Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zu Tel Aviv, zu Beginn der Plenarsitzung
26.06.2025 10:00, Abgeordnetenhaus, Plenarsaal
Seit dem 5. Mai dieses Jahres verbindet Berlin eine neue Städtepartnerschaft mit der israelischen Metropole Tel Aviv – die neunzehnte in unserer Geschichte.
Am Dienstag hatte ich die Gelegenheit zu einem ausführlichen Telefonat mit dem Bürgermeister von Tel Aviv, Ron Huldai, in dem ich mir den derzeitigen Alltag in unserer Partnerstadt schildern lassen konnte. An den Inhalten des Telefonats möchte ich Sie gerne teilhaben lassen und gar nicht der Versuchung erliegen, die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten politisch oder völkerrechtlich zu bewerten. Eine solche Einordnung würde nicht nur den Rahmen dieser Parlamentssitzung überreizen – sie würde auch dem Anlass nicht gerecht und eine solche außenpolitische Bewertung würde mir auch gar nicht zustehen.
Ich danke der Israelischen Botschaft, die hier sehr unterstützt hat. Und ich danke Ron Huldai, denn es ist alles andere als selbstverständlich, in einer solchen Situation zu einem längeren Telefonat zur Verfügung zu stehen. Aber genau diese Kontakte auf allen Ebenen zeigen den Sinn von Städtepartnerschaften: den Austausch zwischen Menschen, das gegenseitige Lernen – und die Solidarität in schwierigen Zeiten.
Tel Aviv stand sinnbildlich als Tor zum Westen im Zentrum der Angriffe. Dabei wurden nicht nur etliche Wohngebäude zerstört, auch zentrale kulturelle Orte der Stadt wurden schwer beschädigt – darunter viele denkmalgeschützte Bauhaus-Gebäude, das Liebling-Haus sowie Teile des Tel Aviv Museum of Art. Sie sind nicht nur architektonisches Erbe, sondern identitätsstiftende Orte einer weltoffenen Gesellschaft. Wer Tel Aviv kennt, weiß, wie lebendig, wie offen diese Stadt normalerweise ist. Doch in den vergangenen Wochen herrschte de facto eine Ausgangssperre. Schulen blieben geschlossen, lediglich lebensnotwendige Einrichtungen wie Supermärkte und Apotheken hatten sporadisch geöffnet. Das öffentliche Leben kam nahezu zum Erliegen.
In unserem Gespräch hat Bürgermeister Ron Huldai jedoch nicht nur über die Lage berichtet. Er schilderte, wie die Bürgerinnen und Bürger Tel Avivs im Ernstfall in wenigen Augenblicken die Schutzräume aufsuchten, wie sich gegenseitig geholfen wurde, wie sie trotz allem versuchten, ihren Alltag zu meistern. Wie Berlin steht Tel Aviv für Vielfalt, für demokratische Kultur, für zivilgesellschaftliches Engagement. Menschen aus über 140 Ländern leben dort – ein Mosaik urbanen Lebens, das durch Vielfalt und Akzeptanz geprägt ist. Hebräisch, Arabisch, Englisch, Französisch – diese Sprachen und viele weitere prägen das Stadtbild ebenso wie die religiöse, ethnische und sexuelle Diversität. Diese Offenheit verbindet unsere beiden Städte. In Tel Aviv wie in Berlin ist gesellschaftliche Vielfalt keine abstrakte Idee – sie ist gelebte Realität. Hier können Menschen – unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung – offen und friedlich feiern. Die Pride Parade von Tel Aviv, die dieser Tage eigentlich stattgefunden hätte, ist ein Symbol dieser Freiheit – so, wie der CSD in Berlin.
Doch Tel Aviv steht nicht nur für kulturelle Offenheit. Die Stadt steht auch für den Einsatz für demokratische Grundwerte. Im September 2023 waren es über 100.000 Bürgerinnen und Bürger, die in Tel Aviv auf die Straße gingen, um die Unabhängigkeit der Justiz zu verteidigen. Es war ein starkes Zeichen für Rechtsstaatlichkeit und demokratische Verantwortung – getragen von einer aktiven Zivilgesellschaft. Und genau diese Werte und Überzeugungen verbinden uns. Städtepartnerschaften sind weit mehr als rein administrative Abkommen. Sie sind Ausdruck eines gemeinsamen politischen und gesellschaftlichen Verständnisses. Sie basieren auf der Überzeugung, dass wir aus der Geschichte lernen müssen, dass Frieden auch auf Beziehungen zwischen Menschen beruht.
Das gelingt im Übrigen in den Bezirken mit den zahlreichen Städtepartnerschaften großartig. Schüleraustausche, Jugend-camps, Konferenzen zu wirtschaftlichen Themen oder der bereits seit 2012 bestehende Freundschaft- und Kooperationsvertrag der Rechtsanwaltskammern unser beiden Städte – eine Partnerschaft lebt vom gegenseitigen Austausch und entgegengebrachten Vertrauen. Durch diese Partnerschaften können wir Brücken bauen – zwischen Menschen, zwischen Kulturen, zwischen demokratischen Gesellschaften. Unsere Partnerschaften, und speziell die mit Tel Aviv, sind mehr als ein symbolisches Zeichen. Sie sind ein politischer Auftrag: ein Auftrag zur Verteidigung der Demokratie, zur Förderung gesellschaftlicher Resilienz – und zur Zusammenarbeit im Sinne gegenseitiger Verantwortung.
Gerade jetzt ist es wichtig, diese Beziehung mit Leben zu füllen. Wenn wir heute über unsere Verantwortung als Stadt sprechen, dann geht es eben nicht nur um wirtschaftlichen Austausch oder kulturelle Begegnung. Dann geht es um unsere Haltung – und um unsere Entschlossenheit, als demokratische Stadt an der Seite unserer Partner zu stehen.
Für die Menschen im Nahen Osten wünsche ich mir, dass die derzeitige Waffenruhe einen Friedensprozess für die gesamte Region einleitet.
Vielen Dank.