Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Veranstaltung "100 Jahre Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte 1918"
17.12.2018 18:00, Abgeordnetenhaus
Wer von der Revolution 1918 spricht, sollte den Ersten Weltkrieg nicht außer Acht lassen. Die europäischen Monarchien, sie versuchten nach alten erprobten Kriegsmustern 1914 die Machtverhältnisse auf dem Kontinent zu verschieben. Das war gewollt. Und insofern war und ist es eine bewusste historische Fehlinterpretation, wenn es zur Begründung dieses Krieges hieß, alle Mächte seien in diesen Krieg hineingeschlittert.
Nein: Der Erste Weltkrieg war ein gewollter Krieg, ein letztes Aufbäumen der alten Eliten, um die enormen gesellschaftlichen Transformationen einer sich voll entfaltenden Industriegesellschaft abzuwenden. Denn es war überdeutlich: Mit dem Aufbruch in eine entwickelte Industrienation erstarkte parallel eine zunehmend selbstbewusster agierende Arbeiterschaft, die weithin in sehr ärmlichen Verhältnissen lebte.
Eine Verbesserung ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen hatte sich die Arbeiterschaft auf die Fahnen geschrieben. Genau das wollten aber die alten Eliten in Gemeinschaft mit dem Bürgertum verhindern. Das war die innenpolitische Kampfansage an inzwischen weite Teile der Bevölkerung in Deutschland. Sie konnte noch einmal kompensiert werden durch den Ersten Weltkrieg, ganz im Sinne der tradierten Einsicht: Wenn es innenpolitisch kriselt, dann muss man außenpolitisch agieren, um von der inneren Krise abzulenken.
Genau das geschah im Jahr 1914 und in den Jahren zuvor. Und ein umfassender Krieg wurde dabei billigend in Kauf genommen und auch antizipiert. Florian Illies hat es in seinem Buch „1913“ verstanden, zu zeigen, wie viele Menschen in Europa diesen Krieg förmlich herbeisehnten. Vielfach verborgen, bei den bekannteren Literaten oft versteckt in ihren Texten.
Das traumatische Ende dieses Krieges hatte jedoch niemand eingeplant. Wie auch? Die Vorstellungen reichten nicht aus, dass sich auch die Kriegsmaschinerien industrialisierten und eine gewaltige zerstörerische Kraft entfalteten. Das Modernste an Waffen wurde in die Schlacht geworfen. Und dementsprechend katastrophal waren die Folgen für die überlebenden Soldaten.
Der Erste Weltkrieg, er war ein erster Vernichtungsfeldzug gegen den Menschen und das Menschliche. Mit dieser Wucht an Gewalt hatte keiner gerechnet. Auch der deutsche Kaiser nicht. Und als klar war, dass das Deutsche Reich diesen Krieg nicht gewinnen konnte, da meuterten die Matrosen, weil sie in eine letzte, selbstmörderische Schlacht gehen sollten mit der übermächtigen britischen Flotte.
Doch, was als Meuterei begann, wuchs sich zur politischen Revolution aus. Der Kaiser dankte ab. Ein Machtvakuum entstand. Doch was sollte an die Stelle der bisherigen Konstitutionellen Monarchie treten? Wie sollte es eigentlich politisch – vor allem staatspolitisch – in Deutschland weitergehen?
Diese Fragen standen im Raum. Und die verbliebenen politischen Kräfte, allen voran die SPD und USPD, waren plötzlich in der Situation, Recht und Ordnung in Deutschland aufrecht zu erhalten. Auch die Versorgungsfrage eines ausgezehrten Landes stand im Raum.
Ein politischer Gegensatz trat dabei voll zutage. Sollte das einst monarchisch mitregierte Deutschland eine Räterepublik nach sowjetischen Vorbild werden oder eine parlamentarische Demokratie? Darum wurde im Revolutionswinter 1918/19 gestritten. Und blutig gekämpft. Vor allem auf den Straßen Berlins. Es war auch ein Kampf um Ideologien.
In diese schwierige Zeit hinein lud der Vollzugsrat, der den revolutionären Rat der Volksbeauftragten kontrollieren sollte, zu einem Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte ein. Landesweit entsandten die Arbeiter- und Soldatenräte Delegierte nach Berlin. Sie sollten dann ab dem 16. Dezember 1918 darüber beraten und entscheiden, welchen politischen Weg Deutschland künftig einschlagen sollte.
Viele der Entscheidungen dieses Rätekongresses hier in diesem Plenarsaal des einstigen Preußischen Landtags prägen noch heute unser Land, auch wenn uns das nicht immer bewusst ist. Der Kongress brachte allen deutschen Parlamenten das allgemeine und gleiche Wahlrecht – endlich, zum ersten Mal auch für die Frauen.
Er bahnte den Weg zur Weimarer Nationalversammlung, zu einer republikanischen Verfassung, zur parlamentarischen Demokratie, der ersten in der Geschichte unseres Landes. Auch Grundsteine für eine moderne Sozialpolitik legte dieser Kongress: Achtstundentag, Tarifpartnerschaft, Mitbestimmung durch Betriebsräte – all das steht für den sozialen Fortschritt, der damals inmitten der Nachkriegswirren begann.
Natürlich: Wer entscheidet, der schließt andererseits etwas aus: Das Votum für die parlamentarische Demokratie war zugleich auch die Absage des Kongresses an die Räterepublik.
Von ihr träumten vor allem die ultralinken Kreise in Deutschland, namentlich Protagonisten der USPD oder des Spartakusbundes, unter ihnen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Das Vorbild war die russische Revolution. Ihr erfolgreicher Verlauf stachelte an.
Es war Friedrich Ebert, der sozialdemokratische Übergangs-Regierungschef im Rat der Volksbeauftragten, der von Anfang an den Weg in eine parlamentarische Demokratie favorisierte. Er setzte sich auf dem Rätekongress hier im Haus durch. Doch er war es nicht allein. Innerhalb der Mehrheitssozialdemokratie war das politische Ziel der repräsentativen Demokratie weitgehend Konsens. Das stieß im Lager der Arbeiterbewegung nicht nur auf Gegenliebe. Was sich in Zeiten des Weltkrieges abzeichnete, nämlich die Spaltung der politischen Arbeiterbewegung, das wurde mit den Entscheidungen des Rätekongresses noch vertieft.
Die Kräfte, die eine Räterepublik ansteuerten, erkannten, dass es wenig Sinn machte, in linkssektiererischen Splittergruppen weiter zu agieren. Auch bei Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg reifte die Einsicht, eine neue linke Sammlungspartei zu gründen – die Kommunistische Partei Deutschlands. Sie sollte der Motor der fortgesetzten Revolution in Deutschland sein, in klarer Abgrenzung zur Sozialdemokratie. Damit war die politische Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung endgültig festgeschrieben.
Auch die Gründungsversammlung der KPD fand vom 29. Dezember 1918 bis 1. Januar 1919 hier im damaligen Preußischen Landtag statt. Allerdings im Festsaal, nicht in diesem Plenarsaal. Schon auf dem Gründungskongress wurde die Frage erörtert, wie sich die Partei zu den Wahlen zur Nationalversammlung verhalten sollte. Eine Minderheit wollte, dass sich die KPD zur Wahl stellt. Die Mehrheit Delegierten lehnte dies jedoch ab. Sie wollten die parlamentarische Demokratie keineswegs unterstützen oder indirekt legitimieren. Es ging der radikalen Linken vielmehr darum, die Wahlen zur Nationalversammlung mit Gewalt zu verhindern.
Bis heute wird ja beklagt, dass diese Spaltung der Arbeiterbewegung am Ende mit dazu beitrug, dass die Weimarer Republik keine Überlebenschance hatte. Das stimmt. Wahr ist aber auch, dass die Gegensätze zwischen der demokratischen Grundordnung und dem Rätesystem nach sowjetischem Vorbild einfach zu groß waren, um versöhnt zu werden. Die Diktatur des Proletariats war und blieb ein Schreckgespenst in Deutschland. Immer wieder heißt es: Die Revolution von 1918 / 1919 wäre gar keine Revolution gewesen. Sie wäre unvollendet geblieben. Ich denke, dieses Urteil ist falsch. Die Revolution von 1918 war sehr wohl erfolgreich. Allerdings in einem längeren Zeithorizont. Die demokratischen Errungenschaften von damals leiten uns noch heute.
Und deshalb möchte ich als Präsident des Abgeordnetenhauses durchaus mit Stolz sagen: Die Wiege der Weimarer Republik stand hier im Plenarsaal des heutigen Abgeordnetenhauses. Heute tagt dort wieder ein demokratisch legitimiertes Parlament. Auch gewählt von Frauen, und mit weiblichen Abgeordneten. Wir stehen also in bester Tradition zu den Beschlüssen der Arbeiter- und Soldatenräte von 1918. Wir machen uns das leider viel zu selten klar. Deshalb können wir, so denke ich, mit Anerkennung auf die revolutionären Ereignisse von vor einhundert Jahren zurückblicken.
Was lehrt uns also die Revolution von 1918? Ich denke, es gibt eine zentrale Botschaft: Eine Demokratie lässt sich nicht verordnen. Demokratie muss gelebt werden. Nur dann kann sie bestehen. Diese geschichtliche Lehre haben wir aus den schwierigen Jahren der Weimarer Republik gezogen. Mit Erfolg, wie ich finde. Denn wir können alle stolz auf unsere heutige parlamentarische Demokratie sein.
Vielen Dank.