Grußwort der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, in der Plenarsitzung des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens
16.09.2024 17:00, Belgien
Für die Einladung nach Ostbelgien, zum Besuch des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft, möchte ich mich bei Ihnen, sehr verehrte Frau Präsidentin Creutz-Vilvoye, sehr herzlich bedanken.
Was verbindet die Deutschsprachige Gemeinschaft Belgiens mit dem deutschen Bundesland Berlin?
Historisch ist das der Staat Preußen und die Tatsache, dass als Ergebnis des Wiener Kongresses 1815 die heutigen Gebiete der Deutschsprachigen Gemeinschaft dem Königreich Preußen mit seiner Hauptstadt Berlin zugeordnet wurden. Im 19. und 20. Jahrhundert war dieser Teil der Rheinprovinz weit entfernt von Berlin und spielte doch als Grenzregion eine wichtige Rolle. Leider gilt das insbesondere hinsichtlich der Missachtung der belgischen Neutralität durch die Überfälle des Deutschen Reiches in beiden Weltkriegen.
Von Berlin aus ist durch politische Entscheidungen viel Leid bis hin zu Kriegsverbrechen und brutaler Unterdrückung während der Okkupation ausgegangen. Ganz besonders hatten die deutschsprachigen Menschen in den Kreisen Eupen, Malmedy und St. Vith unter den Folgen zu leiden. Sie waren ein Zankapfel, der mehrfach seine Staatszugehörigkeit wechseln musste. Preußen ist Geschichte, ein endgültig abgeschlossenes Kapitel.
Nach 1945 haben sich zwei andere wesentliche Entwicklungen in Deutschland wie auch in Belgien und damit für die Deutschsprachige Gemeinschaft durchgesetzt. In Belgien hat es eine kontinuierliche Entwicklung weg vom Zentralstaat hin zum „Föderalstaat“ gegeben. In Deutschland hat sich auch im Prozess und der Ausgestaltung der Wiedervereinigung der Staatsaufbau über die Bundesländer als Grundprinzip unserer Verfassung fortgesetzt. Mit besonderer Bewunderung kann ich nur den langen Weg bis zum heutigen Status Ostbelgiens verfolgen. Die Auseinandersetzungen zwischen Flamen und Wallonen haben die Verhältnisse in Belgien in Bewegung gebracht.
Jedoch bedurfte es schon großer Hartnäckigkeit und viel Geschick bei der Neugestaltung teilhaben zu können. So gehören heute viele Lebensbereiche wie Unterricht und Ausbildung, Kultur und Sprache, Wohnungsbau und Gesundheit sowie Kunst und Sport zu den Kompetenzen der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Und seit 2004 gibt es ein richtiges Parlament für die Entscheidungen: Das „Parlament der Deutschsprachigen Gemeinschaft“.
Berlins Weg war aufgrund der Teilung der Stadt und des Landes notgedrungen anders. Aber auch wir benötigten einen langen Atem, bis nach 28 Jahren endlich die menschenverachtende Mauer fiel und die Stadt als Ganzes wieder regiert werden konnte. Dabei tragen wir Verantwortung für viele Politikbereiche, die den Ihren ähnlich sind. Wir sind im Abgeordnetenhaus, dem Berliner Parlament, auch ein wenig stolz darauf, die vielen Herausforderungen nach der Wiedervereinigung bewältigt zu haben.
Die Verantwortung für politische Entscheidungen näher an die Menschen zu bringen, ihre Mitwirkung damit einfacher zu ermöglichen und ihre Selbstverantwortung zu stärken, das macht ein föderales Staatssystem erfolgreich. Unser gemeinsames großes Glück ist es, dass es in Europa nicht mehr ausschließlich miteinander konkurrierende Nationalstaaten gibt. Dass es gelungen ist, durch Schaffung der Europäischen Union die Möglichkeit eines künftigen Krieges zwischen Mitgliedsstaaten der EU unvorstellbar zu machen.
Die Regionen und die Deutschsprachige Gemeinschaft in Belgien wie auch die Bundesländer in Deutschland wirken an den Entscheidungen, die in unseren Staaten für die Weichenstellungen im Ministerrat getroffen werden, mit. Wir sind an der Ratifizierung europäischer Abkommen beteiligt. Unser gemeinsames föderales Selbstverständnis ist eine gute Grundlage für unsere Zusammenarbeit bei den europäischen Angelegenheiten, Das gilt z. B. auch für den Ausschuss der Regionen in der EU, dessen Arbeit und Stellungnahmen wir mit voller Überzeugung unterstützen.
Ich hatte die Ehre und die Freude, für ein ganzes Jahr den Vorsitz für die „Europakonferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen und österreichischen Landesparlamente sowie des Südtiroler Landtages unter Beteiligung des Parlaments der Deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens“ inne zu haben. Ein sehr langer und naturgemäß etwas umständlicher Begriff. Aber präzise und korrekt. Diese Konferenz – kurz E-LPK genannt – schafft Raum für vielfältigen Austausch und die Möglichkeit, voneinander zu lernen. Vor allem verschafft sie uns eine Stimme, mit gemeinsamen Resolutionen gemeinsame Interessen zu vertreten. Es ist aufgrund der spezifischen Eigenarten unserer föderalen Verfasstheit immer mal wieder nötig, dies bei der EU-Kommission, dem Ministerrat und ja – auch gelegentlich beim Europäischen Parlament in Erinnerung zu rufen.
Europa ist vielfältig, interessant und spannend. Es bietet auf vergleichsweise wenig Raum eine unvergleichliche Dichte an kulturellen Ausprägungen. Europa müssen seine Bürger erfahren können. Dafür bietet das Schengener Abkommen trotz aktueller Herausforderungen einen Rahmen, die Grenzen vergleichsweise problemlos mit Gütern, Menschen und Dienstleistungen überqueren zu können.
Mit der Art der Zusammenarbeit in der Euregio Maas-Rhein sind Sie hier mit Ihren Nachbarregionen ein Vorbild auch für uns, was die Kooperation mit unseren Berliner Nachbarn in den Mitgliedsländern östlich von uns betrifft. Wir sind sehr dankbar für das sehr anspruchsvolle und interessante Programm, welches uns Ostbelgien heute und in den nächsten Tagen besser verstehen lassen wird.
Lassen Sie uns das Band unserer gegenseitigen Verbindung fester knüpfen. Ich wünsche Ostbelgien für seine Zukunft alles Gute!