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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld anlässlich des Empfanges zum 75. Jahrestag der Staatsgründung Israels

11.07.2023 18:00, Abgeordnetenhaus, Festsaal

Am 14. Mai 1948 proklamierte der jüdische Nationalrat den Staat Israel mit Wirkung ab Mitternacht zu Beginn des Folgetages, des
15. Mai 1948. David Ben Gurion, Vorsitzender des jüdischen Nationalrates und späterer erster Ministerpräsident verlas die offizielle Unabhängigkeitserklärung, die in der Aussage gipfelte:

„… die Mitglieder des Nationalrates … verkünden hiermit Kraft unseres natürlichen und historischen Rechtes und aufgrund des Beschlusses der Vollversammlung der Vereinten Nationen die Errichtung eines jüdischen Staates im Lande Israel – des Staates Israel.“

Fast unmittelbar darauf musste der neue Staat, musste Israel, um seine Existenz kämpfen:

Ägypten, Transjordanien, Syrien, Libanon und Irak lehnten die Staatsgründung ab und erklärten Israel den Krieg.

Israel gelang die Abwehr des Angriffs der Staaten der Arabischen Liga. Es blieb kein Einzelfall.

Der Kampf um die bloße Existenz des Staates Israel hat seit seiner Gründung nicht aufgehört. Sein Bestand ist bis heute nicht selbstverständlich oder allgemein akzeptiert. Diese Grundlage aller israelischen Politik wird auch in Deutschland zu häufig verdrängt. Die Gründung Israels als Heimstatt der Juden hat natürlich eine Vorgeschichte. Wesentliche Elemente dieser Vorgeschichte entstanden in Europa, in Deutschland und in Berlin.

Nach einer langen Zeit der Diskriminierung, der Rechtlosigkeit, der wiederkehrenden Vertreibungen und Pogrome bot die Epoche der Aufklärung erste Ansätze für Gleichstellung und Teilhabe. Hier in Berlin war es zweifelsohne Moses Mendelsohn, der Anerkennung in intellektuellen Kreisen fand und dem dessen Freund Gotthold Ephraim Lessing in seinem Drama „Nathan der Weise“ ein bleibendes Denkmal schuf.

Für den Austausch der geistigen Protagonisten der Aufklärung in Berlin um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert sorgten die regelmäßigen „Gesellschaften“, zu denen die hochgebildeten jüdischen Damen Henriette Herz und insbesondere Rahel Varnhagen von Ense einluden und inhaltlich beitrugen. Ihre später „Salons“ genannten Debattierklubs fanden vom heutigen Abgeordnetenhaus in fußläufiger Entfernung an verschiedenen Orten in der Friedrichstadt, zum Beispiel in der Charlottenstraße und der Mauerstraße, in ihren privaten Wohnräumen statt.

Einen gewissen Höhepunkt jüdischer Emanzipation in Berlin und Preußen stellt sicher das Leben Gerson von Bleichröders dar. Nicht nur, dass er ein sehr erfolgreicher  Bankier und Unternehmer war, führend bei der frühen Eisenbahn- und Industriefinanzierung. Er war auch ein aktiver Protagonist in der Politik  Preußens und des zweiten Kaiserreiches. Otto von Bismarck vertraute ihm die Betreuung und Mehrung seines persönlichen Vermögens an und dank seiner internationalen Kontakte war er auch als sein Emissär unterwegs, der heikle politische Botschaften vermittelte, die Bismarck im diplomatischen  Austausch offiziell nicht formulieren wollte.

Als Mitglied des „Preußen-Konsortiums“ war Bleichröder an der Finanzierung Preußens und des Reiches beteiligt. Ohne die durch ihn organisierte Staatsanleihe hätte Preußen die nötigen Finanzmittel im preußisch-österreichischen Krieg 1866 nicht aufbringen können. Zwar wurde er als erster nichtkonvertierter Jude 1872 in den erblichen Adelsstand erhoben, fand jedoch nicht die Anerkennung gerade jener adeligen Kreise, denen er sich jetzt offiziell angehörig fühlen durfte und wurde mit dem wachsenden Antisemitismus konfrontiert, der seit den 1880er Jahren zunehmend grassierte. Seine Bank fiel in Teilen der Arisierung durch die Nationalsozialisten und seine Nachfahren dem Holocaust zum Opfer.

Zitat aus der Unabhängigkeitserklärung Israels: „Die Katastrophe, die in unserer Zeit über das jüdische Volk hereinbrach und in Europa Millionen von Juden vernichtete, bewies unwiderleglich aufs Neue, dass das Problem der jüdischen Heimatlosigkeit durch die Wiederherstellung des jüdischen Staates im Lande Israel gelöst werden muss, in einem Staat, dessen Pforten jedem Juden offenstehen, und der dem jüdischen Volk den Rang einer gleichberechtigten Nation in der Völkerfamilie sichert.“

Die Katastrophe, die die israelische Unabhängigkeitserklärung von 1948 hier anspricht – der Holocaust, wie wir sie heute benennen – wurde in Berlin mutmaßlich nach dem Angriff auf die Sowjetunion in der zweiten Jahreshälfte des Jahres 1941 entschieden und auf der von Reinhard Heydrich einberufenen sogenannten „Wannseekonferenz“ am 20. Januar 1942 geplant.

Die Konferenz diente der Organisation der Deportation der gesamten jüdischen Bevölkerung Europas in den Osten zum Zwecke der Vernichtung und sollte die umfassende Koordination der höchsten Beamten aller wichtigen Ministerien für den laufenden Völkermord sicherstellen. Und der industrielle Prozess der beabsichtigten Auslöschung wurde mit unendlichem Leid für die Betroffenen mit deutscher Gründlichkeit durchgeführt.

Daraus ergibt sich eine besondere Bindung zwischen Israel und Deutschland, eine besondere Verantwortung Deutschlands und der Deutschen mit ihrer Hauptstadt Berlin für den Staat Israel. Die Bundeskanzlerin des wiedervereinigten Deutschlands, Angela Merkel, hat dem Rechnung getragen, als sie vor dem israelischen Parlament, vor der Knesset, erklärte, das die Existenz und der Bestand Israels zur Staatsräson Deutschlands gehören.

Eine Sicherheitsgarantie, eine Selbstverpflichtung, die außerhalb des NATO- Bündnisses einmalig ist. 75 Jahre nach der Staatsgründung können wir festhalten, dass Israel ein Erfolgsmodell geworden ist. Politisch als einzig funktionierende Demokratie in seiner Region, wirtschaftlich für eine ständig wachsende Bevölkerung, führend in der Entwicklung und Anwendung bedeutender Technologien und militärisch in seinen Fähigkeiten zur Selbstverteidigung. Und, wovon sich die Schüler im ersten Veranstaltungsteil des heutigen Tages ein Bild machen konnten, ein Land voller lebensfroher, kreativer und innovativer Menschen, die durch viele unterschiedliche kulturelle Wurzeln geprägt sind.

Das wahrnehmbar insbesondere eine Reihe jüngerer Israelis Berlin als Lebensabschnittsort gewählt haben, ist – zusammen mit einer lebendigen jüdischen Gemeinde – das schönste Kompliment, welches dieser Stadt geschenkt werden kann. Und wie manche dieser jungen Menschen knüpfen auch Sie, lieber Herr Botschafter Prosor, an die Geschichte ihrer Familie in Berlin an.

Wir wollen gerne auch in der Zukunft dazu beitragen, dass sich die Geschicke Israels und seiner Menschen weiterhin positiv entwickeln.