Grußwort der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld zur Tagung "Der Rechtspopulismus und die Krise der Männlichkeit: Geschlechterbilder und Gewalt gegen Frauen" der Überparteilichen Fraueninitiative Berlin, Stadt der Frauen e. V.
27.11.2023 10:30, Abgeordnetenhaus, Festsaal
Heute führt uns ein ebenso ernstes wie auch öffentlich immer noch unterschätztes Thema zusammen: Gewalt gegen Frauen. Im Jahre 2022 wurden laut Berliner Polizei 17.263 Menschen in unserer Stadt Opfer häuslicher Gewalt, rund 9 Prozent mehr als 2021. Dazu zählen auch Stalking, Gewalt im Namen der Familienehre, partnerschaftliche Gewalt und interfamiliäre Gewalt. In erster Linie richtet sich diese Gewalt gegen Frauen und Mädchen. Knapp 72 Prozent der Opfer sind weiblich und nur rund 28 Prozent sind männlich. Zudem sind es oftmals Beziehungstaten, sie erfolgen in Familien, Partnerschaften und Bekanntschaften.
Das gilt erst recht im Falle jener 14 Frauen, die 2022 von ihren aktuellen oder ehemaligen Ehemännern und Partnern oder anderen Familienangehörigen in Berlin getötet wurden. In ganz Deutschland waren es 133 Frauen und Mädchen. Soweit die erschreckenden Tatsachen.
Entgegen einer weit verbreiteten Überzeugung handelt es sich bei der Mehrzahl dieser Delikte nicht um Affekttaten, ihre Ursache ist keine zufällige, spontane Gefühlsaufwallung. Femizide werden häufig von Männern begangen, die ihre Frauen seit Jahren misshandelt und geschlagen haben. Die Gewalt ist eingeübt. Diese Männer töten nicht aus Verzweiflung, sondern oft, weil sie davon überzeugt sind, ihnen werde etwas unrechtmäßig genommen, worauf sie Anspruch haben. Dabei gibt es anfangs regelmäßig keine absehbare Gewalteskalation. Es beginnt mit verbalen Verunglimpfungen und geht dann über in immer häufigere und immer intensivere körperliche Attacken. Auf Phasen der Gewaltanwendung folgen Phasen mit Entschuldigungen und einer scheinbaren Läuterung. Bis die Gewaltspirale sich wieder eine Umdrehung weiter dreht. Gerade mit dem Faktor der willkürlichen Gewährung und des willkürlichen Entzugs von Liebe und Zuneigung entsteht bei den betroffenen Frauen über die Jahre hinweg eine immer stärkere emotionale Abhängigkeit verbunden mit einem schrumpfenden Selbstbewusstsein.Oft gehen damit die weitreichende Kontrolle der Frau und ihre soziale Isolierung einher. Gerade deshalb ist es so wichtig, das Gespräch zu suchen. Wir als Gesellschaft müssen das Schweigen brechen, anstatt diesen Schritt ausschließlich von den betroffenen Frauen zu fordern. Konkret sollte man der Person vermitteln, das man, sollte sie Hilfe brauchen, für sie da ist.
Und den mutmaßlichen Täter mit Fragen konfrontieren, zum Beispiel ob in der Beziehung alles okay ist, warum er sich abwertend gegenüber seiner Partnerin verhält, ob er sich immer im Griff hat. Natürlich ist die Schwelle für viele Frauen sehr hoch, sich an die Polizei oder in Berlin an eine der drei Beratungsstellen zu wenden oder gar in eines der Frauenhäuser auszuziehen. Und doch ist es der entscheidende Schritt, Betroffene zu ermutigen, ihr Schweigen zu brechen, Hilfsangebote in Anspruch zu nehmen und Straftaten anzuzeigen. Weibliches Selbstbewusstsein, die Ausbrüche aus traditionellen Geschlechterbildern und Rollenklischees wirken auf manche Männer provokativ und lassen den Wunsch wachsen, eine so empfundene, aus den Fugen geratene Geschlechterordnung wieder mit klaren, ideologisch zugewiesenen Rollenbildern zu ordnen. Diesem Themenfeld widmen sich mehrere der heutigen Vorträge.
Die Konfliktlage zeigt sich aber nicht nur an den Postulierungen männlicher hegemonialer Identität in einem postheroischen Lebensumfeld. Sie zeigt sich auch in der Abwehr einer Kritik aufgrund einer behaupteten Unantastbarkeit einer anderen, überkommenen Kultur, die ihre Wurzeln nicht in unserem Land hat. Die Rechtfertigung für Unterdrückung und gewalttätige Einschüchterung, die Beschneidung von Lebenswegen und Möglichkeiten liegt dann darin begründet, schon immer als Einwanderer anders gewesen zu sein. Und sich gegen die Forderungen einer freien Entfaltung auch für Frauen mit dem Vorwurf zu immunisieren, dass sei Rassismus.
Nein, wir müssen wann und wo auch immer gegen fundamentale Rechte einer Hälfte der Menschen in diesem Land verstoßen wird, konsequent und nachhaltig alle Instrumente des Rechtsstaats, die Polizei und Justiz zur Verfügung stehen, auch anwenden. Täter müssen durch die Polizei in Gewahrsam genommen werden und Annäherungsverbote zum Schutz vor Gewalt und Nachstellung durch die Gerichte verhängt werden.
Dass Männer aber nicht einfach nur negative Begleiterscheinungen im Leben einer Frau sein müssen, hat bereits 1982 Ina Deter mit ihrer Band besungen:
„Hab die Männer noch nicht ganz satt
Setz es fett in die Bild-Zeitung
Emanze sucht ´ne Begleitung
Ich sprüh`s auf jede Wand
Neue Männer braucht das Land“
Wir alle arbeiten daran. Für Ihre Tagung wünsche ich Ihnen einen erfolgreichen Verlauf. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.