Senatsverwaltung für Justiz

 

 

 

 

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An den

Vorsitzenden des Hauptausschusses

 

über

 

den Präsidenten des Abgeordnetenhauses

von Berlin

 

über

 

Senatskanzlei – G Sen –

 

 

Geschäftszeichen               Bearbeiter                            Zimmer              Telefon                                     Datum

I B 4 - 1441                   Herr Dressel                                       90 13 - 3968                    2. September 2004

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Haushaltsplanberatung;

hier: Kapitel 06 10, 06 14, 06 29, 06 32, 06 33

         - Geschäftsentwicklungen und Verfahrensdauer in den zivil-, straf- und

         öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten -

48. Sitzung des Abgeordnetenhauses vom 18. März 2004

- Drs.Nr. 15/2551 (II.B.32.) -

 

Das Abgeordnetenhaus hat in seiner oben bezeichneten Sitzung Folgendes beschlossen:

 

„Die Senatsverwaltung für Justiz wird ersucht, dem Hauptausschuss für die vorgenannten Bereiche jährlich bis zum 31. August über die Geschäftsentwicklungen und die Verfahrensdauern jeweils mit Angabe der Vergleichszahlen der beiden Vorjahre und der durchschnittlichen Entwicklungen im Bundesgebiet zu berichten.“

 

Hierzu wird berichtet:

 

Allgemeines:

 

Die Belastung der Berliner Justiz ist unvermindert hoch. Im Jahre 2003 sind in 10 von 19 näher betrachteten Geschäftsbereichen die Eingänge gegenüber dem Vorjahr angestiegen. Bei den Erledigungen verhält es sich umgekehrt: hier konnte in 10 Bereichen das Vorjahresergebnis nicht mehr erreicht werden. In der Folge sind auch die Bestände nicht


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in nennenswertem Umfang abgebaut worden; in 8 Bereichen haben sie sogar zugenommen. Die Verfahrensdauer ist in 11 Bereichen angestiegen bzw. unverändert hoch geblieben. Damit ist im Vergleich zum Vorjahr keine Besserung der Gesamtlage zu konstatieren und leider auch keine Entspannung für die überlasteten Mitarbeiter aller Laufbahnen in Sicht.

 

In den letzten Wochen haben sich weit über hundert Richter schriftlich an mich gewandt und die Situation in ihren Häusern geschildert. Die in den Schreiben zum Ausdruck gebrachte Sorge um die Sicherung des Justizgewährungsanspruchs ist nachvollziehbar. Dass die Justiz unablässig bemüht ist, der Belastung aus eigener Kraft Herr zu werden, versteht sich von selbst. Allein dadurch war es möglich, das bisherige Leistungsniveau

überhaupt zu erreichen. Nach meiner Überzeugung können die Herausforderungen dieser Zeit nur in gemeinsamer Anstrengung und unter Ausnutzung des Kreativitätspotentials aller Bereiche bewältigt werden. Daher habe ich Mitte Juni gemeinsam mit allen Gerichtspräsidenten sowie den Generalstaatsanwälten beraten, ob und wie ein interner Belastungsausgleich möglich ist und welche sonstigen Maßnahmen zu einer Entlastung der Praxis beitragen könnten. Ungeachtet einzelner Verbesserungsmöglichkeiten ist der Handlungsspielraum auf Grund der bereits erbrachten Personaleinsparungen sehr eingeschränkt.

 

Dies gilt gleichermaßen für den nichtrichterlichen Dienst. Die Arbeitsreste der Mitarbeiterinnen im Schreibdienst lagen im Jahresdurchschnitt bei monatlich 50.666 und damit um rd. 16.000 höher als noch im Jahre 2002. Im Dezember 2003 wurde der höchste Restestand seit 10 Jahren mit 67.539 gemeldet. Mehrwöchige Liegezeiten von Vorgängen in den Kanzleien haben zu einer Vielzahl von Beschwerden geführt und bereits das Medieninteresse erregt. Wenngleich sich für das laufende Jahr eine Entspannung hinsichtlich der Kanzleireste abzeichnet, bleibt die Arbeitsbelastung doch auf einem sehr hohen Niveau. Die Rechtspfleger konnten den durchschnittlichen Restebestand im Jahre 2003 erfreulicherweise auf rd. 10.000 halbieren. Aber auch dies ist kein Anlass zur Beruhigung. Denn 10.000 Verfahren, die nicht innerhalb einer angemessenen Zeitspanne bearbeitet werden konnten, sind eine durchaus besorgniserregende Größenordnung. Im mittleren Dienst sind die Reste weiter auf über 35.000 Sachen im Dezember 2003 angewachsen. Der Jahresdurchschnitt lag bei über 24.000; eine Trendwende kündigt sich hier nicht an. Den mit Abstand größten Belastungsschwerpunkt in den Geschäftsstellen bilden die amtsgerichtlichen Strafsachen. Im Übrigen sind die Zivil- und Zwangsvollstreckungssachen stärker von Arbeitsrückständen betroffen als z.B. Vormundschafts-, Nachlass- oder Registersachen. Dies zeigt die Bemühungen, die Reste und in deren Folge lange Bearbeitungszeiten zumindest in den Bereichen einzudämmen, die für die Daseinsvorsorge

oder die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt besonders wichtig sind.

 

Es liegt auf der Hand, dass Arbeitsrückstände des geschilderten Umfangs sich motivationshemmend auf die Mitarbeiter auswirken können, weil sie trotz ihres sehr lobenswerten Einsatzes keine Chance sehen, die Berge an angestauten Akten abzutragen. Wenn überobligatorische Leistung auch langfristig keinen Erfolg verspricht, wächst das Risiko der inneren Kündigung. Schließlich darf auch die Reaktion der Bürgerinnen und Bürger auf die Überlastungssituation nicht unbeachtet bleiben. Immer häufiger ist zu hören, dass das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der Justiz, und hierzu gehört auch eine Bearbeitung in angemessener Frist, schwindet.


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Der Vergleich mit der Geschäftsentwicklung in anderen Bundesländern, dem für 2003

11 Länderergebnisse zugrunde liegen, ist ein weiterer Beleg für die Überlastung der Berliner Justiz (Anlage 2).

 

Zu den Anlagen im Einzelnen:

 

A. Anlage 1: Berliner Entwicklung

 

I. Strafverfolgungsbehörden

 

Bei der Amtsanwaltschaft ist die Zahl der im letzten Jahr aufgrund der Zuständigkeitserweiterung sprunghaft angestiegenen Eingänge wieder rückläufig. Durch veränderte Erledigungstätigkeit konnten die vorübergehend erheblich angestiegenen Bestände wieder abgebaut werden. Bei der Staatsanwaltschaft konnten die Erledigungszahlen der Vorjahre nicht gehalten werden. Nur aufgrund der verminderten Eingänge gelang ein weiterer Abbau der Bestände. Die Verfahrensdauer ist bei den Strafverfolgungsbehörden seit Jahren unverändert geblieben. Bei der Generalstaatsanwaltschaft hat die Geschäftsbelastung in den meisten Bereichen zugenommen. Die Gesamtzahl der Verfahren ist erheblich gestiegen. Die Beschwerden gegen Staats- und Amtsanwälte bilden, nach erfreulichen Rückgängen im vergangenen Jahr, wiederum einen Belastungsschwerpunkt.

 

II. A.1 Zivilsachen

 

Die Amtsgerichte verzeichnen wieder steigende Eingänge. Der ebenfalls zu beobachtende weitere Anstieg bei den Erledigungen hat nicht ausgereicht, ein Anwachsen der Bestände zu verhindern. Begünstigt durch einen unerwarteten Rückgang der erstinstanzlichen Verfahren gelang dem Landgericht ein Abbau der Bestände bei fast unveränderter Verfahrensdauer.

 

Als Folge der ZPO-Reform gestaltet sich die Geschäftslage des Landgerichts in der Berufungsinstanz ebenfalls noch vergleichsweise günstig. Dort konnten die Bestände seit 2001 um über 50 % abgebaut werden. Auch die Verfahrensdauer ist erheblich gesenkt worden.

 

Die Eingangsbelastung des Kammergerichts hat sich auf dem Vorjahresniveau stabilisiert. Aufgrund der nach wie vor guten Erledigungsleistung wurde ein weiterer Abbau der Bestände möglich. Auf die Verfahrensdauer hatte dies positive Einflüsse.

 

II. A.2 Familiensachen

 

Das Familiengericht konnte an die guten Erledigungsleistungen des Vorjahres anknüpfen. Durch einen weiteren Rückgang der Eingänge gelang der Abbau von Verfahren. Die Bestände liegen jedoch noch immer auf weit überdurchschnittlich hohem Niveau. Entsprechendes gilt für die Verfahrensdauer, die auf den dramatischen Wert von

14 Monaten angestiegen ist.

 

Auch bei dem Kammergericht hat sich die Verfahrensdauer erwartungsgemäß verlängert. Die Zahl der Eingänge wurde bei den Erledigungen unterschritten, so dass die Bestände erneut (geringfügig) angewachsen sind.


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II. B Strafsachen

 

Bei den amtsgerichtlichen Strafsachen war der Zuwachs an Eingängen erheblich; der leichte Anstieg der Erledigungen konnte damit nicht Schritt halten. Dies hatte nachteilige Auswirkungen auf die Bestände. Dennoch konnte die Verfahrensdauer geringfügig verkürzt werden.

 

Auch bei dem Bußgeldverfahren hat sich die Belastung deutlich verschärft, wobei hier sogar eine annähernde Verdoppelung der unerledigten Verfahren festzustellen ist. Dies führte zu einer weiteren Verschlechterung der durchschnittlichen Verfahrensdauer.

 

Der Geschäftsanstieg bei den landgerichtlichen Strafsachen 1. Instanz wurde bewältigt, so dass die Bestände etwa auf dem Vorjahresniveau gehalten werden konnten. Die durchschnittliche Verfahrensdauer hat sich dabei jedoch deutlich verlängert. Bei den

Berufungen ist das Vorjahresergebnis im Wesentlichen bestätigt worden, wobei hier sogar eine Verkürzung der Verfahrensdauer gelang.

 

Die erstinstanzlichen Strafsachen des Kammergerichts spielen quantitativ wiederum keine Rolle. Bei den Revisionen sind die Eingänge weiter angestiegen. Die verstärkte Erledigungstätigkeit hat nicht ausgereicht, einen Zuwachs der Bestände zu verhindern. Die Verfahrensdauer ist – noch – weiter rückläufig. Angesichts der Geschäftsentwicklung ist für die kommenden Jahre insoweit jedoch keine günstige Prognose möglich. Bei den Rechtsbeschwerden gelang es ebenfalls nicht, alle neu eingegangenen Verfahren zu erledigen. Die weiter abgesenkte durchschnittliche Verfahrensdauer wird voraussichtlich auch in diesem Bereich nicht gehalten werden können.

 

III. Verwaltungsgerichtsbarkeit

 

Bei dem Verwaltungsgericht sind die Eingänge stark angestiegen. Hierin enthalten sind jedoch rund 5.000 weitgehend gleichgelagerte Klageverfahren zum Sachgebiet Häftlingshilferecht, Heimkehrerrecht und Kriegsgefangenenentschädigungsrecht aufgrund des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“, so dass der Anstieg der Bestände im richterlichen Bereich gegenwärtig noch zu bewältigen ist. Angesichts verbesserter Erledigungsleistungen ist die nur geringfügig gestiegene durchschnittliche Verfahrensdauer ebenfalls nicht zu beanstanden. Bei den Asylverfahren war aufgrund rückläufiger Eingänge und verstärkter Erledigungstätigkeit ein erheblicher Abbau von Beständen möglich. Allerdings lag die Zahl der Eingänge weiterhin über der im Jahr 2001. Die Situation ist daher nach wie vor prekär. Sollte es jedoch – auch durch geplante organisatorische Veränderungen – gelingen, zunehmend „alte“ Verfahren abzubauen, ist mittelfristig eine günstige Prognose möglich.

 

Auch bei dem Oberverwaltungsgericht ist eine verstärkte Erledigungstätigkeit festzustellen. Diese hat jedoch nicht ausgereicht, um den Zuwachs an Neueingängen zu bewältigen, so dass die Bestände gestiegen sind. Dies gilt leider auch für die durchschnittliche Verfahrensdauer, die einen neuen Höchststand seit Jahren erreicht hat. Besonders

schwierig ist die Situation bei den Asylverfahren. In Folge der verstärkten Erledigungstätigkeit der ersten Instanz haben sich die Eingänge mehr als verdoppelt und auch die Bestände haben erheblich zugenommen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer ist in diesem Bereich ebenfalls dramatisch angestiegen.


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IV. Finanzgericht

 

Das Finanzgericht bestätigt abermals den seit Jahren erkannten guten Leistungsstand. Die Neueingänge wurden bewältigt, die Bestände geringfügig reduziert. Die Verfahrensdauer stellt im Bundesvergleich einen Spitzenwert dar.

 

V. Sozialgerichtsbarkeit

 

Bei dem Sozialgericht sind die Eingänge leicht rückläufig. Dies ermöglichte einen geringfügigen Abbau der Bestände, bei leider steigenden Verfahrensdauern.

 

Das Landessozialgericht konnte zwar die wieder gestiegenen Neueingänge bewältigen, vermochte die Bestände jedoch nur geringfügig auf einen nach wie vor sehr hohen Wert zu reduzieren. Auch hier hat die Verfahrensdauer einen neuen Höchststand erreicht.

 

B. Anlage 2: Bundesdeutsche Gesamtentwicklung

 

Der diesjährigen Zusammenfassung liegen 11 Länderergebnisse zugrunde. Für die Sozialgerichtsbarkeit werden einstweilen keine Länderzusammenfassungen erstellt, so dass deren Betrachtung hier nicht erfolgen kann.

 

In anderen Ländern sind nur die landgerichtlichen Zivilsachen in der Berufungsinstanz als Folge der ZPO-Reform rückläufig. In fast allen anderen Bereichen steigen die Eingangszahlen gegenüber dem Vorjahr.

 

Bei den unerledigten Verfahren ergibt sich in der Mehrzahl ebenfalls ein Zuwachs. Wiederum ist der Anstieg in der Verwaltungsgerichtsbarkeit und den amtsgerichtlichen Zivil- und Strafsachen besonders ausgeprägt. Die Familiensachen, die im Vorjahr noch leicht rückläufig waren, haben wieder zugelegt.

 

Die seit einigen Jahren eingeführte Betrachtung der Bestandszahlen (unerledigte Verfahren am Jahresende) im Verhältnis zu den jährlichen Erledigungsleistungen als Indikator für die Belastungssituation weist Berlin unverändert als weit überdurchschnittlich belastet aus. Für einige von der Öffentlichkeit besonders wahrgenommener Bereiche ergab sich folgendes Bild:

 

- Bei den amtsgerichtlichen Zivilsachen blieben bundesweit 42 % eines

  „Jahrespensums“ unerledigt; in Berlin waren es 49 % (Vorjahr bei anderer

  Länderzusammensetzung: Bund: 44 %, Berlin 48 %).

 

- Familiensachen: Bund 78 %, Berlin 122 % (Vorjahr: 78 % bzw. 128 %).

 

- Amtsgerichtliche Strafsachen: Bund 34 %, Berlin 47 % (Vorjahr: 36 % bzw.
41 %).

 

- Verwaltungsgericht: Bund 89 %, Berlin 110 % (Vorjahr: 89 % bzw. 100 %).


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Der Abstand zu der bundesdurchschnittlichen Belastung mit Arbeitsrückständen hat sich für die Berliner Justiz noch weiter vergrößert. Allein dies ist bereits alarmierend. Die Tragweite der vorstehenden Zahlenvergleiche erschließt sich aber erst durch die Tatsache, dass auch die anderen Länder über zunehmende Belastung und unzureichende Personalausstattung zu klagen haben. Hier macht sich die Diskrepanz zwischen ständig steigenden Eingängen und jährlich zu erbringenden Personaleinsparungen deutlich bemerkbar. 

 

Ich bitte, den Beschluss als erledigt anzusehen.

 

 

 

 

 

 

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Senatorin für Justiz

 

 

 

Ausschuss-Kennung : Rechtgcxzqsq