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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Enthüllung der Informationsstele "Die Peter-Lorenz-Entführung"

28.10.2019 13:30, Quermatenweg/Ithweg

Wir haben uns heute hier an diesem Ort getroffen, um eine Stele der Öffentlichkeit zu übergeben, die an die Entführung des CDU-Politikers Peter Lorenz durch die linksterroristische „Bewegung 2. Juni“ erinnern soll. Die Stele steht am authentischen Ort. Genau hier erfolgte am 27. Februar 1975 der Anschlag auf die Demokratie – ein Anschlag, der die damalige Bundesrepublik verändern sollte. Es sollten Terroristen, die im Gefängnis saßen, mit der Entführung von Peter Lorenz freigepresst werden. Ein Vorhaben, das in diesem Fall gelang – das zweite Mal, dass sich die Bundesregierung darauf einließ, eine prominente Geisel gegen inhaftierte Terroristen auszutauschen. Peter Lorenz rettete diese Entscheidung das Leben.

Aber der Staat Bundesrepublik Deutschland war nunmehr erpressbar geworden. Und die Befürchtung, die nicht wenige Politiker hegten: Die Geschichte wird weitergehen. Neue Entführungen und Erpressungen werden folgen. Und so kam es dann auch. Als Stichwort sei die Entführung von Hans Martin Schleyer genannt. Wir wissen heute, dass der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt, schon im Fall von Peter Lorenz gegen den Gefangenenaustausch war. Und er hat diesen Gewissenskonflikt – den Tod einer Geisel notfalls in Kauf zu nehmen – später in vielen Interviews thematisiert. Seine Worte waren: „Die enorme Verantwortung für das Leben anderer habe ich als existenziell bedrückend empfunden.“ Und er sah seine Mitschuld. Aber die Staatsräson war für Schmidt höherwertiger. Und deshalb nahm er die moralische Schuld auf sich. Ich denke, wir alle können froh sein, dass wir noch nie in den Händen von Terroristen waren. Und dass wir nie eine Entscheidung über das Leben und den Tod einer Geisel treffen mussten. Peter Lorenz war damals im Februar 1975 ein durchaus bekannter Politiker im Westteil Berlins. Als Landesvorsitzender der Berliner CDU und als deren Spitzenkandidat für die bevorstehende Abgeordnetenhauswahl – sie fand im März 1975 statt – wirkte Peter Lorenz in einer herausgehobenen Position in der Berliner Landespolitik mit. Zudem war er zu diesem Zeitpunkt Vizepräsident des Abgeordnetenhauses von Berlin.

Mit der Entführung von Peter Lorenz traf man also auch den politischen Nerv der Stadt, die aufgrund der besonderen Lage immer im Fokus der Politik und der Medien stand. Das war ja auch die Absicht der Terroristen – maximale Aufmerksamkeit zu erzielen mit kalter Brutalität. Ich persönlich lebte 1975 noch nicht in Berlin. Aber als Berliner Politiker habe ich natürlich schon viele Wahlkämpfe in dieser Stadt mitgemacht. Ich kann mir daher ein Bild davon machen, wie diese Entführung den Wahlkampf beeinflusste, welche Geisterstimmung über der Stadt lag. Und wenn ich mir vorstelle, dass Peter Lorenz selbst am Wahltag noch gefangen war, dann gruselt es mich. Der Name Peter Lorenz stand auf dem Wahlzettel und niemand wusste, ob er überhaupt überleben würde. So etwas hat es Gott sei Dank nie wieder in Deutschland gegeben. Das muss insgesamt für alle Beteiligten eine gespenstige Situation gewesen sein. Gerade auch für die Wählerinnen und Wähler, doch genauso für die Menschen in den Parteien, vor allem in der CDU. Und dann wurde die Berliner CDU mit Peter Lorenz an der Spitze die stärkste Partei, wurde Wahlsiegerin. Freude kam nicht wirklich auf bei der Wahlparty der CDU, wie man nachlesen kann. Alles war irgendwie bizarr. Peter Lorenz wurde nicht Regierender Bürgermeister. Es gab eine Senatskoalition ohne CDU. Peter Lorenz bekleidete fortan das Amt des Parlamentspräsidenten. Und er blieb CDU-Landesvorsitzender. Das war eine eher ungewöhnliche Kombination. Denn der Präsident des Abgeordnetenhauses agiert überparteilich, ohne dabei seine Partei zu verheimlichen. Ein Vorsitzender einer politischen Partei als Parlamentspräsident kann jedoch unnötige Konflikte hervorrufen.

Aber im Fall von Peter Lorenz brachte diese Konstellation keine Probleme mit sich, was mit seiner Überzeugung zusammenhing: Das Amt steht über dem Parteimandat. Peter Lorenz bekam diesen Spagat galant hin. Die psychischen Folgen seiner Entführung begleiteten Peter Lorenz bis an sein Lebensende. Sie setzten ihm wohl auch gesundheitlich zu. Das Herz erkrankte. Und jeder neuerliche linksextremistische Terroranschlag weckte ungute Erinnerungen bei ihm. Einen zweiten Herzinfarkt überlebte Peter Lorenz dann nicht. Er schlief kurz vor seinem 65. Geburtstag am 6. Dezember 1987 für immer ein.

Berlins Geschichte kennt viele Höhen und Tiefen. Wir alle wissen das. Die Lorenz-Entführung gehört ganz sicher zu den amoralischen Tiefen in der Geschichte Berlins. Sie war Ausdruck einer neuen Bedrohung der Demokratie und ihrer Repräsentanten von innen heraus. Damit stand Berlin damals in einem doppelten Sinn vor großen Herausforderungen in puncto Sicherheit, denn die äußere Bedrohung war ja ebenso stets allgegenwärtig. Es ist gut, dass der Bezirk Steglitz-Zehlendorf nun mit dieser Informationsstele an diese schwierige und bedrohliche Zeit erinnert und dabei Peter Lorenz nicht vergisst. Das ist – wie ich finde - ein wichtiger Beitrag zur Geschichtskultur in unserer Stadt.

Vielen Dank.