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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger Berlins

18.10.2020 12:00, Mahnmal "Gleis 17" am Bahnhof Grunewald

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich begrüße auch all diejenigen, die der Veranstaltung per Livestream folgen.

Es ist die Erinnerung, die uns hier am Mahnmal gemeinschaftlich für einen Moment innehalten lässt. Die Verschleppung und Ermordung von jüdischen Berlinerinnen und Berlinern dürfen wir nicht vergessen. An diesem Gleis begann für sehr viele Menschen ab Oktober 1941 der Weg in den Tod, im Deportationszug nach Auschwitz oder Theresienstadt, in Konzentrations- und Vernichtungslager oder Ghettos.

Ein Beispiel von vielen:

Herta Lichtenstein wurde mit dem ersten Transport am 18. Oktober 1941 deportiert. Ihr viel zu kurzer Lebensweg zeugt vom Aufbruch und vom tragischen Verfall der Demokratie. Die promovierte Volkswirtin entschied sich für ein selbstbestimmtes Leben und ging einer Berufstätigkeit im öffentlichen Dienst nach. Frauen mit Studium und Karriere waren damals eher noch die Ausnahme. Als Herta Lichtenstein am 18. Oktober 1941 im Alter von 35 Jahren deportiert wurde, war von einem Berlin als Ort der Freiheit und Selbstentfaltung nichts mehr übrig. Was Herta Lichtenstein und viele andere erleben mussten, darf nie wieder geschehen. Dafür müssen wir gemeinsam sorgen.

Auch ist es nicht hinnehmbar, wenn Jüdinnen und Juden sich in Berlin wieder fürchten müssen, ihren Glauben offen auszuleben. Es kann nicht sein, dass unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger oder Touristen antisemitisch beleidigt werden. Menschenfeindlichkeit ist nicht von uns zu akzeptieren. Anschläge wie in Halle oder Hanau dürfen sich nicht wiederholen! Hier muss uns klar sein, dass es viele unterschwellige Formen von Antisemitismus gibt. Dieser fängt nicht erst bei der Tat an, sondern bei entsprechendem Gedankengut, der Sprache oder der Hetze im Netz. Hier bedarf es der Prävention durch Aufklärung und Bildung! Oft genug beruhen Ressentiments und Hass auf Unwissenheit oder Unverständnis. Projekte, die beispielsweise das Judentum erklären, leisten einen wertvollen Beitrag. Ich denke da etwa an „Meet a Jew“, ein Projekt, das zu einem besseren Verständnis beiträgt, indem es aktuellen jüdischen Alltag in Deutschland vermittelt.

Darüber hinaus zähle ich auch die historische Bildungsarbeit dazu. Die Erinnerung hier am Gleis 17 und weiteren Schicksalsorten der Stadt ist unverzichtbar. Als Präsident des Abgeordnetenhauses weiß ich auch: Wir Politikerinnen und Politiker tragen eine besondere Verantwortung im Kampf gegen den Antisemitismus. Nicht nur, weil wir politische und gesetzliche Rahmenbedingungen gestalten, sondern auch, weil wir Vorbilder sind. Als solche gilt es, sich klar zu positionieren und Haltung zu zeigen. Als Berliner Parlament haben wir uns darauf verständigt, antisemitisch motivierten Diskriminierungen und Gewalttaten entschieden entgegenzutreten.

Lassen Sie uns in einem Punkt einig sein:

Was hier am Gleis 17 geschehen ist, darf sich nicht wiederholen. Bahnhöfe und Bahnsteige sind dazu gedacht, Menschen zueinander zu bringen. Hier können Momente des kleinen alltäglichen Glücks erlebt werden. Liebende fallen einander in die Arme, Kinder rennen ihren Großeltern entgegen, Freunde sehen sich wieder, Touristinnen und Touristen blicken auf der Suche nach Orientierung umher. Diejenigen, die sich unter Tränen verabschieden, wissen zumeist, dass sie einander wiedersehen werden. Was das wert ist, auch daran erinnert uns Gleis 17. Lassen Sie uns für diese Momente zusammenstehen und uns gemeinsam dafür einsetzen, dass Berlin ein freier und demokratischer Ort bleibt!

Haben Sie vielen Dank!