Begrüßungsrede zur Veranstaltung "Lebhafte Debatten und wechselvolle Geschichte - 125 Jahre ein Haus für unsere Demokratie"
17.01.2024 17:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Warum sollte man ein Gebäude feiern? Die besondere Architektur könnte ein Grund sein oder seine städtebauliche Bedeutung oder die Menschen, die in ihm leben oder arbeiten.
Unser Abgeordnetenhaus ist gewiss ein repräsentativer Bau. Seine Lage mitten unter den ehemaligen und aktiven Regierungsgebäuden und früher direkt an der die Stadt teilenden Mauer sind wichtig. Noch wichtiger sind die Entstehung, die wechselvolle Geschichte und die Funktion dieses Parlamentsgebäudes.
Als am 16. Januar 1899 die Einweihung erfolgte, war das ein symbolischer Etappensieg in einer langen Auseinandersetzung. Einer Auseinandersetzung zwischen dem monarchischen Prinzip der Machtvollkommenheit eines souveränen Herrschers, der dem Volk zwar eine Konstitution und damit eine parlamentarische Vertretung zugesteht, deren Befugnisse aber möglichst gering hält und einem parlamentarischen Prinzip, welches das Volk als Souverän ansieht und eine gewählte Volksvertretung mit allen wesentlichen Entscheidungsrechten.
In der Nachfolge der Revolution von 1848 hatte dieser Anspruch auf bürgerliche Repräsentation und die Einhegung der Macht des Monarchen durch eine Verfassung schwere Rückschläge erlitten. Die preußischen Könige sorgten mit dem Einsatz von Militär und Polizei dafür, dass entgegen den Forderungen und Verfassungsentwürfe sowohl in Preußen wie auch dem des Paulskirchenparlaments nur eine sehr restriktiv ausgestaltete Version in Kraft treten konnte. Weder die individuellen Grundrechte noch die Entscheidungskompetenzen fanden Eingang in die oktroyierte Verfassung des Monarchen. Eine gesamtdeutsche Verfassung scheiterte an der Ablehnung durch die Fürstenhäuser, insbesondere durch den preußischen König Friedrich Wilhelm IV.
Die am 5. Dezember 1848 oktroyierte Verfassung für Preußen legte ein Zweikammer-System aus Herren- und Abgeordnetenhaus fest. Dauerhaft werden durch das Abgeordnetenhaus ein Neubau im Hof des Palais Hardenberg in der Leipziger Straße 55 bezogen und das Herrenhaus findet 1851 seine Unterkunft in einem Palais in der Leipziger Straße 3 mit einem neuen Plenarsaalgebäude, welches einmal dem Bankier Abraham Mendelssohn Bartholdy gehörte.
Die Grundlage einer repräsentativen parlamentarischen Demokratie ist aus unserer heutigen Überzeugung ein Wahlrecht, dass die Kriterien einer freien, allgemeinen, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahl erfüllt.
Dass das preußische Dreiklassenwahlrecht diesen Kriterien nicht entsprach, ja ihnen teilweise geradezu Hohn sprach, war der größte Makel für die Akzeptanz des Abgeordnetenhauses und seiner Entscheidungen.
Vorweg muss erwähnt werden, dass die Frauen das aktive und passive Wahlrecht erst nach der nächsten Revolution im Jahr 1918 erhielten. Die Dreiteilung der männlichen Wählerschaft nach Maßgabe der jeweils erbrachten Steuerleistung führte dazu, dass sich in nahezu allen Gemeinden mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in der III. Wahlklasse befanden. Diese Menschen hatten das gleiche politische Gewicht wie diejenigen 1 bis 5 Prozent der Wähler, die die erste Klasse bildeten.
Eine weitere Besonderheit lag in der Vorschrift, dass der einzelne Wähler seine Entscheidung für einen der Wahlmänner zu Protokoll geben musste. Es handelte sich also um eine ungleiche, indirekte und öffentliche Wahl. Natürlich war das Dreiklassenwahlrecht heftig umstritten, genauso wie es zu einer schweren Verfassungskrise hinsichtlich des Budgetrechts, seinem Recht für die Regierung verbindliche Vorgaben für deren Haushaltsgebaren zu machen, kam.
All diese Auseinandersetzungen wurden begleitet von einem ständig wiederholten Wunsch der Parlamentarier aus dem engen und völlig unzureichenden Gebäude in ein neues, ausdrücklich „monumentales“ Gebäude umziehen zu können.
Wie sehr die politische Ordnung in Preußen den Entwicklungen hinterherlief, wurde nach den Einheitskriegen und der Einrichtung erst des Parlaments des Norddeutschen Bundes und dann 1871 des Reichstages des neu gegründeten zweiten Deutschen Kaiserreiches überdeutlich. Selbstverständlich galt hier das gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für alle männlichen Bürger.
Wenigstens für die Unterbringung der zwei Kammern in neuen Gebäuden - des Abgeordnetenhauses und des Herrenhauses - ergab sich durch die städtebauliche Neuordnung Berlins mit den Institutionen des Reiches eine Umsetzung schon lange gehegter Pläne. Doch auch schon damals brauchte es von der Einsetzung der Planung 1892 eine längere Zeit bis zur Einweihung des neuen Abgeordnetenhauses am 16. Januar 1899.
Unter dem Druck nach dem Ausbruch des I. Weltkrieges und vor allem seines für das Deutsche Reich zunehmend ungünstigen Verlaufs wurde 1918 eine Reform des Dreiklassenwahlrechts angestrebt. Letztendlich fiel die Monarchie und die neue Republik stand vor einer neuen Weichenstellung für sein politisches System. Sollte es eine Räterepublik nach sowjetischem Vorbild geben, oder eine repräsentative parlamentarische Demokratie?
Am 19. Dezember 1918 fällte der Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte die Entscheidung in einer Abstimmung mit 400 gegen 50 Stimmen gegen die Räterepublik und für die Wahl einer verfassungsgebenden deutschen Nationalversammlung. Dies geschah in diesem Hause, im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses.
Die daraus hervorgehende „Weimarer Reichsverfassung“ hat den Herausforderungen politischer, wirtschaftlicher und internationaler Art nicht stand gehalten. Das autoritäre Element eines Staatspräsidenten, der mit Hilfe von Notverordnungen demokratische Verfahren aushebeln kann, fehlt in allen Verfassungen unseres föderalen Bundesstaates. Die Sehnsucht nach einfachen Lösungen komplizierter und komplexer Sachverhalte besteht jedoch auch heute und bildet ein mögliches Einfallstor für autoritäre Bestrebungen und einem Bonapartismus wie er in vielen Demokratien westlicher Art an Boden gewinnt.
Um es mit Hanna-Renate Laurien, meiner einzigen Vorgängerin im Amt der Präsidentin des Abgeordnetenhauses zu sagen: „Die Erfahrung mit zwei Diktaturen – der menschenvernichtenden des Hitlerregimes und der menschenverachtenden der DDR – verpflichtet uns, Recht zu wahren und zu fördern. Uns ist abverlangt, die unaufhebbare Spannung der Grundprinzipien der Demokratie – Freiheit, Gleichheit, Mehrheit – auszuhalten und die maßvolle Mitte, den Kompromiss, als freiheitliche Stärke und als Absage an Gleichgültigkeit und Fanatismus zu begreifen und zu leben.“
Dazu gehört die Besinnung auf die Geschichte, die Reflexion über die Gegenwart und das Nachdenken über die Zukunft unserer parlamentarischen Demokratie. Bei den drei Referentinnen des heutigen Abends möchte ich mich dafür bedanken, dass sie uns mit ihrer fundierten und geballten Kompetenz dafür den geistigen Stoff liefern werden.
Ich freue mich auf die Vorträge und die Diskussion und wünsche der Veranstaltung gemäß dem Geist des Hauses eine lebhafte Debatte.