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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner anlässlich des 100. Geburtstages der Ehrenbürgerin Inge Deutschkron

23.08.2022 16:00, Rotes Rathaus

Inge Deutschkron hat auf den unterschiedlichsten Weisen Spuren hinterlassen.

Das haben meine Vorrednerinnen und Vorredner bereits deutlich gemacht.

Auch im Abgeordnetenhaus begegnet mir die Erinnerung an Inge Deutschkron beinahe jeden Tag. Das hat zum einen ganz einfache Gründe: Denn der Weg in mein Amtszimmer führt mich durch die Galerie der Berliner Ehrenbürgerinnen und Ehrenbürger an ihrem Porträt vorbei. Das Porträt von Inge Deutschkron hat mich dabei bereits mehrfach innehalten lassen. Sie strahlt für mich auf diesem Bild eine ungemeine Kraft und eine ganz vereinnahmende Bewegung aus. Inge Deutschkron ist ganz in ihrem Element dargestellt.

So kannten wir sie: Sie erzählt ihre Geschichte und richtet klare Botschaften an das überwiegend junge Publikum. Die jungen Menschen, Schulklassen oder Jugendgruppen hörten gebannt zu, wenn Inge Deutschkron sie mitnahm in ein Berlin, das ihnen heute so fremd erscheint.

Eine Stadt, in der Jüdinnen und Juden sowie weitere verfolgte Gruppen öffentlich entmündigt und gedemütigt wurden, dem blanken Hass und der staatlich legitimierten Gewalt ausgesetzt. Die Botschaft von Inge Deutschkron an die jungen Zuhörerinnen und Zuhörer lautete [sinng.]:

Als junge Generation habt ihr das Schicksal des Landes in euren Händen. Ihr könnt verhindern, dass sich so etwas wie die NS-Tyrannei wiederholt. Und damit bleibt viel mehr von ihr als nur ein Porträt im Abgeordnetenhaus:

Ihre Botschaft und ihr vehementer Einsatz für eine aktive politische Bildung hallen auch im Berliner Landesparlament deutlich vernehmbar nach.

Die Vehemenz und die Klarheit, mit der Inge Deutschkron ihre Botschaften formulierte und sich gegen Faschismus und Antisemitismus engagierte, bleiben unserer Stadt unvergessen.

Als wichtige Zeitzeugin können wir Inge Deutschkron nicht ersetzen.

Ihre Anliegen lebendig zu halten und pädagogische Arbeit in ihrem Sinne zu leisten, das können wir allerdings sehr wohl schaffen.

Und das ist für mich und auch für viele Kolleginnen und Kollegen im Berliner Abgeordnetenhaus auch ein wichtiger Auftrag:

Politische Bildung für alle Berlinerinnen und Berliner zugänglich zu machen, aber insbesondere für die jungen Menschen in unserer Stadt, muss uns auch weiterhin ein zentrales Anliegen sein.

Denn es ist wahr: Nur wer die Geschichte kennt, kann das Morgen gestalten.

Als Abgeordnetenhaus stärken wir mit unserem Jugendforum denk!mal ganz konkret die Stimmen junger Menschen gegen Hass und Ausgrenzung. Jedes Jahr erinnern sie rund um den 27. Januar bei uns im Haus an die Opfer des Nationalsozialismus. Sie tun das auf ganz kreative Weise und zeigen, dass sie aus der Geschichte lernen. Ich erinnere mich an mindestens zwei Gruppen, die sich dabei auch ganz konkret mit der Biografie von Inge Deutschkron befassten und diese für andere aufbereiteten.

Es war Inge Deutschkron zudem ein Anliegen, Fakten und Wissen weiterzugeben und darüber zu sprechen, was während des NS-Terrors geschehen ist, warum es zu diesem kommen konnte und welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gründe dabei eine Rolle gespielt haben.

Auch diesen Gedanken greifen wir auf.

Immer wieder zeigen wir in unserer Wandelhalle, also unmittelbar vor dem Plenarsaal, Ausstellungen, die sich mit der NS-Vergangenheit – und nicht weniger wichtig: auch dem jüdischen Leben in Deutschland – beschäftigen.

In diesem Jahr rückte die Ausstellung „WIR! SIND! HIER!“ Überlebende des Nationalsozialismus in den Fokus.

Kurz darauf unterstrich die Ausstellung „Shared History“, dass die deutsche und die jüdische Geschichte seit vielen Jahrhunderten eng verwoben sind.

Mit diesen Ausstellungen leisten wir einen Beitrag gegen das Vergessen und geben aktiv Wissen weiter – ganz im Sinne von Inge Deutschkron.

Inge Deutschkron selbst beschrieb ihren Charakter mit einem „nun erst recht“.

Mit ihrer Einstellung, sich nicht unterkriegen zu lassen, bleibt Inge Deutschkron auch für mich ganz persönlich ein Vorbild.

Als Politikerinnen und Politiker haben auch wir – manchmal unfreiwillig – eine Vorbildfunktion inne. Wir können uns dabei gut an Inge Deutschkron orientieren, indem wir klar sind in unseren Worten, Haltungen und Zielen.

Es waren die jungen Leute, die Inge Deutschkron im Nachkriegsdeutschland zuhörten und über den Nationalsozialismus sprechen wollten, während viele ihrer Eltern und Großeltern verdrängten oder abwiegelten.

Kinder und Jugendliche haben meist weniger Angst vor der Wahrheit und mehr Mut, die Dinge zu verändern. Ich finde es daher wichtig, dass gerade wir in der Politik uns an Inge Deutschkron ein Beispiel nehmen und uns den jungen Menschen gegenüber zur Wahrheit verpflichten.

Wir erleben ja, dass auch in Demokratien Populisten zu Präsidenten werden, Fake News in großem Stil verbreitet werden und die Korrektive versagen.

Das ist gefährlich. Desinformation und Dramatisierung können Kriege entfachen. Fakten zu respektieren, transparent zu agieren und ehrliche Politik zu machen, bleibt insofern Priorität.

Das sind wir Inge Deutschkron schuldig, wir sind es den nächsten Generationen schuldig. Neben dem einmaligen Charakter von Inge Deutschkron gibt es noch so viel mehr, was wir jungen Menschen in ihrem Sinne als Kompass mit auf ihren Weg geben können.

Da sind die Worte ihrer Mutter, die im nationalsozialistischen Berlin zu ihrem (Über-)Lebensmotto wurden. Als die Mutter ihr offenbarte, Jüdin zu sein, riet sie ihr: „Lass Dir nichts gefallen. Falls Dich jemand angreift, wehr Dich!“.

Das ist eine Botschaft, die ich für Jugendliche unglaublich stark finde. Ganz gleich, ob Herkunft oder Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung.

Der Hass dagegen ist immer falsch, nicht man selbst. Diese Botschaft sollten wir nicht nur weitergeben, sondern auch vorleben: Steht dafür ein, wer ihr seid!

Es geht in den Erlebnissen von Inge Deutschkron auch um Freundschaften und die „stillen Helden“ wie Otto Weidt. Menschen, die ihren eigenen Überzeugungen folgten und das Richtige taten, indem sie Inge Deutschkron und ihrer Mutter im Untergrund halfen, entgegen dem nationalsozialistischen Mainstream und zum Trotz der damaligen Gesetze.

Auch ihre Botschaften können wir den jungen Menschen mitgeben: Steht für eure Überzeugungen ein und seht nicht weg, wenn Menschen in Not sind.

Seid anderen Freund und nicht Feind. Wenn ich bei uns im Haus beobachte, wie Berlinerinnen und Berliner, junge Menschen, Gäste der Stadt und Abgeordnete vor dem Porträt von Inge Deutschkron verweilen, dann schenkt mir das Hoffnung.

Wenn wir alle ein bisschen was von dieser Bewegung, die Inge Deutschkron auf ihrem Porträt vermittelt, aufnehmen – dieses überzeugte „nun erst recht“ – dann bin ich mir sicher, dass wir Berlin in ihrem Sinne gestalten werden.

Vielen Dank!