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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Ralf Wieland, anlässlich des 40jährigen Jubiläums des Inkraftretens des Vier-Mächte-Abkommens

04.06.2012 18:30, Festsaal

Es ist eine besondere Freude, Sie, lieber Egon Bahr, heute in dieser Gesprächsrunde und im Jahr Ihres 90.Geburtstags im Festsaal des Abgeordnetenhauses begrüßen zu können. Eine Freude, weil Ihr runder Geburtstag beeindruckend ist und eine Freude, weil Ihre Lebensleistung an der Seite von Willy Brandt und für uns Deutsche es schon zu Lebzeiten in die Geschichtsbücher geschafft hat. Und in die Herzen der Menschen!

Das Gespräch mit Ihnen, über Sie , über Ihre Politik, über Ihren Beitrag zur Wiedervereinigung unseres Landes findet ganz bewusst am heutigen Tag statt, denn: Am 3. Juni 1972 - vor 40 Jahren – trat das Viermächteabkommen über Berlin in Kraft, damals eine Sensation. Neun Monate vorher – am 3. September 1971 – war der Kontrakt im Kontrollratsgebäude zwischen den USA, Großbritannien, Frankreich und der Sowjetunion geschlossen worden.

Und Sie, lieber Egon Bahr, waren Minister im Kanzleramt von Willy Brandt. Sie haben mitverhandelt und hatten Erfolg. Die Geschichts- schreibung hat längst die Bewertung vorgenommen: Es war ein riesiger Erfolg, ein Meilenstein „zur Normalisierung der Beziehungen“.

Ihr Gesprächspartner am heutigen Abend ist der Chefkorrespondent der ’Berliner Morgenpost’ und ‚Der Welt’ Jochim Stoltenberg. Herzlich Willkommen im Abgeordnetenhaus, Herr Stoltenberg! Sie begleiten seit Jahrzehnten als profilierter Journalist die Politik in unserer Stadt. Mit Fug und Recht gelten Sie, Herr Stoltenberg, als gestandener Insider der politischen Geschichte Berlins.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Viermächteabkommens war Herr Stoltenberg Voluntär beim Hamburger Abendblatt, später dann Redakteur u. a. für Außenpolitik.

Ich danke Ihnen beiden sehr herzlich, dass Sie sich die Zeit genommen haben, um hier im Abgeordnetenhaus miteinander über eines der wichtigsten Ereignisse in der Nachkriegsgeschichte unserer Stadt zu sprechen: Das Inkrafttreten des Vier-Mächte-Abkommens über Berlin.

Am 15. Juli 1963 hielt der Leiter des Presse- und Informationsamtes des Landes Berlin Egon Bahr in der evangelischen Akademie in Tutzing ein Referat, das deutschlandweit heftige Diskussionen auslöste: Es ging um die ungelöste Deutschlandfrage. In diesem denkwürdigen Referat entwickelte Egon Bahr seine Überlegungen, die amerikanische ’Strategie des Friedens’ auf Deutschland zu übertragen.

Bereits in der Großen Koalition der 60er Jahre entwickelte Egon Bahr als Leiter im Planungsstab des Auswärtigen Amts die Grundlinien der Ostpolitik, die später von der sozial – liberalen Regierung realisiert wurden.

Es ging um einen möglichst unverbauten Blick auf die Realität, auf das, was tatsächlich war, und nicht das, was man sich wünschte.

Die vom amerikanischen Präsidenten propagierte Friedensstrategie hieß nichts anderes, als sich der Realität zu stellen, den status quo anzuerkennen. Es hieß, die Teilung Europas und in dieser Folge die Teilung Berlins als Normalität zu akzeptieren und durch Kommunikation „die Erstarrung zwischen Ost und West aufzubrechen“.

Bis dahin galt die Politik des ’Alles oder Nichts’. Egon Bahr prägte dafür das Wort vom „Wandel durch Annäherung“.

Es war nicht leicht, diese Idee von einer neuen Politik in konstruktive Vorschläge und praktisches Tun umzusetzen. Wir alle kennen die Formel, die damals diese Politik verdeutlichte: Es war die ’Politik der kleinen Schritte’.

Egon Bahr setzte auf Konfliktvermeidung. Er berechnete auf seine Weise realistisch und unter Hinweglassung großer Emotionen die Kräfte- verhältnisse und Interessenlagen in Mitteleuropa, an der Nahtstelle zwischen den sich unversöhnlich gegenüberstehenden Blöcken.

Ein Jahr zuvor hatte Egon Bahr das Angebot des damaligen Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt angenommen, das Berliner Presse- und Informationsamt zu leiten. Bahr kannte Brandt damals nur oberflächlich, aber als der anrief und fragte, ob er Pressesprecher werden wolle, sagte er sofort „Ja“.

Der Schock des Mauerbaus am 13. August 1961 saß tief, bei den Politikerinnen und Politikern und bei den Berlinerinnen und Berlinern. Der Bau der Mauer war für die Menschen in Berlin ein unfassbares Ereignis.

Ihre Enttäuschung - insbesondere über die Passivität der Amerikaner - war groß. Aber der amerikanische Außenminister bewertete den Bau der Mauer als „Vorgang innerhalb des sowjetischen Machtbereichs“. Die Berlinerinnen und Berliner waren enttäuscht und auch entmutigt. In der ersten ohnmächtigen Hilfslosigkeit hatten sie angenommen, dass die Amerikaner Ulbricht und der UDSSR die Stirn bieten und die Mauer wieder niederreißen würden.

Willy Brandt hielt dennoch unbeirrt an dem Ziel fest, dass Deutschland wiedervereinigt und Berlin wieder die Hauptstadt dieses wiedervereinigten Deutschlands werden würde.

Anfang der 60iger Jahre begann ja ein ganz neues Kapitel der Beziehun- gen zwischen dem Osten und dem Westen, also zwischen den Blöcken und damit auch in der Deutschlandpolitik.

Der Bau der Mauer und die Kubakrise waren die herausragenden Ereignisse, die die USA und die Sowjetunion zum Anlass nahmen, über eine Deeskalation der bis dahin gültigen Konfliktstrategie nachzudenken. Die damalige Regierung Erhard musste sich diesen veränderten Bedingungen stellen.

Egon Bahr setzte diese geänderte Strategie der Weltmächte auf Deutschland um: Die kommunistische Herrschaft sollte nicht beseitigt werden, es sollte zu Veränderungen kommen.

Heute wissen wir was Egon Bahr für Lösungsmöglichkeiten sah und wie er sie zusammen mit Willy Brandt umsetze. Es waren die Verträge von Warschau und Moskau 1970/71, des war das Transitabkommen. Wir erinnern uns an den Verkehrsvertrag von 71/72 und wir wissen um den Grundlagenvertrag von 1972. Das war auch die Zeit, in der ich politisiert wurde und mein parteipolitisches Engagement begann.

Weit im Westen nahe der französischen Grenze lebend, war für mich der Weg der Aussöhnung mit der Sowejtunion, Polen und den anderen Ländern im Osten, die im 2. Weltkrieg große Opfer zu beklagen hatten, Voraussetzung für eine gewünschte Annäherung zur DDR.

Egon Bahr ist Berliner Ehrenbürger. Als analytischer und visionärer Vordenker und Architekt der Entspannungs- und Friedenspolitik von Willy Brandt standen immer die Menschen im Mittelpunkt seiner Überlegungen und seines Handels. Für die Menschen im geteilten Berlin und im geteilten Deutschland sollten Erleichterungen geschaffen werden.

Die strategischen Begriffe, die Egon Bahr so erfolgreich kreiert hat, sind uns allen noch heute bekannt. Sie sind in unseren Köpfen fest verankert und das macht das Geniale an Egon Bahr aus: Er hat es vermocht, seine mutigen und zukunftsweisenden Ideen in griffige Formeln zu kleiden und sie im Bewusstsein der Öffentlichkeit zu verankern.

Wenn Egon Bahr heute im Gespräch die Hintergründe und Fallsticke schildern wird, bis das Vier-Mächte-Abkommen endlich abgeschossen war, so ist das kaum möglich, ohne in aller Kürze etwas über den außergewöhnlichen Werdegang unseres Gastes zu sagen.

Egon Karl-Heinz Bahr wurde am 18. März 1922 in Treffurt an der Werra geboren. Als Kind verließ er mit seinen Eltern das thüringische Dorf, das nur 500 Meter von der späteren Zonengrenze entfernt lag. Sein Weg führte ihn zuerst nach Torgau an der Elbe und später nach Berlin - Friedenau. Bahr war begeisterter Klavierspieler, aber Musiker durfte er nicht werden, denn er hatte eine jüdische Großmutter. Statt dessen absolvierte er eine Lehre bei Rheinmetall - Borsig.

Nach dem Krieg schließlich zog es ihn zum Journalismus. Egon Bahr begann als Reporter, später wird er Chefkommentator für den RIAS in Bonn. Der Journalist Egon Bahr gehörte schon Anfang 1954 zu denjenigen, die die Außenminister der Vier Mächte in Berlin über die Wiedervereinigung Deutschlands verhandeln hörten und sahen.

1956 trat er der SPD bei und bereits vier Jahre später holte ihn Willy Brandt ins Schöneberger Rathaus.

1966 ging er mit Willy Brandt in das Auswärtige Amt nach Bonn und wurde dort Planungschef. Ab 1969, weiter an der Seite von Brandt, wird er im Bundeskanzleramt zunächst Staatssekretär und 1972 Bundesminister und auch Bundestagsabgeordneter, später unter Helmut Schmidt auch Minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Im Januar 1970 führte Egon Bahr die ersten Gespräche über einen Vertrag über Gewaltverzicht zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik. Diese Gespräche dienten später als Grundlage für den Moskauer Vertrag. Schon im gleichen Jahr traf er sich mit dem Beauftragen der DDR Michael Kohl um über Verbesserungen in den Beziehungen der beiden deutschen Staaten zu verhandeln. Das daraus entstandene Transitabkommen war die erste deutsch- deutsche Vereinbarung auf Regierungsebene.

Im Mai 1972 war es soweit und Egon Bahr und Michael Kohl unterzeich- neten in Ostberlin den Verkehrsvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR, schon im Dezember folgte der Grundlagenvertrag. Darin wurde die Anerkennung der Vier-Mächte-Verantwortung, die Unverlässlichkeit der Grenzen, die Beschränkung der Hoheitsgewalt auf das jeweilige Staats- gebiet, der Austausch ständiger Vertreter, die Beibehaltung des inner- deutschen Handelns und der Antrag beider Staaten auf Aufnahme in die UNO festgeschrieben. Alle diese Verträge hat Egon Bahr ins Werk gesetzt. Das war damals politisch höchst umstritten und wurde auch bekämpft. Die meisten Menschen in Ost und West haben es ihm aber gedankt. Die Teilung war zwar nicht überwunden, aber man war sich erheblich näher gekommen.

Die neue Ostpolitik und eine pragmatische Deutschlandpolitik – beides nach dem Machtwechsel zur CDU-/FDP-Koalition realpolitisch fortgesetzt, führte schlussendlich zur Wiedervereinigung und zur Einheit Berlins.

Ob Egon Bahr das damals schon vorausahnte – wir werden es gleich erfahren!

Ich bin mit Ihnen allen, sehr geehrte Gäste, gespannt auf das Podiumsgespräch und einen Rückblick aus ganz persönlicher Sicht.

Ich danke Ihnen.