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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Gedenkstunde auf dem Friedhof der Märzgefallenen

18.03.2015 17:00, Ernst-Zinna-Weg / Landsberger Allee

Wir sind heute zusammen gekommen, um zu Ehren der März-Gefallenen von 1848 Kränze niederzulegen. Wir gedenken so der toten Barrikadenkämpfer vom 18. März, die für die Idee der Freiheit, die für den Wunsch nach politischer Teilhabe und die für die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit starben. Das Gedenken an die März-Gefallenen ist so alt wie die Revolution von 1848 selbst. Und wir, die wir heute hier versammelt sind, halten diese Tradition aufrecht. Wir tun dies in dem Wissen, dass unsere heutige demokratische und geeinte Gesellschaft ihren Ursprung in den revolutionären Tagen von 1848 hat. Ich möchte heute im Jahr 1848 bleiben. Wie sehr die Stadtbevölkerung Berlins durch die Barrikadenkämpfe aufgewühlt wurde, wie sehr die Menschen ergriffen waren von den Ereignissen – das machten die damalige Trauerfeier und der Trauerzug für die getöteten Revolutionäre am 22. März 1848 deutlich. Über 100.000 Menschen folgten damals den Särgen. Und es waren nicht nur Menschen aus sozial benachteiligten Schichten, die sich dem Trauerzug anschlossen. Aus zeitgenössischen Berichten wissen wir: Nahezu sämtliche bürgerliche städtische Honoratioren waren ebenfalls dabei. Sie präsentierten sich während der Trauerfeierlichkeiten an prominenter Stelle. Das ließ sich durchaus als Signal werten: Niemand wollte sich der neuen Zeit verschließen, die mit den Februar- und Märzrevolutionen anbrach. Gesellschaftliche Umbrüche lagen förmlich in der Luft. Keiner konnte und keiner wollte sich diesen Eindrücken entziehen. Und König Friedrich Wilhelm IV, der die Barrikaden stürmen ließ? Selbst er salutierte den Särgen des Trauermarsches vom Balkon des Schlosses. Es war wohl die Angst, die ihn dazu trieb. Er tat es sicher nicht aus Reue. Es fällt insgesamt auf, dass die revolutionären Ereignisse vom März 1848 noch nicht gleich dazu führten, politisch instrumentalisiert zu werden. Dazu war der Schock zu groß. Doch das änderte sich schon bald. Denn die Legitimität der Berliner Revolution und ihrer Kämpferinnen und Kämpfer wurde von den reaktionären Kräften konsequent infrage gestellt. Das blieb nicht ohne Gegenreaktion. So fand am 4. Juni 1848 eine Demonstration in Berlin statt, die auf den Friedrichshain zu den Gräbern führte. Es waren nach zeitgenössischen Quellen bis zu 250.000 Menschen, die demonstrierten. Fürwahr eine imposante Kulisse.  Anders als beim Trauerzug am 22. März waren bei dieser Demonstration ausschließlich Demokraten unterwegs. So fehlten der Magistrat der Stadt, die Hochschullehrer, die Mitglieder der Kooperation der Kaufmannschaft, die Geistlichkeit und die konservativ geprägte Minderheit der Berliner Bürgerwehr. Die linksliberale Nationalzeitung schrieb dann auch am 9. Juni 1848: Obrigkeit und bürgerliche Honoratioren hätten von ihrer anfänglichen, scheinheiligen Verehrung der März-Gefallenen Abstand genommen. Sie wären längst ins Lager der Revolutionsgegner gewechselt. Wir sehen also, dass schon wenige Wochen nach der Revolution, die politische Instrumentalisierung einsetzte. Die Teilung der Gesellschaft nahm ihren Lauf. Und wir erkennen zudem, dass in der Folgezeit politische Parteien entstanden, die ihre Existenz auch dadurch rechtfertigten, wie sie zu den Forderungen der Revolution von 1848 standen. Insofern können wir sagen: Am Anfang stand die Revolution. Und sie entfaltete eine Macht, die bis in unsere Zeit hereinragt. Ja, wir müssen uns als demokratisches Land auf das Ereignis der Revolution von 1848 berufen – sie vermittelt uns Identität aus unserer eigenen Geschichte heraus. Dort – in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts – dort sind unsere Wurzeln als demokratische Gesellschaft. Umso überraschender ist es, dass unsere Feierlichkeiten zur Erinnerung an 1848 so glanzlos bleiben. Das unterscheidet uns von Frankreich, wo das Jahr 1789 sehr hochgehalten wird als Feiertag. Und zwar jedes Jahr auf’s Neue. Und so wird es wichtig bleiben: Setzen wir uns weiter dafür ein, dass wir eine nationale Gedenkstätte für die Revolution von 1848 erhalten. Das sind wir den Vorkämpfern unserer Demokratie schuldig, die wir heute ehren. Ja, und wir sind es uns selbst schuldig. Vielen Dank!