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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsansprache des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Veranstaltung "Berlin 1948 - Frontstadt im Kalten Krieg"

26.09.2018 19:00, Abgeordnetenhaus

Ich darf Sie zunächst alle zusammen ganz herzlich im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen. Es ist schön, dass der Berliner Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur eine seiner Veranstaltungen zum Thema „Berlin1948. Frontstadt im Kalten Krieg“ hier im Berliner Landesparlament durchführt. Dafür gibt es ja durchaus einen guten Grund. Es geht heute auch um den Sturm auf das Stadthaus am 6. September 1948. Im Neuen Stadthaus tagte damals die Stadtverordnetenversammlung Berlins, die bekanntlich 1946 von allen Berlinerinnen und Berlinern gewählt wurde. Und so lässt sich sagen: Die gemeinsame Stadtverordnetenversammlung war der Vorläufer des heutigen gemeinsamen Abgeordnetenhauses.

An diesem Punkt lässt sich also eine stadthistorische Brücke schlagen, die in die heutige Zeit weist. Fachlich versierte Kenner der unmittelbaren Nachkriegsgeschichte werden uns heute durch den hoffentlich erkenntnisreichen Abend führen. Denn in der Tat: Das Jahr 1948 war ein Schicksalsjahr für Berlin. Die Viermächteverwaltung der Stadt kam ins Stocken. Der sowjetische Vertreter in der Alliierten Kommandantur wurde bereits im Juni des Jahres zurückgezogen. Damit war die gemeinsame Oberaufsicht der vier Siegermächte über die Stadt infrage gestellt. Anlass zu diesem Schritt gab, wie wir wissen, die Entscheidung der westlichen Alliierten, in den Westsektoren Berlins die D-Mark einzuführen. Das brachte Stalin dazu, die Verkehrs- und Transportwege in die westlichen Sektoren abzuriegeln, so dass der Westen Berlins nur noch aus der Luft versorgt werden konnte. Ein erster Eskalationshöhepunkt des Kalten Krieges in Berlin war gesetzt.

Für diejenigen, die damals schon lebten, ist diese erste große Berlin-Krise ein geradezu traumatisches Erlebnis. Andererseits, das war ein wichtiger, positiver Zweiteffekt, rückten die westlichen Besatzungsmächte und die Bevölkerung in den westlichen Sektoren ganz eng im Überlebenskampf zusammen. Wir können daher immer noch sagen: Damals wurde zwischen Berlin, Washington, Paris und London eine tiefe Freundschaft begründet, die bis heute anhält. Die Luftbrücke zeigte der Welt: Wir lassen die Menschen in Berlin nicht im Stich und wir bieten dem Kommunismus die Stirn. Dieses Ereignis wurde zum Signal für die Welt.

Deutlich wurde aber auch allen Zeitgenossinnen und Zeitgenossen: Die kommende Weltordnung ließ sich nur noch bipolar verstehen. Auch auf der kommunalen Berliner Ebene standen die Zeichen der Zeit auf Konfrontation. Bei der freien Wahl zur Stadtverordnetenversammlung am 20. Oktober1946 hatte die SED eine krachende Niederlage erlitten. Lediglich 20 Prozent votierten für die Ulbricht-Partei. Aber fast die Hälfte der Wählerinnen und Wähler gaben der SPD die Stimme. Das wurde – wohl vollkommen zu Recht – von der SED als Ausdruck einer antikommunistischen Grundstimmung der Berliner Bevölkerung gewertet. Trotz aller Anstrengungen der Funktionäre der SED, der Partei einen demokratischen Anstrich zu geben – diese Strategie ging nicht auf. Und so griffen die Kommunisten nach und nach zu rabiateren Methoden, um ihren politischen Willen durchzusetzen.

Auch vor dem Mittel der Gewalt machten sie nicht Halt, wie im Jahr 1948 die ständigen Störungsversuche der parlamentarischen Arbeit im Neuen Stadthaus durch kommunistische Demonstrationen am Gebäude deutlich machten. Es waren aber keineswegs nur formal-ideologische Gründe, die die Kommunisten in Alarmstimmung versetzten. Die Fraktionen der SPD, CDU und LDP hatten nämlich am 18. August 1948 beschlossen, dass sich die Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin an den Arbeiten des Parlamentarischen Rates beteiligen solle. Eine Delegation aus fünf Vertretern der Stadtverordnetenversammlung sollte an den Beratungen zum Grundgesetz in Bonn teilnehmen. Verbunden war damit die Hoffnung der demokratischen Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung, dass Berlin bei der Wiederherstellung der politischen und wirtschaftlichen Einheit Deutschlands nicht außen vor bliebe.

Berlin sollte, wie Jakob Kaiser es formulierte, an einer „gesamtdeutschen Lösung beteiligt sein, zugleich als Treuhänder für die Ostzone“. Allerdings: Die fünf Vertreter der Berliner Delegation mussten noch gewählt werden. Und eben das versuchte die SED mit ihren gewaltbereiten Anhängern zu verhindern. Sie sah in der Teilnahme Berlins an den Beratungen des Parlamentarischen Rates einen Akt der Spaltung.Zur Wahl der Berliner Delegierten kam es in den Sitzungen der Stadtverordnetenversammlung im Neuen Stadthaus nicht mehr. Die Störaktionen waren zu massiv. Diese Blockade des Stadtparlaments wollten die demokratischen Parteien nicht länger akzeptieren, zumal es äußerst handgreiflich zuging und die Stadtverordneten nicht mehr sicher waren.

Stadtverordnetenvorsteher Otto Suhr von den Sozialdemokraten zog daraus in der Sitzung des 6. September die einzig sinnvolle Konsequenz: Er ordnete den Umzug der Stadtverordnetenversammlung in den britischen Sektor an. Noch am selben Tag setzte die Stadtverordnetenversammlung die Sitzung provisorisch im Studentenhaus am Steinplatz fort. Jetzt konnten die Stadtverordneten Jakob Kaiser, Paul Löbe, Hans Reif, Ernst Reuter und Otto Suhr zu Delegationsvertretern Berlins im Parlamentarischen Rat wählen.

Otto Suhr brachte das politische Motiv der Beteiligung Berlins an den Beratungen zum Grundgesetz auf den Punkt: Berlin sei „das Unterpfand der Einheit bei allen Verhandlungen über die Zukunft Deutschlands.“

Und: „Berlin wird in dem kommenden Bund der Platzhalter für den ganzen Osten sein.“

Das war ein klares Plädoyer für die Westbindung des ganzen Berlin. Und das war für die SED völlig inakzeptabel. Es war für die Partei so inakzeptabel, dass sie vor Gewaltaktionen gegenüber frei gewählten Volksvertreterinnen und Vertretern Berlins nicht zurückschreckte. Wie gewalttätig die Demonstranten vor dem Neuen Stadthaus vorgingen, macht das Beispiel der sozialdemokratischen Stadtverordneten Jeanette Wolff deutlich.

Als Jüdin litt sie schon unter der nationalsozialistischen Verfolgung. Ihre jüngste Tochter kam ins KZ Ravensbrück, wo sie 1944 erschossen wurde. Auch ihr Mann kam infolge des Novemberpogroms 1938 ins KZ, zunächst nach Sachsenhausen. Jeanette Wolff selbst und zwei ihrer Töchter wurden nach Riga deportiert. Sie durchlitten zunächst das dortige Ghetto und dann das KZ Kaiserwald. Die Tochter Käthe kam um, ebenso Jeanette Wolffs Ehemann Hermann Wolff. Von der Familie überlebten am Ende die Tochter Edith und Jeanette Wolff selbst.

1946 ließ sich Jeanette Wolff, die eigentlich aus Bocholt stammte und dort von 1919 bis 1932 für die SPD im Stadtrat war, in Berlin nieder und widmete sich ganz der Politik. Für die Sozialdemokratie wurde sie in die Stadtverordnetenversammlung gewählt. Den Kommunisten war sie ein Dorn im Auge, hatte sie sich doch wie Franz Neumann massiv gegen die Zwangsvereinigung von SPD und KPD engagiert. Als schon am 23. Juni 1948 Schlägertrupps der SED die Sitzung der Stadtverordnetenversammlung belagerten und in das Neue Stadthaus eindrangen, stellte sich ihnen Jeanette Wolff mutig entgegen. Die Eindringlinge skandierten „Hängt die Sau an den Laternenpfahl“ und prügelten auf sie ein. Mit Hilfe einiger Journalisten konnte Jeanette Wolff jedoch in den Westteil der Stadt fliehen. Und als sie am nächsten Tag auf einer Kundgebung der SPD am Gesundbrunnen auftrat, da sagte sie unter dem Beifall der 70.000 Menschen, die sich dort versammelt hatten: „Zivilcourage ist die schärfste Waffe der Demokratie.“ Ein bedeutender Satz, der bis heute nichts an seiner Gültigkeit eingebüßt hat. Im Gegenteil. Ich denke, dieser Satz ist ganz generell eine Klammer für demokratische Gesellschaften.

Ich wünsche uns allen nun einen anregenden Abend, spannende Einblicke in das Berliner Jahr 1948, das für die Teilung Berlins in zwei unterschiedlich aufgestellte Stadthälften von großer Bedeutung war.

Bevor ich nun Herrn Dr. Heimann bitte, zu uns zu sprechen, hören wir zunächst eine Toneinspielung einer Rundfunkreportage des RIAS vom 6. September 1948 über die Ereignisse am Neuen Stadthaus.

Vielen Dank.