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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Preisverleihung der German Jewish History Awards

27.01.2020 18:00, Abgeordnetenhaus

Der heutige Tag ist – im wahrsten Sinne des Wortes – ein denkwürdiger Tag. Genau vor 75 Jahren wurde das Konzentrationslager Auschwitz von Soldaten der Roten Armee befreit. Auch wenn der Krieg damals am 27. Januar 1945 noch nicht zu Ende war. Dieser Gedenktag besitzt Symbolkraft, weil er die barbarischen Verbrechen der Deutschen an Jüdinnen und Juden in Deutschland und Europa ins Zentrum des Gedenkens rückt. Und wir halten bis heute inne und fragen nach den Gründen für diesen Kollektivmord an über 6 Millionen Jüdinnen und Juden.

Leider ist das aktuell in Deutschland wieder zwingend erforderlich. Nicht nur im Alltag, oder im Internet, überall nehmen antisemitische Ausfälle, Verbrechen und Terrorakte in Deutschland zu. Wir Demokraten werden also neu herausgefordert. Das müssen und werden wir ernst nehmen. Denn anders als in den zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts heißt es für uns: Wehret den Anfängen! Und zwar konsequent. Mit all dem Leid, das wir Deutsche im Rahmen der nationalsozialistischen Diktatur anderen Menschen zugefügt haben, in gegenwärtigen Zeiten Geschichtsklitterung zu betreiben, verbietet der Anstand eigentlich von selbst. Sollte man denken. Doch so einfach ist es nicht.

Inzwischen haben sich wieder rechtsextremistische Netzwerke gebildet, von denen eine große Gefahr – auch für Juden – ausgeht. Der Anschlag auf die Synagoge von Halle hat uns allen das sehr deutlich gemacht. Nein, der Antisemitismus ist nicht aus Deutschland verschwunden. Er ist mitten unter uns. Wir als Gesellschaft sind deshalb aufgerufen, diese Entwicklung ernst zu nehmen, nicht zu verharmlosen. Der heutige Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus soll auch das unterstreichen.

Dabei kann es nicht darum gehen, allein Schuldgefühle auszulösen. Es geht auch darum, den Wert der heutigen garantierten Freiheit in unserer Gesellschaft zu betonen. Einer Freiheit, die die Menschen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht hatten. Und die unzähligen Opfer schon gar nicht.

Ja, der 27. Januar bleibt für immer ein Tag der Besinnung. Für uns im Abgeordnetenhaus ist der heutige Tag aber auch ein Tag der Freundschaft. Ich meine unsere Freundschaft zur Obermayer Stiftung. Sie währt nun schon fast zwanzig Jahre. So lange kooperieren die Stiftung und das Berliner Parlament bei der Verleihung der German Jewish Obermayer Awards. Und ich bin dankbar, dass wir seit 2002 jedes Jahr hier im Abgeordnetenhaus Menschen oder Initiativen auszeichnen, die sich um die historische Erforschung der jüdischen Geschichte und Kultur verdient gemacht haben.

Damit machen wir vor allem eines deutlich: das jüdische Leben gehörte schon immer zu Deutschland. Vor allem aber wird klar: Unser Zusammenleben kann nicht nur auf den Holocaust reduziert werden. Das war auch der Ansatz von Arthur Obermayer, dem Gründer der Stiftung, für die Auslobung der Preise. Es ist schade, dass Arthur Obermayer nicht mehr unter uns ist.

Gleichzeitig bin ich aber froh, dass Sie, liebe Judith Obermayer, auch in diesem Jahr wieder nach Berlin gekommen sind, um an der Preisverleihung teilzunehmen. Sie und Ihre Söhne Henry und Joel führen das Werk Ihres Mannes fort. Und darüber freuen wir uns sehr. Vielen, vielen Dank dafür.

Heute steht nun die 20. Verleihung der Awards an. Wegen des Jubiläums gibt es auch Sonderpreise. Deshalb werden wir heute mehr Preisträgerinnen und Preisträger auszeichnen als sonst. Ihnen, die heute ausgezeichnet werden, möchte ich gratulieren. Es sind in diesem Jahr wieder beeindruckende Arbeiten eingereicht worden. Nicht alle können honoriert werden. Und dennoch möchte ich allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ganz herzlich für ihre historiographische Arbeit oder für ihren kulturellen Beitrag danken.

Ohne Frage: die German Jewish History Awards zollen auch der modernen lokalen Geschichtsforschung Anerkennung, sofern sie einen Bezug zur jüdischen Geschichte und Kultur aufweist. Diese Auszeichnung fördert damit eine lange Tradition deutscher Geschichtsschreibung und Geschichtsforschung, die ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert hat. Dass die Obermayer-Stiftung diese Entwicklung jedes Jahr aufs Neue unterstützt, ist bemerkenswert und verdient unser aller Anerkennung.

Meine Damen und Herren, die kulturelle Erinnerungsarbeit – sie trägt uns durch lange Zeiten. Aber sie prägt uns auch. Natürlich: Geschichte wiederholt sich nicht. Aber wir können aus ihr lernen. Und sie mahnt uns. Heute am 27. Januar im Besonderen: Lassen wir also nie wieder zu, dass Deutsche elementare Grundrechte und Menschenrechte mit Füßen treten. Lassen wir nie wieder zu, dass wir Deutsche einem menschenverachtenden Unrechtsstaat huldigen. Und lassen wir nie wieder zu, dass der Antisemitismus in Deutschland eine herrschende Ideologie wird.

Ich danke Ihnen.