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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Grußwort der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld zum Queerpolitischen Frühstück

28.06.2023 10:00, Abgeordnetenhaus, Casino

Wir stehen kurz vor dem Berliner CSD und Europas größtem lesbisch-schwulen Stadtfest in Schöneberg. Vergangenes Wochenende war die East Pride Berlin und verschiedene queere Sportvereine richteten die Berliner Queerspiele aus. Queeres Engagement gibt es in Berlin an vielen Stellen, wozu Sie alle einen wichtigen Beitrag leisten: mit Foren, Verbands- und Vereinsarbeit, mit Sport und Parade, mit Beratung und Gemeinschaft.

Berlin gilt international als eine der beliebtesten Regenbogenstädte. Menschen aus aller Welt zieht es nach Berlin, um hier in Freiheit leben zu können. Offen lesbisch, schwul, bisexuell, trans- und intergeschlechtlich, queer – kurz: man selbst – zu sein, ist nicht überall auf der Welt möglich. Im Gegenteil: Mancherorts werden hart erkämpfte Rechte wieder abgeschafft oder eingeschränkt. Ich denke da zum Beispiel aktuell an Uganda und die Entwicklungen in Ungarn oder Polen.

Auch wenn wir viel erreicht haben, was die Akzeptanz und Gleichstellung von Menschen verschiedener sexueller Orientierungen und geschlechtlicher Identitäten betrifft, erleben wir auch in Berlin, dass die Zahlen queerfeindlicher Hasskriminalität steigen. Erfasst werden Schläge, Tritte, Anspucken und verbale Entgleisungen. Erst vor Kurzem wurde ein Mann in Kreuzberg auf dem Gehweg von zwei Männern schwulenfeindlich beleidigt und dann mit Fäusten gegen den Kopf geschlagen. Schilderungen und Geschehnisse wie diese machen zugleich wütend wie fassungslos. Derartige Verhaltensweisen sind immer auch Angriffe gegen die Freiheit und somit gegen die Demokratie.

Wir alle – Politik und Zivilgesellschaft – sind hier gefordert, aktiv zu werden. Hierzu gehört beispielsweise die neue Praxis, den Opferschutzverbänden wie z.B. Maneo mit Verweis auf Datenschutz keine anonymisierten Daten aus den Ermittlungsverfahren von Polizei und Staatsanwaltschaft mehr zur Verfügung zu stellen. Aber – so wichtig der Datenschutz ist – Täterschutz darf nie vor Opferschutz gehen. Hier ist auch das Landesparlament weiterhin gefragt.

Schließlich gehört es zu unserer Stadtgeschichte, dass sich alternative Konzepte sexueller Orientierung und geschlechtlicher Identität hier entwickeln konnten. In Berlin formierte sich zum Beispiel die weltweit erste Organisation für die Rechte homosexueller Menschen: das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee, kurz WhK.

Der Wissenschaftler Magnus Hirschfeld gründete 1918 das Institut für Sexualwissenschaft, welches sich für gesetzliche Reformen, Forschung und Aufklärung engagierte. Das Institut führte zudem den ersten bekannt gewordenen Eingriff einer Geschlechtsangleichung durch.

Von Berlin gingen die ersten systematischen Bestrebungen aus, Themen der sexuellen und geschlechtlichen Identität zu erforschen und die Rechte queerer Menschen zu stärken, bis der Nationalsozialismus diese Bewegung erstickte. Wir haben uns erst kürzlich wieder an die Bücherverbrennung erinnert: 90 Jahren ist es her, da trugen Studenten in SA-Uniformen die Büste von Magnus Hirschfeld auf dem Weg zum Bebelplatz vor sich her, sein Werk brannte. Schlimmer noch: Queere Menschen wurden von nun an diffamiert, diskriminiert und ermordet. Auch all das gehört zur deutschen Geschichte, auch das darf nicht in Vergessenheit geraten. Und auch in der Nachkriegszeit sind Entwicklungen eher schleppend vorangekommen.

Ich denke etwa an den § 175 StGB, der erst 1994 gestrichen wurde oder an den sich in die Länge ziehenden Prozess um die Abschaffung des Transsexuellengesetzes. Im Abgeordnetenhaus sind wir uns der Tragweite dieser Debatten bewusst. Politisch können wir stigmatisierende Rollenbilder aufbrechen und die praxis- und lösungsorientierte Forschung zu Queerfeindlichkeit stärken. Gerade wir Abgeordnete können auch Vorbilder sein, indem wir einen diskriminierungsfreien Umgang mit sexueller und geschlechtlicher Vielfalt vorleben und Gewalt vehement entgegentreten.

Queere Lebensweisen sind bei uns fest verwurzelt und immer willkommen! An Berlin hängen Hoffnungen: Hoffnungen auf ein besseres Leben und der Wunsch nach freier Entfaltung. Darauf sind wir stolz.

Haben Sie vielen Dank!