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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Einweihung einer Stele vor der ehemaligen "Rassenhygienischen Forschungsstelle"

29.03.2019 11:00, Unter den Eichen 82-84

Wir sind heute zusammengekommen, um an das Menschheitsverbrechen der Deutschen an den Sinti und Roma zu erinnern. Wir tun dies, weil wir gemeinsam eine Stele hier einweihen, die an diese Verbrechen erinnern soll. Und diese Stele wird an einem Ort stehen, von dem aus diese Verbrechen pseudowissenschaftlich begründet und initiiert wurden: Hier Unter den Eichen war einst von 1936 bis 1945 die Rassenhygienische Forschungsstelle des Reichsgesundheitsamtes beheimatet.

Ich möchte zunächst der BVV Steglitz-Zehlendorf  danken, dass sie diese Initiative ergriffen haben und einen entsprechenden Beschluss gefasst haben. Die Geschichte darf nicht vergraben werden. Schon gar nicht die Geschichte der Deutschen unter dem Nationalsozialismus. Zu dieser Geschichte gehören nicht nur sechs Millionen ermordete Jüdinnen und Juden. Zu dieser Geschichte zählen auch über 500.000 Sinti und Roma, die gepeinigt, gefoltert, eingesperrt und schließlich ermordet wurden. Unter der nationalsozialistischen Diktatur wurde das Gebäude, vor dem wir stehen, für menschenverachtende, rassenideologische Forschungszwecke vereinnahmt.

Die hier gelegene "Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle" betrieb im Dritten Reich ab 1936 die vollständige Erfassung der Sinti und Roma in Deutschland. Hier führte man an ihnen anthropologische Untersuchungen durch, um ihre rassische Minderwertigkeit zu belegen für die spätere Zwangssterilisation und Vernichtung. Von hier aus wurde unendliches Leid über die Sinti und Roma gebracht. Ein Leid, das uns bis heute daran erinnert, welche historische Verantwortung wir Deutschen tragen.

Sie – diese historische Verantwortung - können und sie wollen wir nicht leugnen. Auch dafür steht diese Stele. Hinter jeder Institution wirken Menschen. Sie prägen die Institution. So auch im Falle dieser Forschungsstelle. Leiter der Forschungsstelle war Robert Ritter, ein Nervenarzt. Er lieferte die scheinwissenschaftliche Begründung für die Zwangssterilisation und den Völkermord an den Sinti und Roma. Es gäbe, so seine krude These, „innerhalb des Volkskörpers seit Jahrhunderten“ einen „ganzen Schlag von asozialen Psychopathen und Kriminellen“, der sich ständig „fortzeugt und erhält“ und dessen „Minderwertigkeit in keiner Weise dem Erbstrom der Geisteskranken und Schwachsinnigen“ nachstehe.

Gemeint waren damit vor allem die Sinti und Roma. Es muss befremden, dass ein Rassist wie Robert Ritter nach Kriegsende ungestraft davon kam und entnazifiziert wurde. Robert Ritter und seine enge Mitarbeiterin Eva Justin, waren keiner Strafverfolgung ausgesetzt, hatten das Aktenmaterial der Rassenhygienischen Forschungsstelle bei Kriegsende an sich gebracht. Das war ein glatter Verstoß gegen geltendes Archivrecht. Darüber hinaus fanden sie in der Bundesrepublik eine ganz bürgerliche Anstellung als Jugendpsychiater in einer Familienberatungsstelle in Frankfurt am Main. Das muss man als unfassbaren Skandal bezeichnen.

Es macht schon traurig, dass mit den unterschlagenen Akten in Tübingen und Mainz vermeintliche Forschungen möglich wurden, die ehemalige nationalsozialistische Rasseideologen in der Bundesrepublik beinahe nahtlos fortsetzten. Hier wäre etwa Prof. Dr. Sophie Ehrhard zu nennen, die einstige Assistentin von Robert Ritter an der Forschungsstelle. Sie lehrte und forschte an der Universität Tübingen, zunächst als Dozentin und war ab 1955 Leiterin des dortigen „Rassebiologischen Instituts“, das nun „Anthropologisches Institut“ hieß.

Insgesamt gesehen muss man sagen, dass die Tolerierung dieser rassetheoretischen Forschungen zu den Sinti und Roma nach Kriegsende ein Makel für die demokratische Bundesrepublik darstellt. Aber diese Erfahrung zeigt eben auch, dass wir Demokratinnen und Demokraten wachsam bleiben müssen gegenüber Rassisten und Antidemokraten. Dies bleibt eine ständige Aufgabe, der wir uns nicht entziehen können. Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf hat hierzu ein weiteres wichtiges Zeichen gesetzt.

Ich danke Ihnen und verneige mich vor den Opfern der deutschen Rassenpolitik zwischen 1933 und 1945.