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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßung des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zum Festakt "25. Jahrestag der konstituierenden Sitzung des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments nach der Wiedervereinigung der Stadt am 11. Januar 1991"

11.01.2016 11:00, Nikolaikirche

Am 6. Juli 1809 fand die feierliche Vereidigung des ersten von der neuen Stadtverordnetenversammlung gewählten Magistrats und die Amtseinführung des neuen Oberbürgermeisters von Gerlach in der Nikolaikirche statt. In dieser Tradition versammelten sich 182 Jahre später die Abgeordneten des ersten frei gewählten Gesamtberliner Parlaments nach der Wiedervereinigung zu ihrer konstituierenden Sitzung an diesem historischen Ort. Als Termin für die konstituierende Sitzung des ersten Gesamtberliner Parlaments wurde der 11. Januar gewählt, weil sich 40 Jahre zuvor erstmals ein Abgeordnetenhaus von Berlin an diesem Datum im Rathaus Schöneberg versammelt hatte. Und heute feiern wir diese Sternstunde des Parlamentarismus wieder in der ältesten Kirche der Stadt, die nicht nur als Wiege der Berliner Demokratie gilt, sondern auch den Markstein einer neuen Ära symbolisiert. Sehr geehrte Damen und Herren, noch 1806 – unter französischer Herrschaft – zeichnete sich eine Bewegung von Intellektuellen und hohen Staatsbeamten ab, die eine Reform von Staat und Gesellschaft zum Ziel hatte. Die Modernisierung des preußischen Staats war dringend geboten. Für uns alle sind damit die Namen des Reichsfreiherrn vom Stein und des Fürsten von Hardenberg verbunden, deren Denkmale auf dem Vorplatz des Abgeordnetenhauses von Berlin ihren Platz gefunden haben. Das enorme Reformwerk, das vom Stein als preußischer Staatsminister umzusetzen begann, war die Grundlage für die erste Wahl einer Stadtverordnetenversammlung und der Wahl eines Magistrats im Jahre 1809 in Berlin. Die Nikolaikirche, die heute ein Museum ist und unter Denkmalschutz steht, liegt mitten im Zentrum der Stadt zwischen Spandauer Straße, Rathausstraße, der Spree und dem Mühlendamm. Hier im Herzen der Stadt begann also für das Berliner Stadtparlament eine neue Epoche. Erstmals seit 1948 gab es wieder eine Gesamtberliner Volksvertretung! Die konstituierende Sitzung von Abgeordneten aus dem Ost- und dem Westteil war etwas Besonderes und wurde durch die Tagung in der Nikolaikirche herausgehoben, dennoch reihte sie sich als Beginn der 12. Wahlperiode in die Zählweise des bisherigen Abgeordnetenhauses im West-Teil ein. Die Abgeordneten hatten ein riesiges Arbeitspensum zu erfüllen. Nachdem die historische Stunde des Berliner Parlamentarismus um 10.00 Uhr begonnen hatte, ging es um ganz handfeste und sehr komplexe Gegenstände: So wurde die Verfassung von 1950, die  bisher nur in West-Berlin galt, modifiziert nun für ganz Berlin übernommen. Es musste eine Geschäftsordnung abgestimmt werden, die Führung des Hauses gewählt werden, allen voran die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, unsere unvergessene Hanna Laurien. Denn nach dem 3. Oktober 1990, nachdem in der neuen Mitte Berlins ausgelassen gefeiert worden war, traten schnell die Alltagssorgen der Bevölkerung in den Vordergrund, die da hießen: Arbeitslosigkeit, finanzielle Ungewissheit, Zukunftsängste. Dazu gehörte aber auch eine Verfassungsreform und der Umzug in ein neues Parlamentsgebäude. Liebe Gäste, mit dem Eintritt in eine neue Welt von Freiheit und Demokratie mussten auch die Mauern in den Köpfen niedergerissen werden. Es ist deshalb heute, nach 25 Jahren, ein ganz besonderer Grund zur Freude und zum Feiern, dass dies, wenn auch langsamer, als ursprünglich gedacht, so gut gelungen ist. Die Deutsche Einheit und die Einheit Berlins sind nach einem Vierteljahrhundert Wirklichkeit geworden. Der Traum von einem freien und demokratischen Deutschland und einer vereinten Stadt Berlin hatte sich über Nacht realisiert. Die abgewirtschaftete DDR–Diktatur war zum Einsturz gebracht worden. Heute ist die ehemalige Grenzlinie mit Mauer und Stacheldraht, mit Todesstreifen und Wachtürmen schon lange bebaut und begrünt. Und auch eine andere Vision, an die viele damals nicht mehr zu glauben wagten, hat sich erfüllt: Berlin ist nicht nur eine offene und tolerante Metropole, Berlin ist Hauptstadt und Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland. An dieser Stelle sei deshalb noch einmal ganz nachdrücklich allen gedankt, die an dem Zwei-plus-Vier-Vertrag einen Anteil hatten. Rückwirkend betrachtet waren diese Verhandlungen ein diplomatisches Meisterstück. Endlich hatte der Kalte Krieg ein Ende gefunden. Der Zwei-plus-Vier-Vertrag wurde stellvertretend der Friedensvertrag für ein souveränes Deutschland. Es begann ein glückliches Kapitel der deutschen Geschichte. Dafür werden wir immer dankbar sein. Sehr geehrte Damen und Herren, die heutigen Debatten im Abgeordnetenhaus erscheinen dem einen oder anderen gelegentlich  nicht lebendig genug. Abgeordnete der „ersten Stunde“ berichten immer wieder, dass im ersten Gemeinsamen Berliner Parlament die Diskussionen sehr viel hitziger, die Redner streitbarer gewesen sind. Den damaligen Plenardebatten wird gerne eine besondere Authentizität der parlamentarischen Arbeit zugeschrieben. Aber, sehr geehrte Kollegen und Gäste, wir dürfen nicht vergessen, es gab nun einmal diese tiefgreifenden kulturellen und sozialen Unterschiede zwischen dem Osten Deutschlands und dem Westen Deutschlands. Es gab einen gewissen Grad von Entfremdung, da musste in vielen Diskussionen – häufig auch heftiger Natur – vieles grundlegend besprochen und geklärt werden. In der parlamentarischen Erinnerungskultur jedenfalls ist der 11. Januar, den wir ja heute feiern, ein politischer Höhepunkt mit positiv besetzter Symbolik für unsere Stadt und darüber freue ich mich persönlich sehr. Sehr geehrte Damen und Herren, die Konstituierung im Januar 1991 versinnbildlichte nach über vierzig Jahren der Teilung Berlins für alle Bürgerinnen und Bürger die Zusammenführung der Stadtverordnetenversammlung und des Abgeordnetenhauses nach der demokratischen Wahl vom Dezember 1990. Noch im gleichen Jahr erhielt der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker ebenfalls hier in der Nikolaikirche die Auszeichnung als Ehrenbürger Berlins und sagte bei diesem Anlass: „Die Stadtgeschichte ist von Weltoffenheit, von Toleranz und Liberalität geprägt. Unzählige verfolgte Menschen haben hier eine neue Heimat gefunden, unsere heutigen Grundsätze von einem freiheitlichen und sozialen Rechtsstaat sind das Ergebnis einer langen und kämpferischen Entwicklung. Sie hat auf Berliner Boden neben schweren Rückschlägen entscheidende Impulse empfangen, durch große Reformer und Pioniere, durch die Kunst und den kritischen Geist, vor allem aber durch den wachen Sinn der Bevölkerung selbst.“ Lassen Sie mich an die Abgeordneten des heutigen Parlaments appellieren, die Zeiten für Reformer und Pioniere ist wieder gekommen. Sehr geehrte Damen und Herren, hinter den Berlinerinnen und Berlinern lagen 1989 mehrere Jahrzehnte unterschiedlichster Geschichtserfahrung. Das letzte Vierteljahrhundert, auf das wir heute zurückblicken, ist eine Zeit der gemeinsamen Erfahrungen. Die geteilte Stadt war ein permanenter Ausnahmezustand. Die vereinte Stadt war das lange Zeit auch. Ruinen und sanierungsbedürftige Ensemble boten den idealen Rahmen für Filmregisseure genauso wie für Clubs und die Musikszene. Das Anziehende daran: Berlin ist nie fertig, Berlin erfindet sich ständig neu. Diejenigen unter Ihnen, die schon damals dabei gewesen sind, werden es wissen: Die 241 frisch gewählten Parlamentarier mussten auf harten Holzbänken Platz nehmen. Die Einschätzung eines ungenannten Abgeordneten zu diesem Umstand ist wie folgt überliefert: „Sie (die Bänke) sind für uns ein Symbol für fünf harte Berlin-Jahre, die vor uns liegen.“ Und in der Tat, die Zusammenführung der Verwaltungen, der Aufbau Ost, all das war Schwarzbrot, kein Zuckerschlecken. Deshalb danke ich sehr herzlich den Abgeordneten der 12. Wahlperiode und unter Ihnen in ganz besonderem Maße den damaligen Kolleginnen und Kollegen aus dem Ostteil der Stadt. Denn sie haben nicht nur die immensen Veränderungen in fast allen Lebensbereichen organisieren müssen, sondern sie haben häufig ohne jede berufliche Absicherung politische Ämter übernommen. Es ist mir ein besonderes Anliegen, dem früheren Regierenden Bürgermeister Walter Momper und seinem legendären Magi-Senat Anerkennung und Hochachtung zu zollen. Zusammen mit Tino Schwierzina, der 1990 zweiunddreißig Wochen lang Oberbürgermeister von Ostberlin war, packten sie pragmatisch und mutig die großen Aufgaben gemeinsam an. Die Kernerarbeit der „ersten Stunde“ stand unter dem Motto: „Die Vereinigung der Stadt muss so schnell wie möglich, aber so behutsam wie nötig erfolgen.“, so Tino Schwierzina. Im dann geeinten Berlin, in der 12. Wahlperiode, lag die Verantwortung bei dem damaligen Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen und seinem Senat, diese Herkulesaufgabe zu meistern. Herzlichen Dank dafür! Liebe Gäste, ich stelle immer wieder fest, dass das offizielle staatliche Feiern in Deutschland auch bei eigentlich schönen Anlässen ein gewisses Defizit an fröhlichen Emotionen aufweist. Deshalb habe ich für die heutige Feierstunde auch Musik und Texte ausgewählt, die auch das Herz ansprechen. Denn: Wir dürfen uns freuen. Wir dürfen feiern! Ich bedanke mich herzlich beim Stadtmuseum und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für die große Unterstützung dieses stadtpolitischen Ereignisses. Ich bedanke mich bei der Universität der Künste und bei der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch für das hohe Engagement zum heutigen Tag. Ich freue mich, dass Sie alle meiner Einladung zu dieser Feierstunde gefolgt sind. Herzlich willkommen!