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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin Walter Momper anlässlich der Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille an Frau Karoline Friederike Müller

15.04.2010 18:00, Abgeordnetenhaus von Berlin

Walter Momper 15.04.2010, Abgeordnetenhaus von Berlin, Festsaal

am Donnerstag, dem 15. April 2010, Festsaal, Abgeordnetenhaus von Berlin

Es gilt das gesprochene Wort Sperrfrist: 15. April 2010, 18.00 Uhr

Anrede,

ich freue mich, dass Sie meiner Einladung in das Abgeordnetenhaus von Berlin gefolgt sind. Wir sind zusammengekommen, um heute an eine herausragende Persönlichkeit zu erinnern, deren Lebensleistung untrennbar mit der Geschichte unserer Stadt verbunden bleiben wird: Die unvergessene Louise Schroeder.

Die Namensgeberin unserer Auszeichnung war eine bemerkenswerte Frau. Sie war eine Frau, die auffiel, eine Frau, die aus dem Rahmen fiel. Louise Schroeder folgte nicht der ihr durch Geburt und Erziehung vorgegebenen Rolle. In ihrem Leben kämpfte sie gegen Zwänge und Widerstände. Bemerkenswert sind ihre Entscheidungen, die auch mit existenziellen Risiken behaftet waren.

Louise Schroeder wurde am 2. April 1887 als jüngstes von acht Kindern in Altona bei Hamburg geboren. Ihre Mutter war Gemüsehändlerin, ihr Vater Bauarbeiter. Sie besuchte die kaufmännische Gewerbeschule in Hamburg und arbeitete nach Ihrer Ausbildung als Sekretärin.

Sie engagierte sich in der Gewerkschaft, in der Arbeiterwohlfahrt und in der Frauenbewegung. 1910 trat sie der SPD bei und wurde schon bald Vorstandsmitglied ihres Ortsvereins. Kurze Zeit später wurde sie in den SPD-Bezirksvorstand für die Provinz Schleswig-Holstein gewählt. Sie trotzte erfolgreich den Zweifeln und Vorurteilen, die ihr begegneten, und verfolgte unbeirrbar ihren Weg.

Von 1919 bis 1920 war sie Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und ab 1920 war sie eine der jüngsten weiblichen Reichstagsabgeordneten. In den folgenden Jahren ihrer parlamentarischen Arbeit bis 1933 widmete sie sich vor allem sozialpolitischen Themen. An dieser Stelle möchte ich besonders erwähnen, dass sie zu denen gehörte, die mit dazu beitrugen, dass die SPD-Fraktion geschlossen im März 1933 gegen das Ermächtigungsgesetz Hitlers stimmte. Mit Beginn der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft musste sie alle politischen Ämter niederlegen und wurde unter Polizeiaufsicht gestellt. Kurz vor Kriegsausbruch siedelte die Hamburgerin nach Berlin über.

In Berlin gehörte Louise Schroeder zu den Ersten, die sich 1945 am Wiederaufbau der SPD beteiligten. 1946 wurde sie in die Berliner Stadtverordnetenversammlung gewählt und wurde Bürgermeisterin von Groß-Berlin. Von 1947 bis 1949 – in schwerer Zeit – stand sie als amtierende Oberbürgermeisterin an der Spitze der Berliner Verwaltung. Nach der Teilung der Stadt übte sie von 1949 bis 1951 erneut das Amt der Bürgermeisterin von Berlin aus und war bis 1952 Mitglied des Abgeordnetenhauses. Von 1949 bis zu ihrem Tod im Jahre 1957 gehörte sie dem Deutschen Bundestag an.

Anrede,

Louise Schroeder erhielt an ihrem 70. Geburtstag, dem 2. April 1957, zwei Monate vor ihrem Tod, als erste Frau die Ehrenbürgerwürde von Berlin, weil sie „als langjährige Helferin in Not und Leid sich als Vorbild mütterlicher Pflichterfüllung bewährt“ und „die Interessen der Bewohner Berlins im Deutschen Bundestag mit warmen Herzen“ vertreten hat.

Anrede,

Frauen wie Louise Schroeder spielten eine bedeutende Rolle in der Geschichte der Frauenbewegung. Sie kam aus der Tradition der deutschen Arbeiterbewegung. Die zentrale Position für sie war das Streben nach Gerechtigkeit. Eine gleichberechtigte Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen gehörte selbstverständlich dazu. Gleichberechtigung aber setzt Unabhängigkeit voraus. Unabhängigkeit wiederum setzt eigenes Einkommen voraus. Was nützen den Frauen heute die im Grundgesetz verbrieften Rechte, wenn Frauen nach wie vor noch in unserer Gesellschaft niedrigere Einkommen haben und in Führungspositionen massiv unterrepräsentiert sind. Wir wissen sehr gut, dass in unserer Gesellschaft geschlechtsspezifisches Schubladendenken längst nicht überwunden ist und alte Rollenbilder eine lange Haltbarkeit haben.

Anrede,

deshalb ist es gut, dass mit der jährlichen Verleihung der Louise-Schroeder-Medaille Persönlichkeiten und Institutionen geehrt werden, die dem persönlichen und politischen Vermächtnis Louise-Schroeders in hervorragender Weise Rechnung tragen und sich in besonderer Weise Verdienste um Demokratie, Frieden, soziale Gerechtigkeit sowie die Gleichstellung von Männern und Frauen erworben haben.

Mit Karoline Müller wird in diesem Jahr eine Frau für ihr Lebenswerk ausgezeichnet, die sich seit vielen Jahrzehnten gegen die Ungleichbehandlung von Frauen im Kunstbetrieb engagiert, ein Problem, das in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wird. Frau Müller hat sich schon zu einer Zeit für die Förderung von Künstlerinnen eingesetzt, als der Begriff Frauenförderung noch gar nicht existierte. Bis heute kämpfen Sie, sehr geehrte Frau Müller, für die Unterstützung zeitgenössischer Künstlerinnen und gegen das Vergessen bedeutender früherer Künstlerinnen, deren Lebenswerk Sie mit Ihrem vielfältigen Engagement sichtbar machen.

Mit Ihrem unermüdlichen und lebenslangen Einsatz setzen Sie ein sichtbares Zeichen gegen Diskriminierung und Ungleichheit von Frauen in der Kunst. Damit stehen Sie in bester Tradition des Wirkens von Louise Schroeder.

Dem Kuratorium danke ich für den weisen Vorschlag für die diesjährige Verleihung, dem sich das Präsidium des Abgeordnetenhauses einstimmig angeschlossen hat. Ich beglückwünsche Sie, sehr geehrte Frau Müller, zur Auszeichnung mit der Louise-Schroeder-Medaille.

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