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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland beim Festakt '20 Jahre Verfassungsgerichtshof Berlin'

19.06.2012 14:00, Kammergericht

- Es gilt das gesprochene Wort -

Im September des vergangenen Jahres würdigten wir das 60-jährige Bestehen des Bundesverfassungsgerichts. Der Berliner Verfassungs- gerichtshof kann noch nicht auf eine derart lange Tradition zurückblicken. Gleichwohl: Vor 20 Jahren kam es zur Eröffnung des Verfassungs- gerichtshofs in Berlin. Auch wenn unser Verfassungsgericht deutlich jünger ist als das Bundesverfassungsgericht – ein Grund zum Feiern ist dieser 20. Geburtstag allemal. Und ich nehme ihn gerne zum Anlass, ganz herzlich und anerkennend zu diesem Jubiläum zu gratulieren.

Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Begriff aufgreifen, den einst der Frankfurter Politikwissenschaftler Professor Dolf Sternberger in die öffentliche Diskussion der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit warf. Er sprach von der Notwendigkeit eines „Verfassungspatriotismus“. Dieser Begriff ist inzwischen in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, wie ich finde. Denn das Wort umschreibt einen positiven Aspekt – das Bekenntnis zu unserem Grundgesetz und den Landesverfassungen in Deutschland.

Sicher: Sternberger prägte diesen Begriff, um politische Identifikation parteienübergreifend und befreit von jeglichem Personenkult zu ermöglichen. Und es war ihm wichtig darauf hinzuweisen, dass die demokratischen und freiheitlichen Grundwerte nicht ethnisch, sondern konstitutionell –also kulturell- begründet sind. Sie sind quasi universal, immer gültig. Oder um es wiederum politisch auszudrücken: Menschenrechte wie Freiheitsrechte sind unteilbar. Das regelt eine moderne und demokratische Verfassung. Ihr sollten wir uns verpflichtet fühlen.

Natürlich spiegelt sich in dem Begriff „Verfassungspatriotismus“ auch die damalige Problematik der deutschen Teilung wider. Die nationale Einheit als Klammer politischer Freiheit fehlte ja in Deutschland. Was in anderen europäischen Ländern normal war – dass nämlich Freiheits- und Einheitsbestrebungen zusammengingen – das war in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zur Unmöglichkeit geworden. Die Existenz der beiden deutschen Staaten symbolisierte auf sehr deutliche Art und Weise, dass es eben keine geeinte Nation auf deutschem Boden geben sollte und wohl auch nicht geben konnte. Dolf Sternberger wollte auch dies mit dem Begriff „Verfassungspatriotismus“ kompensieren. An die Stelle der Nation tritt die demokratische Verfassung.

Inzwischen hat uns die Geschichte eingeholt. Gott sei Dank, möchte ich sagen. Deutschland ist wiedervereinigt. Und Berlin wieder Hauptstadt Ein neues, übersteigertes Nationalgefühl ist daraus nicht erwachsen. Im Gegenteil. Wir fühlen uns immer mehr als Europäer – trotz aller Probleme mit dem Euro. Das ist eine gute Entwicklung. Ich sehe aber durchaus noch eine andere Entwicklung: Die deutsche Wiedervereinigung hat unsere rechtsstaatlichen Grundlagen nochmals verstärkt. Das Grundgesetz wurde nicht ersetzt oder grundlegend umgeschrieben, weil es eben eine moderne demokratische Verfassung ist. Das hat die Volkskammer der DDR wohl nicht anders bewertet, als sie beschloss, dem Grundgesetz beizutreten.

Auch wir in Berlin haben damals nach der erfolgten innerstädtischen Wiedervereinigung politisch reagiert und ein Verfassungsgericht installiert. Das war ein klares Signal des Berliner Abgeordnetenhauses: Wo politische Macht agiert, auch wenn sie demokratisch legitimiert ist, da darf das Recht nicht außen vor bleiben. Diese Botschaft galt natürlich allen Berlinerinnen und Berlinern, doch besonders denjenigen, die in der Erfahrung lebten, dass der Primat der Politik alles bedeutete, das Recht Einzelner gegenüber dem Staat aber praktisch nichts.

Im Lichte dieser Tendenz sind wir Berliner damals im Jahre 1992 dem modernen „Verfassungspatriotismus“ treu geblieben. Ich finde, unser Berliner Verfassungsgerichtshof hat dies seither auf eindrucksvolle Weise mit seiner Arbeit bewiesen. Er ist anerkannt und wird auch hinreichend angerufen, wie die über 3.100 Verfahren seit Bestehen veranschaulichen.

Wenn wir heute das 20-jährige Bestehen dieses Verfassungsorgans würdigen, dann möchte ich auch Dank sagen. Mein Dank gilt allen Richterinnen und Richtern, den ehemaligen wie den amtierenden. Mein Dank gilt ihrem unermüdlichen Einsatz für unsere freiheitlich-demokratische Landesverfassung. Mein Dank gilt ihrem Dienst am Recht und an den vielen Menschen, die ihre verfassungsgemäßen Rechte beschnitten sehen. Und mein Dank gilt ihrem Mut, auch unbequeme Entscheidungen zu treffen.

Ein Gericht kann nicht arbeiten, ohne all die anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Auch ihnen habe ich zu danken für das Erreichte. Sie alle zusammen, die den Berliner Verfassungsgerichtshof vertreten, leisten einen wertvollen Dienst an unserem Land, an unserer Stadt und für all die Menschen, die sich hier zuhause fühlen.