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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Verleihung der German Jewish History Awards

21.01.2019 18:00, Abgeordnetenhaus

Sie sind heute Abend aus ganz unterschiedlichen Regionen in Deutschland zusammengekommen: aus Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, aus Hessen, Bayern und aus Berlin. Für die meisten von Ihnen mag dies der erste Besuch im Berliner Abgeordnetenhaus sein. Daher möchte ich Ihnen umso herzlicher sagen: Willkommen! Ihr Besuch ist eine schöne Ehre für unser Haus.

Nicht allein deshalb, weil Sie die German Jewish History Awards bereichern und mit Ihren Arbeiten an die jüdische Vergangenheit in Deutschland erinnern. Sondern auch – um es mit den Worten von Margot Friedländer zu sagen – weil Sie die Zeitzeugen ersetzen, „die wir nicht mehr lange sein können“.

Die Berliner Ehrenbürgerin Margot Friedländer erhielt im vergangenen Jahr den Ehrenpreis der German Jewish History Awards für ihr Engagement in der Aufklärungsarbeit. Und ich finde, dass ihre Worte für diese Awards sprechen: „… Zeitzeugen, die wir nicht mehr lange sein können ...“

Denn es stimmt: Viele der Jüngeren haben heute niemanden mehr in ihrer Familie, der ihnen aus erster Hand über den Holocaust berichten kann. Die Geschichten, Perspektiven und Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen werden weniger. Sie werden leiser. Und sie drohen ganz zu verstummen. Wenn wir nicht jetzt zuhören. Wenn wir diese Erinnerungen nicht jetzt in die Gegenwart tragen.

Darüber hinaus ist es unsere Aufgabe, auch an Jüdinnen und Juden zu erinnern, die niemand mehr kennengelernt hat. Ihre Geschichten überhaupt erst aufzuspüren, sie greifbar zu machen, ist auch ein Teil dessen, was wir heute leisten können und sollten, um ein würdevolles Gedenken zu schaffen. Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, haben genau das getan. Mit ihren Arbeiten, Recherchen und Erinnerungsprojekten stehen Sie für das Geschehene ein und sorgen dafür, dass die Vergangenheit lebendig bleibt. Und ich finde, wir sind genau das den heute in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden schuldig.

Dabei dreht sich nicht alles um die Verbrechen an den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern zwischen 1933 und 1945. Die Juden waren immer auch Bestandteil der deutschen Kultur über die Jahrhunderte hinweg. Und dennoch bleibt eine Schuld gegenüber den vielen Jüdinnen und Juden unter den mehr als 6 Millionen Ermordeten!

Im Vergessen liegt Gefahr.

Hier im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses, dem ehemaligen preußischen Landtag, wurde 1934 der Volksgerichtshof gegründet. Ein „Gericht“, dessen Urteile vorab feststanden. Für Mitglieder der Berliner Widerstandsgruppe Rote Kapelle sowie für mehrere Tausend andere bedeuteten sie den Tod. Wenn wir das vergessen würden, dann wüssten wir nicht um das hohe Gut der Gewaltenteilung und auch nicht, dass Gleichheit vor allem auch durch die Unabhängigkeit der Gerichte ermöglicht wird!

Wenn wir vergessen würden, dass Hermann Göring das Abgeordnetenhaus zum „Haus der Flieger“ machte, um diesen Plenarsaal auch als persönlichen Veranstaltungsraum zu nutzen, während nebenan im Reichsluftfahrtministerium, dem Gebäude des heutigen Bundesfinanzministeriums, die Aufrüstung der Luftwaffe geplant wurde.

Nur kurz zur Erinnerung: Zu Zeiten der Weimarer Republik war dieser Plenarsaal ein Ort der parlamentarischen Demokratie. Er ist es heute wieder.

Man muss nicht alle politischen Meinungen im Haus teilen – auch das ist Demokratie! – und merkt doch, wie wichtig gerade auch der Streit ist. Hier vertreten Frauen und Männer, Menschen mit oder ohne Handicap, Leute mit Migrationshintergrund, Junge und Alte, Religiöse und Atheistische die Berliner Bevölkerung und ringen um die besten Lösungen für unsere Stadt. Wenn wir vergäßen, wie unser Staat ohne die offene Auseinandersetzung, ohne Meinungsverschiedenheit und ohne die Menschen in ihrer Diversität aussehen würde, dann wüssten wir nicht, warum wir uns überhaupt für Demokratie entscheiden sollten.

Wenn wir vergessen würden, dass sich gegenüber von uns am Erinnerungsort „Topographie des Terrors“ die Zentralen der Geheimen Staatspolizei, der SS und des Reichssicherheitshauptamts befanden. Bespitzelung und Repression, staatlich legitimierte Gewalt und Diskriminierung.

Wenn wir uns daran nicht mehr erinnerten, wüssten wir vielleicht auch nicht, dass die Gewährleistung von Sicherheit und Schutz für alle Menschen die Voraussetzung einer intakten und humanen Gesellschaft ist.

Hass, Terror, Mord.

Wenn wir diese Zeit in Deutschland vergessen würden, dann gäbe es nichts, was uns in Zukunft leiten kann. Die Schoha wurde in Berlin geplant und durchgeführt. Zentrale Orte befinden sich rund um dieses Haus. Daher gehört die Erinnerung auch hier her. Und wir freuen uns, dass die German Jewish History Awards in diesem Haus verliehen werden!

Meine Damen und Herren,

neben dem verantwortungsvollen Umgang mit der Vergangenheit muss unser zentrales Anliegen in der Gegenwart sein, dass Jüdinnen und Juden hierzulande in Sicherheit leben können. Das ist aktuell nicht durchgängig der Fall. Vor gut einer Woche wurde ein Mann, der eine Kippa trug, an einer S-Bahn-Station beschimpft und mit einem Stein beworfen. Und auch im vergangenen Jahr haben wir erlebt, wie ein jüdischer Restaurantbesitzer antisemitisch beleidigt wurde und ein Mann, der eine Kippa trug, verprügelt worden ist.

Wir wissen, dass die Zahl antisemitisch motivierter Angriffe in Berlin zugenommen hat. Das belegen die Zahlen der „Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus“. Auch Claudia Vanoni, die Antisemitismusbeauftragte der Berliner Staatsanwaltschaft, sagte kürzlich im Zeitungsinterview, sie habe den Eindruck, der Antisemitismus werde „lauter, unverhohlener und aggressiver“. Und das Jugendmagazin Y-Kollektiv fragte kürzlich gar, ob der Alltag ohne Antisemitismus in Berlin überhaupt möglich sei. Auf diese Frage brauchen wir eine klare Antwort. Die Frage danach, ob der Alltag in Berlin für die größte jüdische Gemeinschaft Deutschlands ohne Antisemitismus möglich sei, müssten wir mit einem klaren „Ja“ beantworten können.

Aber noch existiert hier aber keine jüdische Einrichtung ohne polizeilichen Schutz: keine Schule, kein Kindergarten und keine Synagoge. Wir sind uns im Abgeordnetenhaus einig: „Auf Berlins Straßen müssen sich Menschen ohne Angst bewegen können – auch mit Kippa oder Kopftuch.“

Das haben wir in unserer Resolution des Abgeordnetenhauses „Gegen Hass und Intoleranz“ festgehalten. Das ist unser klarer Anspruch! Sie, liebe Preisträgerinnen und Preisträger, haben auch ein Zeichen gesetzt.

Jede und jeder von Ihnen hat sich einen ganz eigenen Zugang zu der Jüdischen Vergangenheit in Deutschland verschafft und diese Geschichten weitergetragen. Durch Ihr Wirken werben Sie für Verständnis und Offenheit.

Dafür möchte ich mich bei Ihnen herzlich bedanken!

Natürlich geht mein Dank auch an die Obermayer-Stiftung, die es in diesem Jahr wieder möglich gemacht hat, die Preise zu verleihen. Ich wünsche uns allen nun einen nachdenklichen, aber vor allem auch hoffnungsfrohen Abend.

Herzlichen Dank!