1. zur Suche
  2. zur Hauptnavigation
  3. zum Inhalt
  4. zum Bereichsmenü
Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin anlässlich der Verleihung der German Jewish History Awards

22.01.2018 18:00, Plenarsaal

Herzlich willkommen in Berlin.

Ich freue mich sehr, Sie heute und hier im Abgeordnetenhaus begrüßen zu dürfen. Für unsere Stadt ist Ihr Besuch eine große Ehre. Sie haben einen herausragenden Beitrag zur Bewahrung des Gedenkens an die jüdische Vergangenheit geleistet. Und diese Beiträge, diese Geschichten bringen Sie heute mit ins Abgeordnetenhaus. Das ist eine schöne Bereicherung.

Ich beginne meine Rede heute mit einem Blick in ein historisches Schreiben. Ein Schreiben, das die Humanität in Deutschland bürokratisch aushebelte. In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ordnete Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei, ein „Regelwerk“ für den Ablauf der Reichspogromnacht an:

„Es dürfen nur solche Maßnahmen getroffen werden, die keine Gefährdung deutschen Lebens oder Eigentums mit sich bringen“, hieß es in Heydrichs nächtlichem Fernschreiben an die Staatspolizeistellen.

Und: „In Geschäftsstraßen ist besonders darauf zu achten, dass nicht jüdische Geschäfte unbedingt gegen Schäden gesichert werden.“

Meine Damen, meine Herren,

dieses Jahr steht besonders im Zeichen der Erinnerung an die Reichspogromnacht. Im November 2018 ist es achtzig Jahre her, dass das nationalsozialistische Terrorregime seine Maske gegenüber den Juden endgültig fallen ließ:

Synagogen brannten, jüdische Geschäfte wurden zerstört, Menschen deportiert und ermordet. Und wie wir dem eben zitierten Schreiben Heydrichs entnehmen können, passierten die Aktionen unter offizieller Anordnung. Die Nacht war das amtliche Startsignal zum Völkermord. Antisemitismus und Mord wurden spätestens in dieser Nacht Staatsdoktrin.

Die Jüdin Salomea Genin erlebte die Reichspogromnacht in Berlin als 6-jähriges Mädchen. Ihre Erinnerungen schilderte sie im vergangenen Jahr im Deutschlandradio Kultur:

„Ich fing an zu merken, dass irgendetwas nicht normal ist, weil wir saßen in unserem Wohnzimmer, das zur Straße raus ging, und hörten dann Stiefel rennen und Schreie.

Und dann klingelte es an unserer Tür.

Und wir hatten zwei andere jüdische Familien in unserem Haus, und da war der Vater einer der Familien, der uns warnte, geht heute nicht raus.

Man hätte 300 Juden in die Synagoge in der Oranienburger Straße reingepfercht und würde jetzt die Synagoge anzünden.

Das hörte ich natürlich, wie er das meiner Mutter erzählte. Es hat sich aber als ein Gerücht herausgestellt. Das passierte doch nicht. Aber ich erinnere mich gut.

Am nächsten Morgen bin ich zwischen meiner großen Schwester und meiner Mutter durch die Straßen gelaufen und musste immer zwischen Glasscherben den Weg suchen. Und halb Berlin war auf den Beinen und guckte sich an, was da in der Nacht passiert war.

Es war eine sehr bedrohliche Atmosphäre.“

Nach all den Jahrzehnten tun Schilderungen wie die von Salomea Genin – aber auch Einblicke in Dokumente wie das von Reinhard Heydrich – immer noch weh. Doch sie zeigen uns auch, wofür der German Jewish History Award steht. Geschichte lebt von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, von Menschen, die sie erzählen können. Daher freue ich mich sehr, liebe Margot Friedländer, dass Sie heute Abend bei uns zu Gast sind und den Ehrenpreis der German Jewish History Awards erhalten. Ihre Lebensgeschichte und das grausame Schicksal Ihrer Familie bewegen mich sehr. Ich finde es von Ihnen so beachtlich, dass Sie immer noch die Kraft aufbringen, Ihre Geschichte gerade jungen Menschen zu erzählen. Je mehr Zeit vergeht, desto weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen können berichten. Umso wichtiger wird die Aufarbeitung und Dokumentation ihrer Geschichten.

Geschichte lebt auch von dem Blick in offizielle Dokumente und der Auseinandersetzung damit. Die Reichspogromnacht gilt inzwischen als historisch umfassend erforscht. Das ist aber nicht für alle Ereignisse des Holocaust der Fall und auch nicht für alle Facetten jüdischen Lebens in Deutschland. Und da kommen Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, ins Spiel. Sie haben sich ganz eigene, ganz persönliche Zugänge zur Geschichte erarbeitet und Wege gefunden, das erworbene Wissen aufzubereiten.

Sie haben Fragen gestellt:

Was ist damals passiert?

Was geschah in meiner unmittelbaren Umgebung?

Was passierte vor meiner Haustür und in meiner Nachbarschaft.

Sie haben sich auf die Suche nach Antworten begeben, Kontakt zu Zeitzeuginnen und Zeitzeugen gesucht, Hinterbliebene kontaktiert und Dokumente ausgewertet. Vor allem ging es Ihnen auch dabei um die „kleinen“ Geschichten. Um solche, die noch niemand kennt. Sie schauten hin, wo kaum zuvor jemand hinsah. Sie haben gezeigt, dass jedes Schicksal zählt. Sie machten niemanden zu jemandem, machten die Geschichte deutscher Juden fassbar und konkret. Und das nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Dadurch haben Sie zur geschichtlichen Aufklärung beigetragen. Sie haben die Möglichkeit einer Generation genutzt, die den Holocaust nicht zu verantworten hat. Sie tragen so aktuell dazu bei, dass gegen Judenfeindlichkeit in Deutschland Zeichen gesetzt werden. Und Sie haben durch Ihre historischen Arbeiten auch im Sinne Arthur Obermayers ein Signal gegen den Hass gesetzt.

Ihre Auszeichnung bedeutet mir – sie bedeutet dem Abgeordnetenhaus – sehr viel. Jedes Jahr im Januar gedenken wir hier im Parlament der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar 1945. Das Jugendforum Denkmal und die Verleihung der German Jewish History Awards sind für unser Haus eine wichtige Tradition geworden.

Wir haben kürzlich eine Resolution zum Thema „Antisemitismus“ beschlossen:

Das Berliner Parlament tritt antisemitisch oder antiisraelisch motivierten Diskriminierungen und Gewalt entschieden entgegen.

Die Besinnung auf unsere demokratischen und freiheitlichen Werte soll uns bei unserer parlamentarischen Arbeit stets präsent bleiben und leiten. Für alle Abgeordneten gilt, diese Werte stets ihrer parlamentarischen Arbeit überzuordnen. Frei gewählte Parlamente sind in Deutschland nicht immer eine Selbstverständlichkeit gewesen. Das sollten wir nie vergessen.

Liebe Preisträgerinnen und Preisträger, vielen Dank, dass Sie uns einen Teil der langen jüdischen Geschichte in Deutschland in Erinnerung rufen. Ihre Arbeiten und Ihre Begeisterung für die Themen verdienen den German Jewish History Award. Und ich gratuliere Ihnen im Namen aller Berliner Abgeordneten herzlich zu dieser Auszeichnung. Ich hoffe, dass Sie heute Abend stolz auf sich sind, denn das dürfen Sie wirklich sein.

Der Dank geht auch an die Obermayer-Stiftung, die es in diesem Jahr wieder möglich gemacht hat, die Preise zu vergeben.

Meine Damen und Herren,

wer sich geschichtlichen Fragen stellt, wer Geschichte erforscht, der trägt zur gesellschaftlichen Selbstvergewisserung bei:

Auf das, was einmal war, auf das, was besser nicht gewesen wäre und auf das, was uns künftig leiten sollte.

Es ist und bleibt wichtig, dass wir dies beherzigen.

Dafür stehen die German Jewish History Awards.

Vielen Dank.