Begrüßungsansprache der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld anlässlich der Einbürgerungsfeier
23.11.2023 18:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Mittlerweile ist es eine gute Tradition im Berliner Abgeordnetenhaus, die Einbürgerung mit Ihnen zusammen im Festsaal unseres Hauses zu feiern. Ich freue mich immer sehr auf diesen Moment. Seien Sie also herzlich willkommen in Ihrem Berliner Parlament. Es ist schön, dass Sie da sind.
Ich freue mich aber auch sehr, dass heute Abend unser Kultursenator Joe Chialo bei uns ist. Er hält heute den Festvortrag, auf den ich schon sehr gespannt bin. Er ist eigentlich Musikmanager und Autor und wuchs in einer tansanischen Diplomatenfamilie auf. In seinem Buch „Der Kampf geht weiter“ schildert er sein Aufwachsen zwischen zwei Kulturen – der deutsch-europäischen und der tansanisch-afrikanischen.
Ich denke darüber, welche kulturellen Erfahrungen damit verknüpft sind, dazu werden wir heute einiges von ihm hören. Zu Joe Chialo gehört: Er steht für Offenheit und Toleranz, für Empathie und christliche Werte, die es zu verteidigen gilt! Seien Sie nochmals herzlich willkommen bei uns im Abgeordnetenhaus, Herr Senator.
Liebe Neubürgerinnen, liebe Neubürger,
sich für eine neue Staatsbürgerschaft zu entscheiden, ist ein großer Schritt. Dabei geht es nicht nur um den Status und Pass. Sie alle bringen Kindheitserinnerungen mit, lieben Ihre landestypischen Speisen, tragen die Bilder von heimischen Landschaften in sich und hören den vertrauten Klang Ihrer Muttersprache. Das alles hat Sie geprägt und wirkt nach.
Ich persönlich habe nie in zwei Kulturen gelebt. Deshalb finde ich es sehr bemerkenswert und freue mich, dass Sie sich für die deutsche Staatsbürgerschaft und damit für ein Leben in Deutschland entschieden haben. Aber was mir besonderen Respekt abverlangt: Sie zeigen klar auf, dass Integration möglich ist, wenn alle Beteiligten sie aus Überzeugung anstreben.
Sie alle bringen auch Ihre individuellen Lebensgeschichten mit. Dass Sie sich für die deutsche Staatsbürgerschaft entschieden haben, ehrt uns. Ihre Wahl ist auch ein Vertrauensvorschuss in unsere demokratischen Werte und in die Art, wie wir diese Werte in der Praxis leben. Dabei beruht das Vertrauen, das Sie uns schenken, auf Gegenseitigkeit. Wir sind unsererseits sicher, dass wir - jenseits formaler Kriterien - eine gute Entscheidung getroffen haben, Sie einzubürgern.
Das unterscheidet Sie wohltuend von all denjenigen, die unsere Demokratie in zunehmendem Maße ablehnen und ein Leben in einer Parallelwelt bevorzugen. Der Wert einer freiheitlichen Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit. Das haben wir Deutschen leidvoll in zwei Diktaturen erfahren müssen. Unser demokratisches Grundgesetz ist daher nicht nur ein Blatt Papier. Es ist die Essenz jeglicher Ablehnung totalitärer Einstellungen.
Zu Ihrer Entscheidung, Deutsche zu werden, stehen wir und Sie. Mit dieser Entscheidung sind Sie nicht nur Bürgerinnen und Bürger Deutschlands. Viele von Ihnen werden auch erstmals Teil der Europäischen Union. Sie haben nun Zugang zu einem Arbeitsmarkt mit 500 Millionen Arbeitnehmern. Und Sie haben Reisefreiheit innerhalb der Union - und das wird so bleiben!
Meine Damen und Herren,
in Europa erleben wir seit bald zwei Jahren einen Krieg, einen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Damit wird auch die europäische Friedensordnung, die seit 1990 galt, infrage gestellt. Es versteht sich von selbst, dass wir in Deutschland das Selbstbestimmungsrecht der Ukrainerinnen und Ukrainer unterstützen. Es kann nicht sein, dass das Großmachtstreben einer Nation dazu führt, den gesamteuropäischen Friedensprozess zu unterlaufen.
Doch wenn der Angriffskrieg gegen die Ukraine eines gezeigt hat: Europa lässt sich von Russland nicht spalten. Im Gegenteil: Der Krieg hat Europa enger zusammen gebracht, mehr als je zuvor. Das Völkerrecht und die Menschenrechte sind und bleiben der Anker im geeinten Europa. Sie werden verteidigt, wenn es sein muss auch militärisch.
Ein anderes Thema, dass uns in Europa nach wie vor beschäftigt, sind die Fluchtbewegungen in Richtung unseres Kontinents. Ich denke, Deutschland hat sich im europäischen Konzert immer wieder sehr angestrengt, um Kriegsflüchtlinge und auch Asylbewerberinnen und Asylbewerber aufzunehmen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass wir nicht die neue Heimat von allen Geflüchteten weltweit werden können.
Gerade wir in Berlin merken es sehr deutlich, dass auch unsere Stadt an Grenzen der Aufnahmefähigkeit stößt. Und deshalb müssen wir politisch von Seiten der Bundesregierung viel mehr steuernd in die Zuwanderung eingreifen. 112000 unerlaubte Einreisen allein in diesem Jahr sind eindeutig zu viel.
Wir waren erschüttert, als die Raketen der Hamas am 7. Oktober auf Israel gefeuert wurden. Geschockt sind wir auch von der Geiselnahme unschuldiger Menschen durch die Terroristen. Es wird immer unsere Politik sein, Israel und die jüdischen Menschen zu unterstützen. Das ist unsere historische Verantwortung gegenüber den Jüdinnen und Juden. Niemand kann uns Deutschen die Last abnehmen, die mit dem Holocaust sich aufgetürmt hat. Dieser Vergangenheit kann niemand in Deutschland entgehen.
Die Dimension dieses Verbrechens mit sechs Millionen ermordeten Jüdinnen und Juden ist einmalig und zwingt uns, demütig zu sein. Doch das ist es nicht allein: Das Bekenntnis zu dieser historischen Verantwortung ist auch die Grundlage dafür, dass in Deutschland jeglicher Antisemitismus nicht toleriert wird.
Meine Damen und Herren,
wenn es eine Stadt in Europa gibt, in der die Freiheit erbittert umkämpft war, dann war das Berlin. Und so steht Berlin bis heute – und wahrscheinlich noch für längere Zeit – für den modernen Freiheitswillen in Europa. Das macht die Faszination Berlins aus – bei jungen und bei den älteren Menschen. Der Mauerfall im November 1989 war hierfür das Symbol schlechthin.
Wer nach Berlin kommt – und im Moment streben sehr viele Menschen neu nach Berlin -, der kommt auch hierher, weil diese Stadt Freiheit lebt.
Die Berliner Bevölkerung wächst stetig. Darüber sind wir froh. In absehbarer Zeit wird Berlin vermutlich vier Millionen Einwohner haben. Die Stadt zieht Menschen aus vielen Berufen an - Wissenschaftler, Handwerker, Pflegekräfte, Unternehmensgründer, Künstler und IT-Experten.
Sie kommen nicht nur aus allen Weltteilen, sondern auch aus anderen deutschen Bundesländern und aus Europa. Und viele von denen, die kommen, bleiben. So wie Sie auch. Und wenn dann viele sich so wohl fühlen und sich mit Berlin und unserem Land identifizieren, dass Sie unsere Staatsbürgerschaft annehmen, dann macht uns das stolz. Eine wachsende Stadt entfacht nämlich eine aufstrebende Dynamik, die uns allen zugutekommt.
Meine Damen und Herren,
für den Einzelnen ist die Einbürgerung ein besonderes Ereignis, das wir heute entsprechend würdigen wollen. Für unsere Gesellschaft ist sie Normalität geworden.
In Berlin leben heute Menschen aus etwa 180 Nationen. In den vergangenen zehn Jahren hat Berlin fast 70.000 Menschen eingebürgert. Wer in Berlin und Deutschland eine Migrationserfahrung in seinem Lebenslauf hat, gehört also keiner kleinen Minderheit an und sollte sich auch nicht so fühlen.
Aber es stimmt: Die deutsche Staatsbürgerschaft ist eine Voraussetzung dafür, dass wir rechtlich auf Augenhöhe leben. Mit ihr können Sie nun Wahlen beeinflussen und für Themen Mehrheiten suchen.
Sie können politische Ämter bekleiden und als Beamte hoheitliche Aufgaben in Polizei oder Justiz übernehmen. Machen Sie von diesem Recht Gebrauch. Und lassen Sie sich als Bürger und Bürgerinnen in die Pflicht nehmen - in der Nachbarschaft, bei der Arbeit, in einem Verein oder auch in der Politik.
Berlin braucht Frauen und Männer mit Ideen und Energie. Wer mehrere Sprachen spricht und sich in verschiedenen Kulturen auskennt, ist als Fachkraft in Betrieben und Unternehmen genauso begehrt wie als Erzieher oder Lehrer oder als Mitarbeiter in Behörden. Die Erfahrung, die Einwanderer mitbringen, ist für viele Aufgaben in der Verwaltung wertvoll. Außerdem ist der Öffentliche Dienst ein guter, ein sicherer Arbeitgeber.
Meine Damen und Herren,
jede Veränderung, die ein Mensch anstrebt, beginnt mit einem Gedanken. Niemand muss und sollte seine Herkunft verleugnen, Aber woanders heimisch zu werden, heißt auch, sich wohlzufühlen und in einer Gesellschaft anzukommen, die für einen selbst wichtig geworden ist. Und es bedeutet, die Werte dieser Gesellschaft zu teilen und zu leben.
Ich wünsche Ihnen nun, dass Sie sich in Berlin, in Deutschland und in Europa immer zuhause fühlen. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich zu Ihrer Einbürgerung und heiße Sie in Ihrem Berliner Abgeordnetenhaus willkommen.
Vielen Dank.