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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Ralf Wieland zur Verabschiedung des Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen Martin Gutzeit

24.11.2017 11:30, Festsaal

Wir haben ja vor wenigen Wochen schon mal etwas gefeiert. Da erschien nämlich eine Festschrift neu auf dem Buchmarkt. Sie ist Martin Gutzeit gewidmet – dem Politiker, Historiker und Philosophen, der eigentlich von Haus aus Theologe ist.

Diese Festschrift trägt den schönen Titel: „Martin Gutzeit. Ein deutscher Revolutionär“. Zeithistoriker, Politiker, Wissenschaftler und Weggefährten haben Aufsätze verfasst, um das Leben und die Arbeit von Martin Gutzeit zu würdigen und auch in den Kontext der deutsch-deutschen Geschichte einzuordnen. Ich kann nur sagen: Wenn am Ende eines beruflichen Weges eine derartige Festschrift konzipiert und veröffentlicht wird, dann ist das doch auch ein schönes Abschlusszeugnis für das Wirken als Landesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen.

Lieber Martin Gutzeit,

herzlichen Dank für den nimmermüden Einsatz, den Sie als Landesbeauftragter 25 Jahre lang gezeigt haben. Bei der feierlichen Überreichung der Festschrift an Martin Gutzeit stand der Gründer der SDP in der DDR, der Ideen- und Impulsgeber dieser SDP, Martin Gutzeit, im Vordergrund. Vollkommen zu Recht. Denn es bleibt – bestimmt nicht nur für mich – eine Heldentat, dass mit der Gründung einer demokratischen Partei in der DDR die Legitimität der Staatspartei SED infrage gestellt wurde. Dazu gehörte damals im Oktober 1989 sehr viel Mut. Und das nötigt mir großen Respekt ab. Es ging durchaus um Leib und Leben, als dieser Schritt in die Wege geleitet wurde. Und wir sind alle auch im Nachgang froh – davon bin ich überzeugt -, dass die Stasi damals nicht einschritt und die Protagonisten verhaftete.

Wenn wir in die Zeit der Wende zurückblicken, dann war damals die Frage höchst umstritten, wie mit dem Stasi-Archiv umgegangen werden soll. Es herrschte Unsicherheit, oder besser gesagt: Eine Verunsicherung, was mit den Akten der Stasi passieren sollte. Nicht wenige plädierten dafür, sie zu vernichten. Andere wollten diese wegsperren. Wieder andere – zu ihnen gehörte Martin Gutzeit – wollten sie öffentlich zugänglich machen. Es gehört ganz sicher zu den großen Verdiensten von Martin Gutzeit und Markus Meckel, dass sie diese Frage in den politisch-parlamentarischen Raum verlagerten.

Schon die erste frei gewählte Volkskammer schuf auf ihre Initiative hin ein Gesetz zum Umgang mit den Stasi-Akten. Die DDR-Regierung und die Bundesregierung waren nur mäßig begeistert, weil die Akten für Betroffene und die Forschung zugänglich sein sollten. Es war dann auch die Bundesregierung, die sich weigerte, dieses Gesetz zu respektieren und in den Einigungsvertrag zu übernehmen. Es gab ein unschönes Tauziehen, mit der Folge, dass im Stasi-Unterlagengesetz von 1991 die Nutzung der Akten durch die Wissenschaft eingeschränkt wurde. Aber immerhin: Betroffene konnten auf Antrag Einblick in ihre Stasi-Akten nehmen.

Ich möchte nun nicht die vergangenen Schlachten zwischen Öffnung und Nichtöffnung der Stasi-Archive noch einmal Revue passieren lassen. Aber klar ist gewesen: Martin Gutzeit hatte sich damals vehement für die allgemeine Bereitstellung der Akten eingesetzt. Dieser Aspekt und sein Wirken als Bürgerrechtler sowie als Parteigründer der sozialdemokratischen Partei in der DDR brachte die SPD in Berlin schließlich dazu, ihn 1992 als Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen vorzuschlagen.

Dieser Personalvorschlag war zunächst beim größeren Koalitionspartner CDU umstritten, aber schlussendlich konnten sich beide Regierungsparteien verständigen. Am 26. November 1992, also vor fast genau 25 Jahren, wählte das Berliner Abgeordnetenhaus dann Martin Gutzeit zum Landesbeauftragten. Kurz zuvor war das „Stasi-Landesbeauftragten-Gesetz“ verabschiedet worden.

Seither ist Martin Gutzeit im Abstand von fünf Jahren vom Abgeordnetenhaus immer wieder in dieser Funktion bestätigt worden. Es ist deshalb vollkommen berechtigt, von einer Ära Gutzeit zu sprechen, wenn wir auf die Berliner Landesbehörde für die Stasi-Unterlagen blicken.

Lieber Martin Gutzeit,

ich bin mir sicher, wir hätten Sie als Landesbeauftragten auch wiedergewählt, würden Sie nicht in den Ruhestand gehen. Es ist schon enorm, welches Aufgabenspektrum diese Behörde von Anfang an übernommen hat. Zunächst musste die Kader- und Nomenklaturpolitik der SED dokumentiert werden. Außerdem war die Rechtsprechung der Verwaltungs- und Arbeitsgerichtsbarkeit zur Stasi-Problematik aufzuarbeiten. Dazu kamen etliche zusätzliche Überprüfungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Berliner Verwaltungen.

Und es ging um die Opferberatung – ein Aspekt, der Martin Gutzeit besonders am Herzen lag. Denn gerade die Anerkennung von Gesundheitsschäden bei den Verfolgten wurde häufig von den Gesundheitsdiensten restriktiv ausgelegt – so die Meinung vieler Opfer. Ein weiterer wichtiger Arbeitsbereich war und ist die politische Bildung.

Eigene Veranstaltungen, Tagungen, Publikationen und Ausstellungen tragen dazu bei, über die DDR geschichtlich aufzuklären. Dabei kooperiert der Landesbeauftragte auch oft mit anderen Institutionen, vor allem mit der Robert-Havemann-Gesellschaft.

Ich möchte deshalb noch einmal den neuen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Tom Sello, begrüßen, den ich gerade vor dieser Veranstaltung vereidigt habe, und der ja viele Jahre für die Robert-Havemann-Gesellschaft gearbeitet hat.

Meine Damen und Herren,

wir leben leider inzwischen in einer Zeit, die ärmer wird an Idealen. Aber was noch bedenklicher ist: Wir gewöhnen uns daran. Gleichgültigkeit und Desinteresse werden immer mehr zur Regel in unserer Gesellschaft. Diejenigen, die die Kraft der Gemeinschaft und der Solidarität als wichtig erachten, werden zusehends weniger.

Sie geraten in die Defensive. Ich kann nur sagen: Wir alle müssen aufpassen, dass uns diese Entwicklung nicht überrollt. Jede Gesellschaft, jede Gemeinschaft braucht auch den Zusammenhalt. Zu diesem Zusammenhalt gehört eben auch, dass die Interessen derjenigen, die verfolgt, drangsaliert oder seelisch misshandelt wurden, unsere Unterstützung finden.

Die heutige Verabschiedung hebt nun einen Mann heraus, der sich für viele Stasi-Opfer einsetzte. Sie stehen, Herr Gutzeit, für viele weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Ihrer Behörde, ohne die Ihre Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Letztlich haben Sie auch so dazu beigetragen, dass das Abgeordnetenhaus Ihre Arbeit immer zu schätzen wusste und es hat deshalb auch beschlossen, dass die Behörde weiterarbeitet – durchaus mit erweiterten Aufgaben.

Lieber Martin Gutzeit,

ich weiß, Sie werden auch im Ruhestand weiter an Ihren Themen zur Wendezeit der DDR arbeiten. Und Sie werden das ungeheure Quellenmaterial, das Sie im Laufe der letzten Jahrzehnte persönlich gesammelt haben, fachgerecht archivieren. Hoffentlich mit Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung, die von Ihren Materialien profitieren kann. Ich persönlich denke ja immer noch, dass Sie auch eine Autobiographie verfassen müssen.

Wer, wenn nicht Sie, sollte aus einem ereignisreichen Leben berichten. Sie haben nicht nur in der Geschichte gelebt, Sie selbst sind gelebte Geschichte. Vielleicht überlegen Sie es sich ja noch mit der Autobiographie.

Ansonsten: Genießen Sie die neue Lebenszeit, die jetzt vor Ihnen liegt.

Alles Gute, lieber Martin Gutzeit. Vielen Dank.