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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Begrüßungsrede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Enthüllung des Ehrenbürger-Porträts von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

14.10.2022 12:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, ich darf Sie ganz herzlich hier im Abgeordnetenhaus von Berlin willkommen heißen.

Sie haben als Bundespräsident uns schon einmal die Ehre gegeben. Das war im Oktober 2017 im Rahmen Ihrer Vorstellungstour durch die Bundesländer. Ich kann nur sagen: Es ist schön, dass wir Sie heute wieder bei uns haben. Ihr heutiger Besuch hat einen wichtigen Grund: Sie sind ein Berliner Ehrenbürger. Und unseren Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürgern verleihen wir nicht nur die Würde, sondern wir bitten sie auch, sich porträtieren zu lassen, damit wir dieses Porträt in der Ehrenbürgergalerie hier im ehemaligen Preußischen Landtag der Öffentlichkeit zeigen können. Trotz vieler Verpflichtungen, werter Herr Bundespräsident, haben Sie die Zeit gefunden, dem Künstler Modell zu stehen. Das wissen wir sehr zu schätzen. Dafür danke ich Ihnen.

Und erlauben Sie mir bereits jetzt zu erwähnen, dass Sie sich einen durchaus vielseitigen Künstler als Porträtmaler ausgesucht haben. Es ist Armin Mueller-Stahl, den ich ebenfalls ganz herzlich begrüße.

Auch Ihnen möchte ich sagen: Wir freuen uns, dass Sie, lieber Herr Mueller-Stahl, heute unser zweiter Ehrengast sind. Und lassen Sie mich auch das ganz persönlich sagen: Sie sind ein grandioser Schauspieler, ein Weltstar aus Deutschland. Ein Künstler, in dessen Lebensgeschichte sich auch die Einheit unseres Landes wiederspiegelt. Sie beeindrucken als Schauspieler, als Geschichtenerzähler und bildender Künstler. Und Sie haben sich stets nicht nur erlaubt, eine politische Haltung zu haben, sondern sie auch deutlich zu äußern. Dafür herzlichen Dank!

Lieber Herr Bundespräsident, der Laudatio, die Sie bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde im Roten Rathaus gehört haben, ist wenig hinzuzufügen. Zwischenzeitlich wurden Sie mit einer beeindruckenden Mehrheit wiedergewählt, die Wertschätzung und Vertrauen zeigt.  Dennoch möchte ich Ihnen auch heute – stellvertretend für dieses Landesparlament – Worte der Bestätigung für Ihr Handeln mit auf den Weg geben.

Sie selbst halten nahezu täglich Reden. Und Sie sprechen dabei viele Aspekte an, die die Menschen in unserem Land bewegen. Das haben Ihre Vorgänger auch getan, und es ist gemeinhin Konsens, dass die eigentliche Machtausübung des Bundespräsidenten durch seine Reden geschieht. Weil sie Bewusstsein schaffen, weil sie ein politisches Bewusstsein schaffen, das als Klammer für die gesamte Gesellschaft dienen kann.

Ihr Thema ist schon seit geraumer Zeit der Zusammenhalt in unserer Gesellschaft. Denn um den steht es schon seit einiger Zeit nicht gut. Wir haben das in der Pandemie gemerkt. Wir alle spüren es jetzt erneut in der Energiekrise, die aus dem brutalen Angriff Russlands auf die Ukraine resultiert. Es ist wahr: es geht darum, Solidarität zu zeigen, die wir brauchen, um einem brutalen Diktator Einhalt zu gebieten. Aber: diese Solidarität hat einen hohen Preis: steigende Kosten, vor allem für Energie, eine Inflation, die wir in der Bundesrepublik so lange nicht mehr hatten. Bis weit in die Einkommensmittelschicht hinein schafft das Unsicherheiten. Unsicherheiten, die auch die Gegner von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für sich nutzen wollen.

Wenn die Unzufriedenheit wächst, dann ist die zentrale Aufgabe der Dialog mit den Menschen. Und den suchen Sie schon länger intensiv. Gerade hatten Sie Ihren Dienstsitz für drei Tage nach Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern verlegt. Ortszeit nennen Sie das – ins Gespräch kommen mit den Vereinen, Initiativen und Gruppen vor Ort. Und natürlich auch mit den kommunalpolitisch aktiven Menschen in der Region. Wie ich finde, ein gelungenes Format, um auch als Bundespräsident in der Provinz „Flagge zu zeigen“. Und natürlich für unsere Demokratie sowie für unser freiheitliches Land zu werben.

Das ist leider auch nötig, wie wir seit einigen Wochen wissen. Die Zustimmung zur Demokratie in Deutschland bröckelt. Das hat jüngst eine repräsentative Studie im Auftrag des Ostbeauftragten der Bundesregierung ergeben. Doch nicht nur in Ostdeutschland, sondern auch in Westdeutschland sinkt das Vertrauen in unsere Staatsform rapide, wenngleich die Zahlen aus den ostdeutschen Ländern besonders erschreckend sind – demnach sind nur noch 39 Prozent der Menschen in Ostdeutschland mit unserer Form von Demokratie einverstanden. Im Westen der Bundesrepublik nur noch 59 Prozent. Das sind – es lässt sich nicht anders sagen – alarmierende Zahlen, die da ermittelt wurden.

Natürlich zeigt sich in diesen Zahlen auch eine Krisenmüdigkeit. Unser Land lebt praktisch seit 2008 in einem dauerhaften Krisenmodus. Da entsteht fast von selbst Erschöpfung und Resignation, zumal wenn die Krisen immer stärker ins persönliche Leben der Menschen hinein ragen. Die Corona-Pandemie kann hier als Paradigma gelten. Gleichwohl für die Demokraten heißt das: Es darf nicht sein, dass erneut in Deutschland eine Demokratie ins Wanken gerät. Dass Sie, werter Herr Bundespräsident, das Gespür für die diese sensible Situation in unserem Land mitbringen, steht für mich außer Frage. Wichtig ist aber auch, dass alle Demokratinnen und Demokraten zusammenstehen und die Bedrohung erkennen.

In diesem Zusammenhang fehlt uns als Demokraten hin und wieder auch eine Prise mehr Selbstbewusstsein. Der ungarische Philosoph Istvan Bibo hat schon in den vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts darauf hingewiesen, dass sich Demokraten nicht zu verstecken brauchen. Er hat es, wie ich finde, in eindrucksvolle Worte gefasst, die ich in Erinnerung rufen möchte:

„Demokrat zu sein, heißt in erster Linie, keine Angst zu haben: Keine Angst zu haben vor der Meinung der anderen, vor den Anderssprachigen, den Andersrassigen, vor der Revolution, der Verschwörung, den unbekannten Absichten des Feindes, vor der feindseligen Propaganda, der Geringschätzung und überhaupt vor all jenen imaginären Gefahren, die nur dadurch zu wirklichen Gefahren werden, weil wir Angst vor ihnen haben.“

Diese Erkenntnis passt als Aufforderung hervorragend in die heutige Zeit – geschrieben wurden die Zeilen aber bereits vor 80 Jahren.

Demokratien sind stark, ja stärker als jedes andere System, das auf Unterdrückung und Gewalt fußt. Wir sollten öfter an Istvan Bibo denken, um als Demokraten uns unserer inneren Stärke bewusst zu sein. Leider leben unter uns auch Menschen, die meist aus persönlichen Gründen ihre innere Stärke verloren haben. Für sie gilt: Es kann durchaus teuer werden, arm zu sein. Das sind die Menschen, die kein Dach mehr über ihren Köpfen haben, die auf der Straße leben und ihre persönliche Mitte nicht mehr finden. Diese obdachlosen Frauen und Männer lassen sich nicht einfach an die Hand nehmen. Der Weg zurück in ein geordnetes Leben ist für diese Menschen ein schwieriger Pfad. Viele finden ihn nicht.

Verehrter Herr Bundespräsident, ich hatte die Ehre, bei Ihrer Wiederwahl der Bundesversammlung anzugehören. Ich fand es beeindruckend, dass Sie sich nach Ihrer Wahl an Ihren damaligen Mitbewerber Professor Trabert gewandt haben und ihn gebeten haben, Sie zu unterstützen, um gemeinsam das Thema Obdachlosigkeit anzugehen. Denn oft ist der erste Schritt aus der Obdachlosigkeit – auch wenn das banal klingt – eine Wohnung. Wir sehen, dass Ihre Impulsarbeit für obdachlose Menschen eine Herzensangelegenheit von Ihnen ist, denn schon Ihre Doktorarbeit widmete sich diesem Thema. Ich persönlich habe sehr großen Respekt davor, dass Sie, Herr Bundespräsident, diesen schwierigen Problemkomplex zu Ihrer Agenda gemacht haben.

Herr Bundespräsident, trotz aller Herausforderungen, vor denen unser Land steht: Heute soll die Muse nicht zu kurz kommen. Ich möchte Ihnen noch einmal danken, dass Sie die Zeit hatten, sich porträtieren zu lassen. Ich bin mir sicher, dass Ihr Gemälde unsere Ehrenbürger-Galerie schmücken wird. Und das hat natürlich sehr viel mit dem Künstler zu tun. Ich freue mich deshalb schon sehr auf die Ausführungen von Herrn Mueller-Stahl zu seinem Werk, das wir nachher erstmals präsentieren werden.

Herr Bundespräsident, ich danke Ihnen und auch Herrn Mueller-Stahl, dass Sie uns heute die Ehre geben. Schön, dass Sie beide heute unsere Gäste sind. Vielen Dank.