1. zur Suche
  2. zur Hauptnavigation
  3. zum Inhalt
  4. zum Bereichsmenü
Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland anlässlich der Gedenkveranstaltung zur Erinnerung an die Deportation jüdischer Bürgerinnen und Bürger Berlins am Denkmal, Gleis 17' am Bahnhof Grunewald

18.10.2013 12:00, Bahnhof Grunewald

Heute gedenken wir der 1.089 jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die vor genau 72 Jahren mit dem ersten Transport aus Berlin in den Osten verschleppt wurden. Es ist das dritte Mal, dass wir Berlinerinnen und Berliner uns an diesem authentischen Ort nicht nur dieser Menschen, sondern auch  der weiteren 54.000 Berliner Juden erinnern, die zwischen 1941 und 1945 deportiert und ermordet wurden, und auch der etwa 7.000, die den Freitod wählten. Die Resonanz auf unseren Aufruf, hierher an das Mahnmal »Gleis 17« zu kommen, ist  - wie bereits die letzten Male -  erfreulich groß. Ich danke Ihnen allen dafür. Dieser 18. Oktober 1941 ist nämlich mittlerweile ein Datum, das im geschichtlichen Bewusstsein der deutschen Hauptstadt – die ja die Heimatstadt der Ermordeten war – nunmehr verankert ist. 2013 steht im Zeichen des Themenjahres »Zerstörte Vielfalt«, mit dem wir in unzähligen Veranstaltungen berlinweit an den 80. Jahrestag der sogenannten Machtergreifung und an den 75. Jahrestag der Reichspogromnacht erinnern. Mit dem 30. Januar 1933 endete eine einmalige Phase des friedlichen und fruchtbaren Zusammenlebens von Juden und Nichtjuden in unserer Stadt. Berlins Rolle als Weltstadt der 1920er Jahre ist ohne seine lebendige jüdische Gemeinschaft nicht denkbar. Mit über 160.000 Mitgliedern war sie die größte in Deutschland. Berlin als Laboratorium der Moderne hätte es ohne jüdische Beteiligung nicht gegeben. 90.000 Juden gelang bis Herbst 1941 die Flucht aus Deutschland. Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 und die folgenden Tage waren ein Scheitelpunkt. Sie stehen für die endgültige gesellschaftliche Ausgrenzung der Berliner Juden aus der städtischen Gesellschaft und für offene Gewalt. Der Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 markiert den Beginn des Holocaust im Osten und den Auftakt für die Verschleppung der Juden aus Deutschland. Am 15. Oktober 1941 beginnen die systematischen Deportationen aus dem Deutschen Reich in den Osten. Sie führen in das Ghetto Lodz im besetzten Polen. Dort sind zu diesem Zeitpunkt weit über 100.000 polnische Juden unter katastrophalen Bedingungen eingesperrt. Der vierte Transport aus dem Deutschen Reich geht am 18. Oktober 1941, heute vor 72 Jahren, von diesem Bahnhof aus ebenfalls nach Lodz ab. Über 60 Transporte folgen bis in das Frühjahr 1945 hinein – nach Minsk, Kaunas, Riga, Theresienstadt, Auschwitz, um nur einige der Orte des Leidens und Mordens zu nennen. Die einzelnen Daten und die Zahl der jeweils verschleppten Menschen können hier, am Gleis 17, nachvollzogen werden. Es ist wichtig, dass unsere Stadt, unsere vielfältige, vielstimmige Gesellschaft, sich dieses Verbrechens und auch des ungeheuren menschlichen wie kulturellen Verlusts bewusst bleibt – dass Erinnerung wie mit dieser Gedenkstunde gelebt wird und dass das wiedererstandene lebendige jüdische Leben als eine Selbstverständlichkeit beachtet  und geachtet wird. Berlin steht zu seiner Verantwortung für die verschleppten, ermordeten und verschollenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern. Zusammen mit der Jüdischen Gemeinde und der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas hat die Stadt Gedenksteine an Mordstätten aufgestellt – 2009 im weißrussischen Minsk und 2011 im litauischen Kaunas. Es ist das Verdienst Inge Deutschkrons, dass wir heute hier zusammen gekommen sind. Sie, liebe Frau Deutschkron, haben die Deportationspolitik der Nationalsozialisten als ständige Bedrohung miterlebt. Sie haben mit der Hilfe nichtjüdischer Berliner die dunklen Jahre zwischen 1941 und 1945 überlebt. Ebenso wie Sie, lieber Walter Frankenstein, der Sie nachher zu uns sprechen werden. Ich möchte Ihnen beiden an dieser Stelle ganz ausdrücklich auch für Ihr unermüdliches Engagement danken. Mein Dank gilt außerdem der Kulturverwaltung des Landes Berlin, der Ständigen Konferenz der Leiter der NS-Gedenkorte im Berliner Raum und der Deutschen Bahn sowie den Schülerinnen und Schülern aus Berlin, die heute hier sind. Und nochmals Ihnen allen, die Sie gekommen sind, um die Opfer zu würdigen und damit ein Zeichen zu setzen gegen Intoleranz und Ausgrenzung.