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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa
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Rede der Präsidentin des Abgeordnetenhauses von Berlin, Cornelia Seibeld, zur Eröffnung der Ausstellung "China ist nicht fern"

07.11.2024 08:00, Abgeordnetenhaus, Vorplatz

Vor fast genau 35. Jahren fiel in Berlin die Mauer. Hier in der Niederkirchner Straße teilte sie Berlin in einen West– und einen Ostteil. Warum stehen wir dann jetzt vor einer Ausstellung mit dem Titel „China ist nicht fern“?

Weil es ganz konkrete Zusammenhänge gibt, die die Ereignisse des Jahres 1989 in Peking mit den Ereignissen in Berlin und der DDR im gleichen Jahr verbanden. Und weil es trotz einer Entfernung von rund 7500 Kilometern Luftlinie um dieselben universalen Werte ging, um Freiheit, um Menschenrechte und Demokratie.

Beide Staaten, die Volksrepublik China und die DDR, feierten 1989 den 40. Jahrestag ihrer Gründung. Es gab jeweils eine Einparteienherrschaft der kommunistischen Parteien, deren alleiniger Führungsanspruch in Staat und Gesellschaft durch Unterdrückung der Meinungsfreiheit, gelenkte Zensur der Medien und gewaltsame Repression gegen jede Opposition durchgesetzt wurde.

Sowohl in der DDR wie auch in der Volksrepublik China waren die Verhältnisse in der zweiten Hälfte der 80er Jahre in Bewegung gekommen. Der Aufbruch Chinas nach dem Ende der Herrschaft Maos hatte nicht nur die Wirtschaft im Reich der Mitte verändert. Freiheit lässt sich nicht nur in abgegrenzten Sektoren gewähren. Sie entwickelt eine Eigendynamik in allen Bereichen des Lebens der Menschen.

Bereits im April 1989 setzte die Besetzung des Tiananmen-Platzes durch die Studenten ein. Im Mai kamen zeitweise hunderttausende junger Chinesen mitten in Peking zusammen und gestalteten ihren Protest friedlich. Eine Gruppe davon unterstrich ihre Forderungen nach Teilhabe und Mitbestimmung durch einen Hungerstreik. Wir können uns glücklich schätzen, heute aus dem Kreis der gewählten Anführer unter anderem Wuer Kaixi und Zhou Fengsuo unter uns zu haben. Und wir haben als Nachbildung das Symbol aus den letzten Tagen der Proteste auf dem Tiananmen Platz, die „Göttin der Demokratie“ bei uns.

In der Nacht vom 3. auf den 4. Juni rollten durch ganz Peking die Panzer und walzten die Proteste im wahrsten Sinne des Wortes nieder. Die Opferzahlen können nur geschätzt werden. Auf der Basis von Angaben des chinesischen Roten Kreuzes müssen wir von mehr als 2000 Toten und rund 7000 Verletzten ausgehen. Zusätzlich erfolgten unzählige Verhaftungen und langjährige Lager- und Haftstrafen.

Diese Vorgänge sind in zweien der Container hinter mir dargestellt. Unter anderem durch ein originales, blutgetränktes Hemd aus der Nacht der Niederschlagung. Durchaus bemerkenswert ist es, dass im Ostteil Berlins, wie auch in anderen Städten der DDR, Menschen Protestschreiben an die chinesische Führung formulierten und Unterschriften gegen das Verbrechen in Peking sammelten. Zweimal zog im Juni ein Demonstrationszug in Richtung der Botschaft der Volksrepublik China los. Die Teilnehmer wurden jedoch von Volkspolizei und Staatssicherheit abgefangen, verhaftet, stundenlang verhört und teilweise misshandelt.

In Ost-Berlin fanden noch mehrere Aktionen junger Menschen in den etwas besser vor Zugriff geschützten Räumen der Samariterkirche und der Erlöserkirche statt. Dabei wurde mit Trommeln und Gebeten gegen das in China begangene Unrecht protestiert. Die Dokumentation der Solidaritätsakte für die chinesischen Studenten findet sich im dritten Container.

Die Staats- und Parteiführung der DDR hingegen verkündete als Rechtfertigung für das Vorgehen der Pekinger Genossen, dass ein konterrevolutionärer Aufstand niedergeschlagen werden musste, um Sicherheit und Ordnung wieder herzustellen. Wenn deutsche Firmen heute mit einem wirtschaftlich starken China einen bedeutenden Handel betreiben, dann geschieht das mit Hilfe solcher Container, wie sie hier für die Ausstellung genutzt werden.

Das ist gewiss viele Jahre zum gegenseitigen Vorteil erfolgt. Doch geschieht in China nichts, ohne dass sich dahinter auch eine politische Absicht verbirgt. Und ähnlich wie mit den russischen Gas- und Öllieferungen können mit den chinesischen Rohstoffen und Gütern ebenfalls Abhängigkeiten genutzt werden, um die imperialen Pläne des chinesischen Regimes durchzusetzen. Autokraten gleichen sich nicht nur in ihrem Vorgehen, sie verbünden sich auch miteinander. Bis heute hat China den Überfall Russlands auf die Ukraine nicht verurteilt. Im Gegenteil, es hilft durch eigene Lieferungen die westlichen Sanktionen zu hintertreiben.

Es erweist sich wieder einmal, dass eine Regierung, die die Menschenrechte missachtet und mithilfe diktatorischer Methoden die eigene Bevölkerung unterdrückt, in ihren internationalen Beziehungen ein Friedensrisiko darstellt.

Für solche Gefahren braucht es wachsame Mahner. Deshalb bin ich der Axel Springer Freedom Foundation, dem Beauftragten für die Aufarbeitung der SED-Diktatur Frank Ebert und der Havemann-Gesellschaft sowie der Organisation Human Rights In China sehr dankbar, dass sie mit der Konzeption und der Produktion dieser Ausstellung die zeitlose Bedeutung der Wahrung der Menschenrechte und der Verwirklichung von Freiheit und Demokratie darstellen.

Wir wünschen uns gemeinsam, dass die Vorhersage des Friedensnobelpreisträgers und Teilnehmers an den Protesten auf dem Tiananmen Platz, Liu Xiaobo, wahr wird:

„Trotz allem: Eines Tages wird die Freiheit auch nach China kommen.“