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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Verabschiedung von Professor Andreas Nachama

02.12.2019 17:00, Abgeordnetenhaus

Die meisten Menschen leben in ihrer Zeit. Einige vielleicht auch nur mit ihrer Zeit. Und dann gibt es immer wieder Menschen, die prägen ihre Zeit. Sie, verehrter Herr Professor Nachama, haben die Geschichtsarbeit in und über Berlin in der Tat stark beeinflusst. Und deshalb freue ich mich, dass Ihre Verabschiedung als Direktor der Topographie des Terrors hier bei uns im Berliner Abgeordnetenhaus stattfindet.

Ich heiße Sie und alle Ihre Gäste ganz herzlich willkommen im Berliner Abgeordnetenhaus. Wir im Parlament haben ein großes Interesse daran, dass die Verbrechen, die durch den NS-Staat veranlasst und bestialisch umgesetzt wurden, nicht in Vergessenheit geraten. Lieber Herr Professor Nachama, Ihr wissenschaftliches Engagement und Ihre historischen Arbeiten haben mit dazu beigetragen, dass unser parlamentarisches Anliegen auch in der gelebten Wirklichkeit ankommt. Das ist heute wichtiger denn je. Leider scheint der menschenverachtende Rechtsextremismus wieder salonfähig zu werden. Dem müssen wir entschiedener entgegen steuern – auch und im Besonderen durch geschichtliche Aufklärung. Und das gilt vor allem mit Blick auf den spürbar zunehmenden Antisemitismus in unserer heutigen Gesellschaft, der so viel wieder gewonnenes Vertrauen zerstört. Diese geschichtliche Aufklärung – das war auch immer Ihr Anliegen, Herr Professor Nachama. Der Drang dorthin hat sich schon in Ihrer Jugend gezeigt. Als Kind jüdischer Eltern erfuhren Sie durch Familiengespräche, was Ihre Mutter und Ihr Vater während der NS-Diktatur erlebt hatten. Aber auch was anderen Familienmitgliedern widerfuhr. Nicht alle überlebten, so wie Ihre Eltern. Und wie stark Ihr Hang zur historischen Aufklärung war, lässt sich eben auch sehr gut an Ihrem Entschluss ablesen, die Geschichte als Studienfach zu wählen. Sie haben Ihren Weg als Historiker gemacht. Sowohl in der Forschung und Lehre, aber eben auch in der öffentlichen Geschichtsvermittlung.

Insofern ist auch das Geschichtsprojekt „Topographie des Terrors“ direkt und unmittelbar mit Ihrer Geschichtsarbeit verbunden. Es ist ein Großteil Ihres Lebens. Und es ist ein sehr erfolgreiches Projekt geworden. Davon zeugen nicht zuletzt die jährlich 1,4 Millionen Besucherinnen und Besucher, die zu Ihnen kommen. Also, da kann man als Nachbar durchaus neidisch werden. Lassen Sie mich noch kurz skizzieren, weshalb historische Aufklärer, wie Professor Nachama, so wichtig sind für unsere Gegenwart. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk Kultur über den Aufstieg der NSDAP vertraten Sie, Herr Professor Nachama, die Ansicht, dass die NSDAP sich im Laufe der 20er-Jahre zu einer modernen Volkspartei entwickelte. Dabei hoben Sie zwei Dinge besonders hervor. Zum einen das sehr vielfältige inhaltliche Angebot der NSDAP an verschiedene Bevölkerungsgruppen – Angebote übrigens, die sich oft widersprachen. Da wurden Versprechungen gemacht, die einander ausschlossen.

Und zum anderen verwiesen Sie in dem Interview auf die moderne Wahlkampfführung des NSDAP: den Einsatz von Lautsprechern und Mikrofonen bei Veranstaltungen, der Wahlkampf aus der Luft mit Flugzeugen, die Plakatgestaltung und der Besitz von Zeitungen. Natürlich: Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Aber Ihr Interview zeigt mir, dass wir heute durchaus Parallelen beobachten können. Aber es macht auch sehr deutlich, wie sehr die geschichtliche Betrachtung aufklärerisch wirken kann. Aufklärerisch in dem Sinne, doch einmal in der Gegenwart zu schauen, was sich hier entwickelt, und ob es nicht historische Parallelen gibt. Mehr kann Geschichtsarbeit nicht bewirken, aber sie ist so wichtig, weil sie sensibel macht. Insofern ist Ihr Interview, lieber Professor Nachama, ein Paradebeispiel für historische Aufklärung, die immer auch in die Gegenwart hineinwirken sollte. Sehr geehrter Herr Professor Nachama, ich persönlich wünsche Ihnen nun für Ihren weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute. Und ich würde mich freuen, wenn Sie sich neben Ihrem religiösen Engagement auch weiterhin um die historische Aufklärung kümmern würden. Menschen wie Sie braucht unsere Demokratie.

Vielen Dank und nochmals: Herzlich willkommen im Berliner Abgeordnetenhaus, heute und natürlich zukünftig immer wieder gern!