Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin Cornelia Seibeld zu "75 Jahre Grundgesetz"
23.05.2024 10:00, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Unsere heutige Plenarsitzung findet an einem ganz besonderen Tag statt: dem 23. Mai 2024.
Gestatten Sie mir daher einige Worte zum Beginn des heutigen Tages:
Wir feiern heute 75 Jahre Grundgesetz. Und das ist ein echter Grund zum Feiern. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben in den Beratungen des Herrenchiemseer Verfassungskonvents und anschließend im Parlamentarischen Rat ein kleines Wunder vollbracht. Auf der Grundlage der Erfahrungen der deutschen Geschichte hat diese Verfassung der Welt – aber auch den Deutschen – das Versprechen gegeben, dass Deutschland zukünftig ein demokratischer und freiheitlicher Rechtsstaat sein wird. Und zu unser aller großem Glück ist es in den vergangenen 75 Jahren gelungen, dieses Versprechen einzulösen.
Das Grundgesetz ist bewährter Ausdruck unserer gemeinsamen Werte und Staatsprinzipien. Demokratie, Rechtsstaat, Sozialstaat und die Einteilung in Bundesländer sind verpflichtende Vorgaben. Alle Institutionen – Regierungen wie Behörden, Parlamente wie Gerichte – müssen sich daran halten.
„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Artikel 1, Absatz 1, Satz 1 ist der Ausgangspunkt und die Leitlinie für den wichtigsten Teil unseres Grundgesetzes, die Grundrechte. Aus dem Katalog der Grundrechte möchte ich nur einige, für die Politik aber besonders bedeutende ansprechen. Es sind solche Grundrechte, die unbedingte Voraussetzung für eine freie und faire Diskussion gerade auch in Zeiten der inneren und äußeren Bedrohung und möglicher Spaltungen unserer Gesellschaft sind.
Art. 3 GG „Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.“
So schlicht und richtig, dass es mancher detaillierter Relativierungen, die wir auch in diesem Haus in den vergangenen Jahren auf den Weg gebracht haben, gar nicht bedurft hätte.
Art. 5 GG garantiert das Recht der freien Meinungsäußerung. Alle 159 Abgeordnete unseres Hauses müssen dieses Recht auch mit seinen Einschränkungen – z.B. hinsichtlich der Verletzung der Persönlichkeitsrechte anderer – ernst nehmen. Genauso wie die Bürger es nicht nur jeweils für sich selber in Anspruch nehmen, sondern auch ihren Mitbürgern zubilligen müssen. Meinungsstark zu sein, gehört zum Demokraten, genauso wie den Widerspruch einer anderen Meinung zu respektieren.
Art. 8 GG „Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.“ Die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit ist ein hohes Gut. Sie ist die Schwester der Meinungsfreiheit. Wie diese, ist sie nicht schrankenlos. Wer also ein Kalifat, eine antidemokratische Theokratie fordert, wer die Unterstützung von Terrorakten wie die der Hamas bekundet, wer zur Verfolgung von Minderheiten aufruft, der verstößt gegen Verfassungsprinzipien. Dagegen muss eine wehrhafte Demokratie einschreiten.
Art 14 GG besagt, Eigentum wird geschützt, sein Gebrauch soll aber zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen. Wie dieser Anspruch am besten sinnvoll austariert werden kann, z.B. bei der Verwirklichung von Wohnraum zu angemessenen Preisen, ist immer wieder neu auszuhandeln und zu gestalten.
Sie sehen also, liebe Kolleginnen und Kollegen, für uns als Landesparlament genau wie für die Berlinerinnen und Berliner gelten einige verbindliche Handlungsvorgaben des Grundgesetzes.
In diesem Sinne wünsche ich uns allen in der Sache kontroverse und in der Form verbindliche Beratungen heute und in der Zukunft.