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Demokratie e.V. ![]()
Landesverband Berlin-Brandenburg
Michael Efler
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Stellungnahme
zu den Gesetzentwürfen
„Mehr Demokratie für
Berlinerinnen und Berliner I“
(Änderung der Verfassung von
Berlin)
„Mehr Demokratie für
Berlinerinnen und Berliner II“
(Änderung des
Bezirksverwaltungsgesetzes)
der Fraktionen der SPD, PDS, Bündnis 90/Die Grünen
und FDP
vom 24. Februar 2005
Berlin, den 4. März 2005
I.
Einleitung und allgemeine Bewertung
Berlin
ist bisher bundesweites Schlusslicht bei den direktdemokratischen
Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Dies gilt insbesondere für
die Bezirksebene. Hier existiert lediglich das im Jahr 1978 eingeführte
Instrument des Bürgerbegehrens. Dieses extrem komplizierte und bürokratische
Verfahren führt – bei einem enorm hohen Unterschriftenquorum von 10% der
Wahlberechtigten – lediglich zu einer Befassung der
Bezirksverordnetenversammlung mit dem Anliegen der Initiatoren. Dennoch wurde
dieses Instrument immerhin ca. 40 Mal angewandt, was das Interesse der
Berlinerinnen und Berliner an der Bezirkspolitik verdeutlicht.[1]
Mit
den vorgelegten Gesetzentwürfen trägt Berlin diesem Interesse Rechnung und gibt
den Bürgerinnen und Bürgern endlich die Möglichkeit, durch Bürgerentscheide
auch in Sachfragen verbindlich zu entscheiden – wie es in allen anderen
Bundesländern, zum Teil schon seit Jahrzehnten, der Fall ist. Daneben wird auch
das Instrument des Bürgerbegehrens entbürokratisiert, vereinfacht und
anwendungsfreundlicher gestaltet. Weitere Beteiligungsinstrumente wie
Einwohnerfragestunde, Einwohnerversammlung und Einwohnerantrag ermöglichen
zudem Menschen aus Staaten, die nicht der Europäischen Union angehören, die
Partizipation an der Politik der Bezirke. Parallel dazu werden die Rechte der
Bezirksverordnetenversammlungen und der Bezirksverordneten erweitert.
Mehr
Demokratie e.V. begrüßt die vorliegenden Gesetzentwürfe. Sie bilden eine
ausgezeichnete Ausgangsbasis für das beginnende Gesetzgebungsverfahren und
bieten aus unserer Sicht kaum Anlass zu Kritik. Die vorgeschlagenen Regelungen
gehören zu den bürgerfreundlichsten in ganz Deutschland. Im Vergleich der
kommunalen Mitbestimmungsmöglichkeiten in den Bundesländern wird Berlin nach
der Reform vom letzten auf den zweiten Platz vorrücken.[2]
Insbesondere
ist das unbürokratische zweistufige Verfahren mit freier Unterschriftensammlung
und einem mäßigen, aber nicht zu niedrigen Quorum beim Bürgerbegehren zu
würdigen. Lediglich beim Bürgerentscheid sehen wir noch Nachbesserungsbedarf
(siehe unten). Positiv hervorzuheben ist die Vielfalt der vorgeschlagenen neuen
Beteiligungsverfahren. Sicherlich sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheid als
die Kernelemente der Reform anzusehen, da sie einerseits die stärksten
rechtlichen Konsequenzen nach sich ziehen, andererseits sehr wahrscheinlich die
höchste Medienaufmerksamkeit erlangen werden. Dennoch werden die weiteren
Beteiligungsmöglichkeiten ihre Wirkung erzielen, weil sie weit einfacher in
Anspruch genommen werden können als Bürgerbegehren und Bürgerentscheide und
diese unter Umständen sogar vermeiden helfen, weil die entsprechenden Fragen im
direkten Dialog zu lösen sind. Im Unterschied zu Bürgerbegehren und
Bürgerentscheid, an denen nur die zur Bezirksverordnetenversammlung Wahlberechtigte
teilnehmen dürfen, können sich zudem auch Nicht-EU-Ausländerinnen und Ausländer
an diesen Verfahren beteiligen – eine Gruppe, die einen beachtlichen Anteil der
Berliner Wohnbevölkerung ausmacht. Sehr gespannt sind wir auf die praktischen
Erfahrungen mit der Möglichkeit, dass die Bezirksverordnetenversammlungen von
sich aus mit einer 2/3-Mehrheit Bürgerentscheide herbeiführen können (§ 46
(4)-E). Vorbildlich und erheblich besser als in fast allen anderen
Bundesländern ist das Verfahren beim Bürgerentscheid organisiert: Die
Bezirksverordnetenversammlung kann eine eigene Vorlage mit zur Abstimmung
stellen, was den politischen Wettbewerb und die Auswahl für die Bürgerinnen und
Bürger erhöht. Zudem findet durch diese Regelung die Fachkompetenz der Bezirksverordneten
Eingang in das Abstimmungsverfahren. Alle Wahlberechtigten werden vor einer
Abstimmung benachrichtigt und durch ein Informationsheft über die zur
Entscheidung anstehenden Fragen informiert. Die Briefabstimmung ist möglich.
Zudem kommen die Bestimmungen des Landeswahlgesetzes sinngemäß zur Anwendung,
was weitere Qualitätsstandards sicherstellt.
Im
Folgenden werden einzelne Regelungen der Gesetzentwürfe behandelt und
Verbesserungsvorschläge unterbreitet.
II. Einzelkritik und
Ergänzungsvorschläge
a.) Recht auf Beratung
Wir schlagen vor, ein Recht
auf Beratung für die Initiatorinnen und Initiatoren eines Bürgerbegehrens in
die Gesetzentwürfe aufzunehmen. Für die Bürgerinnen und Bürger wäre dies eine
große Hilfe und letztendlich auch für die Bezirksämter arbeits- und
ressourcensparend, weil damit kostspielige verwaltungsgerichtliche Verfahren
vermieden werden könnten. Im Rahmen der Beratung sollten den Bürgerinnen und
Bürgern insbesondere die Möglichkeiten und Grenzen der Beschlussfassungsmöglichkeiten
der Bezirksverordnetenversammlungen sowie die Rechtswirkungen eines
Bürgerentscheides nahe gebracht werden. Rechtstechnisch sollte das
Beratungsrecht vor der Anzeige des Bürgerbegehrens beim Bezirksamt verortet
werden.
Empfehlung: § 45 (2) S. 1-3
wird wie folgt geändert: „Bürgerinnen und
Bürger, die beabsichtigen, einen Bürgerentscheid zu beantragen, können sich
durch das Bezirksamt beraten lassen. Die Beratung soll die formalen und
materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen umfassen. Bedenken sind den
Vertrauenspersonen unverzüglich mitzuteilen. Gebühren und Auslagen werden nicht
erhoben.“ Die bisherigen Sätze 1 und 2 werden zu den Sätzen 4 und 5. Der
bisherige Satz 3 entfällt.
b.)
Beteiligungsquorum beim Bürgerentscheid (§ 47 (1)-E)
Die
Gesetzentwürfe sehen vor, dass sich mindestens fünfzehn vom Hundert der zur
Bezirksverordnetenversammlung Wahlberechtigten an einem Bürgerentscheid
beteiligen müssen und eine Mehrheit für eine Vorlage stimmen muss, damit diese
angenommen ist.
Die deutsche Präferenz für
Quorumsregelungen bei Volksabstimmungen und Bürgerentscheiden stellt im
internationalen Vergleich eine Ausnahme dar. In der Schweiz sind
Quorumsregelungen auf allen politischen Ebenen unbekannt, in den Kommunen und
Bundesstaaten der USA sind sie nur in wenigen Ausnahmefällen vorgesehen. Auch
in den Hamburger Bezirken ist bei Bürgerentscheiden kein Quorum vorgesehen.
Italien kennt ein 50%-Beteiligungsquorum und ist ein Paradebeispiel für die
negativen Effekte solcher Regelungen: Nicht selten kam es in der Vergangenheit
zu Boykottaufrufen seitens der Gegner einer Abstimmungsvorlage. In der Folge
unterblieb oftmals eine sachorientierte öffentliche Debatte und eine Reihe von
Vorlagen scheiterte trotz zum Teil deutlicher Mehrheiten an der
vorgeschriebenen Mindestbeteiligung.
Mehr Demokratie e.V. setzt
sich für das Prinzip “Mehrheit entscheidet” ein und lehnt Zustimmungs- und
Beteiligungsquoren bei Volksabstimmungen generell ab. Diese Quoren verhindern
Diskussions- und Informationsprozesse vor Abstimmungen, da die Gegner einer
Sachvorlage dazu eingeladen werden, sich aus strategischen Überlegungen der
Diskussion zu entziehen und dadurch die Abstimmungsbeteiligung unter das
vorgeschriebene Maß zu drücken. Das eigentliche Ziel solcher Quoren, mehr
Beteiligung zu erreichen, wird dadurch nicht nur verfehlt, sondern
konterkariert.
Wir verkennen allerdings
nicht, dass mit dem vorgeschlagenen 15%-Beteiligungsquorum eine im Vergleich
der Bundesländer eher moderate Hürde gewählt wurde. Dennoch besteht gerade in
den Berliner Bezirken die Gefahr, dass Bürgerentscheide am Quorum scheitern. Es
ist sehr wahrscheinlich, dass ein signifikanter Anteil der zu erwartenden
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide Themen betrifft, die vor allem für einzelne
Stadtteile oder Kieze, nicht unbedingt aber für den gesamten Bezirk von hohem
Interesse ist – wie dies auch bei vielen Entscheidungen der
Bezirksverordnetenversammlungen der Fall ist. So wird z.B. eine Initiative zur
Verkehrsberuhigung im Gleimviertel (Stadtteil Prenzlauer Berg) für viele
Bürgerinnen und Bürger in Pankow voraussichtlich nicht besonders relevant sein.
Empfehlung:
Ein Bürgerentscheid gilt als angenommen,
wenn die Mehrheit der Abstimmenden mit JA gestimmt hat. Falls dies nicht
durchsetzbar ist, wäre eine Senkung des Beteiligungsquorums auf 10%
wünschenswert.
c.)
Stichfrage
beim Bürgerentscheid
§ 47 (2)-E lautet: „Sind konkurrierende Vorlagen im Sinne des
Absatzes 1 erfolgreich, ist mittels Stichentscheid zu ermitteln, welche Vorlage
die Abstimmungsberechtigten vorgezogen haben.“
Diese
Vorschrift wird in der Begründung nicht näher erläutert, so dass u.U.
Fehlinterpretationen zu befürchten sind. Unseres Erachtens hat diese Vorschrift
folgende Bedeutung: Wenn bei einem Bürgerentscheid mehrere Vorlagen zum
gleichen Gegenstand zur Abstimmung stehen (in der Regel werden das die Vorlage
des Bürgerbegehrens sowie eine Konkurrenzvorlage der
Bezirksverordnetenversammlung sein), kann jede Vorlage einzeln angenommen oder
abgelehnt werden (§ 46 (3) S. 4-E). In einem solchen Fall ist es möglich, dass
beide Vorlagen sowohl mehr Ja- als Nein-Stimmen bekommen und dass sich bei
beiden Vorlagen mindestens 15% der Wahlberechtigten an der Abstimmung beteiligt
haben. Für diesen Fall ist es wichtig, dass die Abstimmenden die Möglichkeit
haben, ihre Präferenz deutlich zu machen - mittels einer Stichfrage. Diese
Stichfrage sollte unseres Erachtens von vornherein auf dem Stimmzettel
abgefragt werden. Die jetzige Formulierung hingegen legt den Schluss nahe, dass
es noch einer zweiten Abstimmung bedarf. Diese Variante sollte jedoch schon aus
Kostengründen ausscheiden.
Empfehlung:
§ 46 (3) S. 5 wird wie folgt geändert: „Für
den Fall, dass mehrere sich widersprechende Vorlagen zum gleichen Gegenstand
angenommen werden, können die Abstimmenden darüber befinden, welche Vorlage sie
vorziehen.“ Der bisherige Satz 5 wird Satz 6. § 47 (2) wird wie folgt
geändert: „Sind konkurrierende Vorlagen
im Sinne des Absatzes 1 erfolgreich, gilt die Vorlage als angenommen, die von
den Abstimmenden im Stichentscheid nach § 46 (3) S. 5 vorgezogen wurde.“
Beide Vorschriften sollten zudem noch begründet werden. Der Senat sollte in der
Rechtsverordnung nach § 46 (5) Musterstimmzettel für die Bezirksämter
erarbeiten (zur Orientierung sind sicherlich die entsprechenden Materialien aus
Hamburg hilfreich).
III. Erwiderung von Einwänden
An dieser Stelle erfolgt eine
Auseinandersetzung mit typischen, teilweise sehr grundsätzlichen Bedenken gegen
die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in den Berliner
Bezirken.
a.) Die Kompetenzen der Bezirke sind zu schwach
Die
Verfechter dieses Einwandes verweisen auf die ihrer Ansicht nach schwache
Stellung der Bezirke innerhalb der Berliner Verwaltung. Da es im Gegensatz zu
Flächenländern in Berlin keine kommunale Selbstverwaltung gibt, sei der
Entscheidungsspielraum zu gering. Letztendlich könne der Senat immer
entscheiden, ob er sich an einen Bürgerentscheid gebunden fühle oder nicht.
Zwar
stimmt es, dass den Berliner Bezirken keine Organe der kommunalen
Selbstverwaltung im Sinne von Art. 28 GG sind. Innerhalb der Struktur der
Berliner Einheitsgemeinde aber ist die Stellung der Bezirke – auch im Vergleich
zur Stellung der Hamburger Bezirke – relativ stark. So haben die Berliner
Bezirke im Unterschied zu den Hamburger Bezirken Verfassungsrang. Es gibt eine
allgemeine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Bezirke (§ 4 AZG sowie Art. 66
(2) S. 2 VvB). Mit dem Verwaltungsreformgesetz aus dem Jahr 1994 wurden den
Bezirken zudem erstmals Rechtsverordnungsbefugnisse im Bereich der Bebauungs-
und Landschaftsplanung eingeräumt. Daher wird mit Recht davon gesprochen, dass
sich die Rechtsstellung der Berliner Bezirke immer stärker der einer echten
Kommunalverwaltung angenähert hat.[3]
Kommentatoren sprechen auch von einem Recht auf bezirkliche Selbstverwaltung,
das mittlerweile erreicht sei.[4]
Das Eingriffsrecht des Senats in die bezirkliche Aufgabenerledigung ist zudem
nicht schrankenlos; die Berliner Verfassung begrenzt dieses Recht auf das „dringende Gesamtinteresse Berlins“ (Art.
67 (1) S. 4).
Weiterhin
enthalten die vorliegenden Gesetzentwürfe keinen spezifischen Themenausschluss.
Alle Angelegenheiten, zu denen die Bezirksverordnetenversammlung Beschlüsse
fassen kann und denen weder Landes- noch Bundesrecht entgegenstehen, können
Gegenstand eines Bürgerbegehrens sein. Das bedeutet, dass ein Bürgerbegehren im
Sinne von § 13 (3) BezVG auch auf Themen gerichtet sein kann, die in der
Zuständigkeit des Senats oder einer Landesbehörde liegen, soweit diese für den
Bezirk von Bedeutung sind. Die Hamburger Erfahrungen sind in diesem
Zusammenhang höchst instruktiv. Einer ganzen Reihe von Bürgerbegehren und
mindestens einem der vier bisher erfolgten Bürgerentscheide lagen Themen
zugrunde, die in der Entscheidungskompetenz des Hamburger Senats bzw. des Abgeordnetenhauses
liegen. Dennoch haben sich die Initiatorinnen und Initiatoren in vielen Fällen
mit ihren Anliegen ganz oder teilweise durchgesetzt (siehe auch die beiliegende
Tabelle). Die politische Bindungswirkung – insbesondere bei von einer breiten Mehrheit
getragenen bezirklichen Anliegen – geht häufig über die formalrechtliche
Bindungswirkung hinaus.
Schließlich
darf nicht übersehen werden, dass durch die Gesetzentwürfe die
Beschlussfassungskompetenzen der Bezirksverordnetenversammlungen erweitert werden.
Nach § 12 (2) entscheiden die Bezirksverordnetenversammlungen zukünftig
abschließend über die bezirkliche Anmeldung zur Investitionsplanung, die
Bereichsentwicklungsplanung, über Anträge des Bezirkes zur Änderung des
Flächennutzungsplanes sowie über die Errichtung, Übernahme und Auflösung
bezirklicher Einrichtungen oder deren Übertragung an andere Träger.
b.) Blockade von Investitionen und
politischen Entscheidungen
Häufig wird argumentiert,
durch die Einführung von Bürgerentscheiden würden Investitionen und/oder
politische Entscheidungen blockiert.
Diese
Behauptung lässt sich nicht durch empirische Erfahrungen aus anderen
Bundesländern belegen. Sicherlich lassen sich Einzelfälle finden, welche die
These unterstützen. Aber einen generellen Trend, wonach Bürgerentscheide
Investitionen verzögern oder gar verhindern würden und signifikant nachteilige
ökonomische Auswirkungen hätten, gibt es nicht. Im Gegenteil: Ein
Bürgerentscheid, der sich für die Durchführung eines bestimmten
Investitionsprojektes ausspricht, verleiht dem Vorhaben sogar eine höhere
Legitimation.
Auch
der Ablauf des Verfahrens spricht gegen die Blockadethese. Im Unterschied zu
Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Landesebene ist
bewusst ein zweistufiges Verfahren mit knappen Fristen vorgesehen. Insgesamt
dauert das Verfahren von der Anzeige des Bürgerbegehrens bis zum
Bürgerentscheid maximal zwölf Monate. Die Sechs-Monats-Frist für ein
Bürgerbegehren ist zudem disponibel, d.h. die Initiatorinnen und Initiatoren
können die Unterschriften bereits erheblich früher einreichen. Nur im Fall von
Rechtsstreitigkeiten kann sich das Verfahren verzögern. Dieses Risiko kann
jedoch durch die frühzeitige und qualifizierte Beratung der Initiatorinnen und
Initiatoren minimiert werden.
Generell haben
direktdemokratische Verfahren positive gesamtwirtschaftliche Auswirkungen.
Anhand vergleichender Studien über die öffentlichen Ausgaben und Einnahmen,
Schulden, die Qualität öffentlicher Leistungen sowie die Wirtschaftskraft
politischer Systeme mit unterschiedlich stark ausgebauten direkt demokratischen
Instrumenten sind für die Schweiz folgende Ergebnisse ermittelt worden:[5]
1.) Je stärker auf
Gemeindeebene direktdemokratische Instrumente vorhanden sind, desto
niedriger sind die
Staatsausgaben und desto stärker folgen sie den Präferenzen der Bürger. “Soweit sie darüber mitbestimmen können,
gehen die Bürgerinnen und Bürger mit ihrem eigenen (Steuer-) Geld
offensichtlich sparsamer um als ihre gewählten Vertreter.”[6]
2.) In jenen Kantonen, in denen
Abstimmungen über das Niveau öffentlicher Leistungen, Steuern und
Neuverschuldung möglich sind, verfügen die Bürgerinnen und Bürger über eine
bessere Steuermoral. Das führt zu gegenseitigen Vertrauen zwischen den
staatlichen Stellen auf der einen und den Bürgerinnen und Bürgern auf der
anderen Seite, was wiederum weniger Kontrolle und mehr Effizienz nach sich
zieht.
3.) Gemeinden mit stärker
ausgebauten direktdemokratischen Rechten verfügen über signifikant weniger
öffentliche Schulden als andere Gemeinden.
4.) In Kantonen mit direkt
demokratischen Instrumenten zu finanzwirksamen Fragen liegt
das Bruttoinlandsprodukt
pro Erwerbstätigem um 15 Prozent höher als in Kantonen, in denen solche Fragen
allein in der Zuständigkeit der Repräsentantinnen und Repräsentanten liegen.
Eine häufige Nutzung des Finanzreferendums verstärkt diesen Effekt.
“Kantone und/oder Gemeinden mit direkter Demokratie in Finanzfragen
haben – jeweils ceteris paribus – geringere Staatsausgaben, eine geringere
Staatsschuld, effizienter arbeitende öffentliche Betriebe sowie ein höheres
Bruttoinlandsprodukt pro Kopf. Zudem hat die Bevölkerung ein größeres Vertrauen
in die öffentliche Verwaltung, was zu einem geringeren Ausmaß an
Steuerhinterziehung führt.”[7]
Fairerweise muss darauf hingewiesen
werden, dass die Erfahrungen der Schweizer Gemeinden und Kantonen nicht ohne
weiteres auf die Berliner Bezirke übertragen werden können. Dennoch zeigen sie,
dass die Bürgerinnen und Bürger sich in finanziellen und fiskalischen
Angelegenheiten durchaus gemeinwohlorientiert verhalten.
c.)
Kostenproblematik
Schließlich wird gelegentlich
eingewandt, die Durchführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden würde die
ohnehin leeren Bezirkskassen noch weiter belasten.
Bürgerbegehren werden von den
Initiatoren auf eigene Kosten durchgeführt und belasten daher nicht den
Bezirkshaushalt. Erst die Überprüfung der Unterschriften und die Prüfung der
rechtlichen Zulässigkeit führen zu einer Inanspruchnahme der Bezirksverwaltung.
Im Unterschied zum geltenden Recht in Hamburg verzichtet der Gesetzentwurf
zudem auf die Möglichkeit der Eintragung in Amtsräumen.
In
Hamburg, dessen Regelungen noch etwas weiter gehen als die geplante Berliner
Reform, gab es in den 6 ½-Jahren seit Einführung der direktdemokratischen Elemente
auf Bezirksebene lediglich 4 Bürgerentscheide (zwei davon fanden am gleichen
Tag statt und behandelten den gleichen Gegenstand; vgl. die Tabelle im Anhang).
Von einer inflationären Anwendung kann somit keine Rede sein. Auch nach der
Reform werden die weitaus meisten Entscheidungen von den
Bezirksverordnetenversammlungen sowie den Bezirksämtern getroffen werden.
Darüber hinaus ist eine Zusammenlegung von Bürgerentscheiden und Wahlen
möglich, falls dies mit den in den Gesetzentwürfen vorgesehenen Fristen zu
vereinbaren ist .
IV. Fazit
Mehr
Demokratie e.V. begrüßt die vorliegenden Gesetzentwürfe. Sie werden die
Mitbestimmungsmöglichkeiten der Bürgerinnen
und Bürger in den Berliner Bezirken deutlich erweitern. An drei Stellen
empfehlen wir Änderungen, wobei es sich bei einer der Empfehlungen (Stichfrage
beim Bürgerentscheid) lediglich um eine Klarstellung handelt. Es sollte ein
Recht auf Beratung für Bürgerinnen und Bürger geschaffen werden, die
beabsichtigen, ein Bürgerbegehren zu initiieren. Das Beteiligungsquorum beim
Bürgerentscheid von jetzt 15% der Wahlberechtigten sollte entweder ersatzlos
gestrichen oder zumindest, z.B. auf 10% der Wahlberechtigten, reduziert werden.
Den
häufigsten Einwänden gegen die Einführung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden
mangelt es entweder an empirischer Fundierung oder an Kenntnis der
einschlägigen Erfahrungen in anderen Bundesländern, insbesondere in Hamburg.
Weder würden Bürgerbegehren und Bürgerentscheide an den vermeintlich zu
schwachen Kompetenzen der Berliner Bezirke scheitern, noch würde es eine
inflationäre Anwendung geben, die zu Blockaden von Investitionen und
politischen Entscheidungen führt.
Die
mit diesem Reformprojekt verbunden Chancen sind somit weitaus größer
einzuschätzen als die Risiken.
V. Anhang
- Hans-Peter Strenge:
„Bürgerbegehren und –entscheid in der Praxis – aus Sicht des Senatsamtes für
Bezirksangelegenheiten“, in Bull, H.-P. (Hrsg.): 5 Jahre direkte
Bürgerbeteiligung in Hamburg – unter Berücksichtigung von Berlin und Bremen,
Landeszentrale für politische Bildung/Senatsamt für Bezirksangelegenheiten,
Hamburg, 2001, S. 163-167.
- Übersicht zu Bürgerbegehren
und Bürgerentscheide in Hamburg
- Ranking: Die Verfahren für
Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in den 16 Bundesländern (vor und nach der
Berliner Reform)
Ausschuss-Kennung
: VerwRefKITgcxzqsq
[1] Siehe dazu Posselt, C.: Direkte Demokratie in Berlin, in Kost, A. (Hrsg.).: Direkte Demokratie in den deutschen Ländern, VS Verlag (erscheint April 2005).
[2] Die Einschätzung beruht auf dem 2003 von Mehr Demokratie e.V. herausgegebenen Volksentscheid-Ranking, einem Vergleich der Mitbestimmungsmöglichkeiten in den 16 Bundesländern. Im Internet: http://www.mehr-demokratie.de/fileadmin/bund/pdf/ranking.pdf; vgl. auch die Übersichten im Anhang
[3] Zivier, E.R.: Verfassung und Verwaltung von Berlin, 3. Auflage, 1998, S. 318-319.
[4] Pfennig/Neumann: Verfassung von Berlin, 3. Auflage, 2000, S. 342.
[5] Feld, L.P./ Kirchgässner, G./Savioz, M.R.: Die direkte Demokratie, Modern, erfolgreich, entwicklungs- und exportfähig, 1999, S. 71 ff.
[6] Ebenda, S. 85.
[7] Ebenda, S. 105