Gedenkworte der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, für den verstorbenen Ehrenbürger Edzard Reuter
07.11.2024 10:00, Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarsaal
Am 27. Oktober ist Edzard Reuter, seit 1998 Ehrenbürger unserer Stadt, im Alter von 96 Jahren verstorben.
Edzard Reuter war ein vielfältiger Förderer der Wissenschaft und Kunst, der sich in außerordentlicher Weise um den Wirtschafts- und Finanzstandort Berlin bemüht hat und damit seine Spuren in der Stadt hinterließ. Sein Engagement für die Hauptstadt haben wir, die Mitglieder des Abgeordnetenhauses, jeden Tag vor Augen. Dank seiner Initiative hat Berlin mit dem Potsdamer Platz ein Wahrzeichen erhalten, das damals wie heute den Flair einer Weltmetropole ausstrahlt.
Edzard Reuter wurde 1928 als Sohn des Sozialdemokraten und ersten Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Ernst Reuter, in Berlin geboren. Die NS-Zeit überlebten er und seine Familie ab 1935 im Exil in der Türkei. Seine Kindheit und Jugend verbrachte er darum vor allem in Ankara. 1946 kehrten sie nach Berlin zurück, wo Reuter zunächst Mathematik und Physik an der Berliner Universität sowie zwischen 1949 und 1952 Rechtswissenschaften an der FU Berlin studierte. Von 1954 bis 1956 arbeitete er als Assistent an der juristischen Fakultät. Dort legte er auch 1955 das zweite juristische Staatsexamen ab.
Edzard Reuter hätte seinem berühmten Vater in die Politik nachfolgen können, wurde er doch 1946 selbst Mitglied der SPD, aber er entschied sich für die Wirtschaft. Auch der Versuch von Willy Brandt, ihn in die Politik zu holen, brachte ihn nicht von seinen Plänen ab. Anders als sein Vater, fand er als Rechtsanwalt in der Wirtschaft einen Weg zu gestalten und Neues anzustoßen. In seiner Art zu denken, seiner Einstellung und seiner Bereitschaft auf Menschen zuzugehen, war ihm Ernst Reuter jedoch stets ein Vorbild. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete Edzard Reuter als Prokurist bei der UFA Berlin und wurde Mitglied der Geschäftsleitung der Bertelsmann Fernsehproduktion in München. 1964 holte ihn Hanns Martin Schleyer zur Daimler-Benz AG nach Stuttgart. Dort wurde Reuter zunächst 1976 ordentliches Vorstandsmitglied und war für die Bereiche Planung und Organisation zuständig. 1987 wurde er schließlich Vorstandsvorsitzender und behielt dieses Amt bis 1995 inne. In dieser Zeit sorgte er für die Ansiedelung der Debis-Zentrale am Potsdamer Platz.
Edzard Reuter hatte große Pläne für Daimler. Er wollte das Unternehmen zu einem „integrierten Technologie-Konzern“ machen. Manche sagen, er sei damit seiner Zeit vorausgewesen, andere titelten ihn als „Kapitalvernichter“. Seine Vision ging nicht auf, Ende 1995 musste der Automobilhersteller Milliardenverluste hinnehmen. Nach seinem Ausscheiden bei Daimler gründete er gemeinsam mit seiner Frau die „Helga-und-Edzard-Reuter-Stiftung“ zur Förderung der Integration religiöser und ethnischer Minderheiten und für Völkerverständigung. Er glaubte an die Kraft der Zivilgesellschaft und an das gesellschaftliche Miteinander für eine friedliche Zukunft. Als überzeugter Europäer wünschte er sich ein vereinigtes Europa.
Auch wenn er seinem Vater nicht in die Politik nachfolgte, mischte er sich immer wieder in politische Debatten ein. Für ihn bedeutete Politik in einer Demokratie auch, durch Taten zu überzeugen. Er war der festen Auffassung: „Politik braucht eine klare Meinung, eine Haltung“. Prinzipien, bei denen er mit gutem Beispiel voranging. Reuter plädierte stets für mehr Gemeinwohl, auch in der Wirtschaft. Darüber hinaus trat er auch in anderen gesellschaftspolitischen und sozialen Themen als Mahner auf. Mit großer Sorge schaute er zuletzt auf die aktuellen Entwicklungen in der Welt. Bis zu seinem Tod lebte er in Stuttgart, doch Berlin, wo er geboren wurde, zog ihn immer wieder an. An seiner Heimatstadt gefiel ihm besonders die „Frechheit“ althergebrachte Dinge infrage zu stellen.
Berlin wird ihn in dankbarer Erinnerung behalten und ihm ein ehrendes Andenken bewahren.