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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Eröffnung der Ausstellung "Verbrannte Bücher. Von den Nazis verfemte Schriftsteller"

03.09.2013 17:00, Wandelhalle

- Es gilt das gesprochene Wort - „Der Tötung der Geister geht die Verbrennung des Geistes voraus“, sagte Walter Jens in seiner Rede zum 50. Jahrestag der Bücherverbrennung 1983 in der Akademie der Künste in Berlin. Er fuhr fort: „Ein winzig kleiner Schritt nur von der Ausgrenzung des Juden zur Verbrennung seiner Bücher und abermals ein kleiner von der Verbrennung der Bücher zur Verbrennung der Leiber.“ Das Ritual der Bücherverbrennung, bei dem vor allem Studierende vieler deutscher Hochschulen Werke missliebiger Autoren ins Feuer warfen, hat hohen Symbolwert. Das Ereignis steht für die zerstörende Kraft des Nationalsozialismus, für eine Kulturpolitik, die zunächst durch Unterdrückung unerwünschter Literatur, Kunst und Musik, durch die „Säuberung“ von Bibliotheken, dann durch Lenkung und Zensur gekennzeichnet war. Der Antisemitismus, der 1933 zum Regierungsprogramm und zur Staatsdoktrin geworden war, entpuppte sich als Wegbereiter für eine immer weitergehende rechtliche, wirtschaftliche und soziale Ausschließung der Juden bis hin zur Pogromnacht. Er mündete schließlich in den unzähligen Deportationen mit dem Ziel der Ermordung aller europäischen Juden. Das Novemberpogrom von 1938 machte deutlich, dass die antisemitischen Hetzreden der Nazis kein Gerede, sondern blutiger Ernst waren. Es ließ keinen Zweifel daran, dass die Diskriminierung der Juden, die sogleich nach der Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 eingesetzt hatte, auch vor Gewaltexzessen und Massenmord nicht zurückschreckte. Was damals geschah, geschah vor aller Augen. Seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurden jüdische Deutsche gezielt von der Teilhabe am öffentlichen Leben ausgeschlossen und aus vielen Berufen verbannt. Immer neue Gesetze und Verordnungen schränkten ihre Bewegungsfreiheit ein; der antisemitische Rassenwahn brach sich immer offener Bahn. Wer nach 1933 zunächst noch angenommen hatte, dass der „braune Spuk“ bald vorüber sein werde, wurde eines Besseren belehrt. Die Nazis erließen insgesamt mehr als 2.000 antisemitische Verordnungen und Gesetze – die ersten sogleich nach ihrem Machtantritt im Januar 1933. Schon am 1. April 1933, zwei Monate nach ihrer Machtübernahme, organisierten NSdAP und SA einen Boykott jüdischer Geschäfte. 1935 wurden Eheschließungen zwischen Juden und sogenannten Ariern verboten und selbst in Spiel und Freizeit drang der Antisemitismus ein: 1938 erschien ein Brettspiel auf dem Markt mit dem Titel "Juden raus". Als in der Nacht vom 10. Mai 1933 im Umkreis zahlreicher deutscher Universitäten mit den vielen Büchern auch der Geist des Fortschritts, der Humanität und des Friedens verbrannt wurde, ging dies – entgegen aller Vorstellungskraft – nicht auf Anweisungen der neuen Regierung zurück. Die Bücherverbrennung war – wie Walter Jens beschreibt – „…fünfzehn Jahre lang aufs Sorgfältigste einstudiert worden …: Punkt für Punkt vorbereitet von einer republikfeindlichen Rechten, die, in akademischen Rundbriefen so gut wie in den Verlautbarungen konservativer Zeitschriften, die Steckbriefe ihrer am Tag X der Vernichtung preiszugebenden Gegner ausfertigte: und das in honorigen Gazetten, nicht im »Völkischen Beobachter«.“ Diese unmissverständlich formulierten Äußerungen von Walter Jens sprechen eine sehr deutliche Sprache. Gleichwohl waren mehrere Aktionen der SS und der SA Vorläufer und Impulsgeber für die in zahlreichen Städten geplanten Verbrennungen. Im März 1933 hatten die Kampftruppen der Nazi-Bewegung vielerorts Verlagshäuser, die zur SPD, KPD oder den Gewerkschaften gehörten, gestürmt. Bereits bei diesen Aktionen wurden Bücher unliebsamer Autoren verbrannt. Als sowohl das Börsenblatt des deutschen Buchhandels als auch die Zeitschrift des Verbandes Deutscher Volksbibliothekare Ende April 1933 schließlich die „Schwarze Liste“ verbreiteten, begannen auch die Studierenden nach verfemten Büchern in Universitätsbibliotheken und in Buchhandlungen zu suchen. Unterstützung erhielten sie von ihren Professoren und den Bibliotheksleitungen, aber auch vom Buchhandel, der sich selbständig am Aussortieren beteiligte. Mit der Eröffnung der heutigen Ausstellung „Verbrannte Bücher – Von den Nazis verfemte Autoren“ soll auch an die größte und schrecklichste Inszenierung der Bücherverbrennung, die nur wenige Kilometer von hier entfernt, auf dem Berliner Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, stattfand, erinnert werden. Dieses furchtbare Spektakel hat sich tief in unser Bewusstsein eingeprägt. Mehr als 80.000 Menschen versammelten sich an diesem 10. Mai am Ort des Geschehens oder begleiteten den Fackelzug der Studierenden. Nach der Rede des Studentenführers Herbert Gutjahr, die er mit den Worten schloss: „Wir haben unser Handeln gegen den undeutschen Geist gewendet. Ich übergebe alles Undeutsche dem Feuer!", warfen ausgewählte Studenten die ersten Werke besonders angefeindeter Schriftstellerinnen und Schriftsteller in die Flammen. Unter großem Gejohle der Beteiligten und des Publikums wurden anschließend unzählige weitere Bücher verbrannt. Bücher von Erich Kästner, Heinrich Mann, Kurt Tucholsky, Erich Maria Remarque und vielen, vielen anderen. Dramatischer Höhepunkt des Propagandaschauspiels war schließlich die Feuerrede des Propagandaministers Joseph Goebbels. Als er gegen Mitternacht seine Rede auf dem Opernplatz beendete, brannten in Berlin über 20.000 Bücher. Deutschlandweit fanden von März bis Oktober 1933 insgesamt 93 Bücherverbrennungen in siebzig Städten statt, überwiegend organisiert von der Deutschen Studentenschaft und der Hitlerjugend. Der Nationalsozialistische Deutsche Studentenbund wollte mit der Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 seinen Beitrag zur Machtergreifung leisten, denn bereits vor 1933 waren die deutschen Universitäten eine Hochburg antidemokratischen Denkens und viele junge studentische Funktionäre machten später im NS-Staat Karriere. Antisemitismus ist kein rein deutsches Phänomen, doch aufgrund unserer Geschichte haben wir die Verpflichtung, besonders wachsam zu sein. "Die Deutschen haben den Antisemitismus nicht erfunden", hat Ignatz Bubis einmal festgestellt, "Aber Auschwitz ist eine deutsche Erfindung – und deshalb ist Antisemitismus in Deutschland immer etwas anderes als Antisemitismus irgendwo sonst." Es ist daher gut und wichtig, dass wir heute und hier im Abgeordnetenhaus von Berlin, im Gebäude des ehemaligen Preußischen Landtags, das von den Nazis zwischen 1933 und 1945 als Ort der Gründung des berüchtigten „Volksgerichtshofes“ und später als „Haus der Flieger“ missbraucht wurde, im Rahmen des Gedenkjahres 2013 die Ausstellung „Verbrannte Bücher – Von den Nazis verfemte Autoren“ eröffnen. Ich danke dem Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas e. V., der diese Ausstellung zur Geschichte der Bücherverbrennung 1933 konzipiert und umgesetzt hat. Achtzig Jahre ist es her, dass die Nationalsozialisten an die Macht gelangten und die Werke bekannter Schriftstellerinnen und Schriftsteller der Bücherverbrennung zum Opfer fielen. Ein kultureller Verlust für Deutschland, bis heute. Viele der verfemten Schriftstellerinnen und Schriftsteller waren zu diesem Zeitpunkt bereits im Exil. Einer von denen, die ihr Land nicht verlassen wollten, war Erich Kästner. Er wollte bleiben und Chronist der Ereignisse sein. Darum stand er auch in der Masse auf dem Opernplatz und musste mitanhören, wie sein Name aufgerufen wurde und mitansehen wie sein Werk in Flammen aufging. 1946 schrieb Kästner: „Ich stand vor der Universität, eingekeilt zwischen Studenten in SA-Uniform, den Blüten der Nation, sah unsere Bücher in die zuckenden Flammen fliegen und hörte die schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners. Begräbniswetter hing über der Stadt. ... Es war widerlich ...". Wer heute über den Bebelplatz geht, findet dort ein unterirdisches Denkmal, eine in den Boden eingelassene Bibliothek mit leeren Regalen, die in der Mitte des Bebelplatzes durch eine Kunststoffscheibe betrachtet werden kann. Und man findet eine Gedenktafel mit den Worten Heinrich Heines: "Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen." Auch Heinrich Heines Werke fielen der Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer. Nur wer die Vergangenheit kennt, kann sie nach Erkenntnissen befragen, die für die Gegenwart nutzbar sind. Nur wer die Vergangenheit kennt, weiß, wie schnell Vorurteile in Verfolgung umschlagen können und wie gefährdet Freiheit, Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte immer und überall sind. "Demokratie gibt es nicht zum Nulltarif, man muss auch etwas dafür tun.", hat Max Mannheimer, jüdischer Überlebender des Holocaust einmal gesagt. Bei seinem Besuch im Abgeordnetenhaus anlässlich des Jugendforums denk!mal '10 sagte er mit Blick auf die junge Generation: "Ich erkläre, dass ich nicht als Ankläger und auch nicht als Richter, sondern nur als Zeuge der Zeit komme, damit sie wachsam sind und die Demokratie stärken. Die junge Generation ist nicht verantwortlich für das was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." Diesen Worten möchte ich mich gern anschließen. Ich wünsche mir, dass vor allem junge Leute Zugang zu dieser Ausstellung finden, für die die Zeit der Naziherrschaft und des Zweiten Weltkriegs so fern ist wie für Ältere das Kaiserreich, und deren Erfahrungswirklichkeit mit den Lebensbedingungen unter einer Diktatur nichts zu tun hat. Am heutigen Abend möchte ich besonders unserem jungen Gitarrenduo danken, das die Ausstellungseröffnung musikalisch umrahmt. Es sind Till Scheffler und Maximilian Padovani Lekschas, die beide zum wiederholten Male sehr erfolgreich am Landes- als auch am Bundeswettbewerb "Jugend musiziert" teilgenommen haben. Herzlichen Glückwunsch euch beiden zum ersten Preis und ich hoffe, dass ihr weiterhin so engagiert Musik macht. Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wünsche ich einen interessanten Rundgang durch die Ausstellung und heiße Sie alle nochmals herzlich Willkommen im Abgeordnetenhaus von Berlin. Ich darf Sie, sehr geehrte Frau Rosh nun bitten, zu uns zu sprechen.