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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsrede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld für "Johannas Tag" der Johanna-Eck-Schule aus Anlass des 50. Jahrestages der Anerkennung Johanna Ecks als "Gerechte unter den Völkern"

11.12.2023 10:00, Abgeordnetenhaus, Casino

Fünfzig Jahre sind eine lange Zeit. Sie sind vergangen seit die Gedenkstätte des Holocaust in Jerusalem, Yad Vashem, Johanna Eck als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt hat. Noch länger, nämlich rund 80 Jahre liegen die Ereignisse zurück, für die Johanna Eck ausgezeichnet wurde.

Mit den „Gerechten unter den Völkern“ sind nichtjüdische Personen und Organisationen gemeint, die sich dem Regime der Nationalsozialisten widersetzten, um Juden zu retten. Johanna Eck hat vier Menschen entscheidend geholfen, die Zeit von Verfolgung und drohender Deportation zu überleben. Das waren Wilhelm Duesburg und seine Frau Helen Tobias-Duesberg sowie Heinz Guttmann und - nicht verwandt – Elfriede Guttmann. Die beiden letzteren waren Juden.

Johanna Eck war Kriegerwitwe. Ihr Mann hatte im Ersten Weltkrieg zusammen mit Jakob Guttmann gedient. Seither war Johanna Eck mit ihm und seiner Familie bekannt gewesen. Als 1942 Jakob Guttmann mit seiner Familie in die Vernichtungslager des Ostens deportiert und umgebracht wurde, war es nur der Sohn Heinz Guttmann, der der Festnahme entgangen war. Völlig auf sich allein gestellt, ohne Unterkunft und Lebensmittelkarten, wäre seine Überlebenschance in der Illegalität gleich null gewesen. Heinz Guttmann bekam in dieser Situation Hilfe. Johanna Eck bot ihm in ihrer kleinen Wohnung Zuflucht und teilte ihre magere Essenszuteilung mit ihm. Als im November 1943 das Haus bei einem Luftangriff zerstört wurde, fand Frau Eck ein neues Versteck für ihn. Sie blieb in Kontakt mit Heinz Guttmann, versorgte ihn mit lebensnotwendigen Lebensmittelkarten und Kontakten zu anderen hilfswilligen Menschen.

Über die Vermieterin Heinz Guttmanns lernte sie Elfriede Guttmann kennen, die nicht mit Heinz Gutmann verwandt war. Elfriede Guttmann entkam nur knapp einer Razzia zur Verhaftung von Juden in ihrem bisherigen Versteck im Dezember 1943. Danach wandte sie sich an Johanna Eck, die sie in ihrer Einzimmerwohnung aufnahm. Unter den chaotischen Bedingungen der Bombardierungen des Jahres 1944 gelang es Johanna Eck mit Hilfe einer ehemaligen Klassenkameradin von Elfriede Guttmann, deren Existenz gegenüber der Polizei zu legalisieren und sie offiziell als Untermieterin in ihrer Wohnung registrieren zu lassen. Rund ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges starb Elfriede Guttmann unter tragischen Umständen und es war Johanna Eck, die sich bei der Jüdischen Gemeinde nach den Namen der Eltern und des Bruders – alle ermordet – von Elfriede erkundigte, um ihr auf eigene Kosten einen Grabstein mit den Namen der Familienmitglieder auf dem Friedhof in Berlin-Weissensee zu errichten.

Antisemitismus hat im christlichen Europa seit dem frühen Mittelalter eine lange Kontinuität. Ausgrenzung und Rechtlosigkeit von Juden bis hin zu Mord und Totschlag bei wiederkehrenden Pogromen gehörten zu den dauerhaften Begleitumständen jüdischer Existenz. Neu war unter der nationalsozialistischen Herrschaft in Deutschland und den eroberten Gebieten Europas, die planvolle, industriell organisierte Auslöschung aller Juden. Hier in Berlin hat sich bereits im 18. Jahrhundert ein Dichter sehr intensiv damit beschäftigt, wie das Verhältnis der drei abrahamitischen Religionen, von Christen, Juden und Moslems durch gegenseitiges Verständnis besser miteinander regeln ließe. Sein Name war Gotthold Ephraim Lessing. In seinem Spätwerk „Nathan, der Weise“ hat Lessing in der Ringparabel aufgezeigt, wie er sich das Verhältnis der drei Religionen zu Gott vorstellt.

Dessen Liebe erstreckt sich auf alle drei Religionen und Ihre Anhänger in gleichem Maße. Und deshalb müssen sie auch im Verhältnis untereinander nicht konkurrieren, sondern sollten die jeweils anderen zwei Glaubensüberzeugungen achten. Er war damit ein echter Protagonist der Aufklärung, der wollte, dass die Menschen nicht Autoritäten und überkommenen Vorgaben blindlings folgen, sondern sich Ihres Verstandes bedienen, um sich aus ihrer Unmündigkeit zu befreien. Es war ein Plädoyer für Toleranz, aufbauend auf Wissen und Bildung.

Wissen und Bildung sind hilfreich. Deshalb wird Marie-Jolie Wollradt heute zurecht für ihre Arbeit zum Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten 2023 über versteckte Menschen in der Zeit des Nationalsozialismus und ihr demokratisches Engagement mit einem der beiden Johanna-Eck-Preise ausgezeichnet. Sind Wissen und Bildung also der Schlüssel zur Lösung unserer Probleme?

Die Geschichte seit Lessing zeigt zweierlei auf. Sein Toleranzgebot hat keineswegs zum Ende der Konflikte der Anhänger der drei Weltreligionen geführt. Es ist trotzdem zur Shoa, zum Menschheitsverbrechen im deutschen Namen an den Juden gekommen. Grundlage dafür war eine vermeintlich wissenschaftliche Rassenlehre.

Und seit dem 7. Oktober wissen wir, das es postkoloniale Theorien vieler Intellektueller sind, die bestialische Morde an Unschuldigen rechtfertigen sollen. Ja, es gibt das Paradoxon der Toleranz. Wer selber ausschließlich auf eine argumentative Auseinandersetzung, auf Wissen und Aufklärung setzt, der begibt sich in die Hände derjenigen, die sich dem Diskurs verweigern, die radikal und brutal ihre Positionen und Ansichten durchsetzen wollen.

Toleranz setzt die Gegenseitigkeit der Akzeptanz voraus.

Zeitgleich mit den Taten Johanna Ecks, derer wir heute gedenken, verstarb ein anderer Dichter, übrigens auf einem Aufklärungsflug gegen das Militär des nationalsozialistischen Deutschland. Sein Name war Antoine de Saint-Euxpery.

In seinem bekanntesten Werk, „Der kleine Prinz“ hat er sein Verständnis des Umgangs miteinander in die berühmten Worte gefasst:“ Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Das klingt so gar nicht nach objektiv sichtbaren Fakten. Das spricht nicht von der Akkumulation möglichst vielen Wissens. Und doch ist das Handeln der Johanna Eck eine Verifizierung der Existenz dieser Art von Bildung, nennen wir es Herzensbildung. Vor einigen Wochen hat Prof. Michael Wolffsohn bei seiner Gedenkrede zur Pogromnacht von 1938 darauf hingewiesen, dass eine vermeintlich hohe formale Bildung keineswegs einen Schutz davor bot, der Ideologie des Nationalsozialismus zu verfallen. Ganz im Gegenteil, bereits lange vor der Machtergreifung waren es Studenten und Professoren, die sich in besonderer Weise für dessen Ideen engagierten. Und bei den Führungspersonen der SS, des SD, der Gestapo und des Reichssicherheitshauptamtes, die schräg gegenüber des Abgeordnetenhauses ihren Sitz hatten, waren vergleichsweise junge, ehrgeizige Akademiker deutlich überdurchschnittlich vertreten.

iDie Krankenschwester und Christin Johanna Eck hat über ihre Motive für ihre Hilfe gesagt:

„Grundsätzlich denke ich so: Ist mein Mitmensch in einer Notlage und ich kann ihm beistehen, so ist das eben meine Pflicht und Schuldigkeit. Unterlasse ich diese Hilfe, so erfülle ich eben nicht die Aufgabe, die das Leben – oder vielleicht Gott? – von mir fordert.

Die Menschen, so will es mir scheinen, bilden eine große Einheit, und wo sie einander Unrecht tun, schlagen sie sich selbst und allen ins Gesicht:“ Der Johanna-Eck-Schule möchte ich wünschen, dass diese Motive ihren Lehrern, Ihren Schülern und deren Eltern gerade in unserer jetzigen Situation ständig bewusst sind, dass Aufklärung und Herzensbildung beständig mehr an Raum gewinnen und dass sie die Kraft und den Willen haben, beides gegen Widerstände vorzuleben und durchzusetzen.

Vielen Dank.