1. zur Suche
  2. zur Hauptnavigation
  3. zum Inhalt
  4. zum Bereichsmenü
Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich des Gedenkgottesdienstes zum 70. Jahrestag des Kriegsendes in Berlin

02.05.2015 15:00, Neue Himmelfahrtskirche

Wenige Wochen nach der deutschen Kapitulation am 8. Mai 1945 schrieb Thomas Mann aus dem kalifornischen Exil: Die Deutschen sollten „sich jetzt nicht in erster Linie als Deutsche, sondern als Menschen fühlen, die es nicht zur Selbstbefreiung geschafft haben, sondern durch äußere Mächte zur Menschheit zurückgeführt werden müssten.“ Das Kriegsende und die Besatzungsmächte werden uns wieder zur Menschheit zurückführen. Was für eine Aussage! In ihr steckte so viel Hoffnung, so viel Offenheit für eine deutsche Zukunft in einer zivilisierten Welt. Vielleicht konnte nur jemand so denken und formulieren, der weit weg von Deutschland leben musste. Die Berlinerinnen und Berliner, die in den Steinwüsten der Stadt verharrten, ohne Nahrung, ohne Trinkwasser, vielleicht auch ohne ein Dach über dem Kopf – sie waren zu derartigen Visionen noch nicht in der Lage. Was sie bewegte, das können wir uns wohl gut vorstellen: Es war Angst. Wie sollte es mit ihnen weitergehen? Wie würden die Siegermächte reagieren? Was würden sie mit ihnen machen? Würden sie überleben? In den Worten von Thomas Mann steckte sehr viel Prophezeiung. Und er lag, wie wir heute wissen, richtig mit seiner Einschätzung: Die Besatzungsmächte haben uns unmittelbar nach dem Krieg geholfen. Sie haben nicht weg geschaut, sie haben nicht gewütet. Sie haben trotz des Hasses auf die Deutschen versucht, das Weiterleben zu ermöglichen. Davon zeugen alle zeitgeschichtlichen Quellen. Das war keine leichte Aufgabe, der sich die Besatzungsmächte aber stellten. Sicher: Es gab Ungerechtigkeiten. Und es gab Übergriffe von Soldaten. Die Furcht vor den sowjetischen Soldaten war besonders groß. Das war Folge der nationalsozialistischen Propaganda. Doch es stimmt nicht, dass die sowjetischen Militärs und Offiziere tun und lassen konnten, was sie wollten. Da gab es den Befehl 180 des sowjetischen Stadtkommandanten und späteren Ehrenbürgers Berlins, Nikolai Bersarin, der klar bestimmte, dass Plünderungen, Vergewaltigungen und sonstige Übergriffe von Soldaten hart bestraft werden würden. Aber auch alle anderen Befehle des sowjetischen Stadtkommandanten machen deutlich: es ging um den Aufbau einer neuen öffentlichen Ordnung, und es ging um die Verbesserung der Versorgungslage für die Menschen in der Stadt. Wir wissen, dass die westlichen Besatzungsmächte ungeheuer viel in dieser Hinsicht seit Anfang Juli 1945 geleistet haben. Und sie sicherten Freiheit und Demokratie im Westteil der Stadt. Natürlich überlagerten ideologische und politische Spannungen schon bald nach Kriegsende das Verhältnis der einstigen Alliierten untereinander. Der Kalte Krieg nahm Formen an. Und er bestimmte und bestimmt latent bis heute unser Bild und unsere Wertung der Nachkriegszeit. Das, was jedoch wichtig ist, wenn wir der insgesamt 60 Millionen Kriegsopfer gedenken, ist die Einsicht: Es gibt keine Alternative zum Frieden mehr. Und schon gar nicht darf ein Krieg jemals wieder von deutschem Boden ausgehen. Das ist und bleibt unsere Verantwortung als Deutsche. Der Zweite Weltkrieg hat Spuren hinterlassen. Manche liegen im Verborgenen. Die Ruinen mahnen uns. Der Verein Berliner Unterwelten und die Evangelische Kirche am Humboldthain haben nun die Initiative ergriffen, damit wir künftig einen Teil einer zerstörten Kirche wieder mit Hilfe eines Archäologischen Fensters sehen können. Es ist die ehemalige Himmelfahrtskirche im Rosengarten des Humboldthains. Sie lag am Fuß des dortigen Flakbunkers und wurde in den letzten Kampfhandlungen um Berlin schwer zerstört. Wir werden im Anschluss dieses Gottesdienstes das Archäologische Fenster mit einer Gedenkfeier einweihen und so an das Ende des Zweiten Weltkrieges in Berlin gedenken. Ich möchte nun allen danken, die diese Idee hatten und sie umgesetzt haben. Wir brauchen die  Auseinandersetzung mit der Geschichte Berlins im Stadtbild. Wir Berliner haben allen Anlass, dankbar zu sein. Der verlorene Krieg war für viele Menschen eine Katastrophe. Aber er war gleichzeitig der Ausgangspunkt für eine bessere Zukunft in einem geeinten Europa. Den Frieden zu bewahren – das ist und bleibt die Verpflichtung von uns Deutschen. Nur so können wir unserer geschichtlichen Verantwortung gerecht werden. Ich danke Ihnen.