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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Dennis Buchner zur Eröffnung der Ausstellung "Das Synagogen-Projekt. Zum Wiederaufbau von Synagogen in Deutschland"

08.11.2022 17:00, Abgeordnetenhaus, Wandelhalle

Herzlich Willkommen im Berliner Abgeordnetenhaus und zur heutigen Ausstellungseröffnung!

Ich freue mich über das große Interesse an der neuen Wechselausstellung, die wir in den kommenden Wochen hier - inmitten des Berliner Landesparlaments - zeigen werden.

Wir eröffnen diese Ausstellung nicht ohne Grund am heutigen Tag. Denn der erste Ausstellungstag, der morgige 9. November, ist - wie wir alle wissen - ein ganz besonderer Tag in der deutschen Geschichte. Es ist ein Tag, der unvorstellbares Leid, aber auch schicksalhafte Wendungen für die Menschen in Deutschland gebracht hat.

Der 9. November 1938 gehört definitiv zu den dunkelsten Tagen unserer Geschichte. Vor genau 84 Jahren fanden im gesamten Deutschen Reich Terrorakte gegen Jüdinnen und Juden statt, deren Auswirkungen wir noch bis heute spüren können. In dieser Nacht organisierte und lenkte das nationalsozialistische Regime gezielt Gewaltexzesse gegen die jüdische Bevölkerung und ihre Institutionen. Geschäfte, Büros und Wohnungen wurden ausgeraubt und verwüstet. Tausende Jüdinnen und Juden wurden misshandelt, verhaftet, getötet oder nahmen sich aus Furcht das Leben. Vielerorts wurden Synagogen und Betstuben in Brand gesetzt und zerstört. In den darauffolgenden Tagen wurden zehntausende Juden in Konzentrationslager deportiert, viele kehrten nicht mehr zurück.

Die Novemberpogrome stehen für die Radikalisierung des Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland und markieren zugleich die öffentliche Brutalisierung der antijüdischen Politik. Den jüdischen Menschen in Deutschland wurde jegliche Existenzgrundlage entrissen, das gesamte alltägliche Leben war von Verboten und Auflagen geprägt. Mit der systematischen Verfolgung der jüdischen Bevölkerung geht mehr und mehr auch die komplette Verdrängung jüdischen Lebens aus dem öffentlichen Raum einher. Das Ausmaß an Demütigung, Diskriminierung und Gewalt lässt sich kaum in Worte fassen.

Im Laufe der Reichspogromnacht wurden auch in Berlin fast alle Synagogen niedergebrannt und jüdische Schulen, Gemeindehäuser und Geschäfte gestürmt und verwüstet. So auch die 1916 fertiggestellte Synagoge am Fraenkelufer in Berlin-Kreuzberg, deren Ruinen schließlich 1959 abgetragen wurden. Vom zweitgrößten jüdischen Gotteshaus in Berlin blieb lediglich der Seitenflügel – die Jugendsynagoge – erhalten, die fortan für Gebete und Feste genutzt wurde. Nachdem die Gemeinde nach dem Zweiten Weltkrieg stark dezimiert war, wuchs sie in den vergangenen Jahren erfreulicherweise durch den Zuzug junger Israelis, Amerikaner und Europäer stetig., Und das sogar so stark, dass sie heute vor einem Platzproblem steht.

2017 kam dann die Idee für den Wiederaufbau der neoklassizistischen Synagoge auf: Aus der Gemeinde heraus gründete sich kurze Zeit später ein Förderverein zum Wiederaufbau. Ein Kuratorium konstituierte sich. Das gemeinsame große Ziel: die Grundsteinlegung der neuen Synagoge im Jahr  2023 t – 85 Jahre nach der Zerstörung in der Pogromnacht. 110 Jahre nach der Einweihung der alten Synagoge am Fraenkelufer, soll 2026 der Wiederaufbau abgeschlossen sein.

Der Wiederaufbau der im Nationalsozialismus zerstörten Synagogen wird intensiv diskutiert - nicht nur bei uns in der Stadt, sondern deutschlandweit. Zentral sind dabei vor allem Aspekte, die sich an den Bedürfnissen der jüdischen Gemeinden und den Nutzungsabsichten orientieren. Doch natürlich spielt bei Bauprojekten dieser Größenordnung und vor allem mit dieser gesellschaftlichen Bedeutung auch die Suche nach einem angemessenen architektonischen Ausdruck eine wesentliche Rolle, der heutige denkmalpflegerische und baulich relevante Aspekte in den Blick nimmt.  

Klar ist, dass die Formen des jüdischen Gemeindelebens heute und auch in Zukunft andere sind und sein werden, als noch im frühen 20. Jahrhundert. Am Standort der alten Synagoge am Fraenkelufer soll nicht nur ein Ort des Gebetes wiederhergestellt werden, vielmehr liegt der Fokus heute auf der Errichtung eines vielseitigen jüdischen Kulturzentrums mit Betsaal, Kita, Bibliothek, Café und Veranstaltungsräumen für Konzerte und Ausstellungen. Diese verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten müssen sich im Gebäude abbilden und miteinander in Einklang gebracht werden. Äußerlich soll dabei der geplante Hauptbau nach historischem Vorbild des Vorgängerbaus erfolgen und in die heutige Zeit übertragen werden. Das ist wahrlich keine einfache Aufgabe.

Jüdisches Leben ist ein fester Bestandteil unserer vielfältigen Metropole Berlin. An vielen verschiedenen Orten in der ganzen Stadt lassen sich Spuren des Judentums, dessen Geschichte im deutschsprachigen Raum über 1700 Jahre zurückgeht, wiederfinden. Ich bin froh, dass sich nach all der Gewalt und dem Leid, das jüdischen Menschen auch in unserer Stad angetan wurde, auch wieder eine aktive und selbstbewusste jüdische Gemeinschaft etabliert hat. Als Parlamentspräsident des Landes Berlin ist es mir deshalb ein besonderes Anliegen, diese in unserer freien, offenen und vielfältigen Stadt noch weiter sichtbar zu machen. Mit dem Wiederaufbau der Synagoge kann das jüdische Leben in Berlin weiter gefördert werden. Es ist gut und wichtig, dass in diesem hohen Haus parteiübergreifend große Einigkeit besteht, dass die Präsenz jüdischen Lebens im Stadtraum auch baulich weiter ausgebaut werden soll.

Ich freue mich daher sehr, die Ausstellung „Das Synagogen-Projekt. Zum Wiederaufbau von Synagogen in Deutschland.“ hier im Abgeordnetenhaus von Berlin zu eröffnen. Sie wurde von den Lehrstühlen für Architektur in Darmstadt, Weimar, Hamburg und Dresden geschaffen und stellt die Wiederaufbauvorhaben der Synagogen am Fraenkelufer in Berlin und am Josef-Carlebach-Platz (ehemals Bornplatz) in Hamburg ins Zentrum. Studentinnen und Studenten der genannten Architekturschulen haben die kontroversen Fragestellungen vor dem Hintergrund der aktuellen Wiederaufbaudebatten zerstörter Synagogen im universitären Rahmen untersucht. Sie leisten mit Entwurfsuntersuchungen in 20 Beiträgen so einen konkreten Beitrag und veranschaulichen die Frage nach einem angemessenen architektonischen Ausdruck jüdischen Lebens. Neben der Beschäftigung mit den zerstörten Sakralbauten wurden auch die heutigen städtebaulichen Bedingungen in den Blick genommen und, nach einem größtenteils mit den jüdischen Gemeinden erarbeiteten Raumprogramm, eigene architektonische Lösungen für neue jüdische Gemeinde-, Bildungs- und Kulturzentren in Hamburg und Berlin entwickelt.

Ich bin dankbar, dass wir mit einer weiteren Veranstaltung hier im Haus einen Beitrag dazu leisten können, zu einem so wichtigen Thema gemeinsam ins Gespräch zu kommen. Ich möchte mich bei den bereits genannten Architekturschulen der TU Darmstadt, namentlich bei Herrn Prof. Wolfgang Lorch, bei der TU Dresden und namentlich bei Herrn Prof. Ivan Reimann, Prof. Thomas Müller und Herrn Andreas Fuchs, bei der HCU Hamburg, namentlich bei Prof. Gesine Weinmiller und bei der BU Weimar und namentlich bei Ihnen, Herrn Prof. Jörg Springer, sehr herzlich für diese gelungene Ausstellung bedanken. Ein weiteres herzliches Dankeschön geht selbstverständlich auch an die beteiligten Studentinnen und Studenten, von denen ich einige hier vor Ort begrüßen darf.

Bevor ich nun Herrn Prof. Springer der BU Weimar für eine Einführung in die Ausstellung das Wort übergebe, möchte ich ebenfalls Herrn Dr. Dekel Peretz, Vorsitzender des jüdischen Zentrums Synagoge Fraenkelufer e. V. für seinen späteren Redebeitrag danken. Zu guter Letzt möchte ich Ihnen noch Frau Amelie Sturm vorstellen, die unsere Vernissage heute musikalisch begleitet. Herzlichen Dank auch Ihnen.

Ich wünsche der Ausstellung zahlreiche Besucherinnen und Besucher hier im Abgeordnetenhaus und bitte nun Sie, Herrn Prof. Springer, nach vorn.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.