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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Grußwort des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zum Empfang der Hungertuchwallfahrer

08.03.2014 12:00, Foyer

- Es gilt das gesprochene Wort - Ich darf Sie alle ganz herzlich in unserem Berliner Parlamentsgebäude begrüßen. Fürwahr: Der Anlass Ihres Besuchs ist ein ernster: Es hungern zu viele Menschen auf unserer Erde. 850 Millionen Menschen sind es weltweit. Das ist traurig. Und auch ich frage mich natürlich: Muss das sein? Ich finde es ganz ausgezeichnet, dass die Katholische Kirche und Misereor auf das Hungerelend in zu vielen Teilen der Welt aufmerksam machen. Die Hungertuchwallfahrt und die Überbringung des Hungertuchs sind eine außergewöhnliche Aktion, um auf diesen Missstand in der Welternährung hinzuweisen. Und ich möchte deshalb zunächst all denen danken, die sich mit auf den Weg gemacht haben, um das Hungertuch nach Berlin zu bringen. Vielen Dank für dieses ganz persönliche Engagement. Menschen meiner Generation wissen nicht mehr, was Hunger und Durst bedeuten. Wir hatten in Deutschland schon wenige Jahre nach dem Krieg immer genug zu essen und zu trinken. Und das hat in erster Linie damit zu tun, dass wir in Europa seit Ende des Zweiten Weltkriegs Frieden haben. In Regionen, in den Frieden herrscht, gibt es eher selten Hunger und Not. Und es hat aber auch damit zu tun, dass wir in Deutschland unter demokratischen Bedingungen leben. Der indische Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Amartya Sen hat es folgendermaßen auf den Punkt gebracht: „Demokraten können ihre Bürger nicht verhungern lassen. Diktatoren schon.“ Es gibt sehr wohl einen direkten Zusammenhang zwischen einer hungernden Bevölkerung und ihrer jeweiligen Regierung. Prägnanter kann man es nicht formulieren, als es Amartya Sen tat. So sehr die politische Unterdrückung auch mit dem Hunger der jeweiligen Bevölkerung zusammenhängt – ich denke da zum Beispiel an Nordkorea -, es ist nicht der alleinige Grund für das Hungerphänomen.  Die Gründe für den Hunger sind schon vielfältig. Und auch wir müssen uns fragen, inwieweit wir in Deutschland und Europa dazu beitragen, dass viele Menschen hungern müssen. Da ist ganz weit oben unsere Verschwendungssucht zu nennen. Wir produzieren Lebensmittel, die dann später im Müll landen. Das hat groteske Züge mit fatalen Folgen. In vielen Industrieländern sind es bis zu 50 Prozent der produzierten Lebensmittel: Von den Verbrauchern, vom Handel und von der Gastronomie. Allein das Essen, das wir in Europa so vernichten, hat eine Dimension, die betroffen macht. Die Lebensmittel  würden nämlich zweimal reichen, um alle Hungernden der Welt zu ernähren. Das ist schon ein Skandal. Würden wir also weniger Geld für unser Essen ausgeben, weil es zu häufig weggeworfen wird, und das gesparte Geld spenden, dann wäre das schon ein guter Ansatz zur Unterstützung von Hilfsorganisationen. Ein weiteres Stichwort ist der Klimawandel, zu dem wir erheblich beitragen. All die Dürrekatastrophen, Überflutungen und Stürme, die deutlich zugenommen haben, sind auch hausgemacht. Und wenn wir unser Engagement gegen den Klimawandel nicht endlich forcieren, dann kann der Kampf gegen den Hunger nicht gewonnen werden, weil viel zu viele Ernten vernichtet werden. Oder nehmen wir das Abfischen vor Westafrika als weiteres Beispiel, das im Rahmen der EU-Fischereipolitik stattfindet. Wir machen damit die einheimischen Fischer arbeitslos. Und so tragen wir dazu bei, dass Nahrungsmittel für die dortige Bevölkerung fehlen. Es gibt Fakten, die sind einfach unglaublich. Würden wir unseren Fleischkonsum umstellen und etwas weniger Fleisch essen, dann bräuchte man weniger Getreide für das Viehfutter. Drei Prozent weniger Fleisch auf dem Teller bedeuten einen Getreideüberschuss, der eine Milliarde Menschen zusätzlich satt machen würde. Wir müssen also nicht zu Vegetariern werden, aber es muss auch nicht jeden Tag nur Fleisch sein. Das wäre ein einfacher Weg, um den Welthunger zu bekämpfen. Im Zusammenhang mit der Energienutzung von Getreidearten, sei es für Biogas oder Ethanol, zwingen wir viele Entwicklungsländer zum Anbau von Monokulturen. Auch das führt natürlich zur Zweckentfremdung der Landwirtschaft in diesen Ländern. Auf der Strecke bleiben die Menschen, die in diesen Ländern noch weniger Getreide für die Ernährung haben. Und so sind wir es, die den Hunger fördern, nicht bezwingen. Es reicht sicher nicht aus, nur zu klagen. Und nicht nur die Politik allein wird alle Probleme lösen können, die den Welthunger betreffen. Doch was mir wichtig scheint: Jeder Einzelne von uns kann tagtäglich einen kleinen Beitrag dazu leisten, um den Hunger in der Welt zu verringern. Und wer es nicht schafft, seine Ernährung und seine Lebensgewohnheiten umzustellen, dem bleibt die Spende. Zum Beispiel an Misereor. Auch das ist wichtig. Denn Misereor arbeitet seit 1958 daran, den Ärmsten der Armen zu helfen. Und vielleicht ist die Fastenzeit der richtige Moment, daran zu erinnern, dass es zu viele Menschen gibt, die nichts zu essen haben. Sie haben den Hunger satt! Ich denke, Ihr Motto bringt es auf den Punkt. Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und herzlich willkommen im Berliner Abgeordnetenhaus.