Gedenkstunde anlässlich des 176. Jahrestages der Revolution von 1848
18.03.2024 11:00, Friedhof der Märzgefallenen
Es gibt ein geradezu unstillbares Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Das gilt besonders für politische Ereignisse, die wie ein Fanal eine Richtungsentscheidung darstellen, bzw. darstellen sollen. Eine Revolution gilt gemeinhin als fundamentale Umwälzung, als eine Kulmination historischer Entwicklungslinien. In ihr schaffen die Akteure, die eine neue Ordnung wollen, in einem heroischen Akt unter Anwendung von Gewalt die neuen Bedingungen, die ihrer Zukunftsvision entsprechen. Die Realität ist vielschichtiger und ambivalenter. Im März 1848 hat es einen europaweiten Aufbruch für mehr politische Freiheit und Teilhabe gegeben.
Kernforderungen waren die Abschaffung der Pressezensur, ein ausgedehnteres Wahlrecht für größere Anteile der männlichen Bevölkerung , die „Volksbewaffnung“, in Form bewaffneter Bürgermilizen und Schwurgerichte als Ausdruck der Unabhängigkeit gegen von der Monarchie ernannte Richter. Es gab aber auch soziale Unrast, wie man das damals nannte. In den Vorjahren gab es mehrmals aufgrund schlechter Ernten große Hungersnöte. Es grassierte z. B. in Berlin eine Cholera-Epidemie, der rund 2500 Menschen zum Opfer fielen. Und die technischen Erfindungen der Industrialisierung wie der mechanische Webstuhl veränderten die Produktionsbedingungen. Die Verelendung der schlesischen Weber war eine Folge.
Auf eine Zeit langjähriger Unterdrückung seit den Karlsbader Beschlüssen mit Zensur sowie Gefängnisstrafen und Verdrängung ins Exil folgte bereits im sogenannten Vormärz eine Zeit des Aufbruchs. Hier wurde vieles vorgedacht und trotz der Zensurbehörden verbreitet. Die Ereignisse im März 1848 entwickelten sich keineswegs planvoll. Es brach sich der Wille nach Veränderung Bahn, der Ausbruch der Barrikadenkämpfe war jedoch keineswegs zwingend vorgezeichnet. Genauso wenig war der erfolgreiche Aufstand in Berlin eine Ablösung der Monarchie zugunsten einer Republik wie in Paris. Ständig schwankte die öffentliche Erregung zwischen der Durchsetzung der eigenen Forderungen und der immer noch vorhandenen Verbundenheit mit der Monarchie.
Über 300 Zivilisten sind in den Märztagen der Gewalt des Militärs in teilweise brutalen Kämpfen zum Opfer gefallen. Der Umgang mit diesen Toten wurde sofort auch zur Bewährungsprobe, wie die revolutionären Vorgänge einzuordnen waren. Einerseits wurde von kirchlicher Seite für Versöhnung und gesellschaftlichen Frieden geworben, andererseits von Liberalen und Demokraten darauf gedrungen, jetzt müssten in erster Linie die Rechte durchgesetzt werden, für die die Toten gestorben seien.
Bei der Gestaltung der neuen Ordnung waren Liberale und Radikale sich durchaus nicht einig. Während die einen bürgerliche Eigentums- und Mitspracherechte in einem unauflöslichen Konnex sahen, verachteten die anderen die Bereitschaft , mit den Monarchen in den Parlamenten Verhandlungen darüber zu führen, wie weit die Freiheitsrechte und sozialen Verpflichtungen denn gehen sollten.
Die Zeitgenossen erlebten die Ereignisse zwar als historisch, jedoch in der Notwendigkeit, erst Schritt für Schritt den Umgang damit zu lernen. Es ist auch für uns heute nicht einfach, eine klare Schlussfolgerung zu ziehen und ein eindeutiges Urteil zu sprechen. Einerseits war die Revolution gerade in Deutschland ein unverzichtbarer Aufbruch zu einem Nationalstaat. Dazu gehören seine heutigen Ausprägungen Deutschlands als Demokratie und als Sozialstaat.
Es gab aber keine gradlinige Entwicklung. Gerade wir Deutschen haben immer wieder Rückschläge und Verwerfungen erlebt bis dahin, dass dieser Nationalstaat in den Händen der Nationalsozialisten zu einem Staat der permanenten Verbrechen wurde. Umso wichtiger, dass wir danach auch wieder an das Erbe der Jahre 1848/1849 anknüpfen konnten. Der Grundrechtekatalog der Frankfurter Paulskirchenversammlung hat Eingang in das Grundgesetz gefunden.
Und das Parlament in der Paulskirche hat in teilweise mühsamen Beratungen all die Grundlagen des modernen deutschen Parlamentarismus geschaffen, auf die unsere repräsentative parlamentarische Demokratie noch heute fußt. Wir sollten uns also der Ambivalenz wie auch der vorwärts weisenden Elemente der Revolution von 1848 erinnern. Und wir haben allen Anlass, uns derer zu erinnern, die den höchsten Preis dafür gezahlt haben und an diesem Ort begraben sind.
Ich danke Ihnen.