Punkt 1 der Tagesordnung
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Aktuelle Viertelstunde |
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Siehe Inhaltsprotokoll.
Vors. Dr. Zotl: Wir kommen nun zu
Punkt 2 der Tagesordnung
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Zu unserer heutigen Anhörung sind erschienen: Frau Bezirksbürgermeisterin Reinauer, benannt von der Fraktion der PDS, Frau Bezirksstadträtin Schmiedhofer aus Charlottenburg-Wilmersdorf, benannt von der Fraktion der Grünen, Frau Bezirksbürgermeisterin Wanjura aus Reinickendorf, benannt von der Fraktion der CDU, Herr Bezirksbürgermeister Band aus Tempelhof-Schöneberg, benannt von der Fraktion der SPD, Herr Effler vom Verein Mehr Demokratie e. V., Landesverband Berlin, benannt von den Fraktionen der SPD, der PDS, der Grünen sowie der FDP, Herr Dr. Jung, Privatdozent an der Freien Universität Berlin, ebenfalls von den Fraktionen der SPD, der PDS, der Grünen und der FDP benannt und Herr Bezirksstadtrat Skrodzki aus Charlottenburg-Wilmersdort, benannt von der Fraktion der FDP.
Die Fraktion der CDU hatte darum gebeten, sowohl die Industrie- und Handelskammer als auch die Handwerkskammer einzuladen. Nachdem der erste Kontakt so war, dass das klappen könnte und auch schon Namen fielen, haben beide kurzfristig abgesagt. Die IHK hat uns schriftliches Material zukommen lassen, das den Fraktionen vorliegt, aus dem auch die Probleme deutlich werden. Dabei handelt es sich um die Stellungnahme zu einem Zwischenstand, die vor ca. eineinhalb Jahren gemacht worden ist. Außerdem liegt uns noch eine schriftliche Stellungnahme von Herrn Dr. Jung vor, die bereits an Sie verteilt worden ist.
Ich benötige noch Ihr Einverständnis zu folgenden Punkten – erstens: Die „Abendschau“ hat vorhin angerufen und uns mitgeteilt, dass sie im Laufe dieser Anhörung einige Filmaufnahmen machen möchte, wozu wir unser offizielles Einverständnis geben müssen. Ist jemand von Ihnen nicht damit einverstanden? – Das ist nicht der Fall.
Zweitens: Ich gehe davon aus, dass wir von dieser Anhörung ein Wortprotokoll erstellen lassen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall, dann ist das so beschlossen.
Drittens: In § 14 des Allgemeine Zuständigkeitsgesetzes ist festgelegt, dass Gesetze immer dem Rat der Bürgermeister zur Stellungnahme vorzulegen sind, was auch für die Gesetze gilt, die aus der Mitte des Abgeordnetenhauses kommen. Da es sich um den Vollzug auf bezirklicher Ebene handelt, sind wir der Meinung, dass wir das tun sollten. Wir haben heute einige bezirkliche Vertreter zu Gast, die ihre Positionen darstellen werden, aber der Rat der Bürgermeister sollte als Ganzes – sicherlich auch im Innenausschuss – die Gelegenheit bekommen, noch einmal als Kollegialorgan dazu Stellung zu nehmen. Nun stellt sich die Frage: Wie überweisen wir das an den Rat der Bürgermeister? – Das ist bisher nicht geregelt, und unsere Geschäftsführer haben gestern noch lange darüber verhandelt. Der Wissenschaftliche Parlamentsdienst hat empfohlen, dass ich folgenden Satz zu Protokoll gebe: „Der Ausschuss bittet den Senat, bei der Abfassung seiner Stellungnahme die Position des Rats der Bürgermeister mit einzubeziehen.“ Das heißt, der Senat wird darum gebeten, es dem Rat der Bürgermeister zu überweisen. – Vorab hat Herr Staatssekretär Schmitz, der für alle diese Dinge verantwortlich ist, eine umgehende Erledigung zugesagt.
Zum Ablauf: Ich schlage vor, dass die vier antragstellenden Fraktionen auf eine Begründung verzichten und wir sofort mit der Anhörung beginnen. Findet das Ihr Einverständnis? – Ich höre keinen Widerspruch, dann werden wir so verfahren. – Das Wort hat nun Herr Bezirksbürgermeister Band. – Bitte sehr!
BzBm Band (BA Tempelhof-Schöneberg): Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich zunächst einmal recht herzlich für die Einladung. Ich versuche, es kurz zu machen. – Aus meiner Sicht der Dinge sind dieser Gesetzentwurf und die Verfassungsänderung zu begrüßen, weil wir Bürgerbegehren und Bürgerentscheide durchaus benötigen und es auch sinnvoll ist, das auf bezirklicher Ebene einzuführen. Allerdings gibt der vorliegende Gesetzentwurf Gelegenheit, sich doch mit einigen Passagen kritisch auseinander zu setzen. Ich begreife das so, dass das ein Entwurf ist, der noch veränderbar ist, und nicht schon eine abschließende gesetzliche Regelung. Nach diesem Gesetzentwurf haben Sie mehrere Dinge vor: Zum einen soll der Artikel 72 verändert werden, und zwar bekommt er einen Absatz 2, das heißt, der Artikel 72 Abs. 1 hat den gleichen Wortlaut wie vorher, was bedeutet, dass er nicht verändert wird. Von da her wird durch das Bürgerbegehren und den Bürgerentscheid die Rechtsstellung gegenüber dem Bezirksamt nicht verändert. Die nachgehende Kontrolle ist auch weiterhin vorhanden, und insofern ist die Rechtsfolge nicht anders als beim Artikel 72, worin festgelegt ist, welche Rechte die BVV hat. Der Bürgerentscheid tritt nur an die Stelle eines Beschlusses der BVV. Von da her müsste das Bezirksamt im Grunde einer durch Bürgerentscheid zu Stande gekommenen Empfehlung oder einem Ersuchen nicht entsprechen, wie es das Bezirksamt auch bei Beschlüssen der BVV nicht muss.
Dann geht es noch um die relativ niedrigen Quoren, die ich nicht weiter behandeln möchte. Insgesamt komme ich bei der Bewertung dieses Gesetzesvorhabens zu dem Ergebnis, dass die Vorlage bei den Bürgerinnen und Bürgern möglicherweise eher zu einer Verdrossenheit führen könnte als zu dem Gefühl, dass sie ernster genommen werden und dass in der Praxis tatsächlich mehr Demokratie erreicht wird. – Ich verdeutliche das anhand eines Beispiels: Artikel 12 wird ebenfalls geändert. Unter anderem soll man bei der Investitionsplanung und bei Bebauungsplänen die Gelegenheit haben, Bürgerbegehren durchzuführen. Das führt vor dem Hintergrund, dass das Begehren zu Stande gekommen ist – unabhängig von den Verzögerungen, die eintreten könnten – – Sie wissen, dass dann, wenn 1,5 % der Stimmen zusammen sind, noch einmal gewartet werden muss, wodurch sich das Ganze um maximal 10 Monate verzögern könnte, was wiederum zu einer erheblichen Verzögerung von bezirklichen Entscheidungen und den damit einhergehenden negativen Folgen führen könnte. Der Bürgerentscheid würde dann ein Quorum von 15 % erfordern, wobei mindestens die Hälfte zugestimmt haben müsste. – Ich unterstelle einmal den praktischen Fall, dass in Nord-Schöneberg eine Schule geschlossen werden soll. Es formuliert sich dort ein Bürgerbegehren, und dann kommt es zu einem Bürgerentscheid. Ich prophezeie einmal, dass es die Lichtenrader und vielleicht sogar auch die Mariendorfer überhaupt nicht interessiert, was im Norden von Schöneberg passiert. Das würde dazu führen, dass der Entscheid scheitert, weil sich nicht genug daran beteiligen. Insofern sehe ich das an dieser Stelle etwas kritisch.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt erwähnen, und zwar handelt es sich um das, was Sie im Bezirksverwaltungsgesetz ändern wollen, nämlich die so genannten investigativen Bezirksverordneten. Dabei handelt es sich um eine Rechtsstellung, die noch nicht einmal ein Abgeordneter hat, sondern die maximal im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses gegeben ist, aber nicht in einem normalen Parlament. Die BVV ist nach wie vor ein Teil der Verwaltung und kein eigenständiges Parlament. Insofern wird dort versucht, die Rechtsstellung des Bezirksverordneten so aufzuwerten, dass das aus meiner Sicht der Dinge nicht sachgerecht wäre. Die BVV ist durchaus in der Lage, das Bezirksamt nachträglich und richtig zu kontrollieren, wenn sie sich denn als Ganzes verstehen würde.
Ein weiter Punkt, den ich auch noch ansprechen möchte, ist der bürokratische Aufwand, der dann im Zusammenhang mit einem Bürgerentscheid entstehen würde. Wenn das Begehren rechtswirksam zu Stande gekommen ist, muss jeder Haushalt im Bezirk – es geht dabei nicht nur um einen Ortsteil, sondern um den gesamten Bezirk – durch ein Informationsheft informiert werden – wie auch immer das aussehen müsste. Das kostet bekanntermaßen Geld, und über den Entscheid haben dann alle Bürgerinnen und Bürger, alle Wahlberechtigten des Bezirks eine Entscheidung herbeizuführen. Im § 5 Abs. 46 heißt es, dass die näheren Bestimmungen des Wahlgesetzes sinngemäß gelten. Wenn ich einmal auf die Europawahl zurückgehe, dann hatten wir einen finanziellen Aufwand in Höhe von ungefähr 180 000 € allein für Personalkosten und 60 000 € für Sachkosten. Ich möchte das nur ins Feld führen, denn das scheint mit bisher nicht hinreichend berücksichtigt worden zu sein.
Abschließend noch eine Stellungnahme zu dem Argument der Initiative Mehr Demokratie e. V. an die Bezirksbürgermeister, wir sollten keine Angst davor haben, das wäre alles gar nicht so wild. Das Beispiel Hamburg zeige, dass in sechseinhalb Jahren bei 45 Anträgen lediglich vier Bürgerentscheide zu Stande gekommen seien. Von da her stelle sich die Frage: Worüber regt Ihr euch eigentlich auf? – Umgekehrt ließe sich argumentieren: Wenn in sechseinhalb Jahren nur vier Entscheide zu Stande gekommen sind, dann fragt man sich natürlich, warum diese Regelung überhaupt angestrebt wird.
Insgesamt müsste man zumindest bestimmte haushaltsrechtliche Fragen aus dem Gesetzentwurf herausnehmen. – In Hamburg ist das übrigens nach meiner Information so. – Einzelpersonalangelegenheiten sind auch in diesem Entwurf nicht abstimmungsfähig, aber Haushaltsangelegenheiten offensichtlich doch. Die müssten aus meiner Sicht herausgenommen werden, und dann müsste auch noch mal überlegt werden, ob sich das auf den Gesamtbezirk bezieht oder ob es auch ortsteilbezogen sein könnte. Ich vermag das im Moment nicht abschließend zu beurteilen, aber ich wollte den Gesichtspunkt anführen, dass das Bürgerbegehren, der Bürgerentscheid – wahrscheinlich in der Regel auch beim Quorum – immer scheitern wird, weil sich die Lichtenrader nicht für die offen zu haltende Kita in Nord-Schöneberg interessieren werden. Von da her wird ein solches Bürgerbegehren, ein solcher Entscheid in der Regel scheitern. Ich meinte damit, dass dieser Gesetzentwurf aus meiner Sicht der Dinge mehr Hoffnungen gibt, als er tatsächlich halten kann. – Vielen Dank!
Vors. Dr. Zotl: Danke, Herr Band! – Für die Fraktion der CDU hat nun Frau Wanjura das Wort. – Bitte sehr!
BzBm Wanjura (BA Reinickendorf): Herzlichen Dank, Herr Zotl! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Zotl, zunächst möchte ich mich dafür bedanken, dass Sie es ermöglicht haben, dass sich der Rat der Bürgermeister noch einmal in Gänze mit dieser Thematik beschäftigen kann. Ich darf mich meinem Vorredner, Herrn Band, anschließen, der sagte, dass wir als Bezirksbürgermeister unisono plebiszitäre Elemente für gut halten, insbesondere, weil wir eine repräsentative Demokratie haben und schon heute die Bezirksverordnetenversammlungen genau diese Demokratie und dieses Zusammenspiel symbolisieren. – Herr Band hat bereits in vielen Punkten das vorweggenommen, was ich sagen wollte, aber so ist es nun mal bei Anhörungen.
Gerade die Kostenfrage und letztlich auch die Kosten-Nutzen-Analyse ist eine spannende Sache. Ich habe drei Rubriken gebildet, und zwar die Rubriken „Bezirksverwaltung“, „Bezirksbürgermeister“ und „Stadträte“. Sie werden eindeutig geschwächt, im Gegensatz zu dem, was wir bisher in der Verfassung festgeschrieben haben, nämlich die Stärkung der bezirklichen Selbstverwaltung. Wir behalten allerdings – das habe ich jetzt nicht an dem Paragraphen festgemacht – weiterhin die politische Verantwortung, wie es im Bezirksverwaltungsgesetz steht, wonach jeder Dezernent für seine Aufgaben die Verantwortung trägt. In Ihrem Gesetzendwurf steht, dass Zielvereinbarungen zu schließen sind, was nicht nur eine Kann-Regelung ist. Da stellt sich mir die Frage: In welchem verlässlichen Rahmen – sowohl was die finanzielle als auch die personelle Ausgestaltung der Bezirke anbelangt – geschieht das? Wir erleben von Haushaltsjahr zu Haushaltsjahr, dass uns unkalkulierbar finanzielle Mittel und Personalmittel für einen Konsolidierungsbeitrag abgezogen werden, und es ist weiterhin eine Schwächung vorgesehen. Wir als Bezirksbürgermeister sind zum einen davon abhängig, inwieweit der Senat – das haben Sie in extenso in den letzten Jahren gemacht – mit Sonderprogrammen Gelder aus den Bezirkshaushalten herausnimmt. – Ich erinnere an die vielen Sonderprogramme und insbesondere an das Thema Quartiersmanagement. – Meine große Befürchtung ist – zum Quorum komme ich später –, dass bestimmte Aufgaben – Herr Band hat das eben schon beschrieben – immer als gesamtstädtisch zu definieren sind. Wenn dann durch bestimmte Zeitverzögerungen bestimmte größere Projekte – ich komme noch zu den Investitionen – nicht stattfinden können, weil wir diese Quoren und Zeitverzögerungen haben, dann kann es sein, dass sich der Senat gesamtstädtisch bestimmte Dinge nach oben zieht und dann das Bürgerbegehren völlig ins Leere läuft. Wir haben jedoch schon heute die Situation, dass den Bezirken gesagt wird: „Ihr seid nicht in der Lage, bestimmte Dinge durchzuführen.“ Wichtig ist die Abgabe bestimmter Aufgaben an die BVV, das ist klar. Die BVV muss gestärkt werden; sie ist das repräsentative Organ. Was die Abgabe der Bürgerbescheide – ich komme später noch darauf zu sprechen – und die Quoren betrifft, wie sie jetzt vorgesehen sind, so müssen diese auf jeden Fall überdacht werden.
Ich halte die Stärkung der BVV für richtig. Wir haben in den BVVen – hierüber können wir uns sicherlich noch einmal unterhalten – Vertreterinnen und Vertreter aller Schichten, Altersgruppen und Religionen, sowohl männliche als auch weibliche und aller Ortsteile. Es könnte den Parteien aufgetragen werden, dass die Bezirksverordneten einen repräsentativen Überblickspiegel des Bezirks oder der Ortsteile geben. Bisher haben wir verhindert, dass durch die BVVen ein so genanntes Lobbyistentum Einzug hält. Das neue Gesetz birgt die Gefahr in sich, dass große Gruppen – ich denke an Reinickendorf, wo es 40 000 registrierte Sportler gibt, von denen 30 000 wahlberechtigt sind. Diese könnten spielend alle Quoren unterlaufen und im Prinzip den geringen finanziellen Spielraum, über den die Bezirke noch verfügen, zur Erhaltung ihrer Sportplätze umfunktionieren. – Ich habe das jetzt schwarz-weiß gemalt, aber es gibt auch noch andere Beispiele.
Ich möchte einige Anmerkungen zu den gesamten plebiszitären Elementen machen, wie sie das Gesetz vorsieht, und zwar was die rechtzeitige Unterrichtung der Einwohner betrifft: Dabei denke ich nur an die B-Pläne, die wir aushängen, nach denen wir schon heute eine Bürger-, Trägerbeteiligung haben. Das lässt sich mit Sicherheit noch verstärken, aber ob dieser Weg der Finanzierung und des Aufwands das rechtfertigt, das ist die Frage.
Viel dramatischer finde ich letztlich die Zulässigkeit von Einsprüchen und Bürgerbegehren. – Wir haben das für Reinickendorf ausgerechnet. Die Zulässigkeit bei 1 % sind 2 500 Unterschriften, die dazu führen können, dass ein Vorhaben über drei Monate nicht zu Stande kommt. Diese Zeitverzögerung bringt oft mit sich, dass bestimmte Vorhaben dann überhaupt nicht zum Tragen kommen bzw. dass dem Land Berlin erhebliche Mittel verloren gehen. – Ich erinnere nur daran, dass wir in weiten Bereichen von EU-Mitteln abhängig sind. Wenn zum Beispiel zum Jahresende, im Oktober noch bestimmte Mittel zur Verfügung stehen – – Das ist übrigens nicht aus der hohlen Hand genommen. Die Entwicklung des so genannten Borsig-Geländes begann im August. Wenn wir damals schon so etwas gehabt hätten, dann hätte das Land Berlin 24 Millionen DM – damals waren es noch DM – nicht mehr aufwenden können für die Herstellung eines neuen Industrie- und Gewerbeareals. Da die gesamten Einzelhändler in der Berliner Straße und in der Gorkistraße große Sorgen vor der Entwicklung dieses Gebiets hatten, wären sie spielend bei 2 850 Stimmen gelandet.
Des Weiteren stellt sich – und da schließe ich mich Herrn Band an – die Frage des Bürgerbescheids. Wenn es stimmt, dass in Hamburg nur so wenige zustande gekommen sind, dann stellt sich die Frage, ob es in der jetzigen Situation richtig ist. Lassen Sie es mich noch einmal abschließend sagen: Wir haben 327 870 Arbeitslose in dieser Stadt. Wir sollten die Wirtschaft weiter ankurbeln. Wir sollten keine Hürden von 3 bis 8 oder 12 Monaten aufbauen. Wir haben im Land Berlin auch nicht die Zeit zu experimentieren. – Lassen Sie mich noch etwas aus der Erfahrung von Investoren und Wirtschaftsansiedlern sagen: Die sind auf ein positives Klima angewiesen, und kein Investor möchte in die Situation kommen, dass sich eine große Schar von Bürgern gegen ihre Planung mit Transparenten usw. ausspricht. – Ich erinnere an die Diskussion über die Gewerbesteuer. Wir sind in Konkurrenz zu unserem Umland. Wir sollten alles tun, ein wirtschaftsfreundliches Klima zu haben. Wir sollten die Bürger mitnehmen, aber stärken Sie die BVV und das Bezirksverwaltungsgesetz. Da haben wir das richtige Instrument. Alles andere ist nur eine Hürde, die wir zusätzlich aufbauen.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Frau Wanjura! – Frau Bezirksbürgermeisterin Reinauer, bitte!
Frau BzBm’in Reinauer (BA Friedrichshain-Kreuzberg): Der jetzige Gesetzesentwurf ist der richtige Schritt, die kommunale Selbstverwaltung zu stärken und auszubauen, ebenso die Bürgerorientierung auszubauen und mehr direkte Demokratie in den Bezirken zu ermöglichen. Das Gesetz ist eine Herausforderung, sowohl für alle Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker wie auch für die Verwaltung. Wir werden noch viel mehr als bisher, bevor wir Entscheidungen treffen, diese öffentlich und kleinteilig in kleineren Bürgerforen diskutieren müssen. Das heißt, wir gehen in einen sehr viel konkreteren direkten Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern. Bei der derzeitigen Politikverdrossenheit kann das eine Chance sein, weil wir auch gezwungen sein werden, den Bürgerinnen und Bürgern, die durchaus in bestimmten Bereichen selbstverständlich Partikularinteressen formulieren, aber auch die Chance haben, in kleineren und auch öffentlichen Versammlungen Bezirksinteressen noch einmal darzustellen und unsere Planung zu präsentieren. Das heißt, wir werden in intensivere Diskussionen gehen müssen. Das begreife ich durchaus auch als Chance.
Was aber auch klar sein muss, ist: Mehr Demokratie bedeutet natürlich auch mehr Ressourcen. Ich erwarte schon, dass wir dann auch in der Lage sind, in Form einer Ressourcenzuteilung dann tatsächlich auch befähigt werden, dieses neue Gesetz umzusetzen. Noch können wir sicherlich nicht sagen, wie viel mehr Personalkapazitäten wir haben, aber ich wünsche mir, dass die Einführung dieses Gesetzes evaluiert wird, damit wir dann auch Erfahrungen sammeln können. Welche Arbeitsbelastung hat es? Wo sind eigentlich die Konflikte, und müssen wir vielleicht von der Generalklausel weg und doch noch einen Negativkatalog erlassen? – So offen sollten wir sein, weil die Befürchtung, dass dieses Gesetz sehr viel Bürokratie heraufbeschwört und auch Entscheidungen verzögert, ist meiner Meinung nach zurzeit eher eine Spekulation. Deswegen brauchen wir eine ernsthafte Evaluation. Und was wir dann auch nicht vom Abgeordnetenhaus hören möchten, wenn wir es auch ernst nehmen und sagen: Das können wir aber nur mit bestimmten Ressourcen machen. Dass es klar ist, dass die da sein müssen, ist mir schon noch einmal ganz wichtig.
Was ich sehr schade finde, was nicht gelungen ist – das sage ich jetzt in einem Bezirk mit einem hohen Anteil von Migrationsbevölkerung –, ist, dass es nicht möglich ist, auch die Migrantinnen und Migranten, die keinen Pass haben, in diese Bürgerentscheide einzubeziehen. Wir haben durchaus in den letzten Jahren in den QM-Gebieten sehr positive Erfahrungen mit sehr kleinteiligen Beteiligungsverfahren gemacht, wo es uns durchaus gelungen ist, auch Migrantinnen und Migranten tatsächlich einzubeziehen. Es ist bei uns ein hoher Anteil, 30 % der Bevölkerung haben einen Migrationshintergrund, und da hätte ich mir gewünscht, dass wir da die Gelegenheit gehabt hätten, diese Bevölkerungsgruppe auch mit einzubeziehen.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Für die Fraktion der Grünen ist Frau Bezirksstadträtin Schmiedhofer hier. – Bitte schön!
Frau BzStR’in Schmiedhofer (Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf): Ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung und möchte mich in meiner Stellungnahme auf das Wesentliche beschränken, aber auch dazu sagen, dass ich die Stellungnahme aus zwei Perspektiven abgebe. Auf der einen Seite bin ich Stadträtin mit langjähriger Verantwortung für die Verwaltung, ich bin aber auch eine politisch aktive Bürgerin, natürlich parteilich gebunden, und ich mache mir schon gelegentlich große Sorgen um die zunehmende Politikverdrossenheit, die sich sehr oft auch darin ausdrückt, dass bei den Bürgergesprächen die Leute sagen: Sie machen sowieso alle, was Sie wollen. Das heißt, ich sehe das Instrument des Bürgerbegehrens und des Bürgerentscheids als eine Möglichkeit zu einer neuen Kultur des politischen Dialogs, der dann auch gegen die Politikverdrossenheit der Bürgerinnen und Bürger beitragen kann. Und wenn ich jetzt an den Anfang meiner Stellungnahme eine ganz optimistische Erwartung stelle, dann ist das die Idee, dass es zum Beispiel auch möglich sein könnte, über die Verantwortung der Ressourcenentscheidungen an die Bürgerinnen und Bürger, zum Beispiel auch im Bereich von Infrastruktur, Unterhaltung, Grünflächen und Versorgung, dann auch bürgerschaftliches Engagement zu initiieren, also die Leute auch politisch an den Bezirk zu binden, indem man sagt: Mehr Geld haben wir nicht. Wie sollen wir es verteilen? Wo sind sie selber bereit, auch einzugreifen? – Das sage ich vor dem Hintergrund eines Bezirkes, der sich zum Teil aus Wilmersdorfer Witwen zusammensetzt, das ist eine Bevölkerungsgruppe, die über materielle, soziale und Zeitressourcen verfügt, aber auch viele andere sehr engagierte Bürgerinnen und Bürger, die durchaus bereit sind, für ihren Bezirk Verantwortung zu übernehmen.
Die Voraussetzung dazu ist, dass auch die Politik bzw. die Verwaltung auf die Bevölkerung ganz anders zugeht. Meine Idee ist, dass durch das Wissen dieses Instrumentes, also das Recht der Bevölkerung, selber Entscheide herbeizuführen, die nicht denen entsprechen, die das Bezirksamt von sich aus treffen würde, dass das, ohne dass die Bürgerinnen und Bürger von diesem Instrument jeweils Gebrauch machen müssen, zu einer anderen Umgangskultur führt. Das heißt, dass wir von uns aus mehr auf die Bevölkerung zugehen und um Positionen werben, aber auch Verantwortungsstrukturen und Entscheidungszwänge deutlich machen und so in einen anderen Dialog eintreten. Dazu müssen allerdings einige Voraussetzungen erfüllt werden, die zum Teil bei den Bezirken liegen, die sich aber zum Teil auch in Wünschen an Sie als Gesetzgeber darlegen.
Wir haben bei uns im Bezirk eine zum Teil recht gut organisierte Bürgerschaft, die manchmal unsere Aussagen: Wir können nicht anders, das hat der Senat vorgegeben, das ist ein Gesetz, das ist der Haushalt, nicht glauben. Sie halten das für vorgeschoben, nicht ausreichend durchdacht oder schlicht für eine Ausrede. – Meine Idee ist, auch die Bürgerinnen und Bürger so weit einzubeziehen, dass sie sehen, dass das wirklich die objektiven Grenzen sind, dass sie es entweder akzeptieren oder auch mit uns zusammen bereit sind, sich darauf einzulassen, dass man das Ganze auch verändern kann. Das ist eine sehr optimistische Annahme, aber ich kann mir kein anderes Instrument vorstellen als ein Bürgerbegehren, um das anzugehen.
Die Stärkung der BVV finde ich absolut richtig. Ich fände es auch nicht schön, wenn Bezirksverordnete durch das Gesetz das Gefühl haben, sie werden teilweise mit Bürgerinnen und Bürger auf eine Stufe gestellt. Sie sind über Parteien gewählt, und das muss sich natürlich besonders abbilden. – Wir haben seit Jahren bei uns im Bezirk eine Bürgerfragestunde, die immer vor der offiziellen Bezirksverordnetenversammlung beginnt, und machen damit gute Erfahrungen. Es wird zum Teil von organisierten Gruppen und zum Teil auch von einzelnen Bürgerinnen und Bürgern rege genutzt, die sich über irgendetwas ärgern oder irgendetwas wissen wollen. Es ist immer ein ganz spannender Dialog.
Damit wir das, was Sie verabschieden wollen, auch umsetzen können, müssen noch einige Voraussetzungen erfüllt werden. Wir sollen die Bürgerinnen und Bürger auch an der Haushaltsaufstellung und der Investitionsplanung beteiligen. Es ist so, dass wir bereits heute zum Teil so knappe Fristen haben, dass wir das noch nicht einmal mit den Bezirksverordneten machen können. Das heißt auch, der Senat muss sich darauf einstellen, dass wir das, was das Abgeordnetenhaus verabschiedet, auch wirklich umsetzen können, sonst fühlen sich die Bürgerinnen und Bürger zu Recht überhaupt nicht ernst genommen. Wir können zwar bei den Bezirksverordneten dafür werben, sie glauben uns das, weil sie die Abläufe von 6-Wochen-Fristen kennen, aber den Bürgerinnen und Bürgern möchte ich das nicht zumuten.
Dann haben meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits darauf hingewiesen, dass es Ressourcen kostet. Demokratie kostet Zeit und Geld. Wir bräuchten eine Art Stand-by-Wahlamt. Das erfordert auch andere Personalressourcen als bisher, bei dem die Wahltermine in der Regel immer lange vorhersehbar festgelegt waren. – Herr Bürgermeister Band sagte: Eine Informationsbroschüre pro Haushalt. Das halte ich für eine wichtige Voraussetzung, um ernsthaft einen Bürgerentscheid durchführen zu können. Wenn Sie sich einmal unsere Haushalte anschauen, wo wir noch etwas für Druckkosten her haben, dann kommen Ihnen wahrscheinlich die Tränen. Das gibt auch die Globalsumme nicht her. Das ist jetzt nicht die übliche Jammerei. Das muss wirklich berücksichtigt werden, sonst sind wir diejenigen, die vor den Bürgerinnen und Bürgern nackt und blank dastehen und uns blamieren. Ich möchte das nicht, und zwar auch im Sinne der Bürgerinnen und Bürger, die aktiv einbezogen werden sollen.
Das Quorum ist ein Problem bei der jetzigen Höhe. Berliner Bezirke haben im Schnitt mit 300 000 Einwohnerinnen und Einwohnern die Größe von großen Großstädten. Die Ortsteile haben nicht unbedingt miteinander die Verbindung, dass sich der Norden für den Süden interessiert. Sehr viele Anliegen sind einfach ortsgebunden. Da steht noch der Vorschlag im Raum, das Quorum auf 10 % herabzusetzen. Ich hätte aber noch einen anderen Vorschlag, auch wenn ich weiß, dass das vielleicht schwer zu realisieren ist. Wir sind im Moment dabei, die Bezirke nach Sozialräumen zu organisieren, die auch noch eine neue Form der Bürgerbindung, aber auch der Organisation der Bezirksamtsabläufe sein sollen. Ich fände es ideal, wenn es möglich wäre, Bürgerbegehren und Bürgerentscheide nach Sozialräumen durchzuführen, alternativ nach Ortsteilen. Es müsste dann entschieden werden, was besser ist. Vielleicht ist der Ortsteil noch die formalere Organisationseinheit. Aber das würde sehr stark helfen. – [Zuruf] – Also, wir haben nur fünf. Gut, dann werden es die Ortsteile. Darüber müsste man sich verständigen, aber auf jeden Fall wäre das eine Möglichkeit auf die Entscheidung mehr vor Ort zu holen. In Bayern zum Beispiel – Frau Wanjura, übrigens ein Land, das wirtschaftsaufgeschlossen ist und mit sehr vielen Bürgerbescheiden lebt – ist es so, dass auch ein Ort mit 5 000 Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Instrument nutzen kann. – [Zuruf] – Bei 5 000 Einwohnerinnen und Einwohnern braucht man keine BVV mehr, da reicht das Ortsparlament, und das haben die. Insofern ist das das richtige Instrument, um das an die Bürgerinnen und Bürger heranzutragen, über eine kleinteiligere Organisationsmöglichkeit nachzudenken, und wenn das nicht geht, auf jeden Fall das Quorum herabzusetzen.
Vors. Dr. Zotl: Recht herzlichen Dank, Frau Schmiedhofer! – Für die Fraktion der FDP ist Herr Bezirksstadtrat Skrodzki benannt. – Bitte schön!
BzStR Skrodzki (BA Charlottenburg-Wilmersdorf): Vielen Dank, Herr Zotl! Sehr geehrte Damen und Herren! – Grundsätzlich kann ich meinen Kolleginnen und Kollegen nur zustimmen, dass die mit dem Gesetzentwurf verbundene Absicht absolut zu begrüßen ist, den Bürgern direkte Einwirkungsmöglichkeiten auf politische Prozesse zu verschaffen. Trotzdem halte ich die Initiative zum jetzigen Zeitpunkt nicht für ganz unproblematisch. Das vorgeschlagene System der direkten Demokratie soll nur für Angelegenheiten gelten, für die auch die BVVs zuständig sind. In den letzten Jahren haben die Bezirke wesentliche Aufgaben verloren oder sie sind dabei sie zu verlieren, die den Gestaltungsrahmen der Bezirke neben den schon vorhandenen finanziellen Beschränkungen, gerade auch in der Sache, deutlich gemindert haben. Die im Zuge der Bildung von Großbezirken, von bezirklichen Bürgerämtern und bezirklichen Ordnungsämter für die Bezirke hinzugewonnenen Aufgaben sind dafür aus meiner Sicht kein Ausgleich gewesen, weil diese weitgehend den Verwaltungsvollzug betreffen und kaum zusätzliche Gestaltungsspielräume bieten. Letztlich sind wesentliche Aufgaben, die Essentials für die Selbständigkeit einer Kommune darstellen, häufig mit dem Finanzargument auf die Landesebene verlagert worden und sind heute im Regelfall in Form von Landesämtern, Landes GmbHs oder Eigenbetriebe organisiert, die nur sehr eingeschränkt und weitgehend ohne parlamentarische Kontrolle agieren.
Vor diesem Hintergrund, dass einerseits in jüngerer Zeit wesentliche kommunale Selbstverwaltungsrechte weggenommen worden sind und werden, andererseits den Bürgerinnen und Bürgern aber mit dem Ausbau direkter Demokratie suggeriert wird, dass sie starken Einfluss auf ihr Umfeld nehmen können, erscheint der Gesetzentwurf für mich in gewisser Weise als Mogelpackung. Was hat die ganze Sache für einen Sinn, wenn wir dem Bürger bei entscheidenden Dinge immer wieder sagen müssen, dass der Bezirk leider für eine bestimmte Angelegenheit nicht zuständig ist, sondern ein legislativ schwer beeinflussbares Landesamt oder eine Landesgesellschaft? – Wer es ernst mit direkter Demokratie meint, muss einen ernst zu nehmenden Aufgabenrahmen schaffen, das heißt entweder die Bezirke stärken oder mit der direkten Demokratie nicht vor der Landesebene halt machen. Nur dann zieht der Vergleich zu den Verhältnissen auf der kommunalen Ebene in anderen Bundesländern. – So weit zum Grundsätzlichen.
Jetzt zu den eigentlichen Rechten, die die Bürger in Zukunft haben sollen. Die Einwohnerversammlung haben wir aus meiner Sicht im Rahmen des Verwaltungsvollzugs oder des Lebens in den Bezirken auch heute schon, aber es ist gut, dass diese Institution in Zukunft festgeschrieben und damit ein gesetzlicher Rahmen dafür geschaffen wird.
Die Einwohnerfragestunde – wir sind einer der wenigen Bezirke, die sie schon haben – sehe ich etwas kritischer als meine Kollegin Schmiedhofer. Die Erfahrungen sind an sich nicht gerade animierend, da diese Fragestunde im Regelfall von bestimmten Einzelkämpfern, die auf jeder Einwohnerfragestunde mit meistens immer denselben Problemen, nur in eine andere Frageform gekleidet, auftreten und damit diese Fragestunde häufig etwas pervertieren. Es ergibt sich dadurch ein etwas starres Verfahren, das eigentlich nicht zu einer bewegten Diskussion zwischen Bürger und Politik führt. Es erweist sich nur dann als ein sehr gutes Instrument, und deswegen würde ich es auch gar nicht anzweifeln und beibehalten, wenn wirklich ein aktuelles Problem hochkocht. – Zum Beispiel bei der Frage der Reduzierung der Kitaplätze, die wir, vom Senat vorgegeben, stark reduzieren mussten. Damit waren Kitaschließungen verbunden. Da kam Bewegung in die Sache, weil es da um Angelegenheiten ging, die die Bürger bewegten. Da kamen auch ganz normale Bürger und nicht nur organisierte, praktisch halbprofessionelle Politiker, sondern die Bevölkerung war da. Aus diesem Grund, weil solche Situationen immer wieder entstehen können, würde ich das aufrechterhalten und begrüßen, aber Sie müssen wissen, dass im Regelfall diese Fragestunde nicht das bringt, was man sich einmal ursprünglich von ihr versprochen hat.
Der Einwohnerantrag passt eigentlich nicht mehr in das System. Ich verstehe das so, dass der ursprüngliche Gesetzentwurf im Rahmen der Dreistufigkeit des vorgesehenen Verfahrens durchaus eine Funktion hatte. Jetzt führt er für mich eine Einzeldarstellung, weil er nicht mehr notwendig ist, um zu einem Bürgerentscheid zu kommen. Damit stellt sich für mich die Frage, ob es überhaupt sinnvoll ist, mit einem relativ aufwendigen Verfahren so einen Einwohnerantrag vorzusehen. Aus meiner Sicht ist jede Fraktion bei uns bereit, Vorlagen von auch nur 100 Bürgern als Fraktionsantrag aufzunehmen. Insofern scheint mir das Verfahren etwas überzogen. Von den rein formalen Voraussetzungen erscheint mir aber auf jeden Fall die Zweimonatsfrist, in der die BVV über einen solchen Antrag beschließen muss, als zu kurz. Auch dieser Antrag muss in Ausschüssen diskutiert werden, und meistens nicht nur in einem, sondern in mehreren Ausschüssen, insoweit halte ich die Zweimonatsfrist vom Verfahren her für zu kurz. Wenn man das aufrechterhält, müsste man diese Frist etwas länger gestalten.
Beim Bürgerbegehren, das ich grundsätzlich unterstütze, erscheint mir nur die Sechsmonatsfrist als zu lang, da sie – wie Frau Wanjura schon betonte – doch zu einer erheblichen Blockade von Entscheidungen, gerade bei Bebauungsplänen, führen kann. Wenn diese Sache so dringend und so bewegend ist, sollte diese Frist entsprechend abgekürzt werden, also hier halte ich drei Monate für durchaus ausreichend, um die Stimmen, die notwendig sind, zu erhalten.
Beim Bürgerbescheid muss ich meiner Kollegin leider auch widersprechen – [BzStR’in Schmiedhofer: Kommt ja öfter vor!] –, weil ich glaube, dass die 15 % schon gerechtfertigt sind. Erstens, weil es sich doch um Angelegenheiten handeln soll, die eine Bedeutung für den gesamten Bezirk hat, und das setzt aus meiner Sicht auch voraus, dass ein entsprechendes Quorum vorhanden ist. Ich unterstütze also ganz klar die 15 %, 10 % erscheinen mir zu gering.
Bei den Beschlüssen selbst kann man nur Frau Wanjura Recht geben, dass die Gefahr besteht, dass der Vorwurf, den die Bezirke immer schon jetzt erhalten, wir würden bei entscheidenden Dingen nicht aus den Puschen kommen. Also, meinetwegen auch diese Kitaschließungsdiskussion, wo uns der Senat die Vorgabe gemacht hat: Bis zum Sommer müsst ihr damit zurecht gekommen sein. Das würden wir mit dem Verfahren überhaupt nicht schaffen, weil sich die Bürgerschaft sehr schnell organisieren und diesen Prozess viel länger gestalten würde. Damit ist automatisch der Vorwurf an die Bezirke verbunden, sie werden nicht reaktionsfähig und reaktionsstark. Dasselbe gilt natürlich auch für die Bebauungspläne. Insbesondere bei gut organisierten Interessengruppen – und die haben wir, zum Beispiel die Kleingärtner, die sehr gut organisiert sind – wird es in Zukunft sehr schwer sein, gegen sie zu agieren. Wir lesen immer die Sprüche: Wer Kleingärtner quält, wird abgewählt, und das wird sich hier wahrscheinlich in der Praxis sehr stark zeigen.
Ich halte es für überlegenswert, einen Themenausschlusskatalog festzulegen. Insbesondere, was den Haushalt betrifft, halte ich diese Beschluss- und Entscheidungsform doch für zu weit gehend. Ich würde noch einmal überlegen, ob man nicht, wie beim ursprünglichen Gesetzentwurf, bestimmte Themen von dieser Form der direkten Demokratie ausnimmt und sie in der BVV belässt. – Vielen Dank!
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Bezirksstadtrat Skrodzki! – Jetzt hat „Mehr Demokratie“ das Wort. – Herr Effler, bitte! – Ich verweise auf die umfangreiche Stellungnahme, die seit mindestens einer Woche in den Fraktionen vorliegt.
Herr Effler (Mehr Demokratie): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! – Erst einmal herzlichen Dank für die Einladung zu dieser Anhörung. – Vielleicht ganz kurz zu „Mehr Demokratie“ und zu meiner Person: Wir haben 1998 in Hamburg das Recht auf Bürgerbegehren und Bürgerentscheide per Volksentscheid durchgesetzt. Ich habe damals selbst den Gesetzentwurf formuliert und habe eine ganze Reihe von Bürgerbegehren beraten und auch eines selber initiiert, leider erfolglos, aber das kommt vor. Deswegen denke ich, doch einige Erfahrungen aus dem anderen Stadtstaat mit nach Berlin herüberbringen zu können. – Auf die schriftliche Stellungnahme ist schon verwiesen worden. Ihr liegt eine Tabelle mit allen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden an, die es seit 1998 in Hamburg gegeben hat. Schon daraus werden sich einige Ängste und Befürchtungen regeln lassen. Darauf komme ich noch zurück.
Zunächst zu einer allgemeinen Bewertung des Gesetzentwurfes: Wir halten das für eine hervorragende und sehr gute Ausgangsbasis für das jetzt beginnende Gesetzgebungsverfahren. Das ist ein sehr moderner Gesetzentwurf, und es ist selten, dass wir auf offiziellen Anhörungen so etwas sagen. Meistens haben wir sehr viel mehr zu kritisieren. In diesem Fall ist das eine etwas andere Ausgangssituation. Wir haben ermittelt, wie sich Berlin im Vergleich der Bundesländer neu positionieren würde. Jetzt ist Berlin bekanntermaßen das letzte Bundesland, das noch keine Bürgerbegehren und keine Bürgerentscheide kennt. Und es würde, wenn dieser Entwurf so beschlossen würde, auf den Platz 2 im Vergleich aller Bundesländer nach vorne kommen, weil die Regelungen so gut sind.
Ich möchte zwei Punkte besonders hervorheben: Zum einen ist die Stärkung der Bezirksverordnetenversammlungen im Bereich Entwicklung und Investitionsplanung, Bereichsentwicklungsplanung und andere Dinge wichtig. Das muss man auf jeden Fall sehen, und dann auch den Punkt, dass nicht nur Bürgerbegehren und Bürgerentscheide geregelt, sondern auch Einwohneranträge und Einwohnerversammlungen eingeführt werden und damit auch, Frau Reinauer, Migrantinnen und Migranten die Möglichkeit haben, sich an bestimmten Verfahren zu beteiligen. Das war aus verfassungsrechtlichen Gründen bei Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden nicht möglich, aber da ist eine durchaus gute Regelung gefunden worden.
Jetzt noch zu zwei Punkten, wo wir Änderungsvorschläge einbringen möchten: Zum einen halten wir es für sinnvoll, ein Recht auf Beratung durch die Bezirksämter einzuführen, also Initiativen, die beabsichtigten, ein Bürgerbegehren zu ergreifen, sollten das Recht haben, von den Bezirksämtern beraten werden zu können. Möglicherweise ergibt sich das ohnehin schon aus dem Verwaltungsrecht. Das sollte man aber explizit in das Gesetz hineinschreiben. Das lege ich deshalb ans Herz, weil das dazu führt, dass sich auch für die Bezirksämter und für die Initiativen eine Erleichterung ergibt, weil jede Initiative, die von vornherein auf mögliche rechtliche Probleme und auch auf die Kompetenzen und Grenzen der Bezirke hingewiesen wird, wird nicht den Fehler machen, einfach loszumarschieren, Unterschriften zu sammeln und dann möglicherweise hinterher enttäuscht das Verfahren abbrechen müssen. Dadurch kann eine ganze Menge Kosten eingespart werden. Damit können verwaltungsgerichtliche Prozesse eingespart werden, und ich lege das sehr ans Herz, das noch einmal zu bedenken. Darüber hinaus werden wir, also „Mehr Demokratie“, ohnehin Initiativen, die sich sowieso bei uns melden werden, beraten und auf das Gesetz hinweisen, was sie damit anfangen und was sie damit nicht anfangen können, weil es auf die Landesebene oder woandershin gehört. Das wird schon einiges kanalisieren.
Der zweite Punkt ist das Beteiligungsquorum beim Bürgerentscheid. Hier hat mir Herr Band im Grunde bereits alle Argumente aus der Hand genommen. Das Problem, das wir gerade in den Bezirken haben, ist, dass es sehr große Bezirke sind. Das sind im Grunde eigene Großstädte mit sehr vielen kleineren Stadtteilen. Viele Bürgerinitiativen werden sich auf Themen oder Projekte stürzen, die einen einzelnen Stadtteil betreffen, aber nicht den gesamten Bezirk, und daher kann schon ein Quorum von 15 %, wie es im Entwurf steht, über Leben und Tod entscheiden und einige Initiativen ins Abseits befördern. Deswegen würden wir es sehr begrüßen, wenn eine Absenkung auf 10 % erfolgen könnte. Ich verweise auf Hamburg, wo es überhaupt kein Quorum gibt, also wo die Mehrheit der abgegebenen Stimmen entscheidet. Das halten wir demokratietheoretisch für die absolut richtige Position – das können wir gerne hinterher noch einmal diskutieren –, aber eine Absenkung auf 10 % würde das auch schon sehr stark in die richtige Richtung bewegen.
Dann noch einmal zu dem Punkt, der von einigen bereits angesprochen wurde: Vergleich Hamburg. Es gab nur wenige Bürgerentscheide in sechs Jahren. Warum brauchen wir denn überhaupt so ein Instrument? – Das zeigt mir, dass das Verfahren an sich noch nicht in voller Gänze verstanden wird. Es geht nicht darum, dass jede Initiative unbedingt einen Bürgerentscheid erzwingt und dann in einem aufwendigen Verfahren eine Entscheidung herbeiführt, sondern es geht um eine bessere Kommunikation zwischen Initiativen, Bürgerinnen und Bürgern und der Bezirksverwaltung. Und wenn Sie sich insbesondere noch einmal die Tabelle anschauen, werden Sie sehen, dass in Hamburg eine ganze Reihe von Initiativen von den Bezirksverordnetenversammlungen übernommen worden sind und damit auch kein Bürgerentscheid mehr stattfinden musste, weil das Ziel im Vorfeld erreicht werden konnte. Es wurden Kompromisse geschlossen. Es wurden Dinge ermöglicht, die auch im parlamentarischen Verfahren so ähnlich möglich geworden sind.
Ich möchte zum Schluss noch auf einige der Gegenargumente, die ich schon seit Jahren kenne, die auch in Hamburg immer wieder vor der Einführung gekommen sind und jetzt auch wieder vorgebracht worden sind, kurz eingehen. Zunächst einmal wurde mehrfach darauf hingewiesen, dass es eine Blockade von Investitionen oder von politischen Entscheidungen geben könnte. Da müssen wir zunächst einmal festhalten: Es gibt überhaupt keine empirischen Belege aus anderen Bundesländern dafür, dass so etwas erfolgt ist. Sie werden keinerlei Studien aus Bayern, aus Hamburg oder aus irgendeinem anderen Bundesland vorweisen können, wo Sie das belegen können. Und das sollte, wenn man mit solchen Argumenten gegen die Einführung von Bürgerentscheiden vorgeht, ernsthaft geprüft werden, welche Erfahrungen man in anderen Bundesländern hat, und diese Erfahrungen hat man eben nicht.
Dagegen spricht auch, dass das konkrete Verfahren im Grunde überhaupt nicht dazu geeignet ist, großartige Blockaden herbeizuführen. Es ist ein sehr schlankes, zügiges, unbürokratisches zweistufiges Verfahren. – Die angesprochene aufschiebende Wirkung gilt nur drei Monate, dann tritt sie wieder außer Kraft, es sei denn, dass dann die Unterschriften zustande gekommen sind, und sie gilt selbstverständlich nur für Bürgerbegehren, die zulässig sind. Also, wenn sich jemand gegen ein Projekt wendet, das möglicherweise in der Hoheit des Landes oder des Bundes – das gibt es in Berlin auch – liegt, dann wird das ohnehin unzulässig sein, und dann wird auch eine aufschiebende Wirkung keine Grundlage mehr haben. Im Übrigen haben sieben Bundesländer diese aufschiebende Wirkung, und der Trend geht eindeutig dahin, diese einzuführen. Bei allen Reformen von kommunalen Gemeindeordnungen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sind aufschiebende Wirkungen eingeführt worden, zuletzt im CDU-regierten Thüringen und auch in Schleswig-Holstein. Und wenn sie gesetzlich nicht festgelegt wird, dann wird sie ohnehin durch Verwaltungsgerichtsentscheidungen herbeigeführt werden. Und das ist für Investoren oder auch für die Verwaltung sehr viel unangenehmer, weil man dann keine klare Handhabe hat. Also das lieber in einem Gesetz festlegen, als dass man ständig auf einzelne Gerichtsentscheidungen verweist.
Letzter Punkt zu den Kosten: Das Argument kann ich gerade aus Sicht der Bezirke sehr gut verstehen, dass man angesichts knapper Ressourcen möglicherweise Sorge hat, dass jetzt noch weitere Kosten auf einen zukommen, und wie soll man das finanzieren. Aber damit würde ich sehr gelassen umgehen und auf die Erfahrungen aus anderen Bundesländern verweisen. In Hamburg hatten wir drei Bürgerentscheide in über sechs Jahren. Wenn wir jetzt einmal annehmen – aber ich wüsste nicht, warum das so sein sollte –, dass wir die dreifache Zahl von Bürgerentscheiden in Berlin haben sollten, dann würden wir auf neun Bürgerentscheide in sechs Jahren kommen. Das heißt, jeder Bezirk wäre in sechs Jahren knapp einmal von einem Bürgerentscheid betroffen. Wenn wir uns das an Demokratisierung nicht leisten, dann frage ich mich, welche Vorschläge und Reformen überhaupt noch durchsetzbar sind. Da kann ich im Grunde Entwarnung geben. Es wird keine Kostenlawine geben. Es wird auch keine inflationäre Anwendung dieses Instrumentes geben.
Insgesamt würde ich, um abzuschließen, noch einmal darauf verweisen, dass wir die Chancen bei diesem Gesetzentwurf sehen müssen. Die Chancen sind eindeutig, die Bürgerinnen und Bürger stärker an der Bezirkspolitik zu beteiligen und vor allem einen Dialog zwischen Repräsentanten, Verwaltungen und Initiativen herbeizuführen, und das wird die Risiken deutlich übersteigen. – Vielen Dank!
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Effler! – Den Abschluss bildet Herr Dr. Jung. – Bitte!
Dr. Jung (FU Berlin): Herr Vorsitzender! Sehr geehrte Damen und Herren! – Ich danke zunächst für die Einladung. Ich habe für die heutige Anhörung eine Stellungnahme ausgearbeitet, die Ihnen vorliegt. Ich bitte Sie insbesondere, das, was die Änderung der Verfassung angeht, nachzulesen. – Was die Änderung des Bezirksverwaltungsgesetzes anbelangt, habe ich, um Maßstäbe zu gewinnen, die künftige Situation der Berliner Bezirke mit den Verhältnissen in Hamburg auf Bezirksebene verglichen, in Bremen bezüglich der Stadtgemeinde Bremen und in den Großstädten Bayerns und Nordrhein-Westfalens. Ich habe die wichtigsten Checkpunkte im Design des direktdemokratischen Verfahrens geprüft. Das Gesamtergebnis vorweg:
Die vorgeschlagenen Änderungen schaffen mehr Demokratie für Berlinerinnen und Berliner. Sie enthalten ausnehmend partizipationsfreundliche Regelungen, welche die Berliner Bezirke von ihrem letzten Platz im Ranking kommunaler Direktdemokratie, den sie leider seit Jahren einnehmen, auf einen Spitzenplatz befördern werden. Die Regelungen sind aber nirgendwo so kühn, dass wirklich Neuland betreten würde. Vielmehr erscheinen sie oft als Varianten des Hamburgischen Regelwerks, an das bzw. an die praktischen Erfahrungen mit ihm man sich halten kann, wenn nach den mutmaßlichen Auswirkungen dieser Reform gefragt wird.
Im Einzelnen: Die vorgeschlagene Hürde beim Bürgerbegehren ist sehr partizipationsfreundlich. Nur Hamburg geht noch etwas weiter, indem es für Bezirke über 300 000 Einwohner die Hürde von 3 % auf 2 % senkt. Das beträfe, wenn man das auf Berlin übertragen würde, immerhin fünf von zwölf Bezirken. Wenn man sich überhaupt für Quoren beim Bürgerentscheid entscheidet, ist das nicht selbstverständlich. In der Schweiz, in den US-Bundesstaaten, in Bayern und Sachsen auf Landesebene und seit 1998 in Hamburgischen Bezirken geht es nämlich auch ohne Quoren. Aber wenn man sich überhaupt dafür entscheidet, dann erscheint das vorgesehene Beteiligungsquorum von 15 % als ein vernünftiger Kompromiss. Einerseits vermittelt es hinreichende Legitimation für die getroffene Sachentscheidung, andererseits nährt es nicht jene Versuchung zum Boykott, die vor allem einem Beteiligungsquorum immer innewohnt.
Die möglichen Gegenstände von Bürgerbegehren sind ausnehmend großzügig bemessen, wenn man an die Negativkataloge in anderen Kommunalverfassungsrechten denkt. Diese großzügige Lösung halte ich auch für sinnvoll. Sie ersparen damit den Gerichten viel Arbeit und den Bürgerinnen und Bürgern viel Frustration. – Die vorgesehene Sperrwirkung ist ebenfalls sehr partizipationsfreundlich, wiederum ist nur in Hamburg die Lage noch etwas günstiger. Vermisst habe ich allerdings eine Bindungswirkung des Bürgerentscheids, wie sie alle anderen Kommunalverfassungsrechte mit einem Quorum beim Bürgerentscheid verbinden. Also, wenn ein 10-prozentiges Zustimmungsquorum in den bayerischen Großstädten eine einjährige Bindungsfrist rechtfertigt, und eine 20-prozentige Zustimmung in Nordrhein-Westfalen eine Bindung über zwei Jahre trägt, dann können Sie aus dem 15-prozentigen Beteiligungsquorum in Berlin eine mindestens einjährige Bindungsfrist ableiten. Dazu habe ich einen Formulierungsvorschlag unterbreitet.
Ich möchte noch auf einige Argumente meiner Vorrednerinnen und Vorredner eingehen. Zu Hamburg wurde gesagt, dass da wahrscheinlich ein Missverständnis vorliegt. Der Sinn einer direkten Demokratie ist nicht eine maximale Anzahl von Urnengängen, sondern es soll die Responsivität erhöht werden. Und wenn dann im Wege der Vorwirkung die repräsentativen Gremien die Anregung von unten aufgreifen, ist es ja gut. Insofern sind 36 Bürgerentscheide und vier Abstimmungen nur ein Beweis, dass in Hamburg die politische Kultur nicht auf einen permanenten Konflikt hinausläuft.
Was die Partikularinteressen angeht, muss man deutlich zwischen Bürgerbegehren und Bürgerentscheid unterscheiden. Beim Bürgerbegehren werden die Sportler und wer auch immer kommen, aber es ist nicht gesagt, dass hinterher beim Bürgerentscheid auch nur die Sportler und die jeweiligen Interessenten entscheiden. Dann sind alle Bürgerinnen und Bürger aufgerufen, und es widerspricht jeder Erfahrung, dass alle anderen zu Hause bleiben und die Interessenten allein entscheiden lassen.
Was die Lahmlegung der Verwaltung und die Kosten angeht, bitte ich, sich die Erfahrungen der anderen Bundesländer zu Nutze zu machen. Berlin ist das letzte Bundesland. In Baden-Württemberg gibt es dieses Instrument seit vier Jahrzehnten, in Bayern seit 10 Jahren. Es findet keine Lahmlegung der Verwaltung statt. Es findet keine übermäßige Kostenbelastung statt. Das sind abstrakte Sorgen, die sich in der Wirklichkeit in 15 anderen Bundesländern nicht einstellen.
Was ich für sehr wichtig halte, ist der Hinweis darauf, dass die Berliner Bezirke als mittlere Großstädte eigentlich für dieses Instrument zu groß sind. Es ist schon die Lösung, Stichwort: Ortsteile, erwähnt worden. Da möchte ich auf die bayerische Gemeindeordnung verweisen, die diese Möglichkeit von Ortsteilabstimmungen vorsieht. Das ist auch in München, mit immerhin über einer Million Einwohnern, durchaus praktiziert worden. Das wäre ein zweiter Punkt, wo dieser Entwurf zu ergänzen wäre. – Vielen Dank!
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Dr. Jung! – Damit ist die Runde der Sachverständigen beendet, und wir kommen in die Fraktionsdiskussion mit Fragen, Bemerkungen und Anmerkungen. – Herr Ratzmann, bitte!
Abg. Ratzmann (Grüne): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! – Vielen Dank, meine Damen und Herren, dass Sie sich so ausführlich zu dem vorgeschlagenen, von vier Fraktionen getragenen Vorschlag geäußert haben. Ich finde es insbesondere schön, dass sich alle Vertreterinnen und Vertreter aus den Bezirken für eine Stärkung der direkten Demokratie und für mehr Partizipation ausgesprochen haben. Allerdings schien mir aus den Beiträgen von Frau Wanjura, Herrn Band und Herrn Skrodzki doch immer noch ein bisschen die Angst des Bezirksverwaltungspolitikers vor dem Volk durchzuscheinen, weil Sie sehr viel Skepsis dahin gehend geäußert haben, das bisher praktizierte System, das wir in den Bezirken und in der bezirklichen Selbstverwaltung haben, auch nur in Ansätzen diesbezüglich zu ändern geäußert haben.
Ich glaube, dass wir angesichts der gesamten politischen Entwicklung in der Stadt und im Land gut daran tun, das, was von Frau Reinauer, Frau Schmiedhofer und Herrn Effler als Chance bezeichnet worden ist, ganz hoch zu hängen und zu sagen: Das ist ein Schritt, den wir gehen müssen, wenn wir das politische System in der Stadt stabilisieren wollen. Sie sind den Bürgerinnen und Bürgern in den Bezirken am nächsten. Sie werden diejenigen sein, die am ehesten mit den direkten politischen Auswirkungen zu kämpfen haben, und auch die Ersten sein, die das, was zurückkommt, zu spüren bekommen, aber das ist auch der Ansatzpunkt, den man ändern muss. Aber ich sage Ihnen ganz klar: Wir wollen das Thema direkte Demokratie nicht auf die Bezirke abladen, sondern wir werden hier im Hause weitermachen und sofort auch auf die Landesebene angehen und darüber reden müssen, wie wir es schaffen, dass dieses Instrument auch auf Landesebene für uns praktikabler wird und nicht eine Verhinderung des politischen Instruments weiterhin praktiziert wird, sondern dass wir es auch in dieser Richtung effektiv nutzen können.
Wenn ich mir das alles richtig anschaue, sind das drei Punkte, drei Bündel, in die sich die Skepsis, die Sie geäußert haben, zusammenfassen lässt. Das eine ist, es handelt sich um eine Mogelpackung, die Bürger würden dadurch nur frustriert werden, weil sie nicht richtig beteiligt würden. Zum Zweiten gäbe es unüberwindbare Hindernisse, die aufgebaut würden, um zeitnah Projekte in den Bezirken umzusetzen. Das Dritte ist der Kostenfaktor. – Ich glaube, dass wir mit diesem Gesetz einen ersten Schritt in Richtung mehr Beteiligung, mehr Partizipation gemacht haben, der sich in der Praxis sicherlich noch verändern wird. Wir müssen sehen, wie das in Berlin angenommen wird und wie das umsetzbar ist. Der Vorschlag von Frau Schmiedhofer und Herrn Dr. Jung ist, eventuell zu regionalisieren. Diesen Vorschlag haben wir diskutiert und haben erst einmal dagegen entschieden, weil wir die Handhabbarkeit auf Grund des Zuschnittes, den wir in der Bevölkerungsstruktur in Berlin haben, für nicht gegeben angesehen haben. – Ich möchte aber jedenfalls für unsere Fraktion konstatieren, dass wir das Gesetz evaluativ begleiten und sehen müssen, ob das nicht eine Geschichte ist, die wir weiter anpacken müssen. Aber was wir nicht wollten, ist, das ganze System der bezirklichen Verwaltung radikal anzugreifen und zu revolutionieren und auch das Verhältnis beispielsweise BVV und Bezirksamt in irgendeiner Art und Weise umzukrempeln. Deswegen haben wir uns nur im bestehenden Systemen bewegt und haben auch davon abgesehen zu sagen: Wir wollen dem Bürger die Möglichkeit geben etwas zu machen, was die BVV-Abgeordneten nicht haben. Da besteht die Bindung des Bezirksamtes an die Entscheidung nicht, ergo kann die Bindung des Bezirksamtes an einen Bürgerentscheid nicht weiter gehen als das, was eine BVV machen kann. Da haben wir uns im System bewegt, weil wir sonst viel mehr hätten verändern müssen.
Bereits die Inaussichtstellung, dieses Mittel in Anspruch zu nehmen, wird schon sehr viel in der bezirklichen Praxis ändern, und das ist mir bei Ihnen so deutlich geworden, Frau Wanjura, wenn Sie sagen, dass die Zeitverzögerungen Sie hindern würden, Projekte umzusetzen. Wenn Sie alleine die Drohung oder die Möglichkeit, dass sich ein Bürgerbegehren in irgendeines Ihrer Projekte einmischt, ernst nehmen, dann werden Sie hoffentlich Ihren Politikstil im Bezirk ändern. Dann werden Sie von Anfang an damit rechnen und andere zeitliche Abläufe einbauen müssen, um ein für die Bürger wichtiges Projekt in diesem Bezirk umzusetzen. Ich erlaube mir die Bemerkung, wenn Sie sagen, dass die dreimonatige Bindungswirkung, die für das Einreichen der Hälfte der Unterschriften ausreicht, Sie daran hindern würde, ein Projekt umzusetzen, dann frage ich Sie: Zeigen Sie mir ernsthaft ein Projekt in Ihrem Bezirk, das Sie schneller als in drei Monaten umgesetzt haben. Sie werden mir kein einziges Projekt nennen können. In Berlin dauern alle Projekte länger als drei Monate. Und wenn Sie von Anfang an damit rechnen, dass es ein Bürgerbegehren gibt, dann werden Sie das auch entsprechend in Ihre Projektplanung mit einbeziehen. – Man muss auch davon ausgehen, dass die Bürgerinnen und Bürger durchaus gerade Investitionsentscheidungen positiv gegenüberstehen. Natürlich wollen sie in ihren Bezirken auch die Arbeitsplätze sichern. Es ist doch eine Schimäre zu glauben, dass alle Bürgerinnen und Bürger eines Bezirkes nur herumlaufen und versuchen würden, Investitionsentscheidungen zu verhindern. Das Gegenteil ist doch gerade in unserer Stadt der Fall. Jeder will in diesen Bereichen die Arbeitsplätze in seinem Bezirk sichern. Da ist die Verantwortung der Bürger mittlerweile höher als das, was die Politikerinnen und Politiker ihnen in diesen Bereichen zutrauen. Das muss man fördern, da muss man anpacken und das muss man stimulieren.
Ein wesentliches Argument ist – da haben Sie Recht – die Kostenfrage. Wir haben aber ein System gewählt und Ihnen vorgeschlagen, indem wir auch hier das bestehende System anerkannt und gesagt haben: Natürlich können sich auch hier die Bürgerinnen und Bürger in dem finanziellen Rahmen bewegen, der den Bezirken zur Verfügung steht. Jetzt schauen Sie sich doch einmal an, wo Sie gesetzlich überhaupt die Möglichkeit haben, finanzwirksam relevante Entscheidungen jenseits gesetzlicher Bindungen treffen zu können. Natürlich ist die Bürgerin oder der Bürger, wenn er einen Bürgerentscheid anstrebt, daran gehalten, sich im Rahmen des gesetzlichen Systems zu bewegen, genauso wie Sie es sind als Bezirksamt und genauso wie es die BVV ist. Wir setzen diese Entscheidung doch nur an die Stelle dessen, was die BVV auch entscheiden kann, und da haben Sie einen äußerst geringen Spielraum. Deshalb haben wir gesagt: Es ist Quatsch, jetzt noch einmal herzugehen und zu sagen: Wir nehmen ganz bestimmte Politikfelder von der Entscheidungsbefugnis der Bevölkerung aus. Ihr eingeschränkter Entscheidungsrahmen soll auch so zur Verfügung stehen. Wir haben genug gesetzliche Bindungen, die uns beschränken, und es wird auch keinen Bürgerentscheid geben können, der über Ihr finanzielles Volumen hinausgehen kann. – Die Beispiele, die Sie gebracht haben, zeigen ganz deutlich, dass Sie hier wirklich nur Schreckensbilder an die Wand malen, die der Realität und dem Bedürfnis der Berliner Bevölkerung überhaupt nicht mehr entsprechen.
Deshalb mein Appell an Sie: Haben Sie ein Stück weit mehr Mut. Trauen Sie den Berlinerinnen und Berlinern ein Stück weit mehr zu. Es gibt nicht nur Obstruktionspolitik, sondern es gibt mehr konstruktives Verhalten in der Berliner Bevölkerung, als man sich durch die Verwaltungsbrille vielleicht manchmal vorstellen kann, weil Sie auch ein bisschen unter den Folgen von solchen Leuten zu leiden haben, wie Herr Skrodzki sie in den Fragestunden beschrieben hat, aber wir tun gut daran, zu stimulieren, den Politikstil innerhalb der Stadt zu ändern und mit diesem alten Prinzip: In Berlin ist ein bestimmtes System, das behalten wir und durchbrechen es nicht, endlich einmal aufzuräumen und etwas Neues zu versuchen.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Frau Wanjura, Sie haben sich schon gemeldet, weil Sie auch direkt angesprochen worden sind. Wir machen eine Runde, und dann bekommen Sie selbstverständlich Zeit, um darauf noch einmal antworten zu können, denn Sie kannten auch nicht die einzelnen Positionen, die von Ihnen unterschiedlich dargelegt worden sind. – Jetzt stehe ich auf der Liste für die Fraktion der PDS. Ich weise darauf hin, dass alle fünf Fraktionen mit dieser Gesetzesarbeit anfingen und dass wir den politischen Willen definiert haben. Eine Definition war: Wir wollen, dass der Bürger, die Bürgerschaft, die Einwohnerschaft, und dann in allen Konsequenzen die Bürgerinnen und Bürger, tatsächlich stärker souverän ist. Souveränität ist gebunden, und darüber brauchen wir uns gar nicht zu streiten, da waren wir uns auch einig. Sie müssen dicht am politischen Entscheidungsprozess sein. Sie müssen mitmachen und teilhaben können, aber sie müssen auch eigene Entscheidungen treffen können.
Als Zweites haben wir gesagt: Damit sie etwas entscheiden können, muss man eine mögliche Breite der Entscheidungsmöglichkeiten machen. Wir haben es über den Weg gemacht, dass wir im Laufe des Prozesses die ausschließliche Kompetenz der BVV erweitert haben und damit, weil sich Bürgerentscheide und Bürgerbegehren darauf konzentrieren, wo die BVV ausschließlich die Kompetenz hat, auch die Breite größer geworden ist.
Das Dritte war von Anfang an die Überlegung: Wir wollen Politikverdrossenheit bekämpfen oder Erfahrungen schaffen, die sich gegen die Politikverdrossenheit wenden. Das heißt, wer hingeht, muss entscheiden. Herr Dr. Jung hat eine Reihe von Publikationen gemacht, die wir seit Jahren verfolgen. Er hat nahezu alle Volksentscheide und plebiszitären Formen, die es in Deutschland gegeben hat, analysiert und nachgewiesen, dass eine große Reihe von diesen plebiszitären Formen daran gescheitert sind, weil zum Beispiel die Beteiligungsquoren zu hoch waren. Und damit ist eigentlich etwas ganz Schlimmes passiert, nicht nur demokratietheoretisch sonder praktisch. Es haben die entschieden, die nicht hingegangen sind. Wir wollen aber – das haben wir auch diskutiert –, dass die entscheiden, die hingehen. Das ist die Frage der moderaten Quoren, die von einigen auch noch einmal als nicht ausreichend moderat bezeichnet worden sind. Aber der politische Wille ging weiter, weil wir sagten: Natürlich muss es nicht im unmittelbaren Interesse eines Bezirksamtes oder einer BVV liegen, dass ständig der Bezirk durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheide bewegt wird. Das ist die Furcht, die ich bei einigen Skeptikern herausgehört habe. – Das, was Frau Reinauer sagte, trifft genau den Kern unserer Überlegungen. Das wird auf die normale Bezirkspolitik einen Einfluss haben, im Vorfeld von Entscheidungen stärker in den Dialog zu gehen, mit Menschen zu reden, stärker zu argumentieren usw. Das ist nicht von der Hand zu weisen.
Zweite Bemerkung: Alles, was hier gesagt worden ist, dass da eine Investitionsbremse, dass da Verwaltungshemmnisse kommen, Kostenexplosionen und eine Flut von plebiszitären Formen alles stilllegt, sind Annahmen. Für uns, die wir das gemacht haben, liegt zurzeit die Beweiskraft eindeutig stärker bei uns, nämlich: Was passiert in anderen Bundesländern? – Wenn das stimmen würde, dass solche plebiszitären Formen Investitionen bremsen würden, dann ist es unverständlich, dass Hamburg und Bayern mit ganz niedrigen oder gar keinen Quoren an der Spitze stehen. Und es ist auch unverständlich, dass Berlin, wo der „störende Bürger“ bisher überhaupt keine Einflussmöglichkeiten hatte, bei Investitionen und anderen Dingen nicht weit an der Spitze liegt, weil dieser Störfaktor nach eigenen Argumenten nicht mehr gilt. – Man muss alle Argumente ernst nehmen. Wir haben am letzten Donnerstag im Plenum beschlossen – auf Antrag der FDP, allerdings in veränderter Fassung –, dass alle Gesetze, die das Abgeordnetenhaus beschließt und Gesetze die der Senat einbringt, in Zukunft mit einem Evaluierungsvorbehalt versehen werden. Herr Ratzmann hatte das eben schon erwähnt. Wenn es Argumente gibt, die am Ende nicht aufgenommen werden, muss nach diesen Argumenten evaluiert werden. Dann muss möglicherweise noch nach fünf Jahren – darüber muss man sich noch einigen – geprüft werden, ob diese Lösung richtig oder gar zu eng und zu knapp ist.
Ich möchte noch etwas zur Generalklausel sagen. Das ist im Prozess entstanden. Eigentlich ist es erst in der letzten Zeit entstanden. Wenn wir gesagt haben: Wenn wir schon auf 15 % gehen, dann war das der Koalition auch zu hoch. Wir haben 10 % vereinbart und sind mit 10 % in die Verhandlungen gegangen. Es gab eine andere Fraktion, die mit 25 % hineinging. Nun haben wir nicht gehandelt, sondern haben versucht, abzuwägen. Dann haben wir gesagt: Wenn wir es wirklich über eine Generalklausel schaffen – es ist alles erlaubt, was nicht ausdrücklich durch Bundes- und Landesgesetz verboten ist, also was der BVV und den Bezirken als ausschließliche Kompetenz übergeben ist –, wenn wir das so breit stecken und keinen Negativkatalog von Ausschlussgründen darlegen, dann sind die 15 %, die auch aus unserer Sicht relativ hoch sind, gerechtfertigt. Das war eine Argumentationslinie, auf die wir uns dann einigen konnten. Dann haben wir durchgespielt: Werden denn bestimmte Rechte Dritter durch einen Bürgerentscheid betroffen? usw. und haben gesagt: Natürlich gibt es für alles, auch für die hier diskutierte Haushaltsfrage, eine Landeshaushaltsordnung, Datenschutzregeln und das Bezirksverwaltungsgesetz, was alles das, was jetzt so häufig als Gespenst an die Wand gemalt wird, ausschließt, weil es Landes- oder Bundesregelungen sind.
Das Vorletzte sind die Einwohnerfragestunden. Es ging uns in erster Linie gar nicht darum, die Einwohnerfragestunde als eine Einflussmöglichkeit zu benennen. Das wird heute in fast allen BVVs gemacht. Wir wollten, dass sie als Teil der normalen BVV stattfinden kann, weil das bedeutet, dass alle Bezirksverordneten und das gesamte Bezirksamt anwesend sein müssen. Wir, die häufig in den Bezirken und in den Bezirksverordnetenversammlungen sind, wissen, dass die halbe oder eine Stunde vor Beginn der BVV, die jetzt als Einwohnerfragestunde gilt, sehr differenziert zu bewerten ist, sowohl aus der Einsicht, dass es da kleine Gruppen gibt, die sich immer wieder äußern, aber dass es möglicherweise auch Stunden gibt, wo gar keine Frage vorliegen, also ein Desinteresse. Und dennoch besteht die Möglichkeit, dass es Teil der normalen BVV werden kann. Sie ist dann gebunden, dann müssen die Entscheidungsträger auch alle da sein. Das ist eigentlich das Neue, weshalb wir das dort aufgenommen haben.
Zum Thema Ortsteilbezogenheit haben wir lange überlegt. Es war von der CDU immer wieder ein Vorschlag angekündigt, wie man das auf Ortsteilebene macht. Ich kann das für meine Fraktion sagen: Wir haben schon in der Vorphase lange hin und her überlegt. Wir sind zu keiner vernünftigen Regelung, die Berlin betrifft, gekommen. – Nun möchte ich den Ball nicht zurückgeben, aber es steht natürlich jedem Bezirksamt – auch heute schon – und auch jeder BVV frei, für die und die Frage, die nur die Leute dort betrifft, zu entscheiden. Dann befrage ich die Leute, und ich binde mich selbst, indem ich mich als BVV oder als Bezirksamt verpflichte, das mehrheitliche Votum ernst zu nehmen. Die Möglichkeit besteht, aber wenn es gute Ideen gibt – Herr Dr. Jung hat zum Beispiel auf eine Quelle verwiesen –, werden wir ganz sicher noch einmal darübergehen und versuchen, in dem Sinne eine Lösung zu finden. – Herr Ritzmann, bitte!
Abg. Ritzmann (FDP): Vielen Dank, Herr Dr. Zotl! – Es ist so viel Richtiges gesagt worden, nur nicht von allen. Ich versuche, das nicht noch einmal zu wiederholen. Wir haben uns in Dutzenden von Sitzungen, Gesprächen und Beratungen mehr als anderthalb Jahre für dieses Projekt Zeit genommen. Das ist also kein Schnellschuss. Wir sind nicht morgens aufgewacht und haben gesagt: Das wollen wir jetzt alle machen, sondern sehr viel Hintergrund und Arbeit hineingesteckt. – Nur einmal zum Background, weil wir häufiger Projekte des Senates haben, wo in drei, vier, fünf, sechs Wochen irgendwelche relevanten Gesetzesänderungen durchgepeitscht werden sollen: Das ist hier nicht der Fall.
Der Eindruck, der in der Debatte entstehen kann, ist, dass wir mutige Pioniere sind, die den noch nicht erschlossenen Kontinent entwickeln, sich vorantasten und von Gefahren umgeben sind und immer abwägen müssen: Könnte nicht, könnte nicht, könnte nicht? – Aber es ist genau das Gegenteil: Wir sind Bummelletzter. Wir sind das einzige Bundesland, in dem die Bürger auf unterer Ebene nichts entscheiden können. Deswegen ist es ganz wichtig – das ist mehrfach gesagt worden –, einfach einmal zu schauen, wie die Welt um uns herum funktioniert. Und sie funktioniert. Es ist interessanterweise so, dass die wirtschaftlich starken Bundesländer ausgeprägte Formen direkter Demokratie auf kommunaler Ebene haben. Deswegen möchte ich nicht alles wiederholen, was Herr Dr. Zotl gesagt hat. Man könnte ja den Eindruck haben, als wären wir Wirtschaftsführer, weil wir keine direkte Demokratie haben, und das Gegenteil ist der Fall.
Die Befürchtung, was die Kosten angeht, kann ich nachvollziehen, weil wir da selbst noch nichts gerechnet haben. Wir haben keine Zahlen vorgelegt, wir stützen uns einfach auf die Erkenntnisse der anderen Bundesländer. Das muss aber für ein Land in der Haushaltsnotlage konkretisiert werden. Da müssen auch die Bezirke wissen, was auf sie zukommt. Wie kann man damit umgehen? Muss das Land da etwas übernehmen usw.? – Die Fragen müssen wir auf jeden Fall noch klären. Ansonsten müssen die Regelungen, die zum Teil in der Form neu oder zumindest neuwertig sind, evaluiert werden. Deswegen unterstütze ich auch, dass wir uns anschauen, was wir beschließen.
Richtig ist, dass der Eindruck entstehen kann, dass es sich die Landesebene etwas leicht macht, in der Bezirksebene Veränderungen vorzunehmen. Der Eindruck kann gerade auf der Bezirksebene entstehen. Deswegen rege ich durchaus an, dass der Rat der Bürgermeister einen Gesetzentwurf entwickelt, wie der Volksentscheid auf Landesebene verbessert werden kann. Da können wir den Spieß einmal umdrehen. Dem stehen wir nämlich offen gegenüber, und das ist das nächste Projekt. Wenn wir dieses Projekt abgeschlossen haben, kommt der Volksentscheid auf Landesebene. Ob wir das hinbekommen, werden wir sehen, aber es gibt einen übergreifenden Konsens, dass das das nächste große Projekt sein muss. Der erste Schritt, weil wir da das größte Defizit haben, sind die Bezirksbürgerentscheide, weil wir da nichts haben, und auf Landesebene sind wir sehr schlecht. Deswegen müssen wir da als Nächstes viel besser werden. Das ist das nächste Projekt, wenn das hier abgeschlossen ist. – Mich freut auch, dass alle Ihre Ausführungen damit begonnen haben, dass Sie im Prinzip für Bürgerentscheide sind, und das ist eine gute Grundhaltung.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Herr Ritzmann! – Herr Wambach, bitte!
Abg. Wambach (CDU): Wir hatten, und ich bin zunächst auch einmal dankbar dafür, dass auch von Seiten der Bezirke die Möglichkeit da war, Stellung zu beziehen, so eine Art „Radio-Eriwan-Runde“: Im Prinzip ja, aber. – Wir müssen uns das genau anschauen, wenn wir ein Gesetz im Abgeordnetenhaus auf den Weg bringen. Wir haben in einem anderen Zusammenhang schon darüber gesprochen, welche Folgen, auch von der Gesamtsystematik her, damit verbunden sind. Da können wir natürlich nicht sagen, Hamburg oder Bremen ist so und so gelaufen und so und so oft gelaufen, sondern wir müssen schon einmal die besondere Situation Berlins berücksichtigen. Und ich bin der festen Überzeugung, dass, wenn es das Instrument der Bürgerentscheide und Bürgerbegehren in Berlin gibt, hiervon erfahrungsgemäß, zumindest auch in einigen politisch hochmotivierten Bezirken, öfter Gebrauch gemacht wird als im saturierten Hamburg. Davon müssen wir einfach einmal ausgehen. Das liegt auch, Herr Effler, nicht in Ihrer Hand als „Mehr Demokratie“. Sie sollten sich auch nicht die Hoffnung machen, dass Sie diejenigen sein werden, als „Mehr Demokratie e. V.“, die der Katalysator für sämtliche Bürgerbegehren im Land Berlin sein werden, sondern Sie werden sehr schnell die Erfahrung machen, dass sich Gruppen sehr schnell organisieren und zusammenfinden können. Von den Kleingärtnern und von den Sportvereinen und vielen anderen mehr ist schon geredet worden, und das müssen wir bei der ganzen Diskussion mit beachten. Damit hängt zusammen, und das ist auch ein erstes Erfordernis, dass wir selbstverständlich, gerade in der jetzigen Situation, auch über die Kosten und die Kostenverteilung reden müssen. Deswegen habe ich ein paar konkrete Fragen. Ich möchte noch gar kein abschließendes Statement machen, sondern auch einmal Fragen an die, die heute bei uns zu Gast sind, stellen.
Herr Band hatte schon eine erste Zahl genannt, dass bei einer normalen Wahl Kosten in Höhe von 250 000 € entstehen. Und jetzt kommt noch die Information durch die Broschüren dazu. Wir haben mit dem Ausschuss die Erfahrung in Frankreich gemacht, welche Kosten bei einer haushaltsdeckenden Information der Bürger durch eine entsprechende Broschüre hinzukommen. Also gehen wir einmal davon aus, dass bei einem durchschnittlichen Berliner Bezirk etwa Kosten zwischen einer halben Million € und einer Million € dadurch entstehen werden, wenn also ein Bürgerbegehren entsprechend zustande kommt, wofür wir etwa in einem durchschnittlichen Berliner Bezirk 3 % der wahlberechtigten Unterschriften, das heißt 6 000 Unterschriften und teilweise darunter, benötigen. Nun muss schon einmal in dem Zusammenhang und auch im Gesetz darüber geredet werden, wer letztlich die Kosten dafür trägt. Nach dem Verursacherprinzip müsste es so sein, dass im Zuge der Haushaltsberatungen, auf Senatsebene, entsprechende Mittel eingestellt werden, so dass die Bezirke nicht die Kosten in dieser Größenordnung allein tragen müssen, denn die können sie schlicht und ergreifend nicht tragen. Da kommen wir genau in die Situation, dass wir hier eine Diskussion führen und so tun, als hätten wir in der Stadt keine anderen Probleme, insbesondere keine anderen finanziellen Probleme. Und ich sehe Herrn Sarrazin schon im Hauptausschuss sitzen und zu dieser Frage Stellung nehmen, wenn wir in dieser Größenordnung rechnen. Wir können nicht so tun, als ob wir hier eine rein theoretische Diskussion führen würden, wenn in der Praxis möglicherweise Probleme und solche Kosten auf uns zukommen. Da kann man natürlich sagen: Demokratie muss uns auch etwas wert sein und auch etwas kosten können, aber dann müssen wir von vornherein so ehrlich sein und sagen, dass wir darüber und insbesondere auch über die Kostenverteilung reden müssen. – Da bin ich einmal sehr gespannt, und da sind Sie übrigens auch in der Koalition in der Verantwortung, um das einmal deutlich zu sagen, denn Sie sind diejenigen, die den Gesetzentwurf maßgeblich mit auf den Weg gebracht haben, und ich wünsche Ihnen ganz viel Spaß bei Ihren Gesprächen mit der Senatsverwaltung für Finanzen.
Der zweite Punkt ist, und das hat auch etwas mit Kosten zu tun – ich habe das in mehreren Runden im Vorfeld schon gesagt –, dass wir angesichts der Diskussion, die wir in der Stadt und sicher auch meine Partei betreffend hatten, aufpassen müssen, dass wir nicht aus mehr Demokratie möglicherweise eine andere oder eine Art von käuflicher Demokratie machen. Ich sage das einmal bewusst überspitzt, denn für alle Parteien, die bisher für Wahlen am öffentlichen Willensbildungsprozess auch verfassungsrechtlich beteiligt sind, gelten gesetzliche Regelungen, was die finanzielle Transparenz angeht, und wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht ein paralleles Gesetzgebungsverfahren – Herr Ratzmann hat es schon angekündigt – möglicherweise auch irgendwann einmal auf Landesebene bekommen, wo die finanzielle Transparenz im politischen Willensbildungsprozess nicht mehr gegeben ist. Auch hier müssen wir aufpassen, dass nicht möglicherweise gut organisierte Initiativen und Gruppen oder Lobbygruppen mit entsprechendem Geldeinsatz politische Entscheidungen oder auch die Verhinderung von politischen Entscheidungen kaufen. Das Mindeste ist – – [Zuruf des Abg. Ratzmann (Grüne)] – Das ist auch ein Thema. Wir können nicht so tun und auf der einen Seite darüber diskutieren – und auch insbesondere die Grünen –, öffentlich einen hohen moralischen Anspruch anzubringen und auf der anderen Seite bei solchen Dingen vergessen, es zu tun. Das geht nicht übereinander. Ich habe immer einmal das Beispiel gebracht: Wir müssen aufpassen, dass, gerade was die bezirklichen Entscheidungen und gerade solche Bebauungsplan- oder sonstige Dinge angeht, nicht der eine Baumarkt die Initiative finanziell unterstützt, um den anderen Baumarkt zu verhindern. – Das nur einmal, um ein Beispiel aus dem Leben zu nehmen. Es müssen entsprechende Transparenzrichtlinien da sein. Darüber müssen wir im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch reden.
Der dritte Punkt ist, worüber auch zu reden ist, und da ist Hamburg auch ein schlechtes Beispiel, weil in Hamburg die Bezirke politisch in der Praxis weitestgehend entmachtet worden sind und so viele bezirkliche Entscheidungen in Hamburg gar nicht mehr zu treffen sind, dass wir aufpassen müssen, dass wir auf diesem Umweg den gleichen Weg in Berlin gehen. Denn der Senat hat jederzeit die Möglichkeit, insbesondere im gesamtstädtischen Interesse, Entscheidungen an sich zu ziehen und möglicherweise bei einem streitigen Investitionsvorhaben wir auf der einen Seite sagen: Wir ermöglichen den Bürgerinnen und Bürgern ein Mitwirkungsrecht und auf der anderen Seite der Senat über die ZAK sehr schnell das Verfahren an sich zieht und sagt: Wir wollen aber hier eine rasche Investitionsentscheidung für Berlin durchsetzen, weil es um Arbeitsplätze und vieles andere mehr geht. – Insofern die Frage an die Senatsverwaltung, die auch mit am Tisch sitzt oder an dem einen Teil des Tandems, da Sie sehr an der Konstruktion der ZAK mitgewirkt haben, wie Sie das Konkurrenzverhältnis in diesem Fall sehen würden. – Nehmen wir einmal ein Beispiel mitten aus dem Leben – wo auch der Bezirksbürgermeister Band am Tisch sitzt – und reden über die Bebauung der Radrennbahn in Tempelhof-Schöneberg. Und nun nehmen wir einmal den theoretischen Fall, hier würde sich eine solche Initiative bilden, wo auf der anderen Seite die ZAK dem Investor die Zusage gemacht hat, hier so schnell wie möglich die Bebauung zu ermöglichen unter Koordination aller beteiligten Senatsverwaltungen und des Bezirks, dann kommen wir in ein Konkurrenzverhältnis und eine Konfliktsituation hinein. Ich möchte schon gerne einmal wissen, wie es dann vom Ablauf her gedacht ist, einerseits die Zusage der Investorenleitstelle für ein zügiges Verfahren und andererseits dies, und da gibt es bestimmt auch noch andere praktische Beispiele in der Stadt.
Letzte Anmerkung: Ich habe noch eine rein technische Frage, und Herr Schmidt von Puskás sitzt auch im Raum und könnte das möglicherweise als Landeswahlleiter beantworten. Im Gesetzentwurf steht, dass jeder Haushalt eine Informationsbroschüre bekommen soll, wo das Bezirksamt einerseits und die Initiativenträger andererseits ihre Argumente austauschen können. Ich halte das für rechtlich sehr bedenklich, dass pro Haushalt nur eine Broschüre ausgegeben werden soll, denn wir wissen, dass es Haushalte mit Eltern und bereits wahlberechtigten erwachsenen Kindern gibt und dass es nicht sein kann, dass möglicherweise der Vater seinem 18-jährigen Sohn die Broschüre vorenthält und sie einfach zur Seite nimmt oder der Ehemann seiner Ehefrau. In solchen Verfahren, die dann auch einen Entscheidungscharakter haben, könnte es möglicherweise sein, dass jeder Wahlberechtigte Individualbürger auch Anspruch auf eine Informationsbroschüre hat, was dann möglicherweise noch einen entsprechenden Kostenfaktor darstellt. Aber hierzu hätte ich gerne noch einmal eine Auskunft.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Frau Kollegin Flesch, bitte!
Frau Abg. Flesch (SPD): Im Gegensatz zu meinen ersten drei Vorrednern, die sich reichlich Mühe gegeben haben, die Angehörten durch Überredung und Argumentation mit ins Boot zu ziehen, im Gegensatz zum Kollegen Wambach, der zwar von Fragen an die Anzuhörenden gesprochen hat, aber keine gestellt hat, habe ich jetzt wirklich eine.
Das Thema Negativliste ist unter anderem mit der Begründung entschieden worden: Wenn man eine Negativliste macht, dann steht der Haushalt ganz oben, und haushaltswirksam sind Entscheidungen letztendlich immer. – Und da gibt es aus Schleswig-Holstein oder irgendwo in der nordwestlichen Ecke Entscheidungen vom Verfassungsgericht: Alles, was haushaltswirksame Auswirkungen hat, entzieht sich der Volksgesetzgebung. Letztendlich wäre der Ausschluss mit so einer Formulierung dann ein Ausschluss von ernsthaften Bürgeranliegen. Wie stellen Sie sich vor, ohne, was einige von Ihnen gesagt haben: Das ist doch dann alles nur ein Placebo-Effekt, – wie man eine Negativliste formulieren kann, um bestimmte Sachen herauszunehmen, aber den Placebo-Effekt eben nicht erreicht? – Wenn ich hineinschreibe: Haushalt, förmliches Planungsverfahren oder auch nicht förmliches Planungsverfahren, finde ich immer einen Verfassungsgerichtshof, der sagt: Na ja, durch die und die Entscheidung ist das und das letztendlich der Bürgergesetzgebung entzogen. Deshalb meine Frage an Sie: Haben Sie eine Vorstellung, wie man unter Beibehaltung echter Bürgerbeteiligung bestimmte Sachen, die man dann für so wichtig hält, dass sie dem Bürger entzogen werden sollten, dann doch reinformulieren kann?
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Gibt es weitere Bemerkungen aus den Fraktionen? – Das ist nicht der Fall. – Dann treten wir in eine erste Antwortrunde ein. – Herr Staatssekretär Schmitz, bitte!
StS Schmitz (CdS): Vielleicht nur ganz kurz zu der Frage nach der ZAK: Soweit ich informiert bin, und so ist auch das Verständnis der ZAK, ist es ein Instrument der freiwilligen Koordination in der Wirtschaftsverwaltung, die versucht, bei widerstreitenden Interessen die Kontrahenten an einen Tisch zu bringen und im gegenseitigen Einvernehmen ein Ergebnis herbeizuführen. Das scheint bisher auch ganz erfolgreich zu funktionieren. Bisher ist mir bei Ansiedlungsfragen, die Sie angesprochen haben, noch kein Fall bekannt, wo nach § 11 AZG die Senatsverwaltung von ihrem Eingriffsrecht Gebrauch machen musste, weil das ZAK-Instrument bisher als eines der freiwilligen Koordination – so will ich es einmal nennen – erfolgreich war. Das stelle ich mir dann in diesem Verfahren auch so vor, aber hier könnte ein Problem liegen, das will ich nicht bestreiten.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Der Landeswahlleiter, Herr Schmidt von Puskás, bitte!
Herr Schmidt von Puskás (SenFin): Vielen Dank, Herr Vorsitzender! Meine Damen und Herren! – Der Landeswahlleiter hat hier im Moment gar keine Funktion, sondern ich kann für die Senatsverwaltung für Inneres mitteilen, dass sich der Senat – wie man es neudeutsch sagt – noch nicht positioniert hat. Es gibt noch keine Stellungnahme. Sie haben darum gebeten, dass der Senat dann den Rat der Bürgermeister beteiligt. Das hätte er ohnehin getan, weil es bei uns jedenfalls in solchen Themen als selbstverständlich angesehen wird.
Aber wenn Sie die Kosten ansprechen, kann ich schon ein, zwei Hinweise geben. Wir haben eine Wahl, da kann ich die Kosten in etwa sagen. Ohne Personalkosten für die hauptamtlichen und sonstigen Hilfskräfte bewegen wir uns bei einer Wahl auf Landesebene zwischen 3,5 und 4 Millionen €, so dass die Schätzung berechtigt ist, dass Sie 350 000 € pro Bezirk – ich vereinfache jetzt – veranschlagen müssten. Eine Broschüre, da haben wir Erfahrungen im Zusammenhang mit der Fusion Berlin-Brandenburg, würde sich nach meiner Schätzung bei ungefähr 1 € pro Stück bewegen, wobei die Portofrage davon abhängig ist, welches Unternehmen Sie beschäftigen, wobei Sie dann diskutieren können, ob Sie noch eine kleine Portoersparnis bekommen, weil Sie es nicht mit der Post machen, oder ob Sie den Haushalt bedenken. – Herr Wambach, natürlich ist es so, wenn im Gesetz steht: Pro Haushalt, dann gilt erst einmal die Haushaltsregelung. Bei der Fusion Berlin-Brandenburg haben wir aus solchen Diskussionen – vielleicht erinnert sich Herr Wambach daran – jedem Wahlberechtigten eine Broschüre in die Hand gedrückt. Das hat in bestimmten Teilen Berlins nichts genutzt. In anderen Teilen hat es aber sehr genutzt, denn die Berliner hatten – das haben Sie vielleicht nicht mehr so in Erinnerung – mit Mehrheit zugestimmt, und die große Ablehnung, nahezu Zweidrittel, kam aus dem Umland.
Ich gehe davon aus, dass Sie für den reinen Ablauf – über technische Details können wir sicherlich auch noch diskutieren – – Im Moment ist es hinsichtlich der praktischen Handhabung an der einen oder anderen Stelle sicher noch verbesserungsfähig. Da haben wir im Moment die Regelung, die auf das Wahlrecht verweist. Das ist vielleicht nicht so angemessen, denn vielleicht brauchen wir nicht ganz so viele Wahlhelfer bei einem Bürgerentscheid im Wahllokal. Auch die Frage, was die Wahlhelfer bekommen, also auch die finanziellen Dinge, spielen dann eine Rolle. Das ist nicht so richtig geregelt. Aber ich glaube, die Kernfrage ist auch schon von den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern angesprochen worden, und da sehe ich auch mit gewisser Sorge die Bindungsfrage. Es ist auch so, das mag in Hamburg oder woanders anders sein, dass hier Empfehlungen zulässig sind. In der Zwischenphase sind diese Empfehlungen auch mit einer Sperrwirkung versehen. Es ist schon eine Diskussion wert, ob Sie eine Empfehlung nicht nur mit 15 %, sondern 50 000 Bürger haben sich Gedanken gemacht, und ich will das nicht verniedlichen, aber ein Senatsmitglied schreibt dann einem Brief, und dieses Votum der 50 000 Bürger ist eine Empfehlung geblieben.
Auch die bewährten Erfahrungen von Hamburg waren so, dass es Empfehlungen gab und die Bürgerschaft gleich angekündigt hat, dass sie diese Empfehlungen auch als Empfehlungen wahrnehmen wird, und trotzdem haben die Bürger mit großer Mehrheit zugestimmt. Das kann man ein- oder zweimal machen, aber ich denke schon, die Frage: Sollte man das mitinstallieren? lohnt sich, diskutiert zu werden. Ich will jetzt nicht, weil sich der Senat noch nicht entschieden hat, im Rahmen der Stellungnahme sagen: Man muss einen großen Ausnahmekatalog machen, aber vielleicht sollte man die Empfehlungen hinsichtlich der Frage, ob es zu einem Bürgerentscheid kommt, anders behandeln, denn ob da jeder so ganz genau differenziert. Im Übrigen halte ich es für selbstverständlich. Wir haben das auch getan, auch bei „Mehr Demokratie“. Auf Ratschläge geht man dann, wenn man den politischen Willen hat, ungern ein. Natürlich ist die Beratung der Träger selbstverständlich. Das haben wir auf Landesebene immer schon so gehalten, und das halten die Bezirke bei dem Bürgerbegehren so, das sie nicht so für einträglich halten, aber das gibt es schon, und auch da gibt es Anträge. Benennung von Plätzen und Ähnliches geschieht da, aber vielfach auch überbezirkliche Anliegen. Da gibt es selbstverständlich eine Beratungspflicht der Mitarbeiter.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Jetzt gehen wir in die Expertenrunde. – Frau Wanjura, bitte!
Frau BzBm’in Wanjura (BA Reinickendorf): Herr Zotl, herzlichen Dank! – Aber ich muss Herrn Ratzmann antworten, und ich tue das gerne, und zwar zu der Lebenswirklichkeit der Bezirke. Ich habe verstärkt den Eindruck, als wenn vermittelt werden soll, dass wir selbstherrlich, die BVVen, die Bezirksämter und die Bürgermeister über die Interessen der Bürgerinnen und Bürger hinweggehen. Wir haben gerade in der Vergangenheit bewiesen, seit 10 Jahren bin ich Bürgermeisterin, seit 10 Jahren tragen wir unseren Konsolidierungsbeitrag, alle Bezirke, und das kann man den Bürgern nur dann verkaufen, wenn man mit den Bürgern redet. Wir haben Bürgersprechstunden und parlamentarisch festgelegte Regularien. Wir haben Ausschüsse, wir haben Bürgerdeputierte. Ich weiß, dass viele Parteien inzwischen bei den Bürgerdeputierten Bürger dabei haben, die zum Beispiel keiner Partei angehören, die aber eine ganz wichtige Funktion haben, zum Beispiel im Gesundheitsausschuss ein Chefarzt etc. Da könnte man mit Sicherheit wesentlich mehr tun. Wir haben Seniorenparlamente, rollende Sprechstunden und Bürgerparlamente.
Wo ich mir jetzt die Frage stelle, und sehr verehrte Frau Flesch, bei Ihnen klang das auch so ein bisschen an: Welche Zensur erteilen Sie eigentlich mit diesem Gesetz unseren gewählten Repräsentanten in der BVV? – [Frau Abg. Flesch (SPD): Gar keine!] – Die Repräsentanten in der BVV sind doch genau die Bürger. Und wenn ich einmal auf den Bezirk Reinickendorf schaue, dann sind die aus allen Ortsteilen. Dann nehmen sie natürlich schon aus Parteiinteressen die Interessen der Bürger wahr. Übrigens, zu uns kommen die Bürger auch in die Ausschüsse. Ich hatte neulich einen Gesundheitsausschuss, da waren 70 Eltern da, weil es um die Ambulanz der Sexual- und Gewaltstraftäter ging. Und so geht es beim Bauausschuss und in anderen Bereichen. Es ist doch keineswegs so, dass wir das Rad neu erfinden müssen.
Zu Ihren drei Monaten: Lieber Herr Ratzmann, der Bezirk Reinickendorf ist gerade als wirtschaftsfreundlichster Bezirk ausgezeichnet worden. Eine der Voraussetzungen war, dass wir schnell und unbürokratisch in einer sternförmigen Arbeit Investoren ein freundliches Klima liefern. Und wir brauchen acht Monate, um SAP und Motorola anzusiedeln. Jetzt haben wir aber Ihre drei Monate oder ein Jahr Stillstand, weil dann das Bürgerbegehren doch nicht zum Tragen kommt, bedeutet, dass wir nicht mehr acht Monate, sondern 18 Monate brauchen. – [Zuruf] – Natürlich! Sie dürfen da nicht weiterarbeiten. So steht es im Gesetz. – Es ist eine zusätzliche Zeitspanne, die wir für Investoren einkalkulieren müssen, und ich denke, das tut dieser Stadt nicht gut.
Ein weiterer Punkt ist, dass immer von anderen Flächenstaaten und Stadtstaaten geredet wird. Ich weiß, wovon ich rede. Reinickendorf ist ein Bezirk, der sich durch sehr viel Grün und Freizeit auszeichnet, aber wir haben eingesprengt, und das brauchen wir: Wir haben Gewerbegebiete, wir haben Industriegebiete, wir haben allgemeines Wohngebiet, und ich sage Ihnen, jede Investition – – Natürlich ist eine grüne Wiese wunderbar, aber ich habe, wenn ich Investition will, Emission, mehr Verkehr, und genau da kommen die Bürger und sagen: Ich will nicht, dass Industrie – – Übrigens hat Herr Wowereit so einen netten Artikel geschrieben, dass er keine Industrie in der Stadt Berlin mehr braucht. Ohne Industrie und Gewerbe werden wir auch die Wissenschaft in der Stadt Berlin verlieren. Wir haben einen Stadtstaat und wir müssen dafür Sorge tragen, dass die Interessen ausgeglichen werden.
Als Allerletztes, Herr Ratzmann, die Worte höre ich wohl, allein mir fehlt Glaube. Sie wollen die Senatsverwaltung mit ins Boot nehmen. Das kann ich Ihnen nur herzlich anraten. Fangen Sie bitte bei den Produkten an. Fangen Sie beim betriebswirtschaftlichen Denken der Senatsverwaltungen an. Die Bezirke werden ab 2006 komplett budgetiert, und nun wollen Sie auch noch die Bürgerbeteiligung in den Senatsverwaltungen. – Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön, Frau Wanjura! – Herr Band, bitte!
BzBm Band (BA Tempelhof-Schöneberg): Ich möchte auch noch einmal Herrn Ratzmann einen Hinweis geben. Es ist nicht so, dass wir Angst vor Elementen unmittelbarer Demokratie hätten. Das ist überhaupt nicht der Fall, sondern Herr Skrodzki hat darauf aufmerksam gemacht und das mit dem Wort „Mogelpackung“ belegt. Die Bedenken, die ich unter anderem habe, richten sich darauf, dass wir dem Bürger suggerieren, er könnte mehr demokratische Teilhabe genießen, und tatsächlich kehrt sich das ins Gegenteil um, weil das Quorum überhaupt nicht zu erbringen ist. Den Lichtenrader interessiert es überhaupt nicht, ob wir im Schöneberger Norden eine Schule schließen, ja oder nein. – [Abg. Doering (PDS): Dann müssten Sie das Quorum senken!] – Ja, das müssten Sie senken, das ist wohl wahr. Das hat der Kollege von „Mehr Demokratie“ sehr gut verstanden. Ich habe mehr Angst, Herr Ratzmann, dass man einem Gesetzentwurf folgt, der noch nicht ausgereift ist oder der die bezirklichen Gegebenheiten offensichtlich nicht kennt und gar nicht weiß, wie es im Bezirksamt läuft. Und da ist Sprache verräterisch. Wenn ich in die Begründung schaue, sprechen Sie an einer Stelle von der hauptamtlichen Verwaltung im Zusammenhang mit dem Auskunftsrecht von Bezirksverordneten. Das ist das, was ich vorhin mit investigativem Bezirksverordneten bezeichnet habe. Das Auskunftsrecht der BVV richtet sich an das Bezirksamt und die Dezernenten. Und das Recht hat die BVV, Auskünfte, Empfehlungen und Ersuchen an das Bezirksamt zu richten. Und nun sagen Sie, und davor habe ich Angst, die BVV oder das Bezirksamt, die hauptamtliche Verwaltung hat die Pflicht, jedem einzelnen Bezirksverordneten jederzeit Auskünfte zu erteilen, Akten vorzulegen usw. Wenn ich das ernst nehme, geben wir nur noch Auskünfte, die Akten haben wir überhaupt nicht mehr, weil immer wieder irgendwelche Bezirksverordneten Einsicht nehmen. Das Informationsfreiheitsgesetz geht überhaupt nicht soweit, wie das, was Sie in diese Regelungen schreiben. Es tut mir Leid. Ich bin im Prinzip dafür, dass wir mit diesem Gesetzentwurf vernünftig umgehen, aber dann müssen Sie es sich auch gefallen lassen, dass man an der einen oder anderen Stelle einmal deutlich benennt, wo das Gesetz Schwächen hat.
Die nächste Schwäche haben Sie in § 72. Ändern Sie den § 72 Abs. 1 nicht. Ich möchte Sie nicht noch auf dumme Gedanken bringen, sondern § 72 Abs. 1 bleibt so. § 72 Abs. 2 heißt dann folglich: Jetzt haben die Bürger Rechte, die eigentlich ursprünglich Rechte der BVV sind. – In § 13 Bezirksverwaltungsgesetz ist genau geregelt, was passiert, wenn das Bezirksamt einem Ersuchen der BVV nicht folgt. Da lässt § 13 die Frage völlig offen. Was passiert denn dann? Wer ist denn dann zu unterrichten usw.? – Da haben Sie leider Schwächen in diesem Gesetzentwurf.
Einen Punkt möchte ich dann noch einmal ansprechen: Die Ortsteilbezogenheit scheint mir wichtig zu sein, weil überzeugend dargelegt worden ist, warum es nicht geht. Es wird immer scheitern, das ist doch völlig klar. Es kann natürlich auch nicht sein, dass die Lichtenrader in einem Bürgerbegehren entscheiden: Wir brauchen eine Schule, und der Rest des Bezirks muss finanzieren. Also muss man an der Stelle vielleicht noch einmal einen Blick darauf werfen.
Die Frage, was es kostet, ist hinreichend von Herrn Schmidt von Puskás beantwortet worden. – Was passiert bei der Radrennbahn? – Die Frage habe ich nicht so richtig verstanden, Herr Wambach. Ich mache mir aber keine Sorgen darüber, weil der Senat von Berlin oder der Finanzsenator einen so enormen Verkaufspreis eingestrichen hat, dass ich mich um das Ding überhaupt nicht mehr zu kümmern brauche. Das ist an der Stelle gelaufen. – Dann will ich noch einmal etwas zur Bürgernähe sagen: Wir diskutieren in den Bezirken wirklich nachhaltig und sehr ernsthaft auch die Frage der Einrichtung von Bürgerhaushalten. Das Thema ist nicht vom Tisch, sondern das betreiben wir ganz ernsthaft. Deswegen zu sagen: Die unwilligen Bezirke, wir sorgen uns um unsere Pfründe oder was auch immer, ist Unsinn. Wenn das Leiden der Bezirksverordneten, die vom Bezirksamt nicht ernst genommen werden – nein, wenn sie die Möglichkeiten nutzten, die sie haben, die ihnen die gegenwärtige Rechtslage bietet, dann haben die überhaupt kein Problem. Möglicherweise haben sie die Basisnähe verloren. Das kann sein. – Bürgerfragestunde habe ich gar nicht artikuliert. Wir haben es zwar in Tempelhof-Schöneberg nicht, aber es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, dass wir so etwas einführen würden.
Gestatten Sie mir zum Schluss die arrogante Bemerkung: Ich kann Ihnen nur dringend empfehlen, das, was Sie angedeutet haben, wahr zu machen. Setzen Sie das, was Sie hier umsetzen wollen, schnellstens auf Landesebene um. Auf diesen Prozess bin ich außerordentlich gespannt.
Vors. Dr. Zotl: Danke, Herr Band! – Wir machen diese Anhörung nicht, um eine Bestätigung zu hören, sondern um kritische Argumente und Anregungen aus der Praxis zu erfahren. Das ist unser Anliegen. Ich versichere Ihnen, dass nichts verloren geht. Es wird ein Wortprotokoll geführt, und wir arbeiten alles auf. – Das Wort hat nun Herr Effler!
Herr Effler (Mehr Demokratie): Vielen Dank! – Ich möchte noch auf einige Zweifel eingehen, ob man die Hamburger Erfahrungen auf Berlin übertragen könne: Ich weiß nicht, ob Hamburg saturierter ist als Berlin, da bin ich mir nicht sicher. Ich habe dort acht Jahre lang gelebt und das nicht so wahrgenommen. Es gibt in Hamburg genauso saturierte Gegenden wie in Berlin, aber auch genauso politisch engagierte Initiativen und Stadtteile, wie es in Berlin der Fall ist. Deswegen denke ich, dass man die dort gemachten Erfahrungen sehr gut heranziehen kann. – [Abg. Wambach (CDU): Aber Sie nehmen schon zur Kenntnis, dass die eine andere Haushaltslage haben als wir?] – Das ist wohl wahr, aber Hamburg ist auch schwer verschuldet; so viel besser ist es dort nicht. Deswegen müssen die Hamburger Erfahrungen ernsthaft herangezogen werden, denn Hamburg ist das einzige Bundesland in Deutschland, das eine Bezirksstruktur hat.
Ich möchte noch einiges geradestellen, denn es war ziemlich schräg zu sagen, dass in Hamburg die Bezirke entmachtet und Bürgerbegehren und -entscheide teilweise von der Landesebene missachtet worden seien. Letzteres, die Missachtung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, ist in Hamburg ein einziges Mal passiert, und zwar bei einem speziellen Verfahren. Dort hat sich die Bürgerschaft nicht an das gehalten, was die Bürger wollten. Danach passierte jedoch in vielen Fällen, dass Bürgerbegehren, die sich auf Landesthemen und -projekte bezogen, für die normalerweise keine bezirkliche Zuständigkeit vorlag – zumindest keine verbindliche –, vom Senat und von den Fachbehörden angenommen wurden, weil sie genau wussten, wir wollen uns nicht gegen die Initiativen stellen, sondern wollen die guten Anregungen aufgreifen. Warum sollte es nicht auch in Berlin möglich sein, dass der Senat, wenn Empfehlungen gemacht werden, die ein bestimmtes Projekt betreffen und für den Bezirk von Bedeutung sind, aber in der Landeskompetenz liegen, diese aufgreift und sich nicht dagegen zur Wehr setzt? Sicherlich ist ein Eingriffsrecht da, und hin und wieder wird es vielleicht auch mal angewendet werden – damit muss man leben –, aber die Erfahrungen, die wir und ich selbst gemacht haben, sind völlig anders. Fragen Sie doch mal die Kolleginnen und Kollegen in Hamburg, welche Erfahrungen dort gemacht wurden, und fragen Sie die Bezirksamtsleiter in Hamburg, da werden Sie völlig andere Kommentare bekommen. Deshalb glaube ich nicht, dass die Einführung von Bürgerbegehren zu einer Entmachtung der Bezirke führen wird. Im Gegenteil! Die Bezirke, die Bezirksstrukturen werden durch dieses Gesetzesvorhaben eindeutig gestärkt.
Noch ein letzter Punkt – zur Informationsbroschüre: Jede und jeder Wahlberechtigte muss diese Broschüre bekommen, das ist keine Frage. Falls das nicht hinreichend klar im Gesetz geregelt sein sollte – ich konnte das nur schnell überfliegen –, müsste man es vielleicht klarstellen oder begründen. Das wird keine großartige Kostenexplosion zur Folge haben.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Bitte, Herr Skrodzki!
Herr Skrodzki (BA Charlottenburg-Wilmersdorf): Gestatten Sie mir zwei kurze Bemerkungen. – Erstens: Es ist ernst zu nehmen, dass wir, was die Bebauungspläne betrifft, bei bestimmten Beschlüssen nicht vom Senat überholt werden dürfen. Das ist für mich keine Frage der ZAK, sondern des Berliner Baurechts. Wir als Innenstadtbezirk unterliegen ständig dem Damoklesschwert, dass der Senat, wenn wir nicht zurechtkommen oder eine andere Ansicht haben, wegen der gesamtstädtischen Bedeutung eine bestimmte Sache an sich zieht. Es müsste ausgeschlossen werden, dass der Senat in dieser Form eingreift. So kann es nicht sein, und das würde auch dem Geist dieser Regelung widersprechen.
Zweitens: Die SPD hatte gefragt, wie man bezüglich des Haushalts mit einer Negativliste umgehen könnte, denn alles wäre kostenrelevant. – Das stimmt! Ich meine, dass der Haushaltsplan nicht zum Gegenstand eines solchen Verfahrens gemacht werden darf, aber einzelne Projekte, die den Plan ausmachen, wie zum Beispiel der Bau einer Schule oder die Erneuerung eines Spielplatzes, sollten durchaus im Wege eines Bürgerentscheids bewegt werden können. Dabei sollte es zwar um einzelne Teile des Plans gehen, aber nicht um den Plan an sich – diese Unterscheidung würde ich treffen.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Bitte, Frau Schmiedhofer!
BzSR’in Schmiedhofer (BA Charlottenburg-Wilmersdorf): Ich habe mich noch einmal gemeldet, weil ich mich durch bestimmte Aussagen von Frau Wanjura und Herrn Band etwas provoziert gefühlt habe. – Herr Band, ich weiß nicht, was Sie für Bezirksverordnete haben. Ich habe erst durch dieses Gesetz begriffen, dass die Bezirksverordneten bisher noch nicht das Recht haben, sich die Akten anzugucken. Ich habe diese Einsichtnahme bisher nicht verweigert – bei Sozialhilfeakten ist das natürlich nicht möglich, das ist klar – und kann auch nicht erkennen, dass sich Heerscharen von Bezirksverordneten bei ihrem Arbeitgeber Urlaub nehmen, um unsere Akten zu durchwühlen. Wenn sie das machen möchten, dann bekommen sie dafür ein Zimmer zugewiesen, aber hinterher werden sie mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die diese Akten täglich bearbeiten müssen, Mitleid haben. Also, das ist nichts, was ich zu befürchten hätte.
Auf der anderen Seite kann ich die Sorgen der Bezirkspolitikerinnen und -politiker, die sie vor ihren Mitmenschen mit querulatorischen Charaktereigenschaften haben, nachvollziehen, denn ich bin in keinem anderen Bezirksamt tätig als Herr Skrodzki. Vielmehr ist das eine Frage der Perspektive. Einerseits übernimmt die Bezirkspolitik eine sozialpolitische Aufgabe – nach dem Motto: Wir müssen zuhören und ernst nehmen. –, deren Bedeutung über die reine Information hinausgeht, aber auf der anderen Seite gibt es fachlich sehr engagierte Gruppen. Meine Erwartung ist: Wenn den Bürgerinnen und Bürgern ein Recht in die Hand gedrückt wird – ich bin dankbar für die Hamburger Unterstützung, dass es nicht immer darum geht, ein Recht auszunutzen, wie man es zum Beispiel auch im Straßenverkehr vermeidet, mit dem Recht in Konflikt zu kommen, weil man weiß, dass es das gibt –, dann kann ich mir vorstellen, dass das Bezirksamt und die Bezirksverordneten in dem Wissen, dass es die Möglichkeit des Bürgerentscheids gibt, nicht nur einen anderen Dialog führen, der sicherheitshalber schon mal im § 41 festgelegt ist, sondern dass das auch in die Philosophie des Arbeitens hineingeht, so dass dann eher Kompromisse geschlossen werden, weil jeder weiß, dass die Bürgerin oder der Bürger das Recht hat. Es ist ein Riesenunterschied, ob man – wie Frau Wanjura darstellte – als Bürgerdeputierte die Bürgerin oder den Bürger einlädt und anhört, da die Meinungsbildung nicht nur durch Zeitungslektüre stattfindet, sondern weil es auch viele Anregungen der Mitbürgerinnen und Mitbürger gibt, woraufhin die Bezirksverordneten etliche Anträge stellen, oder ob die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie nicht mit einer Entscheidung einverstanden sind, das Recht haben, sich zu artikulieren. Das betrachte ich als Chance, und ich bin froh, dass sich Berlin als Schlusslicht eventuell an Platz 2 dieser Bewegung setzen wird.
Vors. Dr. Zotl: Danke schön! – Bitte, Herr Dr. Jung!
Dr. Jung (FU Berlin): Vielen Dank! – Ich werfe zunächst einen kurzen Blick in die Geschichte, damit wir sehen, was getan wird: Im Südwesten Deutschlands, in Baden-Württemberg, haben wir seit 50 Jahren das Instrument des Bürgerbegehrens, des Bügerentscheids. Noch 1989 haben dann alle anderen Bundesländer nachgezogen – das Saarland setzte 1998 den vorläufigen Schlussstein –, aber Berlin steht noch aus. Sehen Sie bitte die Proportionen: Sie machen keine Innovationen, sondern schließen – wenn Sie das beschließen – eine gemeindeutsche Entwicklung ab. Das heißt, diese Diskussion muss mit vollem Ernst geführt werden, aber bitte auch in dem Bewusstsein, dass sie bereits fünfzehnmal geführt worden ist und dass Ihre Fragen und Sorgen, die ernst zu nehmen sind, ebenfalls fünfzehnmal diskutiert und beantwortet wurden. Berlin ist etwas Besonderes – keine Frage –, aber bitte sehen Sie es nicht als unvergleichlich an. Was die soziologische Betrachtung angeht, so können Sie Berlin mit München und anderen Großstädten vergleichen, und von der Einheitsgemeinde her können Sie es auch mit Hamburg vergleichen. Daraus lässt sich sehr viel beantworten.
Ich möchte noch auf zwei Punkte kommen, die angesprochen wurden und unbedingt einer Antwort bedürfen. – Stichwort Käuflichkeit: Das ist ein wichtiges Thema, das es ernst zu nehmen gilt. Es gibt dazu vor allem aus den USA, wo direkte Demokratie noch in einem viel lebhafteren Sinn als bei uns praktiziert wird, Untersuchungen über den Einfluss des großen Geldes. Die Antwort ist eindeutig: Mit einem hohen Propagandaaufwand lässt sich ein direktdemokratisches Vorhaben abblocken. Diese Erfahrung wird gemacht, zum Beispiel die Tabakindustrie kann ein Projekt stoppen. Das ist möglich, aber in den US-Bundesstaaten gibt es kein Beispiel dafür, dass ein Vorhaben mittels eines großen Geldeinsatzes durchgedrückt werden könnte. Mit anderen Worten: So wenig wie Sie ein Wahlvolk bestechen können, so wenig können Sie eine Abstimmung kaufen. – So die Erfahrung aus den USA.
Um noch auf die Rechtsprechung der Verfassungsgerichte zu sprechen zu kommen: Damit meinten Sie wohl die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsgericht für Schleswig-Holstein, im Fall „Schule in Freiheit“. Es gibt eine Reihe von Urteilen über das so genannte Finanztabu, die darauf hinauslaufen, dass jedes Vorhaben, das auf Landesebene einen wesentlichen Einfluss auf den Bestand des Haushalts ausübt, dem Volksbegehren entzogen ist. Was ist ein wesentlicher Einfluss? – Der bayerische Verfassungsgerichtshof hat das in einem Fall bejaht, wo 0,07 % des bayerischen Staatshaushalts betroffen waren. Die Folge einer solchen Rechtsprechung – das steht nämlich nicht in der bayerischen Verfassung, das ist die Judikatur – ist klar: Geld ist eine der wichtigsten politischen Ressourcen. Wenn Sie oberhalb einer Bagatellgrenze alle Projekte lahm legen, wird direkte Demokratie entkernt. – So viel zur Landesebene.
Was unsere kommunalverfassungsrechtliche Ebene angeht, gibt es in den anderen Bundesländern kein solches Finanztabu. Allerdings besteht in einer Reihe von Kommunalverfassungsrechten die Pflicht zu einem Deckungsvorschlag, das heißt, die Bürger dürfen über Geld entscheiden, sollen sich jedoch vorher bewusst machen, woher das Geld dafür kommen soll. Das kann man unterschiedlich handhaben: Wenn es scharf gehandhabt wird – ein Beispiel dafür ist Nordrhein-Westfalen –, dann scheitern mehr als ein Drittel der Bürgerbegehren daran, dass die Anforderungen an den Deckungsvorschlag nicht erfüllt werden. Das wäre eine Möglichkeit, den Leuten die Tragweite ihres Handelns bewusst zu machen. – Aber Vorsicht: Auch auf diesem Weg lassen sich solche Instrumente gut lahm legen.
Vors. Dr. Zotl: Danke, Herr Dr. Jung! – Damit sind wir für heute am Ende dieses Tagesordnungspunkts. Er wird einvernehmlich vertagt. Ich bedanke mich bei unseren Gästen, dass Sie uns mit Ihren Auskünften zur Verfügung gestanden haben.
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Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abghs Stand der Budgetierung in den Bezirken,
insbesondere Planmengenverfahren und Wertausgleich, sowie – Sozialstruktur – Budgetierung von Leistungen in speziellen
öffentlichen Gebäuden
(Denkmalschutz, Leasing, usw.) – Grünflächen – hauptstadtbedingte Aufgaben unter den Bedingungen der dezentralen Fach-
und Ressourcenverantwortung |
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Siehe Inhaltsprotokoll.
Punkt 4 der Tagesordnung
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Verschiedenes |
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Siehe Beschlussprotokoll.
Ausschuss-Kennung : VerwRefKITgcxzqsq