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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zur Ausstellungseröffnung "30 Jahre Stiftung Zurückgeben"

03.06.2025 17:00, Abgeordnetenhaus, Wandelhalle

Heute eröffnen wir eine bemerkenswerte Ausstellung, die auf eindrucksvolle Weise Erinnerung, Verantwortung und künstlerischer Auseinandersetzung miteinander verbindet. Ich freue mich, dass Sie alle diesen besonderen Moment mit uns teilen und durch ihre Anwesenheit zur Bedeutung dieses Anlasses beitragen. Erst vor wenigen Wochen haben wir in Berlin des 80. Jahrestag des Kriegsendes und der damit verbundenen Befreiung Europas vom Nationalsozialismus gedacht. Die bedingungslose Kapitulation der Wehrmacht markierte das Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und mündete in einen Neubeginn – getragen vom Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Doch für viele Jüdinnen und Juden war auch nach der Shoa ein Neuanfang, eine Zukunft hier in Deutschland, nicht vorstellbar. Wie sollte es auch gehen? Es fehlte an allem – an Sicherheit, an Vertrauen, an einer Grundlage für den Wiederaufbau des eigenen Lebens. Die Spuren jüdischen Lebens waren durch den NS-Terror fast vollständig ausgelöscht.

Der brutalen Verfolgung und Ermordung von über einer halben Million Jüdinnen und Juden in Deutschland ging eine systematische Verdrängung aus nahezu allen Lebensbereichen voraus. Durch den sukzessiven Entrechtungs- und Enteignungsprozess verloren jüdische Bürgerinnen und Bürger ihren gesamten Besitz. Seit 1933 wurden fortlaufend neue Abgabezwänge erlassen. Jüdinnen und Juden mussten ihre Betriebe aufgeben, ihre Arbeitsstellen verlassen, ihr Vermögen abtreten. Wohnungen wurden geräumt. Einrichtungen beschlagnahmt. Wertgegenstände – Möbel, Bücher, Kunst – landeten im Handel oder auf Auktionen. Was einmal ihr Leben war, wurde ausgelöscht, verkauft, versteigert. Das diente nicht nur der Vernichtung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz der jüdischen Bevölkerung. Direkt oder indirekt, wohl aber willentlich, haben sich Staat und deutsche Volksgemeinschaft in der Folge bereichert.

Nach dem Krieg gab es zunächst kaum Bestrebungen, diese Beraubung aufzuklären. Nicht zuletzt, weil es auch kein Bewusstsein für die Vorteilsnahme und Bereicherung gab, von der nahezu viele der nicht-jüdischen Deutschen profitiert hatten. Für ein friedliches und gleichberechtigtes Zusammenleben von Menschen mit und ohne jüdische Herkunft fehlte das Fundament. Die Mehrheit der nicht-jüdischen Deutschen wollte den Krieg – mit all seinen Grausamkeiten – hinter sich lassen und vergessen. Wenig verwunderlich ist es daher, dass in vielen Familien meist nicht über die Beteiligung oder gar Vorteilsnahme der Eltern oder Großeltern gesprochen wurde. Fest steht jedoch: Das Raubgut – von Gemälden über Möbel bis hin zu Geschirr – welches auf oft dubiosen Wegen in deutsche Haushalte gelangte, ist vermutlich bis heute in zahlreichen Kellern oder auf Flohmärkten zu finden. Für die Aufarbeitung ist die Frage Schuld, Beteiligung oder Vorteilsnahme selbstverständlich wesentlich. Doch noch bedeutender ist die daraus resultierende Verantwortung: Das geschehene Unrecht anzuerkennen, es nicht fortzuführen und – wo immer möglich – zu stoppen.

Dieser Appell richtet sich besonders an die Nachgeborenen, die keine Schuld für die Verbrechen tragen, die ihre Großeltern oder Eltern begangen oder hingenommen haben. Auch ohne selbst schuldig geworden zu sein – empfinde ich es als unsere gesellschaftliche Pflicht, diese Verantwortung zu übernehmen. Diese Einsicht und das damit verbundene Bewusstsein prägen auch das Leitbild der Stiftung Zurückgeben, deren Ausstellung wir heute eröffnen.

Die Idee zur Gründung der Stiftung im Jahr 1994 geht auf eine Erbschaft zurück. Auf Bilder, die dem sogenannten „Architekten Hitlers“, Albert Speer, gehörten.  Bei ihrer Herkunft lag die Vermutung nahe, dass sie einer jüdischen Familie geraubt wurden. Trotz intensiver Bemühungen konnten die einstigen Eigentümerinnen oder Eigentümer nicht mehr ermittelt werden. Und statt das vermutete Unrecht fortzuführen, haben Sie, liebe Frau Schramm, eine beispielhafte Entscheidung getroffen: Sie nutzten den Erlös aus dem Verkauf dieser Bilder als Gründungskapital für die Stiftung. Über diese persönliche Geschichte und die Hintergründe der Stiftungsgründung werden wir später sicherlich noch mehr von Ihnen erfahren.

Seit nunmehr 30 Jahren fördert die Stiftung Projekte von jüdischen Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Autorinnen, die in Deutschland leben. Durch die Vergabe von Stipendien macht sie ihre Arbeit sichtbar und zeigt die vielfältigen Beiträge von Jüdinnen zur Kunst, Kultur und Gesellschaft. Sie setzen damit ein starkes Zeichen der Anerkennung – und ein aktives Zeichen gegen das Vergessen. Im Gedenken an die vielen jüdischen Künstlerinnen, die in Deutschland vor 1933 gewirkt haben, verfolgt die Stiftung das Ziel „etwas zurückzugeben“. Etwa bereits 200 unterstützte Projekte – von Literatur über Musik, Film oder Theater – sind Ausdruck dieser beeindruckenden Arbeit.

Das Unrecht kann nicht wiedergutgemacht werden. Aber wir alle – ob jüdisch oder nicht, ob Nachkommen von Tätern oder Opfern - können im Interesse unserer gemeinsamen Zukunft dazu beitragen, jüdisches Leben in Deutschland lebendig, vielfältig und sichtbar zu gestalten. Erinnerung braucht Haltung. Und Erinnerung braucht Menschen, die bereit sind, hinzusehen. Als Landesparlament in Berlin sind wir uns dieser Verantwortung bewusst. Umso mehr freue ich mich, dass wir die Ausstellung der Stiftung Zurückgeben anlässlich des 30-jährigen Förderjubiläums hier im Abgeordnetenhaus von Berlin zeigen können. Sie beleuchtet nicht nur die Gründungsgeschichte der Stiftung und die Aneignung jüdischen Eigentums, sondern stellt auch zwölf Stipendiatinnen und deren beeindruckende Kunst exemplarisch vor. Einige von ihnen sind heute hier bei uns. Schön, dass Sie da sind und diese Eröffnungsfeier bereichern. Bevor Sie nun gleich die Gelegenheit haben, die Ausstellung anzuschauen und vielleicht mit der ein oder anderen Künstlerin ins Gespräch zu kommen, freue ich mich auf einige Worte der Mitbegründerin und Beirätin der Stiftung Zurückgeben, Hilde Schramm. Vielen Dank.