir haben eine vollkommen neue Rechtsmaterie, auch wenn die Dinge überführt worden sind. Natürlich bekommen wir neue Ausführungshinweise. Insofern verstehe ich nicht, warum wir in einem Monat diese Broschüren produzieren sollen, wo wir in einem Monat eine neue Grundlage mit den entsprechenden Interpretationen haben werden. Dann müssen wir überlegen, wie wir die Informationen an die Betroffenen heranbringen. – Soweit die rechtliche Geschichte.

 

Ich habe Ihnen in meiner Einführung noch einen zweiten großen Themenbereich benannt, an dem wir zurzeit im Rahmen des Beschlussantrages der Koalition arbeiten: Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen für Berlin. Es ist ein Aktionsplan über Freiräume und Integrationschancen für zugewanderte Frauen und Mädchen vorgesehen. Dieser Integrationsplan ist mit Stichworten in dem Koalitionsantrag umrissen worden. Ein großer Aspekt betrifft eine niedrigschwellige frühzeitige Ansprache von Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund, eine stärkere Thematisierung in den Schulen, als das bisher der Fall ist. Und – da wissen wir allerdings noch nicht, wie wir es umsetzen – es wird auch benannt, dass in den Jugendhilfeeinrichtungen und in den Schulen spezifische Ansprechpartnerinnen für die Mädchen benannt werden sollen, damit sie ein Gesicht haben. Es ist schwierig, das umzusetzen, aber das Gesamte wird ein Teil des Aktionsplans „Freiräume und Integrationschancen für zugewanderte Mädchen und Frauen“ sein. Ich hoffe, dass die Dringlichkeit, die auch die Oppositionsfraktionen diesem Thema zu Recht zugebilligt haben, dazu führt, dass sie diesem Paket „Antidiskriminierungs- und Integrationsfördermaßnahmen für Berlin“ ihre Zustimmung geben, denn damit sind wir sicherlich einen Schritt weiter, wenn wir diese verschiedenen Maßnahmen, die wir sowohl machen, die wir aber auch noch planen, zu einem Aktionsplan zusammenzufassen.

 

Die Ansprache von Müttern und jungen Frauen und Mädchen finde ich insgesamt sehr wichtig. Ich habe im Juni eine Veranstaltung gehabt, die sich „Mädchen-Forum“ nannte, in der wir ganz gezielt die Gruppen für Mädchenarbeit angesprochen haben, wo wir mit Mädchen mit Migrationshintergrund gesprochen haben, und die verschiedenen Themen, die heute auch eine Rolle gespielt haben, auch noch einmal in Arbeitsgruppen bearbeiten lassen. Das, was an Forderungspaketen herausgekommen ist, finden Sie auf meiner Homepage in der Dokumentation. Was ich sehr wichtig finde, war – und da möchte ich noch einmal an das Gesagte von Frau Kultus von Papatya ansetzen –: Wir müssen die Sichtweise der Mädchen auf diese Thematik in den Mittelpunkt stellen. Es gab dort eine sehr interessante Diskussion zwischen Mädchen und Sozialarbeiterinnen, dass die Mädchen mit Migrationshintergrund sagten: Ihr diskutiert immer nur über Zwangsheirat. – Das heißt, diese gefühlte Variante ist: Für die Ansprache der Mädchen, nicht vielleicht für die spätere Thematisierung oder gar für die strafrechtliche Bearbeitung, müssen wir das Thema so sehen wie die Mädchen. Viele Mädchen haben Bauschmerzen bei einer arrangierten Ehe. Sie suchen Ansprechpartner, wo sie das thematisieren. Da müssen wir niedrigschwellige Angebote machen. – [Abg. Wilke (CDU): Welche? – Sie geben nur eine Zustandsbeschreibung!] – Nein, wir haben doch gesagt: Rahmen des Aktionsprogramms wird es sein, dass wir in den Regelangeboten, sprich: in der Jugendhilfe, in der Schule usw., genau dieses umsetzen, um diese Befindlichkeit der Mädchen aufzugreifen und dort frühe Ansprechpartner zu finden. Es geht nicht darum, eine gesonderte Struktur aufzubauen.

 

Was die besondere Struktur betrifft – und damit komme ich auch zum Schluss –, stelle ich erfreut fest, dass sich in den letzten Monaten oder in der letzten Zeit die Verbände der Migranten sehr intensiv mit Themen wie häusliche Gewalt und Zwangsheirat auseinander setzen und versuchen, dies in ihren Gemeinschaften und Verbänden stärker umzusetzen, auch versuchen, Ansprache für Familien zu finden, die sie nicht direkt finden. Hier haben wir ein wichtiges Potential, das wir noch nicht so ausgeschöpft haben, dass wir die Verbände und die Vereine der Migrationsarbeit stärker in die Pflicht nehmen, diese Themen anzusprechen. Das sind unsere Transmissionsriemen in den nichtorganisierten Bereichen.

 

Ich würde die Vorhaben in Zusammenhang mit dem neuen Zuwanderungsgesetz für neue Menschen, die nach Berlin kommen, nicht unterschätzen – auch, wenn das hier keine Rolle gespielt hat –, denn die jungen Frauen von heute sind die Mütter von morgen. Wenn wir sie im Rahmen des Zuwanderungsgesetzes in die Integrationskurse bekommen, wenn wir sie dort auch in der Beratung haben, dann muss ein Thema dieses gesamten Prozesses auch das Thema Frauenrechte und Menschenrechte sein, und wir müssen die Frauen dort auch über Rechte informieren. Wir wollen versuchen, in dieser ressortübergreifenden Arbeitsgruppe „Umsetzung des Zuwanderungsgesetzes“ die verschiedenen Bausteine der Beratung und der Sprachkursträger so zusammenzuführen, dass sie spezifische Angebote im Sinne dieser Aufklärung und Stärkung der Frauen und Mütter haben. Insofern glaube ich, dass wir sowohl in den vergangenen Monaten, aber gerade auch in den kommenden Monaten sehr viele interessante Ansätze haben, um diesen präventiven Ansatz zu verstärken, denn da stimme ich der Sprecherin von Papatya zu. Die strafrechtliche Seite ist wichtig, aber ich möchte eigentlich, dass wir Zwangsverheiratung verhindern und nicht, dass wir sie hinterher bestrafen, also die präventive Arbeit. Und da kann das Land auch eine Menge machen.

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Piening! – Frau Staatssekretärin, bitte!

 

Frau StS Ahlers (SenWiArbFrau): Vielen Dank! – Ich möchte noch einmal kurz auf die beiden Gesetzesentwürfe eingehen, weil das eine Frage oder Anmerkung von Frau Neumann war: Wie weiter damit? – Herr Dr. Brand hat darauf hingewiesen, dass der rot-grüne Gesetzesentwurf im Bundestag einstimmig beschlossen wurde. Meines Erachtens ist das außerordentlich selten. Das heißt, auch die FDP-Fraktion und alle anderen haben mitgestimmt. Das ist für mich erst einmal eine gute Grundlage, weiter zu machen. Wir reden heute über den Gesetzesentwurf und den Antrag des Landes Baden-Württemberg im Bundesrat. Über die rechtlichen Komponenten ist viel gesagt worden. Da füge ich nichts weiter hinzu, außer, dass ich denke, dass die Kollegen von SenJust gleich noch etwas zu der Praxisbefragung sagen werden, dass sich auch der AK Zwangsverheiratungen, der seit 2001 in Berlin existiert, mit diesem Gesetzesentwurf in Bezug auf die Praxis auseinandergesetzt hat. Wir kennen das Ergebnis noch nicht – er hat Herr Freitag getagt –, aber wir werden dafür sorgen, dass diese Erkenntnisse im weiteren Verfahren im Bundesrat einfließen werden. Der rot-grüne Gesetzesentwurf kann die Basis sein. Wir werden uns im laufenden Verfahren dafür einsetzen, diese Dinge, die wir auch aus frauenpolitischer Sicht für notwendig erachten, mit einzuspeisen – egal, ob sie aus dem baden-württembergischen Gesetzesentwurf kommen – bzw. uns dem anschließen, oder – was ich persönlich bevorzugen würde – insgesamt zu einem ganzen Paket machen.

 

Dann möchte ich etwas zu den Frauenprojekten und Streichungen sagen: Wir haben uns ganz bewusst dafür entschieden, bei Migrantinnenprojekten nicht zu streichen. Das ist so umgesetzt und von der Regierungskoalition auch so entschieden worden. – Das wollte ich nur noch einmal ins Gedächtnis rufen.

 

Den Arbeitskreis Zwangsverheiratung habe ich gerade erwähnt. Das ist die Broschüre, die jetzt in zweiter Auflage erschienen ist, die an Schulen, Jugendeinrichtungen etc. verteilt wurde und auch bei Papatya weiterhin bestellt und nachgefragt werden kann. Sie gibt einen guten Überblick und Informationen: An wen kann ich mich in Berlin wenden?, und zwar auch die ganz unterschiedlichen Einrichtungen, so dass für die Betroffenen wie Lehrerinnen und Lehrer immer etwas dabei ist. Unser Haus hat selbstverständlich an dieser Broschüre mitgearbeitet und ist an dem Arbeitskreis Zwangsverheiratung beteiligt.

 

Von Herrn Piening sind schon einige Aktivitäten erwähnt worden, an denen er sich beteiligt. Die sind aber in der Regel mit den Dingen identisch, die wir machen. Ich gehe noch einmal auf die BIG ein, die sich im Expertengremium zum Schwerpunktthema Zwangsverheiratung verständigt. Der Senator Harald Wolf hat zu Beginn bereits auf den runden Tisch und auf den Antrag, der beim nächsten Mal dazu vorliegt, hingewiesen. Herr Piening hat das auch getan. Das ist zum Beispiel ein Ergebnis dessen. Herr Piening hat auch auf den Aktionsplan zu Mädchen und Frauen mit Migrationshintergrund hingewiesen, der in der Federführung unseres Hauses gemeinsam mit allen anderen Ressorts demnächst auch entwickelt und umgesetzt wird. Da geht es um die Stärkung der Frauen und Mädchen, das heißt – wir hatten das Thema heute mehrmals –, die Fähigkeit Ja oder Nein zu sagen und auch darum, die Stärkung des Bewusstseins, damit sie überhaupt die Möglichkeiten zu eigenen Entscheidungen haben.

 

Es gab konkrete Nachfragen zu der Kleinen Anfrage von vor anderthalb Jahren. Da ging es einmal darum, dass Baden-Württemberg eine Lehrerfortbildung geplant hat. Mitnichten habe ich gesagt, dass wir keine Ahnung hätten, sondern dass die Erfahrungen noch nicht vorliegen würden. Inzwischen liegen sie vor. Diese Lehrerfortbildung ist nach unserem Kenntnisstand nicht besonders erfolgreich gewesen. Es gab dort kaum Nachfragen. Die ebenfalls erwähnten Unterrichtsmaterialen haben wir uns selbstverständlich kommen lassen. In Expertinnendiskussionen hat sich bisher gezeigt, dass sie diskussionswürdig und aus der Sicht der Expertinnen, die sich bis jetzt damit gefasst haben, aus unterschiedlichen Gründen nicht 1:1 in Berliner Schulen umzusetzen sind. Die Gründe leuchten mir aber ein. Ein Grund ist die Pauschalisierung des Islam. Wir befassen uns also sehr wohl verstärkt damit.

 

Die Finanzierung für Werbung wurde angesprochen. Eine Kampagne kostet mehrere 100 000 €. Ich sehe sie in unserem Haushalt zurzeit nicht und habe sie auch vor anderthalb Jahren nicht gesehen. Da geht es nicht um Peanuts, sondern wenn eine Kampagne Sinn machen soll, hat sie ihren Preis.

 

Ich weiß nicht, warum es bis jetzt keine Rolle gespielt, aber ich möchte noch einmal auf das Netzwerk gegen Gewalt im Namen der Ehre hinweisen, weil das immer wieder eine Rolle spielte, wie Eltern einbezogen werden. Dieses Netzwerk ist EU-gefördert. Papatya ist maßgeblich daran beteiligt, genau wie „Terre de femmes“ auch, und unser Haus ist auch mit im Boot. Es geht darum, sich bundesweit damit zu befassen, wie man gegen Gewalt im Namen der Ehre vorgehen kann. Es gibt auch eine Vernetzung unter anderem mit Schweden. Das ist nicht nur ein Problem, das in Deutschland existiert.

 

Die Fortbildung der Ausländerbehörde zu Migrantinnen und häuslicher Gewalt hat unsere Mitarbeiterin der Senatsverwaltung Frau Schmidt-Hijazi gemacht. – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Frau Staatssekretärin! – Wir kommen noch zur Beantwortung der Fragen von Herr Kurth. – Herr Kliem, bitte!

 

Herr Kliem (SenJust): Vielen Dank, Frau Vorsitzende! Meine Damen und Herren! – Ich habe mir drei Punkte notiert. Erstens, die Praxisbefragung wird auch von uns durchgeführt. Sie läuft, deshalb kann ich dazu noch nichts sagen.

 

Die zweite Frage war, ob wir daran arbeiten, ausländerrechtliche Regelungen in den Gesetzesentwurf mit einzubringen. Wir hatten bisher eine gewisse Sympathie dafür, dass der Gesetzesentwurf keine ausländerrechtlichen Regelungen enthält, weil aus unserer Sicht derartige Regelungen mit einer sehr langen und häufig sehr emotional geführten Diskussion verbunden sind und verhindert hätte, dass das so schnell bearbeitet werden kann, wie es jetzt hoffentlich weitergehen kann. – Wenn man einen reinen Gesetzesentwurf hat, in dem man nur das Thema „Zwangsheirat ächten“ vorstellt, dann bekommt man auch im Bundestag einstimmige Verhältnisse. Sobald man weitere Regelungen dazupackt, und wenn es dann erst recht ausländerrechtliche sind, wäre meine Befürchtung gewesen, der Gesetzesentwurf landet irgendwo auf dem Sankt-Nimmerleins-Tag. Deshalb war es aus unserer Sicht vernünftig, das so zu machen. Das Thema ist deshalb überall ganz anders und mit dem richtigen Schwerpunkt wahrgenommen worden. Wir haben das in unserer Verwaltung nach Kräften unterstützt.

 

Der dritte Frage war zum Schadensersatz. Auch da versprechen wir uns von einer gesetzlichen Regelung, also von einer Aufnahme dezidiert in das Strafgesetzbuch, eine Vereinfachung, und zwar nicht zwingend über das Adhäsionsverfahren. Ich mir nicht sicher, ob ich den Rat weitergeben würde, aber es ist auf jeden Fall leichter, über das Recht der unerlaubten Handlungen Schadensersatz geltend zu machen, weil man eine klarere Anspruchsgrundlage hat und ohne dass es da zu einer weiteren Gesetzesänderung kommt, eine weitere Änderung nötig ist. Allein dadurch, dass es eine klare Verbotsvorschrift ist, wird sich aus unserer Sicht die Situation der Opfer verbessern. – Vielen Dank!

 

Frau Vors. Weißbecker: Vielen Dank, Herr Kliem! – Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Anzuhörenden, dass sie uns heute so geduldig zur Verfügung gestanden haben. – Ich schlage vor, beide Punkte, Antrag und Besprechung, zum Zweck der Auswertung der Anhörung zu vertagen.

 

Punkt 1 der Tagesordnung

Aktuelle Viertelstunde

 

 

Entfällt.

 

Punkt 3 der Tagesordnung

Verschiedenes

 

 

Siehe Beschlussprotokoll.

 

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Ausschuss-Kennung : Rechtgcxzqsq