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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Ansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Enthüllung des Ehrenbürgerporträts von Inge Deutschkron

05.09.2019 14:00, Abgeordnetenhaus

„Ich glaube, es gibt keine typischere Berlinerin als mich.“

Das haben Sie einmal in einem Radiobeitrag gesagt und ich finde, das ist ein schöner Grund mehr für Ihr Portrait in unserer Ehrenbürgergalerie. In erster Linie sind Sie Ehrenbürgerin Berlins, weil Sie eine der bedeutendsten Zeitzeuginnen unserer Stadt sind. Als nachdrückliche Verteidigerin demokratischer Werte setzten Sie sich hingebungsvoll gegen das Vergessen des Völkermords an den europäischen Juden ein.

Liebe Frau Deutschkron,

Ihre Geschichte ist zweifelsohne auch ein Teil Berlin-Geschichte. Sie wuchsen in einem Berlin auf, in dem Sie Diskriminierung und Schikanen ausgesetzt waren, dem blanken und staatlich legitimierten Hass. Dies war kein Berlin der Freiheit! Die nationalsozialistische Stadt ließ Ihnen keinen Raum für unbeschwerte Stunden oder durchtanzte Nächte. Wenngleich es Ihnen gelang, sich hier und da über die Vorschriften hinwegzusetzen. Die Empfehlung Ihrer Mutter „Lass Dir nichts gefallen. Wenn Dich einer angreift, wehr Dich.“ wurde zu Ihrem Leitsatz.

Als die Gestapo konsequent die zurückgebliebenen Jüdinnen und Juden aus Berlin deportierte, gab es für Ihr Überleben nur die eine Option: Untertauchen. „Illegal“ in der eigenen Heimatstadt lebten Sie gefährlich, zogen von einem Versteck ins nächste, bewegten sich in absoluter Abhängigkeit. Ihre Geschichte enthält das grausamste und beschämendste Kapitel unserer Stadt. Sie erzählt aber auch von Hoffnung! Auf so vielen verschiedenen Ebenen. Ihr Weg ließ Sie der Schoah entkommen. Dazu trugen Berlinerinnen und Berliner bei, Otto Weidt und andere, die Ihnen halfen. Stille Heldinnen und Helden, die ihr Leben riskierten und es trotz ihrer Angst taten.

Umso frustrierender waren die Erfahrungen, die Sie im Nachkriegsdeutschland machten:

Alte Nazis beteiligten sich in Regierungsämtern am Wiederaufbau der Bundesrepublik, NS-Täterinnen und -Täter erhielten milde Strafen. Es verwundert daher nicht, dass Sie Deutschland verließen. Jedoch, und das wird uns Berlinerinnen und Berlinern immer eine große Ehre sein, Sie sind zurückgekommen. Ich finde, es zeugt von Ihrer menschlichen Größe, dass Sie sich auch an Positives erinnern können, obwohl Berlin furchtbar zu Ihnen war.

Liebe Frau Deutschkron,

Ihre heutige Anwesenheit und künftig Ihr Portrait bei uns im Haus stehen beispielhaft dafür, dass sich die nationalsozialistische Wahnvorstellung eines „judenreinen“ Berlins nicht erfüllt hat. Heute beherbergt Berlin die größte jüdische Gemeinde des Landes, von Jahr zu Jahr wird sie größer. Bei uns leben Menschen unterschiedlicher Wurzeln und Religionen friedlich miteinander. Darauf sind wir stolz und gerade deshalb gilt es, diese Freiheit zu verteidigen.

Liebe Frau Deutschkron,

Sie haben Berlin geprägt:

Sie gründeten den Förderverein „Blindes Vertrauen“, um das Andenken der „Stillen Helden“ zu wahren und die Inge-Deutschkron-Stiftung, die zu Zivilcourage und Toleranz aufruft. Sie riefen das „Blumenstrauß-Projekt“ ins Leben, das Begegnungen zwischen Holocaust-Überlebenden und Berliner Schülerinnen und ermöglicht. Es war auch Ihre Initiative, dass wir uns jährlich am Gleis 17 im Grunewald treffen, um an die Jüdinnen und Juden zu erinnern, die von dort aus deportiert wurden. Und wir haben es Ihnen zu verdanken, dass am Berliner Hauptbahnhof künftig ein Platz an Otto Weidt erinnern wird.

Ich glaube aber, am meisten Eindruck haben Sie bei Ihren vielen persönlichen Begegnungen hinterlassen. Bei Ihren zahlreichen Schulbesuchen erzählten Sie Ihre Geschichte wieder und wieder. Auch das Theaterstück am Gripstheater „Ab heute heißt Du Sara“ von Volker Ludwig und Detlef Michel spielte Ihr Schicksal in die Herzen vieler junger Berlinerinnen und Berliner. Sie haben unserer Stadt so viel Gutes gegeben. Ihre pädagogische Arbeit, Ihren Einsatz für eine lebendige Gedenkkultur und vor allem: Ihre Treue. Dafür möchte ich Ihnen im Namen des gesamten Berliner Parlaments sehr herzlich danken.

Liebe Frau Deutschkron,

wie die typische Berlinerin wirklich ist, darüber gibt es bekanntlich viele Theorien. Wenn das aber bedeutet, auch nur eine halb so energische und resolute Frau zu sein wie Sie – eine, die Freiheit und Recht zum Prinzip ihrer Handlungen macht – dann sind das Eigenschaften, die ich mir für alle jungen Berlinerinnen nur wünschen kann.

Sie sind ein Vorbild. Umso schöner ist es, dass sich Ihr Portrait nun zu denen von Marlene Dietrich, Anna Seghers, Nelly Sachs, Marie Elisabeth Lüders und Louise Schroeder gesellt. Herr Professor Heisig hat Sie, wie ich finde, ganz wunderbar getroffen, intensiv und realistisch. In unserem Haus ist Johannes Heisig ein hochgeschätzter Künstler. Ihm haben wir auch schon die Portraits der Wegbereiter der neuen Ost-Politik Egon Bahr und des ehemaligen Bundespräsidenten Johannes Rau zu verdanken. 2008 stellte er bei uns im Rahmen der Ausstellung „Es war einmal. Bilder vom Erinnern, den Erinnerungen und dem Innern“ seine Erinnerungsbilder zum Gedenken an den Mauerbau aus. Seine komplexen Werke erzählen Geschichten und gehen in die Tiefe. Daher freue ich mich umso mehr, dass er uns gleich ein bisschen etwas über die Entstehung des Werks erzählen wird.

Ihr Bildnis, liebe Frau Deutschkron, hinterlässt uns hier im Abgeordnetenhaus einerseits eine Mahnung, andererseits erinnert es auch an Courage. Deshalb werde ich künftig mit einem „daffke“ Gefühl, dem Gefühl „erst recht“, an Ihrem Bild vorbeigehen.

Vielen Dank!