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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland bei der Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille

10.05.2017 18:00, Plenarsaal

In diesem Jahr zeichnen wir eine herausragende Persönlichkeit aus, die mit ihrem überragendem wissenschaftlichen, aber auch politischem Engagement  in besonderem Maße dem Vermächtnis Louise Schroeders entspricht.   Sie, sehr geehrte Frau Professorin Hausen, haben sich Ihr Leben lang für die Gleichstellung von Frauen in Politik und Gesellschaft eingesetzt und waren eine der ersten Forscherinnen überhaupt, die zur Geschlechtergeschichte lehrte und veröffentlichte. Ihr Engagement war immer verbunden mit der Ausgestaltung von Demokratie, mit dem Streben nach sozialer Gerechtigkeit. Dafür möchten wir uns heute mit der Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille bei Ihnen bedanken.   Sie stehen mit Ihren wissenschaftlichen Arbeiten durchaus in der Tradition Louise Schröders, die vor 130 Jahren, am 2. April 1887, in einem sozialdemokratischen Milieu in Altona geboren wurde. Schon früh begleitete sie ihren Vater in die Männerwelt der Parteiveranstaltungen. Zwar hatte die SPD als Arbeiterpartei einen durchaus emanzipatorischen Anspruch, dennoch sahen sich auch dort Frauen allerlei Barrieren und Hemmnissen ausgesetzt. Mit Talent und Überzeugungskraft, mit Kärrnerarbeit in der Gewerkschaftsbewegung und hoher Beharrlichkeit im Beruf setzte sich Louise Schroeder in der Männerdomäne Politik durch. Sie wurde 1919 als eine der ersten Frauen gewählte Volksvertreterin.   Mit 32 Jahren zog sie als Abgeordnete Schleswig-Holsteins in den Reichstag ein und gleichzeitig ins Altonaer Stadtparlament. Im Reichstag setzte sie sich vor allem für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen für Frauen ein. Das Mutterschutzgesetz des Jahres 1927 ging vorrangig auf ihre Initiative zurück. Als eine der ersten Forscherinnen zur Geschlechtergeschichte befasste sich auch unsere heutige Preisträgerin mit dem Arbeiterinnen- und Mutterschutz.   Die Louise-Schroeder-Medaille wird heute zum 19.  Mal verliehen. Die höchste frauenpolitische Auszeichnung Berlins ist 1998 auf Anregung der frauenpolitischen Sprecherinnen aller Fraktionen geschaffen worden. Die Medaille stellt das weibliche Pendant zur Ernst-Reuter-Plakette dar. Die bronzene Münze steht als Symbol für die Ehrung und Anerkennung von Persönlichkeiten und Institutionen, die dem politischen und persönlichen Vermächtnis Louise Schroeders in außerordentlicher Weise Rechnung tragen. Die Medaille zeigt auf der Vorderseite das Bildnis von Louise Schroeder mit einem wachen Blick und in zugeneigter Kopfhaltung. Der Künstler hat die Politikerin gut charakterisiert, die sich lebenslang den Menschen und ihren Problemen zugewandt hat, aber nicht mitleidend, sondern auf Veränderungen bedacht. Auf der Rückseite der Medaille steht eine verkürzte Fassung des folgenden Zitats von Louise Schroeder aus dem Jahr 1955, ich zitiere:   „Wenn ich als Frau eine besondere Aufgabe erfüllen konnte, so war es die, die Menschen einander näher zu bringen, ihre Abneigung gegen die Diktatur zu stärken und ihnen zu helfen soweit möglich.“   Unsere diesjährige Preisträgerin Karin Hausen wurde vom Kuratorium Louise-Schroeder-Medaille einstimmig vorgeschlagen. Das Präsidium des Abgeordnetenhauses von Berlin ist dieser Empfehlung einmütig und mit großer Freude gefolgt. Mein Dank gilt an dieser Stelle den Mitgliedern des Kuratoriums Louise-Schroeder-Medaille für die geleistete Arbeit und die getroffene Auswahl. Mit dieser Ehrung und Danksagung an unsere großartige Preisträgerin Karin Hausen verbinden wir das Gedenken an die Namensgeberin Louise Schroeder – eine ebenfalls außergewöhnliche Frau.     Bis 1933 kämpfte sie gegen den Nazi-Terror und kritisierte die nationalsozialistische Propaganda, bis sie schließlich mundtot gemacht und kaltgestellt worden war. Unvergessen bleibt auch ihre Rolle in der SPD-Reichstagsfraktion am Tag der Verabschiedung des sogenannten Ermächtigungsgesetzes am 23. März 1933. Es war die Sitzung, auf der das sogenannte Ermächtigungsgesetz gegen die Stimmen der Sozialdemokraten beschlossen wurde. Es war die Sitzung, mit der sich das Parlament selbst entmachtete, weil Hitlers Regierung „ermächtigt“ wurde, Gesetze ohne Zustimmung des Parlaments zu erlassen. Es war die Sitzung, mit der die parlamentarische Demokratie in Deutschland abgeschafft wurde.Und es war die Sitzung, auf der Otto Wels, der Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD, die berühmte Ablehnungsrede hielt. Eine Rede, die ein rhetorisch eindrucksvolles Bekenntnis zur Demokratie in Deutschland war.   Wir haben es vor allem Louise Schroeder zu verdanken, dass Otto Wels überhaupt diese Rede halten konnte. Schon längst wurden die politischen Gegner von den Nationalsozialisten verfolgt, eingesperrt oder ermordet. Kommunisten, auch viele Sozialdemokraten waren darunter. Angst und Schrecken herrschten damals in Deutschland und es war keineswegs sicher, dass die Gegner des Ermächtigungsgesetzes die Reichstagssitzung in der Kroll-Oper wieder unversehrt  und lebend verlassen könnten. Diese Angst beherrschte auch die Atmosphäre in der Fraktionssitzung der SPD vor der denkwürdigen Reichstagssitzung. Viele Abgeordnete sprachen sich angesichts der Bedrohung dafür aus, der Sitzung fern zu bleiben, sie zu boykottieren. Doch dann ergriff Louise Schroeder das Wort in dieser Fraktionssitzung.   Ich möchte kurz zitieren, was sie sagte:   „‚Ich sage Euch, ich gehe, und wenn Sie mich drüben in Stücke reißen.“   Ich denke, wir können alle heute gar nicht mehr ermessen, welcher Mut nötig war, um sich so klar zu positionieren. Aber das macht eben sehr starke Persönlichkeiten aus – und darüber gibt es keinen Zweifel: Louise Schroeder war fürwahr eine sehr, sehr starke Frau – eine Leitfigur, die immer geerdet blieb, weil sie wusste, was sie wollte und konnte und wofür sie einstand. Dafür haben die Menschen sie geachtet und auch verehrt. Und das zu Recht.   Der ehemalige Reichstagspräsident Paul Löbe sagte über Louise Schroeder:   “Der warme Ton ihrer Rede, gepaart mit logischen Verstand, verschafften Louise Schroeder im alten Reichstag stets das Ohr des Hauses und sicherte damit die erste Beachtung ihrer Beweisführung.“   1945 war sie eine der Frauen der ersten Stunde, die den Wiederaufbau Berlins energisch in Angriff nahmen.   1949 wurde sie als Mitglied in den Deutschen Bundestag gewählt und blieb Abgeordnete bis zu ihrem Tod vor 60 Jahren - am 4. Juni  1957.   Der Name Louise Schroeder ist mit dem Einsatz für Demokratie, soziale Gerechtigkeit und für die Teilhabe von Frauen an der Politik untrennbar verbunden. Unsere Stadt Berlin hat sie deshalb zu Recht zur Ehrenbürgerin ernannt und ihr als Namensgeberin der heute zu verleihenden Medaille eine bleibende Würdigung zuteilwerden lassen. Sie selbst  wurde vor sechs Jahrzehnten – am 2. April 1957 – Ehrenbürgerin der Stadt Berlin.   Meine Damen und Herren, das Abgeordnetenhaus von Berlin hat zum bleibenden Andenken an Louise Schroeder eine Medaille gestiftet. Die Louise-Schroeder-Medaille wurde von 1998 an durch den Senat verliehen. Im Jahre 2003 wurde das Stiftungsrecht auf Wunsch des Parlaments vom Regierenden Bürgermeister an das Abgeordnetenhaus übergeben. Seither wird - wie im Beschluss des Abgeordnetenhauses von Berlin vom 12. September 2002 festgelegt -  in jeder Wahlperiode ein Kuratorium Louise-Schroeder-Medaille eingesetzt, das dem Präsidenten seinen Vorschlag für die Ehrung vorlegt.   Meine Damen und Herren, die Arbeiten zur Frauen- und Geschlechterforschung und die Frauenförderung weit über Berlin hinaus sind das bleibende Vermächtnis von Karin Hausen. Faire Chancen für Männer und Frauen sind zweifelsohne auch im Jahre 2017 ein gesellschaftspolitisches Thema von hohem Rang.   Ganz im Sinne von Louise Schroeder und Karin Hausen muss das politische Ziel sein, dass Frauen und Männer ihr Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten können und keine Rollenzwänge sie einengen.  Der soziale Zusammenhalt unserer Gesellschaft, die Frage der sozialen Gerechtigkeit, hängt in nicht unerheblichem Maße davon ab. Politik muss deshalb beständig an dieser großen Aufgabe arbeiten.   Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.