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Blick in den Plenarsaal und hauptsächlich die Flaggen für Deutschland, Berlin und Europa

Rede des Präsidenten des Abgeordnetenhauses von Berlin, Walter Momper, bei der Eröffnung der Intern. Konferenz zum 50. Jahrestag des Eichmann-Prozesses

24.05.2011 18:00, in der Stiftung Topographie des Terrors

Walter Momper 24.05.2011, in der Stiftung Topographie des Terrors

-Es gilt das geprochene Wort-

„Wir können aus der Erde keinen Himmel machen, aber jeder von uns kann etwas tun, dass sie nicht zur Hölle wird.“ Diese Überzeugung formulierte einst Fritz Bauer, der als hessischer Generalstaatsanwalt den Auschwitz-Prozess vorbereitete. Dieser Prozess, der 1963 begann, stellte eine erste Auseinandersetzung der bundesrepublikanischen Justiz und Öffentlichkeit mit den nationalsozialistischen Verbrechen dar. Was an seinen vielen Prozesstagen zur Sprache kam, machte jedem, der es wissen wollte, deutlich, wie die Hölle auf Erden aussieht. Auschwitz ist Synonym für millionenfachen Mord geworden, für eine bis ins Letzte durchgeplante Vernichtungsmaschinerie, für Unmenschlichkeit schlechthin. Der Name Auschwitz steht stellvertretend für alle Vernichtungslager der Nationalsozialisten; er steht stellvertretend für die brutale Verfolgung, von Millionen unschuldiger Menschen aus ganz Europa.

Dem ersten Prozess, bei dem sich NS-Verbrecher für ihre Taten vor einem deutschen Gericht zu verantworten hatten, ging 2 Jahre zuvor der Prozess gegen Adolf Eichmann in Israel voraus. Vom 11. April 1961 bis zum 15. Dezember 1961 verhandelte das Jerusalemer Bezirksgericht über 15 Anklagepunkte, die nach mehrmonatigen Ermittlungen vom Generalstaatsanwalt gegen den angeklagten ehemaligen SS-Obersturmbannführer im Reichssicherheitshauptamt, Adolf Eichmann, erhoben worden waren. In vier Hauptpunkten war die Anklage untergliedert: Verbrechen gegen das jüdische Volk Verbrechen gegen die Menschlichkeit Kriegsverbrechen Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation.

Bevor es überhaupt zu diesem Prozess kommen konnte, mußte man zunächst der Person Eichmann habhaft werden, da es ihm gelungen war, zunächst in Deutschland unterzutauchen und sich später nach Südamerika abzusetzen und eine neue Identität anzunehmen. Nur auf die eher zufällige Aufmerksamkeit Einzelner war es zurückzuführen, von der Existenz Eichmanns in Argentinien zu erfahren. Fritz Bauer erfuhr von der möglichen Anwesenheit Eichmanns in Südamerika und informierte 1957 erstmals Regierunsstellen in Israel. Aber es sollte noch 3 Jahre dauern, bis Eichmann vom israelische Geheimdienst im Mai 1960 aufgespürt und nach Israel entführt wurde. Auch wenn es bis heute Diskussionen darüber gibt, ob es eine Legitimation für die Entführungsaktion Israels gab, so muss man einfach verstehen, dass der jüdische Staat es den Opfern schuldig war so zu hanedeln. Die Dimension der Verbrechen, für die Eichmann mit Verantwortung trug, machten die Notwendigkeit dieses Verfahrens nur zu deutlich. Außerdem ging es der Generalstaatsanwaltschaft in Israel nicht darum, in einem kurzen Prozess an einer Person ein Exempel zu statuieren. Vielmehr ging es den für den Prozess Verantwortlichen darum, in aller Ausführlichkeit die Öffentlichkeit durch Rundfunk- und TV-Übertragung der Verhandlungstage mit den Verbrechen der Nazis in ihren ganzen Ausmaßen zu konfrontieren und vor allem die Opfer zu Wort kommen zu lassen. Vor dem Bezirksgericht in Jerusalem stand nicht nur der Prototyp des Schreibtischtäters, der sich - wie viele davor und danach - bei seiner Beteiligung an Verbrechen auf höhere Befehle berief, sondern auch ein System des industriemäßigen Massenmordes.

Niemand sollte sich nach diesem Prozess mehr herausreden oder den planmäßig durchgeführten Mord an Millionen von Menschen relativieren oder leugnen können. Der Prozess gegen Eichmann bewirkte die notwendige Aufmerksamkeit für die Leiden der Opfer. Er lenkte zugleich aber auch eine größere Aufmerksamkeit auf die Täter und deren unmenschlichen Taten. Insoweit war die Anwendung des Weltrechtsprinzips und der Prozess in Jerusalem notwendig, um - nach jahrelangem Schweigen - den Fokus der Welt-öffentlichkeit auf die Singularität des Verbrechens der Nationalsozialisten zu richten. Der Eichmann-Prozess setzte ein Zeichen, das bis in die heutige Zeit wirkt. Er war kein singuläres Ereignis, setzte er doch auch Maßstäbe für spätere Prozesse gegen NS-Verbrecher und bis heute, im 21. Jahrhundert, gegen jene, die sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben und sich vor einem legitimierten, internationalen Gerichtshof verantworten müssen.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber alte Probleme können in neuem Gewand wieder auftauchen. Von daher hat es seine tiefe Berechtigung, auch im 21. Jahrhundert an die Zivilisationsbrüche des 20. Jahrhunderts zu erinnern. Wer sich mit der Geschichte des Nationalsozialismus befasst, wird damit konfrontiert, wohin Vorurteile und Verblendung, wohin Rassenwahn und Hass führen können. Aber er lernt auch, die Anfänge zu erkennen, jene Anfänge, denen es zu wehren gilt.

Deshalb ist die seit April hier gezeigte Ausstellung über den Eichmann-Prozess so wichtig, um vor allem der jüngeren Generation die Vorgeschichte und den Verlauf des Prozesses vor Augen zu führen.

An dieser Konferenz, die sich heute und morgen mit den Auswirkungen des Eichmann-Prozesses vor 50 Jahren beschäftigt, nehmen zahlreiche Wissenschaftler und Journalisten teil. Lassen sie mich aber einen Teilnehmer besonders begrüßen, der heute seinen 80. Geburtstag feiern kann: Gerhard Schoenberner. Begonnen hat er vor einem halben Jahrhundert mit der Herausgabe des aufsehenerregenden Buches „Der gelbe Stern“ – damals noch ein Tabubruch. Er war jahrzehntelanger Begleiter des Projektes „Topographie des Terrors“ und des „Aktiven Museums“ sowie der Gründung der „Gedenkstätte Haus der Wannseekonferenz“. Gerhard Schoenberner hat mit Büchern, Ausstellungen und Filmen praktisch sein ganzes Leben der von Adorno eingeforderten „Aufarbeitung der Vergangenheit“ gewidmet.

Lieber Gerhard Schoenberner, ich möchte Ihnen sehr herzlich zu Ihrem heutigen Ehrentag gratulieren und ich möchte Ihnen zugleich für Ihre jahrzentelange Arbeit meinen Dank aussprechen. Für das kommende Lebensjahr wünsche ich Ihnen Glück und viel Gesundheit. Berlin hat Ihnen viel zu verdanken!

Ich wünsche der Ausstellung hier im Dokumentationszentrum bis zum September des Jahres weitere zahlreiche interessierte Besucherinnen und Besucher und Ihrer Konferenz einen erfolgreichen Verlauf.