Gedenkworte der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld für den verstorbenen Ehrenbürger Dr. Wolfgang Schäuble
18.01.2024 10:00, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Am 26. Dezember 2023 ist Dr. Wolfgang Schäuble, Ehrenbürger unserer Stadt seit dem Jahr 2016, im Alter von 81 Jahren verstorben.
Wolfgang Schäuble hat deutsche Geschichte geschrieben. Über 50 Jahre war er Mitglied des Deutschen Bundestages, er wirkte als Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramts, zu zwei unterschiedlichen Zeitpunkten als Bundesinnenminister, als Bundesfinanzminister sowie als Präsident des Deutschen Bundestages. Er war Vorsitzender der CDU/CSU Bundestagsfraktion und CDU-Parteivorsitzender. Allein diese Aufzählung zeigt die Einzigartigkeit seiner politischen Vita – ein wahrer Ausnahmepolitiker.
Seine Beiträge zur Stabilisierung des Euro in der Staatsschuldenkrise sowie seine von natürlicher Autorität und jahrzehntelanger Erfahrung geprägte Leitung der parlamentarischen Debatten und die selbstbewusste Vertretung des Bundestages gegenüber anderen Verfassungsorganen sind hervorzuheben.
Seine singulären Verdienste hat er sich allerdings bei seinem Einsatz für die Deutsche Einheit und für Berlin erworben. Die Aushandlung und Unterzeichnung des Einigungsvertrages 1990 war eine Sternstunde in der Geschichte unseres Landes und ganz sicher auch in seiner politischen Biographie.
In seiner Rede in der Debatte des Bundestages über den künftigen Sitz von Parlament und Regierung am 20. Juni 1991 hat er dafür plädiert, dass gerade im Zuge der Verwirklichung der Deutschen Einheit die Menschen Vertrauen in die Beständigkeit politischer Festlegungen haben müssen.
Er hat zu keinem Zeitpunkt Zweifel aufkommen lassen, dass für ihn, der aus dem südwestlichsten Teil der Republik mit größtmöglicher Entfernung zu Berlin stammte, bindend verpflichtend auch nach 40 Jahren Teilung das Parlament und die Regierung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands ihren Sitz wieder in Berlin haben sollten.
Für ihn war Berlin das Symbol für Einheit und Freiheit, für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit für das gesamte Deutschland. Ohne Berlin und die für diese Stadt gelebte Solidarität der freien Welt wäre es seiner festen Überzeugung nach nicht zur Wiedervereinigung gekommen.
Dabei hat er hervorgehoben, dass die Deutschen ihre Einheit gewonnen haben, weil Europa seine Teilung überwinden wollte. Deshalb sei die Entscheidung für Berlin auch eine Entscheidung für die Überwindung der Teilung Europas.
Er brachte damit seine lebenslange Überzeugung zum Ausdruck, dass gerade ein deutscher Patriot sich mit Nachdruck für eine Weiterentwicklung eines freien, geeinten und demokratischen Europas einsetzen müsse. Zweifelsfrei hat sein Plädoyer ganz entscheidend dazu beigetragen, im Bundestag eine Mehrheit zugunsten Berlins herbei zu führen. Als erster hat Willy Brandt ihm zu seiner Rede gratuliert.
Mit nie nachlassender Intensität hat er sich allen Debatten gestellt, hat mit großem Scharfsinn seine Argumente vorgetragen und immer darauf verwiesen, dass Kontroversen zum Kern der Demokratie und für den Erkenntnisgewinn zwingend dazu gehören, sofern man die Bereitschaft zum Kompromiss behält.
Er hat nach dem Attentat auf ihn und dessen gravierenden Folgen mit großer Disziplin, mit Durchhaltewillen und Durchsetzungskraft das weiter betrieben, was er für richtig und notwendig hielt. Wolfgang Schäuble hat sich im In- und Ausland, ja international, großen Respekt und herausragende Anerkennung erworben, auch über die politischen Lager hinweg. Gleichzeitig hat er nie die Verwurzelung in seiner Heimat verloren. Ganz im Gegenteil. Sie war – neben seinem tiefen christlichen Glauben – sein festes Fundament auf dem er tragfähige Entscheidungen getroffen hat. Er war eine Ausnahmeerscheinung in der deutschen Politik. iEr war durch sein politisches Wirken und seine Gradlinigkeit ein Glücksfall für Berlin und ganz Deutschland. Berlin und seine Bürgerinnen und Bürger werden ihn in dankbarer Erinnerung behalten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.