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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Grußwort der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Johannisloge Aufwärts zu Berlin e. V.

23.05.2025 10:00, Renaissance-Theater in Berlin-Charlottenburg

Unsere Welt ist im beschleunigten Wandel. Wir können nicht mehr wie selbstverständlich auf die Fortsetzung bisheriger Traditionen und Verhaltensweisen setzen, weder in der nationalen noch der internationalen Politik, weder in der Gesellschaft noch in der Wirtschaft.

Davon werden auch althergebrachte Institutionen erfasst. Wer von den Gründern der Johannisloge Aufwärts zu Berlin hätte gedacht, dass zum hundertjährigen Jubiläum ein öffentliches Symposium stattfinden wird? Ist doch das Bestreben der Freimaurer traditionell eher darauf gerichtet, nach innen zu wirken. Den Mitgliedern einen Ort und Rituale zu geben, die Ihnen bei ihrer persönlichen Weiterentwicklung helfen, den „rauhen Stein“ der eigenen Persönlichkeit zu bearbeiten.

Der öffentliche Auftritt, das Werben um Zustimmung, gar das Missionieren gehört eher nicht zum Selbstverständnis. Darin wollen Sie sich ja bewusst von vielen Religionsgemeinschaften, auch den christlichen Kirchen, unterscheiden. Wobei, auch die Kirchen, noch älter als die organisierten Freimaurerlogen, erleben ja den Druck, sich nicht nur öffentlich darzustellen, sondern sich auch gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. In pluralistischen, demokratischen Gesellschaften ist der Anspruch, sich in einem eigenständigen Bereich unbeeinflusst und selbstständig zu organisieren, nur schwer durchzuhalten. Wer nicht dazugehört, hat trotzdem ein mächtiges Argument: Transparenz. Transparenz ist ein Eigenwert geworden. Sie ist nicht mehr an einen zu erbringenden Zweck, an einen Vorteil oder gar moralischen Wert gebunden. Ja, es ist geradezu unmoralisch geworden, Transparenz – und damit Zugang sowie Einflussnahme von außen – zu verweigern. Transparenz ist zur aufklärerischen Tugend geworden. Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Ist es doch das Zeitalter der Aufklärung gewesen, welches die moderne Form der Freimaurerlogen hervorbrachte. Sie sollten ja Schutzraum für all das Wissen sein, dass der Mensch bei der Befreiung aus seiner selbstverschuldeten Unwissenheit freigelegt hatte.

Und welches der sittlichen Vervollkommnung dienen sollte, eine Aufgabe die die Kirchen und Konfessionen mit ihren Absolutheitsansprüchen und Glaubensbekenntnissen nicht in der Lage schienen, zu leisten. Mangels allgemeiner Verbreitung dieses Wissens sollte es perpetuiert und an Nachfolger weitergegeben werden. Seine Träger verstanden sich als Avantgarde, als Elite. Der entstehende moderne Staat konnte sich mit diesem Selbstverständnis lange Zeit gut arrangieren. Waren doch viele seiner neuen Funktionsträger auch in den Logen aktiv. Sie bildeten damit ein Element in dem Prozess, die Sphären von Kirche und Staat trennscharf unterscheidbar zu machen. Kein Wunder, dass sich daraus eine geradezu natürliche Gegnerschaft auf Seiten der Katholischen Kirche ergab bis hin zur Androhung der Exkommunikation. Wobei die Abneigung im Regelfall auf Gegenseitigkeit beruhte.

Es ist sicher kein Zufall, das die größte Verbreitung von Freimaurerlogen bis heute in den angelsächsischen Ländern gegeben ist und in Deutschland im norddeutschen Kerngebiet des alten Preußen. In der deutschen Geschichte der letzten anderthalb Jahrhunderte können wir dann sehen, wie aus dem Anspruch des modernen Staates auf übergeordnete Loyalität eine Beschränkung solcher gesellschaftlicher Organisationen wird, die den Anspruch auf Autonomie erheben. Die Katholische Kirche muss diese Erfahrung bereits im gegen sie gerichteten Kulturkampf des Bismarck-Reiches machen. Die Freimaurer werden von den totalitären Regimen des Nationalsozialismus und des Marxismus-Leninismus verboten.  Unterdrückung und Verbot haben Sie auch dank der in unserem Grundgesetz festgelegten freiheitlich-demokratischen Grundordnung hinter sich lassen können. Artikel 9 des Grundgesetzes garantiert auch Ihnen die Vereinigungsfreiheit. Wie passend, dass Sie Ihr Jubiläumssymposium auf heute, auf den 23. Mai gelegt haben. Vor genau 76 Jahren hat der Parlamentarische Rat das Grundgesetz verkündet. Seither sind viele Werte, denen Sie sich verpflichtet fühlen auch Teil des Grundrechtekatalogs des Grundgesetzes.

Als Repräsentantin der parlamentarischen Demokratie weiß ich um die vielen Anfechtungen, denen unser freiheitliches System ausgesetzt ist: Unsere äußere Sicherheit ist aktiv bedroht. Bereits jetzt werden wir täglich angegriffen. Man nennt das hybride Kriegsführung, wenn die GPS-Signale an unseren Flughäfen massiv gestört werden, wenn Datenverbindungen und Pipelines zerstört werden, wenn der Bundestag genauso wie viele Unternehmen gehackt wird, wenn Trolle beständig Fake-News verbreiten. Und wenn durch Androhung oder gar Anwendung von Waffengewalt von uns ein bestimmtes Verhalten erpresst werden soll. Und im Inneren entgleitet die politische Auseinandersetzung immer mehr den Regeln eines harten aber gewaltfreien Wettbewerbs. Gewaltfreiheit ist nicht mehr selbstverständlich. Die Berliner Polizei hat im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf bis zum 23. Februar 491 Straftaten erfasst. Darunter sind viele Sachbeschädigungen und erschreckend viele tätliche Angriffe auf Kandidaten und Wahlkampfhelfer. Statt einen inhaltlichen Disput mit Argumenten zu führen, nimmt von den Rändern des politischen Spektrums bis in die Mitte der Gesellschaft die Neigung zu, nur noch die eigene Überzeugung gelten zu lassen. Versammlungen, die vermeintlich zu Toleranz und Vielfalt aufrufen, ergehen sich im Propagieren von Hassparolen.

Selbst Polizisten – die die Demonstrations- und Meinungsfreiheit gewährleisten sollen, sind davor nicht mehr sicher, wie wir in den vergangenen Wochen gleich mehrfach in Berlin erleben mussten. Und als ob das noch nicht reicht, empfehlen das autoritäre Regime in Moskau und Vertreter der Regierung in Washington übereinstimmend den Deutschen dieselbe rechtsextreme Partei zur Wahl. Freiheit, Demokratie und Selbstbestimmung sind dann schnell in Gefahr. Damit bin ich noch lange nicht am Ende der Aufzählung der Gefährdungen. Aktuell sind die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, die handelspolitischen Verwerfungen sowie Natur-katastrophen und Pandemien weitere Beispiele. Es gibt also viele Gründe, warum Sie für Ihr Symposium das Thema der Resilienz gewählt haben. In allen gesellschaftlichen und staatlichen Bereichen benötigen wir mehr Resilienz, mehr Selbstbehauptung und ja, bei manchen Themen auch mehr Widerstandskraft.

Dazu braucht es Menschen und Organisationen, die dafür unserer Gesellschaft auch die nötigen öffentlichen Räume für den Diskurs zur Verfügung stellen. Gewiss, es ist richtig, in der Familie und im Freundeskreis oder in einer Gemeinschaft Gleichgesinnter zu diskutieren. Zur Wirkmächtigkeit in einer offenen Gesellschaft gehört aber das öffentliche Forum dazu. So wie bereits die griechischen Stadtstaaten die Dinge, die alle betrafen, auf ihrem jeweiligen Marktplatz, auf dem Forum besprachen. Ich möchte Ihnen deshalb ausdrücklich mehrfach gratulieren: Zu 100 Jahren Beständigkeit Ihrer Gemeinschaft und Treue zu Ihren Werten. Und zu dem Mut, auch neue Wege zu gehen und ihr Engagement für unsere ganze Gesellschaft sichtbar zu machen.

Ich wünsche Ihnen für die nächsten hundert Jahre die notwendige Kraft, Begeisterung und Entschlossenheit, Ihr Werk fortzusetzen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.