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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Eröffnung der Ausstellung "Vergebung und Versöhnung. Kardinal Kominek - unbekannter Gründervater Europas"

26.02.2016 18:00, Wandelhalle

Ich freue mich, Sie heute Abend im Abgeordnetenhaus von Berlin begrüßen zu dürfen. Und es freut mich besonders, dass wir heute eine äußerst sehenswerte und – gerade zum jetzigen Zeitpunkt – außergewöhnlich wichtige Ausstellung eröffnen können. Es geht darin um das Leben und Wirken Bolesław Komineks – eines – wie es im Titel der Ausstellung heißt – „unbekannten Gründervater Europas“, der zugleich einer der  wichtigsten Wegbereiter der deutsch-polnischen Verständigung war.  Als erster polnischer Bischof von Wrocław hat Kominek  entscheidend dazu beigetragen, dass die Beziehungen zwischen unseren beiden Staaten heute auf einem soliden und tragfähigen Fundament stehen. Ich möchte Sie also einladen, die heute zu eröffnende Ausstellung zum Anlass für eine kleine Rückschau zu nehmen auf das, was in der Vergangenheit geleistet wurde auf dem langwierigen Weg der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen. Und damit auf das Fundament unserer Freundschaft.  Dass wir heute überhaupt von deutsch-polnischer Freundschaft sprechen können, scheint mir angesichts des Leids, das wir Deutschen im 20. Jahrhundert millionenfach über das polnische Volk gebracht haben, noch immer nicht selbstverständlich. Lange, allzu lange war das Verhältnis unserer beiden Nationen von Gewalt und Zerstörung überschattet. Bis weit in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts prägten abgrundtiefe Gegensätze, ja zuweilen offene Feindseligkeit unsere Beziehungen. Vor allem die Frage der polnischen Westgrenze belastete unser Verhältnis. Annäherung, gar Versöhnung schien unter diesen Umständen so gut wie unmöglich. Diese Ausgangslage muss man sich vor Augen führen, um den Beitrag Bolesław Komineks zur Annäherung zwischen Polen und Deutschen angemessen würdigen zu können. Als die polnischen Bischöfe im November 1965 einen von Kominek verfassten Hirtenbrief an ihre deutschen Amtsbrüder schickten, war dies ein äußerst mutiger Schritt. Denn der Brief war nicht nur eine Einladung zur Tausendjahrfeier der Christianisierung Polens. Er war vor allem eine Einladung zum Dialog und ein Aufruf zu Versöhnung. Dabei sparten die polnischen Bischöfe schmerzhafte Wahrheiten nicht aus. Klar benannten sie den vom Deutschen Reich geführten Massenvernichtungskrieg als Ursache für die Gebietsverluste im Osten.  Die Oder-Neiße-Linie stand für sie nicht zur Diskussion. Zugleich bekannten die polnischen Bischöfe ihr Mitgefühl für das „Leid von Millionen Flüchtlingen und vertriebenen Deutschen“. Der Schlusssatz des Hirtenbriefes begründete schließlich seinen Ruf als „Gründungsakt der deutsch-polnischen Normalisierung“ (so der polnische Historiker Wlodzimierz Borodziej). Darin hieß es: „In diesem allerchristlichen und zugleich sehr menschlichen Geist strecken wir unsere Hände zu Ihnen hin […], gewähren Vergebung und bitten um Vergebung.“ Die Antwort der deutschen Bischöfe auf den von Kominek formulierten Brief fiel aus polnischer Sicht enttäuschend aus. Zwar erwiderten sie die Bitte ihrer polnischen Amtsbrüder um Vergebung. Doch eine klare Antwort auf die drängende Frage nach dem Umgang mit der Oder-Neiße-Linie vermieden sie. Die Evangelische Kirche hatte hingegen schon im Oktober 1965, wenige Wochen vor dem polnischen Hirtenbrief, in einer sogenannten Ostdenkschrift die Anerkennung der neuen Grenze empfohlen. Insgesamt gewannen Ende der 60er Jahre Stimmen in der bundesdeutschen Öffentlichkeit an Gewicht, die in der Anerkennung der Nachkriegsrealität die Vorbedingung für Annäherung und Aussöhnung sahen. Dazu hatten nicht zuletzt die kirchlichen Aussöhnungsinitiativen beigetragen. Sie beförderten einen gesellschaftlichen Stimmungswandel, der schließlich in der Neuen Ostpolitik der sozialliberalen Koalition seine politische Form fand. „Das Gespräch der Kirchen und ihrer Gemeinden war dem Dialog der Politiker voraus“, notierte Willy Brandt im Rückblick. Mit dem deutsch-polnischen Grenzvertrag vom November 1990 wurde die Oder-Neiße-Linie dann völkerrechtlich endgültig festgeschrieben. Und vor 25 Jahren, am 17. Juni 1991, schlossen unsere beiden Staaten den „Vertrag über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“. Er bildet bis heute neben dem Grenzvertrag die Basis unseres insgesamt stabilen und vertrauensvollen Verhältnisses. Es lohnt sich, ab und zu einen Blick in seine Präambel zu werfen. Darin heißt es, die Bundesrepublik und Polen seien gewillt, ihre „Beziehungen im Geiste guter Nachbarschaft und Freundschaft zu gestalten“, sodass der Wunsch beiden Völker nach „dauerhafter Verständigung und Versöhnung in die Tat“ umgesetzt werde. Dieses Ziel sollten wir im politischen Tagesgeschäft nicht aus den Augen verlieren. Die deutsch-polnischen Beziehungen sind heute eingebettet in den europäischen Einigungsprozess. Die Idee, dass Europa als geeinter Kontinent agiert, ist human, aber auch revolutionär. Und es ist eine Idee, um die uns andere Kontinente beneiden. Denn die Europäische Union ist einmalig auf der Welt. Die Idee eines geeinten, friedlichen und sozialen Europas kann nur gelingen, wenn wir gleichzeitig den Nationalismus überwinden. Und die Idee Europa wird nur dann gelebte Wirklichkeit, wenn demokratische Grundprinzipien herrschen. Die Achtung der Menschenrechte, die Gewaltenteilung und die Freiheit – auch die Pressefreiheit – sind nicht nur einfach Werte. Sie sind die Voraussetzung dafür, dass wir auf unserem Kontinent ein gemeinsames politisches Leitbild haben. Nur dann, wenn wir dies haben, dann lässt sich die europäische Idee verwirklichen. Unser demokratisches Denken und Wirken wurzelt in den Gedanken der europäischen Aufklärung. Das ist unsere gemeinsame kulturelle Basis in Europa. Selbstbestimmung und Humanität prägen uns. Aus deutscher Sicht habe ich nur einen Wunsch: dass wir alle in Europa diese europäische Idee nicht nur postulieren, sondern auch verwirklichen. Menschen wie Boleslaw Kominek haben Brücken gebaut – ganz im Sinne des eben Gesagten. Insofern freue ich mich, dass wir diese Ausstellung in den Räumen unseres Berliner Parlaments zeigen können. Vielen Dank. Ich darf nun Herrn Ossowski, Vorsitzender des Stadtrates von Wroclaw, an das Rednerpult bitten.